Flüchtlingslager
Ein Flüchtlingslager ist ein Lager, in dem Flüchtlinge untergebracht sind. Die Bewohner der Flüchtlingslager sind vor politischer Verfolgung, Kriegen oder Bürgerkriegen, Vertreibung, aber auch vor Umweltkatastrophen und Hungersnöten geflohen (Umweltflüchtlinge).
Flüchtlingslager in Europa
Deutschland
In Deutschland und anderen Ländern Europas gab es nach dem Zweiten Weltkrieg Lager für Flüchtlinge und Vertriebene aus den deutschen Ostgebieten, für überlebende Juden und andere (zum Teil bezeichnet als DP-Lager (engl.: DP-Camps) für so genannte Displaced Persons, DPs; errichtet in der Regel von Alliierten). Diese verschiedenen Lager dienten als Durchgangsstationen vor der Weiterreise in andere Länder oder vor der Erteilung einer Zuzugsgenehmigung und Integration in die neue Heimat. Außerdem gab es Flüchtlingslager für die große Zahl der Flüchtlinge (zwischen 1949 und 1961 in jedem Jahr mehr als 100.000[1]) aus der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) bzw. aus der DDR. Für jugendliche SBZ/DDR-Flüchtlinge, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten, gab es ein spezielles Flüchtlingsjugendlager.
Die heutige Unterbringung von Flüchtlingen in Flüchtlingslagern (so genannte Erstaufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte, Ausreiseeinrichtungen) ist in Deutschland Teil des Sachleistungsprinzips des Asylbewerberleistungsgesetzes.
- Grenzdurchgangs-/Notaufnahmelager Friedland im Landkreis Göttingen
- seit 1945
- Lager Moschendorf bei Hof (Saale)
- bis 1957
- bis 1994
- Zentrales Flüchtlings-Durchgangslager Gießen
- ab 1. September 1950 Notaufnahmelager
- ab 1986 Bundesnotaufnahmelager
- heute Zentrale Aufnahmestelle des Landes Hessen
- am 31. März 1963 geschlossen
- 1953 bis 1978
- Flüchtlingslager Flottenstraße in Berlin-Reinickendorf
- - 1970
- Zentrale Aufnahmestelle Zirndorf
- seit 7. Dezember 1955
- Zentrale Aufnahmestelle Halberstadt
- Lager Föhrenwald (im Staatsforst von Wolfratshausen in Oberbayern)
- 1937 erbaut als Wohnsiedlung (für Zwangsarbeiter)
- ab 1945 Auffanglager
- ab 1951 Regierungslager für heimatlose Ausländer
- offiziell 1956 aufgelöst, die letzten Bewohner verließen das Lager jedoch erst im Frühjahr 1957
Siehe auch: Flüchtlingsunterkunft (Deutschland)
Siehe auch: Flüchtlingsjugendlager
Dänemark
In Dänemark kamen in den letzten Kriegswochen 250.000 Deutsche an, auf deren Unterbringung man weder von der Wehrmacht noch von der dänischen Zivilverwaltung nach der Kapitulation vorbereitet gewesen wäre. Viele dieser deutschen Flüchtlinge wurden dann in den Flüchtlingslagern in Jütland untergebracht. Zum Beispiel in dem 1945 eingerichteten Flüchtlingslager Oksbøl, das zur Gemeinde Oksbøl, westlich von Silkeborg in Mitteljütland gehörte. Es wurde 1949 aufgelöst.
Liechtenstein
In Liechtenstein besteht ein Aufnahmezentrum in Vaduz; eine weitere, zeitweilige Unterkunft in Triesen wurde am 1. Juli 2016 vom Verein Flüchtlingshilfe Liechtenstein (FHL) in Betrieb genommen.[2]
Österreich
Siehe auch Unterbringung und Aufteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden (BGBl. I Nr. 120/2015).
