Margarita Simonowna Simonjan
Margarita Simonowna Simonjan (russisch Маргари́та Симо́новна Симонья́н, armenisch Մարգարիտա Սիմոնի Սիմոնյան Margarita Simoni Simonjan; * 6. April 1980 in Krasnodar) ist eine russische Fernsehjournalistin und Chefredakteurin der Nachrichtenagentur Rossija Sewodnja (russisch Россия сегодня Russland heute, englisch Russia Today).[1]
Leben
Simonjan wurde am 6. April 1980 als Kind armenischer Eltern in Krasnodar geboren.[2] Sie stammt aus ärmlichen Verhältnissen, ihr Vater reparierte Kühlschränke, die Mutter war Hausfrau.[3] Ihre Eltern waren beide Nachkommen armenischer Flüchtlinge aus dem Osmanischen Reich. Die Familie ihres Vaters stammt aus Trabzon und soll während des Völkermords an den Armeniern 1915 auf die Krim ausgewandert sein. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Familie mit anderen Hemschin-Armeniern in die Ural-Region deportiert. Ihre Mutter stammt aus Sotschi und war Nachkomme einer armenischen Familie, deren Vorfahren im 19. Jahrhundert vor den Massakern an Armeniern geflüchtet waren.[4]
Während der Schulzeit, in der sie nachmittags auf dem Markt beim Verkauf von Kleinartikeln half,[3] legte sie den Schwerpunkt auf Fremdsprachen. Sie gewann während der 10. Klasse ein Stipendium des State Department für das Schüleraustauschprogramm Future Leaders Exchange[5] und lebte ein Jahr lang in Bristol, New Hampshire, USA. Sie berichtete später, das schulische Niveau in Krasnodar sei so hoch gewesen, dass man sie an der High School sofort um zwei Noten besser bewertet habe. Die Lehrer hätten sie für viel älter gehalten, da man in Russland ihrer Meinung nach früher erwachsen wurde. Den Wunsch ihrer Eltern, in den USA zu bleiben und Pflegeeltern zu finden, um dem Elend Russlands zu entgehen, habe sie empört zurückgewiesen. Die Erfahrungen in den USA hätten ihre vom Fernsehen vermittelten Illusionen über den American way of life zerstört. „Wahrscheinlich zum ersten Mal begann ich darüber nachzudenken, wie Information, Medien und Filme die Meinungen der Menschen beeinflussen. (…) Im Grunde fing ich an zu erkennen, dass wir belogen worden waren.“ Ihre positive Einstellung gegenüber den USA habe sie erst 1999 nach der Bombardierung Belgrads aufgegeben. Sie schätze aber immer noch viele Dinge, etwa die Kultur und das Essen. Sie erinnerte sich an die Begeisterung für alles Amerikanische in den 1990er-Jahren, als man Amerika als Erlöser betrachtete. Sie habe die Unabhängigkeitserklärung auswendig gelernt.[3]
Simonjan entschied sich früh für eine journalistische Laufbahn, arbeitete erst für eine russische Lokalzeitung und dann für einen örtlichen Fernsehsender, während sie an der Staatlichen Kuban-Universität Krasnodar Journalistik studierte.[6] Zusätzlich studierte sie an der von Wladimir Posner gegründeten Fachschule für Fernsehen (Школа телевизионного мастерства, Schkola telewisionnowo masterstwa).
Karriere
Während des Zweiten Tschetschenienkrieges arbeitete Simonjan als Fernsehkorrespondentin eines kleineren Senders. Simonjan berichtete über den Krieg und die Flutkatastrophe im Süden Russlands und bekam dafür die Auszeichnung des Journalistenverbands für Tapferkeit im Beruf («За профессиональное мужество»). 2002 wurde sie auch Regionalkorrespondentin für den Fernsehkanal Rossija 1 und berichtete dabei 2004 über die Geiselnahme von Beslan.[7] Simonjan war eine der ersten am Ort des Geschehens und wurde Augenzeugin der Ermordung von 334 Menschen, 186 davon Kinder.
Sie zog später nach Moskau um und wurde Teil der Kremlreporter.[6][8] Sie wurde erste Vizepräsidentin der russischen Vereinigung von Radio- und Fernsehreportern und 2005 Mitglied der russischen Behörde Gesellschaftliche Kammer Russlands.
