Dschenin
Dschenin (auch Jenin oder Djenin, arabisch جنين Dschanin, DMG Ǧanīn (), hebräisch ג'נין, antik: Engannim) ist eine Stadt im Westjordanland mit etwa 46.139 (2014) Einwohnern.
Dschenin جنين | |||
Panoramablick auf Dschenin | |||
Verwaltung: | Palästinensische Autonomiegebiete | ||
Gouvernement: | Dschenin | ||
Koordinaten: | 32° 28′ N, 35° 18′ O | ||
Höhe: | 200 m | ||
Einwohner: | 48.479 (2016) | ||
Gemeindeart: | Stadt | ||
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Geschichte
Aufgrund vieler Wasserquellen war Dschenin schon früh besiedelt; der Ort wurde zum ersten Mal in altägyptischen Schriften um 2000 v. Chr. erwähnt. In der Zeit der Niederlassung der israelitischen Stämme nach dem Auszug aus Ägypten wurde hier die Levitenstadt „Ein Ganim“ (hebr. Gärtenquelle) gegründet (Josua 19, 21). Flavius Josephus erwähnt in seinem Werk Geschichte des jüdischen Krieges die Stadt „Ganim“ als eine jüdische Stadt im Norden Samarias. In der Vergangenheit konnte die Stadt außerdem eine wichtige von Jerusalem nach Norden in die Jesreelebene und nach Haifa führende Straße kontrollieren. Erst mit dem Bau der Küstenstraße über Chadera in den 1930er Jahren verlor diese Route an Bedeutung. Von 1913 bis 1948 wurde der Bahnhof Dschenin von der Zweigstrecke Afula–Nablus der Hedschasbahn bedient.
Dschenin liegt im Westjordanland, das – im UN-Teilungsplan von 1947 als Teil eines arabisch-palästinensischen Staates vorgesehen – nach dem israelischen Unabhängigkeitskrieg (bzw. Palästinakrieg) zunächst von Jordanien (damals Transjordanien) besetzt worden war, ehe das Gebiet 1967 von Israel erobert und besetzt wurde.
Als Folge des Oslo-Friedensprozesses wurde Dschenin 1996 eine autonome palästinensische Stadt. Im gleichen Jahr wurde auf Initiative der USA in der Nähe der Stadt die Arab American University gegründet, die im September 2000 den Lehrbetrieb aufnahm.
Wie in anderen Palästinensergebieten hat sich die Lebenssituation der Bevölkerung seit Ausbruch der Al-Aqsa-Intifada im Jahr 2000 erheblich verschlechtert. Sie leidet unter der Abriegelung der Gebiete, viele Gebäude sind zerstört, die Arbeitslosigkeit ist hoch (etwa 80 %).
UN-Flüchtlingslager Dschenin
Der Name Dschenin bezeichnet auch das angrenzende Flüchtlingslager Dschenin, das im Jahr 1953 für aus ihrer Heimat geflohene bzw. vertriebene Palästinenser gegründet wurde, die während des israelisch-arabischen Krieges 1948 vor den israelischen Gebietsansprüchen weichen mussten.
Die Einwohnerzahl Dschenins beläuft sich auf 35.000 Palästinenser. Das Flüchtlingslager Dschenin umfasst allein etwa 12.000 Flüchtlinge auf einer Fläche von 92 Hektar. Rund 42 % der Lagerbewohner sind unter fünfzehn Jahre alt,[1] zumeist Nachkommen von Flüchtlingen des Krieges von 1948.
Gegenwärtige Situation
Dschenin galt lange als Hochburg der al-Aqsa-Brigaden, die insbesondere während der Al-Aqsa-Intifada für eine Reihe von Terroranschlägen verantwortlich waren. In Reaktion darauf führte Israel 2002 eine umfassende Militäroperation in Dschenin durch, bei der das Militär große Teile des Flüchtlingslagers zerstörte. Mittlerweile hat sich die Situation in Dschenin deutlich entspannt. Die israelische Armee hat sich aus der Stadt zurückgezogen, nur noch selten kommt es zu nächtlichen Razzien israelischer Spezialeinheiten. Stattdessen haben die hiesigen Geschäfte und Cafés wieder bis in die Abendstunden geöffnet. Einer SZ-Reportage zufolge gleicht Dschenin heute (2010) einem „Laborversuch für einen zukünftigen Palästinenserstaat“. Die staatlichen EZ-Ansätze Deutschlands, der Vereinigten Staaten und des Vereinigten Königreiches unterstützen die Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit und Zivilverwaltung zwischen Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde.[2]
Cinema Jenin
Auf kultureller Ebene entstand seit 2008 neben dem bereits etablierten Freedom Theatre unter der Leitung des arabisch-jüdischen Künstlers Juliano Mer-Khamis das Kulturprojekt Cinema Jenin, das sich dem Wiederaufbau des während der Ersten Intifada 1987 zerstörten städtischen Kinos widmet. Cinema Jenin wurde vom deutschen Regisseur Marcus Vetter und den beiden Palästinensern Fakhri Hamad und Ismail Khatib gegründet und wird lokal wie international unterstützt; zu den Unterstützern des Projekts zählen unter anderem das deutsche Auswärtige Amt, das Goethe-Institut Ramallah und Prominente wie der Pink-Floyd-Sänger Roger Waters.[3]
Ismail Khatib wurde in Israel und darüber hinaus bekannt, nachdem er 2005 die Organe seines durch einen israelischen Soldaten getöteten Sohnes Ahmed an israelische Kinder spendete. Seine Geschichte wurde in dem preisgekrönten, von Marcus Vetter und dem israelischen Regisseur Leon Geller gedrehten Dokumentarfilm Das Herz von Jenin festgehalten.
