Grenze
Eine Grenze (Lehnwort aus dem Altpolnischen,[1] vgl. altslawisch, (alt-)polnisch granica „Grenze“, Abkürzungen: Gr. und Grz.) ist der Rand eines Raumes und damit ein Trennwert, eine Trennlinie oder eine Trennfläche.
Grenzen können geographische Räume begrenzen. Dazu gehören politische oder administrative Grenzen, wirtschaftliche-, Zollgrenzen oder Grenzen von Eigentum. Grundstücksgrenzen werden im Liegenschaftskataster nachgewiesen. Räume können auch unscharf begrenzt sein, etwa Landschaften, Kulturgrenzen oder Verbreitungsgebiete, die man in der Natur kaum durch Linienstrukturen festmachen kann.
Die Grenzen eines Volumens können Flächen, Linien oder Punkte sein, wie Seitenflächen, Kanten und Ecken eines Würfels. Der Luftraum ist für Zwecke des Luftverkehrs begrenzt; seine Grenzen beinhalten ein Volumen.
Ein Beispiel für Grenzen von eindimensionalen Räumen ist die „obere“ und „untere Grenze“ in der Mathematik (siehe Supremum). Umgangssprachlich wird dafür auch Grenzwert, Schwellwert oder Schranke gebraucht. Beispiele für nichtgeometrische Räume sind die „übliche Verhaltensweise“ oder die Intimsphäre.
Auch Rechten sind Grenzen gesetzt. Die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG (Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland) lautet:
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
Auch das Gewissen setzt dem eigenen Tun und Lassen Grenzen.
Wortherkunft
Das im 12./13. Jahrhundert aus dem Altpolnischen entlehnte graniza/grænizen/greniz hat sich von den ostdeutschen Kolonisationsgebieten aus allmählich über das deutsche Sprachgebiet ausgeweitet und das deutsche Wort „Mark“ (althochdeutsch marka, marcha) für Grenze, Grenzgebiet verdrängt.
Das alteinheimische „Mark“ ist heute noch lebendig einerseits in Zusammensetzungen und Ableitungen wie Markstein (schweizerisch Marchstein), Grenzstein, wichtiger, hervorragender Punkt, Gemarkung, Gesamtgebiet einer Gemeinde, Gemeindeflur oder übermarchen schweizerisch für „eine Grenze überschreiten, übertreiben“ und anderseits in Namen wie Mark Brandenburg und Steiermark (ursprünglich Gebiete an der Grenze zu den Slawen).[2]
Das Etymon „Grenze“ wird auch heute in den meisten slawischen Sprachen und im Rumänischen verwendet: granica (polnisch, kroatisch, bosnisch), граница/graniza (russisch, bulgarisch), граніца/graniza (weißrussisch), граница/granica (serbisch), hranice (tschechisch) und hranica (slowakisch, obersorbisch), graniţă (rumänisch). Es gehört zu der slawischen Wortgruppe ran’, z. B. russisch грань/gran’ ‚Grenzlinie, Grenze, begrenzende Fläche‘, auch ‚Facette, (Rand-)Fläche‘.
Entstehung von Staatsgrenzen
Ältere politische Grenzen zwischen zwei Ländern fallen manchmal mit den natürlichen, teilweise nur schwer überwindbaren Hindernissen zusammen: ein Gebirge, ein Meer oder Meeresarm, eine Wüste, ein Urwald oder ein Bergland. Diese stellen im Regelfall auch die Sprach- und Kulturgrenzen dar. Flüsse hingegen bilden erst seit etwa 1800 Staatsgrenzen (neue Grenzziehungen infolge von Kriegen bzw. Friedensverträgen), da sie früher viel eher einende Handelswege als trennende Hindernisse darstellten. Zudem waren sie noch nicht begradigt und änderten nach Hochwasser ihren Verlauf, was Anlass zu Streitigkeiten gab (etwa im Schatt al-Arab zwischen Iran, Irak, und Kuwait). Wo sie heute Grenzen sind, wird in der Regel in den Grenzverträgen der Talweg als Grenzlinie verwendet, sodass so auch die Zugehörigkeit von Inseln eindeutig geregelt werden kann.
Viele spätere Grenzen, wie jene zwischen den Bundesstaaten der USA, wurden vertraglich auf bestimmte Längen- oder Breitengrade festgelegt. Diese geraden Grenzen, die sich auch in Afrika finden, werden Reißbrettgrenzen genannt. Sie entstanden nicht durch jahrhundertelange evolutionäre Prozesse, sondern sind auf Willensakte in der Regel fremder Herrscher zurückzuführen (Kolonialismus).
Eine Besonderheit ist beispielsweise die 1815 beim Wiener Kongress vereinbarte Grenze zwischen dem Norden der niederländischen Provinz Limburg und Preußen. Sie wurde als jene Grenzlinie östlich der Maas festgelegt, von der mit damals üblichen Kanonen die auf der Maas verkehrenden Schiffe nicht mehr getroffen werden konnten.