Seit 2005 ist sie Chefredakteurin des Fernsehsenders RT. In ihrem Büro befindet sich ein gelbes Sondertelefon, das ausschließlich zur verschlüsselten Kommunikation direkt mit dem Kreml dient.[9]
2010 erschien ihr erstes Buch, Heading to Moscow![10]
Von Vertretern der Medien Echo Moskwy, RIA Novosti und Ogonjok wurde Simonjan 2012 auf die Liste der 100 einflussreichsten Frauen Russlands gewählt.[11]
Seit 2013 ist sie auch Chefredakteurin der staatlichen Medienagentur Rossija Sewodnja.[12]
Politische Position
Auf Vorwürfe einer gefärbten Berichterstattung antwortete sie: „Wir machen kein Geheimnis aus der Tatsache, dass wir ein russischer Sender sind – selbstverständlich sehen wir die Welt vom russischen Standpunkt aus. Wir sind in dieser Hinsicht sehr viel ehrlicher.“[13]
Simonjan bezeichnete Russia Today 2013 als "Verteidigungsministerium" des Kreml, als "eine Waffe wie jede andere auch". In Friedenszeiten erscheine ein Auslandssender "nicht unbedingt nötig. Aber im Krieg kann er entscheidend sein. Eine Armee gründet man ja auch nicht erst eine Woche vor Kriegsbeginn", so Simonjan. Es gehe darum, einen Kanal zu schaffen, "an den sich die Leute gewöhnen, der ihnen gefällt – und im Ernstfall zeigen wir ihnen, was nötig ist."[14]
In einem Spiegel-Interview von 2013 äußerte Simonjan, RT habe während des Kaukasuskrieges von 2008 als einziger englischsprachiger Sender auch über die russische und südossetische Perspektive berichtet. Sie sagte, der Westen sei niemals über seine Stereotype des Kalten Kriegs hinausgekommen, die Journalisten wären daran interessiert, Russland als moralisch verwerflichen Aggressor darzustellen.[15]
Auf den Vorwurf der Einseitigkeit und des Whataboutism erwiderte sie, die Darstellung Russlands in den westlichen Medien sei viel einseitiger als umgekehrt die Darstellung der USA in den russischen. „Wir sind gegenüber der westlichen Politik viel weniger kritisch als die westlichen Medien gegenüber Russland. Wann haben Sie zum letzten Mal etwas Gutes über Russland gelesen? (…) Deshalb bringt mich dieses Klischee zum Lachen, RT sei ein antiwestlicher Kanal.“[3]
Im Zuge der Berichterstattung über die Annexion der Krim 2014 schrieb Simonjan, dass ein „tatsächlicher Krieg“ stattfinde: „… ein Medienkrieg“. Zudem wies sie unter besonderer Erwähnung der amerikanischen Moderatorin Abby Martin darauf hin, dass in den USA die RT-Journalisten massiven Schikanen und Verleumdungen ausgesetzt seien.[16] Sie nannte RT eine Waffe und erklärte, es gehe langfristig darum, dass sich die Konsumenten an RT gewöhnten, um dann im Ernstfall zu zeigen, „was nötig ist“.[17]
Bei einer Pressekonferenz mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin Ende Mai 2017 beschuldigte Frankreichs neu gewählter Präsident Emmanuel Macron russische Nachrichtenportale „Sputnik“ und „Russia Today“, im Vorfeld der französischen Präsidentschaftswahlen „falsche Propaganda“ über seinen Wahlkampf verbreitet zu haben.[18] In einer Talkshow im russischen Fernsehsender NTV kündigte die Chefredakteurin daraufhin an, eine Klage gegen das Wahlkampfteam von Macron wegen dieser „Verleumdung“ einreichen zu wollen.[19] Nach der Wiederwahl Putins zum Präsidenten im Jahr 2018 wurde Simonjan zitiert mit: „Früher war er einfach unser Präsident und konnte abgelöst werden. Jetzt ist er unser Führer[Anm. 1]. Und wir lassen nicht zu, dass er abgelöst wird.“[20]
Im Vorfeld des russischen Überfalls auf die Ukraine lief die Russische Propaganda auf Hochtouren: Die Russische Föderation würde derzeit im Wesentlichen von der Propaganda kontrolliert, persönlich von Margarita Simonjan, welche vor Ungeduld erschöpft sei: Wann wird Blut vergossen?, fasste es der Politik-Redaktor der Nowaja Gaseta auf Echo Moskau zusammen.[21]
Auszeichnungen
- Medaille „Für die Festigung der Waffenbrüderschaft“ (Медаль „За укрепление боевого содружества“, 9. März 2005)
- Orden der Freundschaft (27. Juni 2007)
- Orden der Freundschaft (Südossetien, 25. Dezember 2008)
- Moses-von-Choren-Medaille (Auszeichnung der Republik Armenien, 18. November 2010)
- Verdienstorden für das Vaterland IV. Klasse (22. April 2014)
- Alexander-Newski-Orden (24. Mai 2019)
Privates
Simonjan ist mit dem Fernsehproduzenten Tigran Keosjan verheiratet und Mutter einer Tochter[22] sowie eines Sohnes.[23]
Werke
- В Москву! Этногенез, 2010, ISBN 978-5-904454-14-2.