Ungarn
- Debrecen (Erstaufnahmelager)
- Röszke (Erstaufnahmelager)
- Nagyfa (in der Nähe von Szeged)
- Vámosszabadi (in der Nähe von Győr)
- Balassagyarmat
- Fót (für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge)
- Bicske (Pre-Integrationslager, vorrangig für bereits anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte)
Zudem bestehen Flüchtlingshaftanstalten in Békéscsaba, Debrecen, Győr, Nyírbátor, Kiskunhalas, Flughafen Budapest.[3][4][5]
Angesichts der großen Zahl von Flüchtlingen auf den Straßen ist es in diesem Zusammenhang von Bedeutung, dass das „Gesetz zur Gestaltung und zum Schutz der öffentlichen Umgebung“ von 2010 und die „Vierte Neufassung der Ungarischen Verfassung“ vom 11. März 2013 unter anderem eine Kriminalisierung der Obdachlosigkeit beinhalteten.[6]
Balkan
- In Serbien gibt es noch Flüchtlingslager in Cardak und Kalenic mit Flüchtlingen die infolge der Jugoslawienkriege, bzw. des Kosovokrieges geflohen sind.
- Im Westen Bosniens sind im Zuge der Europäischen Flüchtlingskrise seit 2015 einige Lager entlang der Balkanroute entstanden, für Flüchtlinge und Migranten, die nach Westeuropa wollen, aber nicht über die EU-Außengrenze gelangen, z. B. in Vučjak und Lipa
- In Griechenland gibt es mehrere Flüchtlingslager. Die Verhältnisse in den Lagern genügen weder UN- noch europäischen Standards.[7][8]
Flüchtlingslager im Mittleren Osten
Lager für palästinensische Flüchtlinge
Die im Palästinakrieg und Sechstagekrieg geflohenen und vertriebenen Palästinenser wurden in 58 Flüchtlingslagern im Westjordanland und Gazastreifen, in Jordanien, Syrien und dem Libanon aufgenommen, wo sie und ihre Nachkommen teilweise bis heute leben und vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten versorgt werden. Die Integration der Flüchtlinge in die Bevölkerung wurde auch in den arabischen Staaten teilweise behördlich unterbunden. Die Zelte sind zwischenzeitlich durch feste Bebauung ersetzt worden, der Begriff „Lager“ (als kurzzeitiges Provisorium) ist damit sachlich nicht mehr korrekt. Der Gebrauch dieses Begriffs ist hier mehr politischer Natur, um den ungeklärten Status der Bewohner zu verdeutlichen. Der Unterschied zu politischen Gemeinden ist jedoch, dass das Land nicht den Bewohnern gehört, sondern sich noch immer in staatlichen oder privaten Besitz befindet und nur der UNRWA zur Verwaltung überlassen ist.[9] Es gibt daher auch keine politische Vertretung wie Gemeinderat und Bürgermeister.
Zurzeit bestehende Flüchtlingslager mit Anzahl der Bevölkerung und Jahr der Entstehung (Stand: Juli 2014):[10]
Westjordanland
Im Westjordanland befinden sich 19 Flüchtlingslager mit 762.288 registrierten Flüchtlingen.
- 1948, Aqabat Jaber bei Jericho (S), 6.400
- 1948, Ein Sultan bei Jericho, 1.900
- 1949, Far’a zwischen Nablus und dem Jordantal, 7.600
- 1949, Fawwar bei Hebron (S), 8.000
- 1949, Jalazoun bei Bir Zait (S), 11.000
- 1949, Kalandia zwischen Jerusalem und Ramallah, 11.000
- 1949, Amari bei Ramallah/Al-Bireh, 10.500
- 1949, Deir Ammar zwischen Ramallah und Nablus, 2.400
- 1949, Daheishe bei Bethlehem (S), 13.000
- 1950, Aida bei Betlehem (NW), 4.700
- 1950, Al-Arroub zwischen Bethlehem und Hebron, 10.400
- 1950, Askar bei Nablus (NO), 15.900
- 1950, Balata bei Nablus (O), 23.600
- 1950, 'Azza (Beit Jibrin), 1.000
- 1950, Ein Beit al-Ma' (Camp No. 1), 6.750
- 1950, Tulkarem, 18.000
- 1952, Nur Shams bei Tulkarem (O), 9.000
- 1953, Dschenin, 16.000
- 1965, Shu’fat bei Jerusalem (N), 11.000
Gazastreifen
Im Gazastreifen befinden sich 8 Flüchtlingslager mit 1.258.559 registrierten Flüchtlingen.
- 1948, Al-Shati (Beach camp), 87.000
- 1950, Bureij, 34.000
- 1948, Dair al-Balah, 21.000
- 1948, Dschabaliya bei Gaza (NW), 110.000
- 1949, Khan Yunis, 72.000
- 1949, Maghazi, 24.000
- 1948, Nuseirat bei Gaza (S), 66.000
- 1949, Rafah, 104.000
Jordanien
In Jordanien befinden sich 10 Flüchtlingslager mit 2.097.338 registrierten Flüchtlingen.