Gemeindegrenzen folgen ebenfalls meistens den o. a. Linien, überdies aber auch Bergkämmen (nach dem Motto: „wie Kugel rollt und Wasser fließt“) und Bächen.
Stadtteilgrenzen in Großstädten liegen in der Regel auf Verkehrswegen (Straßen, Schienen, Wege).
Zwischen vielen Staaten bestehen noch heute Territorialstreitigkeiten durch sich gegensätzliche Gebietsansprüche. Solche Dispute haben in der Geschichte häufig zu Krisen und Kriegen geführt.
Mentale Spuren historischer Grenzverläufe bringt der Ausdruck „Phantomgrenze“ auf den Begriff.
Markierung von Grenzverläufen
Aus der Sicht des Liegenschaftskatasters ist eine „Grenze“ eine geometrisch definierte Linie, die entweder in der Örtlichkeit mit Hilfe von Grenzpunkten gekennzeichnet wird oder aber in einem Bezugssystem durch die Angabe von Koordinaten definiert wird. Grundstücksgrenzen können punktweise durch Grenzsteine, Rohre, Grenzbolzen, Meißelzeichen u. Ä. markiert werden. Diese Abmarkungen kennzeichnen den örtlichen Grenzverlauf. Die Lage der Grenzpunkte wird zentimetergenau bestimmt.
Indirekte Kennzeichnung
Lässt sich ein Grenzpunkt nicht direkt kennzeichnen, kann ein Grenzzeichen auch als „indirekte“ bzw. „mittelbare Abmarkung“ in eine der vom Grenzpunkt abgehenden Grenzen gesetzt werden (in einem kurzen Abstand, z. B. ein Meter). Bei Staatsgrenzen kann ein Weiser auch einen weiter entfernten Grenzpunkt anzeigen, wenn der Grenzpunkt an einer Stelle liegt, wo das Aufstellen eines Grenzsteines nicht möglich ist, z. B. auf der Straße oder an Flussufern.
Exakte Bestimmung von Grenzverläufen
Ein Grenzverlauf wird durch geradlinige oder kreisbogenförmige Verbindungen zwischen den Grenzpunkten definiert. Gerade Grenzlinien haben den Vorteil, dass sie allein durch zwei Punkte zu definieren und durch eine Visur oder ein Alignement leicht zu realisieren sind. Dabei kann in Gebirgen und bei Flussgrenzen die Festlegung der Grenzverläufe schwierig sein:
Gebirge
Im Bergland muss der Geodät oder der Forstwirt einen höheren technischen Aufwand betreiben, auf manchem Steilhang ist es schwer, die Punkte dauerhaft zu vermarken, weil die Erosion (Hangrutschungen usw.) das Gelände ständig verändert.
Flüsse
Bei in Flussbetten verlaufenden politischen Grenzen wird in der Regel ihr Talweg in den Grenzverträgen als Grenzlinie verwendet, sodass auch die jeweilige Staatszugehörigkeit von im Flusslauf gelegenen Inseln eindeutig geregelt werden kann. Da der Talweg ständigen Veränderungen unterworfen ist, sind in regelmäßigen Abständen Grenzvermessungen notwendig. Diese werden meist von beiden angrenzenden Staaten in gemeinsamen Verfahren durchgeführt und in zwischenstaatlichen Vereinbarungen und Protokollen festgehalten. Ist ein (ehemaliger) Gewässerverlauf erst einmal geodätisch definiert, können Änderungen im Flussverlauf zur Bildung von Flächen führen, die zwar nach wie vor Teil einer Gebietseinheit sind, von dieser jedoch durch den neuen Flussverlauf abgetrennt und somit oft nicht (bzw. nur über Fremdgebiet) zugänglich sind. Mitunter kommt es in diesen Fällen zum Gebietstausch; ferner bieten sich solche Bereiche auch als Naturreservat oder Retentionsfläche an.[A 1]
Die früheren Probleme der Punktstabilisierung gehören seit der Praxistauglichkeit des Global Positioning System (etwa 1985) und dem Aufkommen rein digitaler Methoden zur Erfassung der Vergangenheit an.
Superlative
Die kürzeste Landgrenze mit nur 85 m liegt zwischen Peñón de Vélez de la Gomera (Spanien) und Marokko. Die längste Landgrenze ist jene zwischen Kanada und den USA mit 8891 km. Die am häufigsten überquerte Grenze ist jene zwischen Mexiko und den USA. Die innerkoreanische Grenze zwischen Nord- und Südkorea gilt als am strengsten bewacht. Die nur durch eine Gerade festgelegte Grenze zwischen Dschibuti und Somalia ist die am einfachsten definierte, jene bis 2015 zwischen Bangladesch und Indien bestehende mit 92 bangladeschischen und 110 indischen Exklaven, die wohl komplizierteste Grenze. Ähnlich verhält es sich aber auch in Baarle an der belgisch-niederländischen Grenze. Bahrain hat ausschließlich künstlich geschaffene Landgrenzen.
