Kessler-Zwillinge
Alice und Ellen Kessler (* 20. August 1936 in Nerchau, Sachsen, bürgerlich Kaessler) sind ein Zwillingspaar des deutschen Showgeschäfts. Sie wurden als die Kessler-Zwillinge bekannt und traten als Sängerinnen, Tänzerinnen, Schauspielerinnen und Entertainerinnen auf. Lange Zeit wurden sie zu den schönsten Frauen der Welt gezählt.
Künstlerische Laufbahn
Anfänge
Die Eltern der eineiigen Zwillinge, der Maschinenbauingenieur Paul Kaessler und seine Frau Elsa – beide musisch interessiert –, förderten die Mädchen früh und schickten sie als Sechsjährige zum klassischen Ballettunterricht. 1947 nahm das Kinderballett der Oper Leipzig die Schwestern auf, 1950 bestanden sie die Aufnahmeprüfung der dortigen Operntanzschule. 1952 nutzten sie ein Besuchervisum zur Flucht aus der DDR in die Bundesrepublik, wo bereits ihr Vater in Düsseldorf lebte. Im dortigen Revuetheater Palladium erhielten die Zwillinge ihr erstes Engagement als Tänzerinnen.
Dort sah sie 1955 der Direktor des Pariser Lido, Pierre Louis Guerin, und verpflichtete sie an sein weltberühmtes Varieté auf den Pariser Champs-Élysées. Dort feierten sie große Erfolge, wie sie später nur noch von einer anderen Deutschen, Marlène Charell, erreicht wurden. 1960 gingen die Schwestern nach Italien, wo sie als erste Frauen im Fernsehen „Bein zeigten“ (auch wenn selbige zu dieser Zeit noch in dicken, blickdichten Strumpfhosen steckten). In Frankreich änderten sie auch ihren Familiennamen von Kaessler in Kessler.
Film und Ballett in Deutschland
Die Filmkarriere der Kessler-Zwillinge begann ebenfalls 1955. Ihre erste gemeinsame Rolle erhielten sie in der Komödie Solang’ es hübsche Mädchen gibt. Es folgten einige Spielfilme, auch in Italien und Frankreich. Unter anderem wirkten sie in den deutschen Filmen Vier Mädels aus der Wachau (1957 – zusammen mit Isa Günther und Jutta Günther), Der Graf von Luxemburg (1957) und Die Tote von Beverly Hills (1964) mit. Neben ihren Filmengagements traten die Kessler-Zwillinge in zahlreichen Fernsehshows im In- und Ausland auf. Zu den Höhepunkten gehörten die Auftritte in der Perry Como Show 1963 und in den Rolf Harris Shows 1967 und 1971. Mit zunehmendem Alter verlagerten sie ihre Aktivitäten auf anspruchsvollere Engagements. 1976 traten sie am Münchner Gärtnerplatztheater als „Anna I“ und „Anna II“ in dem Ballett Die sieben Todsünden der Kleinbürger von Bertolt Brecht und Kurt Weill auf. Damit konnte die lange geplante Idee verwirklicht werden, ein persönlichkeitsgespaltenes Mädchen von Zwillingen darstellen zu lassen.