- 1948, Amman New Camp (Wihdat), 51.500
- 1948, Jebal al-Hussein, 29.000
- 1948, Irbid, 25.000
- 1949, Zarqa, 20.000
- 1967, Souf, 20.000
- 1967, Talbieh, 7.000
- 1968, Baqa’a, 104.000
- 1968, Jerash, 24.000
- 1968, Husn, 22.000
- 1968, Marka, 53.000
Libanon
Im Libanon befinden sich 12 Flüchtlingslager mit 449.957 registrierten Flüchtlingen.
- 1948, Bourj el-Barajneh, südlicher Vorort von Beirut, 17.945
- 1948, Ein el-Hilweh, Vorort von Sidon, 54.116
- 1948, El-Buss, 2 km südlich Tyros, 11.254
- 1949, Nahr al-Bared, 16 km nördlich Tripoli, 5.857
- 1949, Schatila, 9.842 (siehe Massaker von Sabra und Schatila)
- 1948, Wavel, bei Baalbek, 8.806
- 1952, Mar Elias, Vorort von Beirut, 662
- 1954, Mieh Mieh, 4 km östlich Sidon, 5,250
- 1955, Beddawi, 5 km nördlich Tripoli, 16,500
- 1955, Burj al-Shemali, 3 km östlich Tyros, 22.789
- 1956, Dbayeh, 12 km östlich Beirut, 4.351
- 1963, ar-Raschidiya, südlich Tyros, 31.478
Syrien
In Syrien befanden sich 2011 9 Flüchtlingslager (davon 3 unoffiziell *) mit 526.744 registrierten Flüchtlingen.
- 1948, Sbeineh, 22.600
- 1948, Neirab, 20.500
- 1948, Dscharamana, 18.658
- 1949, Khan Eshieh, 20.000
- 1949, Homs, 22.000
- 1950, Daraa, 10.000
- 1950, Hama, 8.000
- 1950, Chan Dunoun, 10.000
- 1955-6, Latakia*, 10.000
- 1957, Yarmouk*, 148.500
- 1962, Ein El-Tal*, 6.000
- 1967, Qabr Essit, 23.700
Lager für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge
Seit dem Beginn des Kriegs in Syrien 2011 sind mit Stand April 2018 660.000 Menschen nach Jordanien geflüchtet.[11]
- <2018, Zaatari, rund 80.000 (Stand April 2018)
Flüchtlingslager in Afrika
Darfur-Konflikt
- Abushok, bei El Fasher in Nord-Darfur
- Al Salam, bei El Fasher
- Amboko, im Süden Tschads
- Azburki, bei El Geneina in West-Darfur
- Azerni, bei El Geneina
- Gaga, Tschad
- Kalma, bei Nyala
- Mornei, bei El Geneina
- Sissi, bei El Geneina
- Tine, Darfur-Grenze in Tschad
- Zam Zam, bei El Fasher
In Kenia bestehen die Flüchtlingslager Dadaab und Kakuma für Flüchtlinge aus Somalia, Sudan und weiteren Ländern.
Westsaharakonflikt
In der Nähe von Tindouf, Algerien befinden sich die Flüchtlingslager der aus der Westsahara geflohenen Saharauis, außerdem die Exilregierung der Frente Polisario. Dort lebten in den letzten 30 Jahren bis zu 150.000 Menschen.[12]
Weitere
- Flüchtlingslager Osire, Namibia
Flüchtlingslager in Asien
Aufgrund der zahlreichen Konflikte und Vertreibungen der letzten 40 Jahre leben in Afghanistan mehr zwei Millionen Menschen als Binnenvertriebene im eigenen Land, darunter Hunderttausende Kinder. In Kabul und Umgebung lebten Ende 2017 schätzungsweise 65.000 Menschen in mehr als 60 Flüchtlingslagern, die in der Vergangenheit durch humanitäre Organisationen unterstützt wurden. 2014 brach die Hilfe jedoch ein, da die EU-Nothilfeagentur ECHO diese als reguläre Slums einstufte.[13][14][15]
Im Iran und Pakistan leben zahlreiche Flüchtlinge aus dem benachbarten Afghanistan in Flüchtlingslagern wie Nasir Bagh in Pakistan.