Weblinks
- Margarita Simonovna Simonjans Seite bei LiveJournal
- Моя семья пережила геноцид и других доказательств мне не нужно, Թերթ.am, 24. April 2013, Simonjan über die Geschichte ihrer armenischen Familie
- Окно в Россию, Взгляд.ру, 22. Juni 2005
- Время гадких утят, Взгляд.ру, 26. Februar 2010
Einzelnachweise
- Margarita Simonjan wird Chefredakteurin der neuen Nachrichtenagentur Rossija Segodnja (Memento vom 8. März 2014 im Internet Archive), RIA Novosti, 31. Dezember 2013
- „МАРГАРИТА СИМОНЬЯН“. Echo Moskwy. 4. März 2013
- Max Seddon: Lunch with the FT: Kremlin media star Margarita Simonyan. In: Financial Times. 29. Juli 2016, abgerufen am 8. April 2017 (britisches Englisch): „In any case the experience had shattered TV-fostered illusions about the American way of life and its superiority to Russia’s economic turbulence. „That was probably the first time that I started thinking about how information, media and movies affect people’s opinions about things. For some reason, we in Russia think an entire country is different from what it’s really like. I basically started to feel that we’d been lied to.““
- Armenians of the World-Margarita Simonyan. Shant TV, 6. Februar 2012, abgerufen am 23. März 2014 (armenisch).
- „20 years of FLEX“ (Memento vom 6. Oktober 2014 im Internet Archive) (PDF). Future Leaders Exchange. 2012.
- Julia Ioffe: „What is Russia Today?“, Columbia Journalism Review, September / Oktober 2010
- Artjom Sagorodnow: Today's woman who needs to be heard. In: The Moscow Times. 25. September 2008, abgerufen am 2. November 2017 (englisch).
- Kara Rowland: Russia Today: Youth served. The Washington Times, 27. Oktober 2008.
- Time: "The global news network RT is the Russian government's main weapon in an intensifying information war with the West—and its top editor has a direct phone line to the Kremlin", vom 5. März 2015, geladen am 15. März 2021
- Margarita Simonyan book event photographs (Memento vom 23. Februar 2013 im Internet Archive), Ria Novosti media library.
- 100 влиятельных россиянок, Kommersant, 23. Januar 2012
- Главным редактором «России сегодня» стала Маргарита Симоньян (Memento vom 1. Januar 2014 im Internet Archive), Новости Mail.Ru, 31. Dezember 2013
- „Russia Today: Youth served“, The Washington Times, Kara Rowland, 27. Oktober 2008
- https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/images/Kampagnen/Sotschi/ROG-Russland-Bericht-2013_web.pdf Seite 35
- Benjamin Bidder: Wenn Russland Krieg führt, ziehen wir mit in die Schlacht (Spiegel online, 14. August 2013, abgerufen am 26. Januar 2016)
- About Abby Martin, Liz Wahl and media wars, rt.com, Margarita Simonyan, 6. März 2014
- Der Kreml auf allen Kanalen: Wie der russische Staat das Fernsehen lenkt. Reporter ohne Grenzen, Oktober 2013, S. 32 ff.
- n-tv Nachrichtenfernsehen: Macron greift russische Medien scharf an. In: n-tv.de. (n-tv.de [abgerufen am 2. November 2017]).
- Как врет телеканал Russia Today. Ответ Маргарите Симоньян. (kompromat1.info [abgerufen am 2. November 2017]).
- Jens Siegert: „Notizen aus Moskau: Staatsversagen“, bpb, 9. April 2018.
- Ein Krieg würde die Propaganda mit der Realität konfrontieren, Echo Moskau, 14. Februar 2022
- Маргарита Симоньян родила дочь Марьяну, Сусанна Альперина, Rossijskaja gaseta, 12. August 2013
- Тигран Кеосаян и Маргарита Симоньян назвали сына Багратом, Komsomolskaja Prawda, 27. September 2014