Schallplattenkarriere
Ende der 1950er Jahre begann sich auch die Schallplattenindustrie für die Zwillinge zu interessieren. 1958 nahm die Plattenfirma Telefunken die erste Single mit Alice & Ellen Kessler auf, die jedoch wenig beachtet wurde. 1959 nahm auf Betreiben des Musikproduzenten Gerhard Mendelson die größte deutsche Plattenfirma Polydor das Duo unter Vertrag und brachte bis 1963 zwölf Duettsingles und sechs Platten, die sie zusammen mit Peter Kraus als das Gesangstrio Alice, Ellen & Peter besangen, heraus. Während die Duettplatten weiterhin erfolglos blieben, erreichten drei Titel mit Peter Kraus die Top 50 der deutschen Hitlisten, wobei der Song Honey Moon 1960 mit Platz 15 die beste Platzierung erreichte. 1959 nahmen Alice und Ellen Kessler für Deutschland am Grand Prix Eurovision 1959 teil. Mit ihrem Beitrag Heute abend woll’n wir tanzen gehen erreichten sie unter elf Teilnehmern Platz acht. Der Titel wurde anschließend in Deutschland nicht als Single veröffentlicht, dafür auf einer EP in Dänemark.[2] Neben den deutschen Produktionen nahmen die Kessler-Zwillinge auch Schallplatten in französischer und italienischer Sprache auf. In Italien waren sie besonders mit ihrem Song Da-da-um-pa erfolgreich. Die italienischsprachige Version wurde zur Titelmelodie der RAI-Fernsehserie Studio Uno. Im Zusammenhang mit ihren Schallplattenproduktionen verlegten die Kesslerzwillinge 1961 ihren Wohnsitz von Paris nach München. Nach ihrer Single Schotten-Twist / Ja, ja die Liebe beendeten Alice und Ellen 1963 ihre Schallplattenkarriere in Deutschland, setzten sie aber in Italien noch bis in die 1980er Jahre fort.
Trivia
Im Alter von 40 Jahren ließen sich die Zwillinge für die italienische Ausgabe des Playboy ablichten. Die Ausgabe war innerhalb kürzester Zeit ausverkauft. In Italien, wo sie von 1962 bis 1986 ihren festen Wohnsitz hatten, galten Alice und Ellen Kessler („Le gemelle Kessler“) lange Zeit als Ikonen des Fernsehens. Auch in den USA waren die Kessler-Zwillinge gefragt. Viele bekannte Hollywood-Persönlichkeiten ließen sich gerne mit den „deutschen Mädchen“ sehen, so unter anderem Frank Sinatra, Burt Lancaster oder Elvis Presley. 2009 traten die Kessler-Zwillinge zusammen mit Bill Ramsey, Max Greger und Hugo Strasser auf, die zusammen mit der SWR-Bigband die „Swing Legenden“ bildeten. Seit 1986 leben die Zwillinge in einem gemeinsamen Haus im Prominentenviertel Geiselgasteig in Grünwald im Landkreis München.
Auszeichnungen
Die Künstlerinnen wurden unter anderem mit der Goldenen Rose von Montreux und dem Bundesverdienstkreuz am Bande (1987) ausgezeichnet. Für ihre Verdienste um die deutsch-italienische Verständigung erhielten sie den Premio Capo Circe. Ihr Geburtsort Nerchau zeichnete sie anlässlich ihres 70. Geburtstages 2006 mit der Ehrenbürgerschaft aus.[3]
Filmografie
Kino
- 1955: Solang’ es hübsche Mädchen gibt
- 1956: Der Bettelstudent
- 1957: Vier Mädels aus der Wachau
- 1957: Scherben bringen Glück
- 1957: Die Zwillinge vom Zillertal
- 1957: Mit Rosen fängt die Liebe an
- 1957: Der Graf von Luxemburg
- 1958: Gräfin Mariza
- 1958: Mein Schatz ist aus Tirol
- 1958: Mein Mädchen ist ein Postillion
- 1959: La Paloma
- 1962: Sodom und Gomorrha
- 1962: Hochzeitsnacht im Paradies
- 1962: Der Vogelhändler
- 1963: Maskenball bei Scotland Yard
- 1964: Der Donnerstag (Il giovedì)
- 1964: Die Tote von Beverly Hills
Fernsehen (Auswahl)
- 1971: Die diebischen Zwillinge, sechsteilige Fernsehserie
- 1991: Ein Schloss am Wörthersee Episode: Hoppla Zwillinge
- 2008: Inas Nacht
- 2011: Tatort – Das Dorf
- 2014: Dahoam is Dahoam
Diskografie
(Titel, Katalog-Nr., produziert.)