Am 5. August 2010 wurde das Cinema Jenin mit einem dreitägigen Filmfestival wiedereröffnet.[4]
Militäroperation 2002
Nach einem Attentat der Hamas am jüdischen Pessach-Fest in Netanja mit 30 Todesopfern und 140 Verletzten rückte die israelische Armee am 3. April 2002 in das Flüchtlingslager Dschenin ein, das ca. 30 km von Netanja entfernt ist. Israel hatte festgestellt, dass Dschenin als Basis für zahlreiche Terrorattentate und Selbsmordkommandos gegen israelisches Militär und gegen israelische Ortschaften und Bürger gedient hatte.[5] Nach tagelangen Kämpfen zerstörten israelische Abrisskommandos mit Planierraupen Teile des Flüchtlingslagers. Bestätigt sind 23 Todesopfer auf Seiten der israelischen Armee und 52 auf Seiten der Palästinenser (darunter 22 unbeteiligte Zivilisten). Der Vorwurf eines Massakers gegen die Palästinenser von Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch und Amnesty International wurde zurückgewiesen. Amnesty International behauptet, die israelische Armee habe Kriegsverbrechen begangen, unter anderem ungesetzliche Tötungen, Folter und Misshandlungen von Gefangenen, mutwillige Zerstörung hunderter Häuser, deren Bewohner zum Teil die Gebäude noch nicht verlassen hätten, Behinderung von Krankenwagen und Verweigerung humanitärer Hilfe sowie der Missbrauch palästinensischer Zivilisten als „menschliche Schutzschilde“.[6] Einer Delegation der UN-Menschenrechtskommission unter Leitung von Mary Robinson, der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, wurde zunächst die Einreise nach Israel nicht erlaubt.[7]
Nach Augenzeugenberichten schoss die israelische Armee auf unbewaffnete Menschen und enthielt ihnen medizinische Versorgung vor, worauf diese starben. Human Rights Watch berichtete von zahlreichen illegalen Tötungen, darunter der eines 57-jährigen Mannes im Rollstuhl; die israelische Armee schoss auf ihn und überrollte ihn mit einem Panzer, obwohl eine weiße Fahne an seinem Rollstuhl befestigt war. Ein 37-jähriger Gelähmter wurde unter den Trümmern seines Hauses begraben; seiner Familie wurde nicht gestattet, die Leiche zu bergen. Ein 14-jähriger Junge wurde getötet, als er während einer vorübergehenden Aufhebung der Ausgangssperre, die von der israelischen Armee verhängt worden war, Lebensmittel einkaufen ging. Die israelische Armee schoss auf medizinisches Personal, das versuchte, Verletzte zu erreichen, obwohl es eindeutig uniformiert und mit dem Symbol des Roten Halbmondes gekennzeichnet war; ein Krankenpfleger wurde getötet.[8]
Am 31. Mai 2002 veröffentlichte Yedioth Ahronoth ein Aufsehen erregendes Interview mit Moshe Nissim (genannt »Dubi Kurdi«), dem Fahrer einer gepanzerten Armeeplanierraupe, der berichtete, wie er während des israelischen Angriffes 75 Stunden lang wie in Trance Häuser mit 530 Wohnungen in dem Flüchtlingslager zerstörte, ohne Rücksicht darauf, ob sich in den Gebäuden noch Menschen befanden.
Söhne und Töchter der Stadt
- Belly (* 1984), palästinensisch-kanadischer Rapper und Songwriter
Literatur
- Immanuel Benzinger: Engannim 2. In: Paulys Realencyclopädie der classischen Altertumswissenschaft (RE). Band V,2, Stuttgart 1905, Sp. 2563.
Weblinks
- UN-Bericht im Volltext (Memento vom 29. November 2012 im Internet Archive) (englisch)
- Bericht über die Militäroperation in Dschenin. Human Rights Watch (englisch)
- Projekt Cinema Jenin
Einzelnachweise
- Nach auf der Volkszählung von 1997 basierenden Hochrechnungen der UNRWA
- sueddeutsche.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- cinemajenin.org
- Die Hoffnung führt Regie. Zeit Online, 6. August 2010. Süddeutsche Zeitung, 5. August 2010, S. 3; dort auch zur Aussöhnungsinitiative von Yaël Armanet-Chernobroda und Zakaria Tobassi
- Jenin’s Terrorist Infrastructure. In: Israel Ministry of Foreign Affairs. 4. April 2002. Abgerufen am 22. September 2008.
- Israel and the Occupied Territories: Shielded from scrutiny: IDF violations in Jenin and Nablus. amnesty international
- Bericht. Spiegel Online
- Civilian Casualties and Unlawful Killings in Jenin Human Rights Watch, 23. November 2002.