Bilderauswahl
- Alter deutscher Grenzstein am schwarzen Kreuz Fürstenwalde (Geising) mit Gemerke
- Felsmarch von 1584 auf zimmergroßem Felsen zwischen dem Klostergericht Benediktbeuern und dem Landgericht Tölz
- Das Gatterl von Süden (Österreich)
- Bayerisches Hinweisschild an der Staatsgrenze zu Tirol
- Grenzstein zwischen Österreich und Italien am Nassfeld
- Staatsgrenze Polen-Weißrussland in Białystok-Grodno
- Verlassener Grenzposten am Umbrailpass (Grenze zwischen Italien und der Schweiz) zur Zeit des Ersten Weltkriegs
- Staatsgrenze zwischen Slowakei-Ukraine. Der Grenzstein, zwei Grenzsäulen und ein Zaun mit Videoüberwachung.
Siehe auch
- Frontex
- Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko
- Grenzbefestigung
- Grenzland (Frontier)
- Grenzmuseum
- Grenzregime
- Feldgeschworener
- Liste der Territorialstreitigkeiten
- Uti possidetis
- Seegrenze
- „Aktion Grenze“ als Tarnname für eine Zwangsumsiedlungsaktion in der DDR
Literatur
- Maria Baramova: Grenzvorstellungen im Europa der Frühen Neuzeit. In: Institut für Europäische Geschichte (Mainz) (Hrsg.): Europäische Geschichte Online. 2010, Zugriff am 14. Juni 2012.
- Wilfried von Bredow: Grenzen. Eine Geschichte des Zusammenlebens vom Limes bis Schengen. Theiss, Darmstadt 2014, ISBN 978-3-8062-2894-6.
- Bundeszentrale für Politische Bildung: Grenzen. Themenheft der Zeitschrift Aus Politik und Zeitgeschichte 63 (2014), Nr. 4–5, mit sechs Beiträgen zum Thema Grenzen, ISSN 0479-611X.
- Regina Dauser, Lothar Schilling (Hrsg.): Grenzen und Kontaktzonen. Rekonfigurationen von Wissensräumen zwischen Frankreich und den deutschen Ländern 1700–1850. Erster „Euroscientia“-Workshop, 15./16.09.2011. In: Discussions. 7 (2012).
- Alexander Demandt: Grenzen. Geschichte und Gegenwart. Propyläen, Berlin 2020, ISBN 978-3-549-07498-5.
- Pavel Domec: Die Grenze. Eine konzeptanalytische Studie der Limologie. Königshausen & Neumann, Würzburg 2014, ISBN 978-3-8260-5515-7.
- Michael Gehler, Andreas Pudlat (Hrsg.): Grenzen in Europa. Olms, Hildesheim 2009, ISBN 978-3-487-14240-1.
- Jost Gudelius: Doppelter Abtstab und Hebscheidt. Grenzsteine und Felsmarchen zwischen dem Klostergericht Benediktbeuern und dem Landgericht Tölz. Schneemann, Jachenau 2014, ISBN 978-3-9815341-7-7.
- Hans Hecker (Hrsg.): Grenzen. Gesellschaftliche Konstitutionen und Transfigurationen. Klartext, Essen 2006, ISBN 3-89861-386-0.
- Martin Heintel, Robert Musil, Norbert Weixlbaumer (Hrsg.): Grenzen. Theoretische, konzeptionelle und praxisbezogene Fragestellungen zu Grenzen und deren Überschreitungen (= RaumFragen: Stadt – Region – Landschaft). Springer, Berlin 2018, ISBN 978-3-658-18432-2.
- Andreas Rutz: Grenzen im Raum – Grenzen in der Geschichte. Probleme und Perspektiven. In: Eva Geulen, Stephan Kraft (Hrsg.): Grenzen im Raum – Grenzen in der Literatur. In: Zeitschrift für deutsche Philologie. Sonderheft zum Band 129, Berlin 2010, S. 7–32.
- Walter Leimgruber: Grenze. In: Historisches Lexikon der Schweiz.
- Bernhard Struck: Grenzregionen. In: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte, Mainz 2012.
- Grentze, Lat. Terminus. In: Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste. Band 11, Leipzig 1735, Sp. 828–831.
Weblinks
- Kamilla Kanafa: Die Bedeutungs- und Begriffsgeschichte von „Grenze“. In: Grenznavigator. S. 5. (PDF; 134 kB)
- Norbert Fuhrmann: Grenzuntersuchung im Liegenschaftskataster -- 2. Aufl. 2018 (PDF; 11 MB)
- Literatur über Grenze im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Anmerkungen
- An stehenden Gewässern wiederum ändert sich unter Umständen die Uferlinie ständig, während die Katastergrenze allenfalls in längeren Zeitabständen der Natur angepasst werden kann.
Einzelnachweise
- Ryszard Lipczu: Deutsche Entlehnungen im Polnischen – Geschichte, Sachbereiche, Reaktionen. Abgerufen am 3. Februar 2019.
- Wolfgang Pfeifer: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Akademie, Berlin 1989 und mehrere Neuauflagen, je unter 1Mark.