In Thailand leben viele Flüchtlinge aus den benachbarten Staaten in Lagern nahe der Grenze. Das größte ist das Mae La Lager im Amphoe Tha Song Yang.[16][17]
Australien
Flüchtlingslager als Kriegsressource
In den heutigen Kriegen und denen der jüngeren Geschichte können Flüchtlingslager auch eine wichtige Kriegsressource für teilnehmende Gruppen darstellen[18]. Sie können dadurch, dass konstant Gelder und Ressourcen aus dem Ausland in das Kriegsgebiet fließen, zu einem Bestandteil der Kriegsökonomie werden. Davon können Kriegsparteien, welche die Umgebung der Lager kontrollieren, auf folgende Weise profitieren:
- Die Versorgung der eigenen Truppen mit Nahrung und Medikamenten durch internationale Hilfslieferungen, da selbige üblicherweise auch die Verteilung kontrollieren
- Einnahmen durch an den Zufahrtsstraßen erhobene Zölle. Einnahmen durch Verkauf der durch internationale Hilfslieferungen in das Lager gekommenen Güter (Nahrungsmittel, Medikamente usw.)
- Geschütztes Rückzugsgebiet für verwundete Kämpfer
Literatur
- Michel Agier: Betriebsamkeit der Hilfe – Länge des Wartens. Zur Temporalität in den Lagern der Gegenwart, in: Zeithistorische Forschungen 15 (2018), S. 498–508.
- Dar al Janub (Hrsg.): … und wo ist Palästina? Eine Reise in die palästinensischen Flüchtlingslager im Libanon. Wien 2006, ISBN 3-9502184-0-8.
- Bernhard Mann: Politische Flüchtlinge. Sozialberatung in Sammelunterkünften und Fragen zur gesellschaftlichen Integration. Mit einem Vorwort eines Vertreters des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen. Frankfurt am Main 1983, ISBN 3-88129-725-1.
Einzelnachweise
- [Flüchtlingszahlen aus 1949–1961 (Link entfernt weil nicht vollständig.)]
- Entlastung schaffen: Zusätzliche Unterkunft für Asylsuchende in Betrieb genommen. In: Volksblatt.li. 9. August 2016, abgerufen am 17. März 2018.
- The refugee situation in Hungary. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 29. August 2015; abgerufen am 8. September 2015. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Refugee camps & detention centres in Hungary. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 29. August 2015; abgerufen am 8. September 2015. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit. Aktualisierung und Ergänzung des Berichts vom März 2012. Pro Asyl, abgerufen am 8. September 2015.
- Ungarn: Flüchtlinge zwischen Haft und Obdachlosigkeit. Aktualisierung und Ergänzung des Berichts vom März 2012. Pro Asyl, abgerufen am 8. September 2015. Abschnitt „Kriminalisierung von Obdachlosigkeit in Ungarn“, S. 24 ff.
- Verzweifelt auf Lesbos – Kinder im Flüchtlingslager. Abgerufen am 25. Dezember 2020.
- Nina Horaczek, Interview mit Marcus Bachmann: Interview: Warum Kinder in Europa von Ratten gebissen werden. In: falter.at. 23. Dezember 2020, abgerufen am 25. Dezember 2020.
- UNRWA, Homepage
- Where we work, unrwa.org
- Van der Bellen reist nach Jordanien orf.at, 16. April 2018, abgerufen 16. April 2018.
- www.unhcr.de: UNHCR-Botschafterin spendet für Flüchtlinge aus Westsahara
- Flüchtlinge Afghanistan: Jahrzehntelange Flucht & Verteibung. UNO-Flüchtlingshilfe, abgerufen am 8. Januar 2021.
- Bernd Musch-Borowska: Winter in Afghanistan: Hunderttausende Kinder von Kälte bedroht. In: tagesschau.de. 1. Januar 2021, abgerufen am 8. Januar 2021.
- Katja Mielke: Immobilisiert: Zur Situation ehemals nomadischer Gruppen in Kabul. Bundeszentrale für politische Bildung, 16. Oktober 2018, abgerufen am 8. Januar 2021.
- UNHCR Thailand und Japan Pilot Resettlement Program (PDF; 272 kB) 25. August 2010.
- Müllkinder.
- Vergleiche Herfried Münkler: Die neuen Kriege. ISBN 978-3-499-61653-2