- So wie Pierre / Kauft Rosen, Telefunken 55072, 16. Mai 1958
- Zwei blonde Senoritas / Philadelphia, Polydor 23862, 14. November/10. Dezember 1958
- Teenager-Blues / Heiße Musik, Polydor 23896, 14. November/9. Dezember 1958
- Montecarlo Cha-Cha / Salto Italiano, Polydor 24007, 14. Februar /24. März 1959
- Mondschein und Liebe / Ein Rendezvous mit dir, Polydor 24208, März 1960*
- Tschuwiduwidei / Nimm den Ring, Polydor 24085, 13.02./25. März 1959
- Honey Moon* / Schreib’ mir eine Karte, Polydor 24131, 16. September 1959
- Wundervoll / Ich kann dir was erzählen, Polydor 24339, 23./26. Juni 1960*
- Hallo Blondie / Happy Baby, Polydor 24390, 12. September 1960*
- Noch ein Jahr / Wenn das nicht so romantisch wär, Polydor 24530, 27. April 1961*
- Die Kavaliere von 1910 / No Capito, Polydor 24546, 23. April 1961
- Ich habe alles was ich brauche / Teddy, Polydor 24590, 2. Mai/11. Juni 1961*
- Treue ist nur ein Märchen / Piccadilly, Polydor 24629, 12. Juni/1. Oktober 1961
- Sunday Boy / Das nennt man L’Amour, Polydor 24720, 13. Juni /1. Oktober 1961
- Johnny Angel / Da-da-um-pa, Polydor 24733, 15. April /25. Januar 1962
- Denk an uns zwei / San Francisco, Polydor 24737, 15. April 1962
- Schotten-Twist / Ja, ja die Liebe, Polydor 52133, 12. Juni 1963
(* Alice, Ellen & Peter)
Literatur
- Ernst Probst: Königinnen des Tanzes. Probst, Mainz-Kostheim 2002, ISBN 3-935718-99-3.
- Alice und Ellen Kessler: Eins und eins ist eins. Alice & Ellen Kessler. Die erste Autobiographie. Bruckmann, München 1996, ISBN 3-7654-2880-9.
- Bettina Greve / Richard Weize: Immer im Doppelpack, Booklet der CD Zwei blonde Senoritas, Bear Family Records 2003, BCD 16617.
- Angelika und Lothar Binding: Der große Binding Single Katalog, Band 1, Selbstverlag 1996, S. 357.
- Günter Ehnert (Hrsg.): Hitbilanz Deutsche Chart Singles 1956–1980. Taurus Press 1987, ISBN 3-922542-24-7.
- Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 4: H – L. Botho Höfer – Richard Lester. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 367 f.
Zeitungsbeiträge
- Haig Latchinian: Die Kesslers sind zurück – Grandiose Rückkehr auf die deutsche Theaterbühne: Nach knapp zehn Jahren sind die Geschwister Alice und Ellen Kessler wieder in Deutschland zu sehen. Im Udo-Jürgens-Musical „Ich war noch niemals in New York“ teilen sich die Schwestern aus Nerchau eine der Hauptrollen im Berliner Stage Theater des Westens. Eine besondere Aufgabe. Denn: Es ist erst der zweite getrennte Auftritt der sonst unzertrennlichen Show-Zwillinge aus dem Muldental. In: Leipziger Volkszeitung, Ausgabe Muldental, 2. Juni 2015, Seite 27 (ganzseitiger Beitrag)
Weblinks
- Alice Kessler in der Internet Movie Database (englisch)
- Ellen Kessler in der Internet Movie Database (englisch)
- Literatur von und über Alice Kessler im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur von und über Ellen Kessler im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Einspielungen der Kessler-Zwillinge im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Tatort „Das Dorf“
Einzelnachweise
- Ellen und Peter&do_search=do Charts DE
- Alice Og Ellen Kessler – Kess Og Sexy (1959, Vinyl). Abgerufen am 16. Februar 2021 (englisch).
- Ehrenbürger Grimmas Kessler-Zwillinge feiern ihren 160. Geburtstag, Leipziger Volkszeitung vom 20. Juni 2016, Online-Ausgabe, abgerufen am 17. November 2017.