Edgar Julius Jung
Edgar Julius Jung, Pseudonym Tyll,[1] (* 6. März 1894 in Ludwigshafen am Rhein; † 30. Juni oder 1. Juli 1934 in Berlin oder in einem Wald bei Oranienburg) war ein deutscher Jurist, Politiker und antidemokratischer Publizist. Er gilt als Vertreter der nicht-nationalsozialistischen Rechten in der Weimarer Republik, die später als Konservative Revolution zusammengefasst wurden. Jung wirkte 1924 bei der Ermordung des Präsidenten der Autonomen Pfalz Franz Josef Heinz mit. 1934 wurde er im Rahmen der Röhm-Affäre von Nationalsozialisten ermordet.
Leben
Jugend und Ausbildung (1894 bis 1922)
Jung wuchs in Ludwigshafen in bürgerlichen Verhältnissen auf, sein Vater Wilhelm Jakob Jung war zunächst Volksschullehrer und danach Studienprofessor am Mädchenlyzeum in Ludwigshafen.[2] Er besuchte dort erst die Volksschule, dann das humanistische Gymnasium und erlangte 1913 das Abitur. 1913 begann er das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Lausanne. Dort besuchte er Vorlesungen von Vilfredo Pareto. 1914 nahm er als Freiwilliger Frontkämpfer beim 3. Bayerischen Chevaulegers-Regiment als Infanterist und Spähtruppführer aktiv am Ersten Weltkrieg teil, u. a. auch in Verdun. 1917 ließ er sich zur Feldartillerie versetzen. Nach seiner Beförderung zum Leutnant der Reserve erkrankte er schwer und wurde nach seiner Genesung Ende 1917 bei Diedenhofen zum Kampfflieger ausgebildet, gelangte jedoch vor Ende des Krieges nicht mehr zum Einsatz.
Nach dem Krieg wurde er Mitglied des Freikorps Epp und nahm an der Niederschlagung der Münchner Räterepublik im Frühjahr 1919 teil.
1920 setzte Jung sein Studium der Rechtswissenschaften in Heidelberg und Würzburg fort. Nach dem ersten Staatsexamen wurde er 1922 in Würzburg zum Dr. jur. promoviert. 1922 legte er das Assessorenexamen ab und trat danach als Rechtsanwalt in Zweibrücken in die Kanzlei von Albert Zapf[3] ein. Im Dezember desselben Jahres heiratete er.
Aktivitäten in der Pfälzischen Widerstandsbewegung (1923 bis 1924)
Die Pfalz war, wie der Großteil des linken Rheinufers, seit Dezember 1918 als Folge des Ersten Weltkrieges von französischen Truppen besetzt worden. Zusammen mit dem Kaiserslauterer Direktor der Süddeutschen Discontobank Rudolf Emmerling gründete Jung den geheimen „Rheinisch-Pfälzischen Kampfbund“,[4][5][6] der sich die gewaltsame Entfernung der französischen Besatzung zum Ziel gesetzt hatte und ab 1923 gewaltsame Aktionen gegen den von Frankreich unterstützten pfälzischen Separatismus plante und ausführte.
Am 12. April 1923 wurde er von den französischen Behörden aus der Pfalz ausgewiesen, mit Wirkung bis 1930. Zuerst zog er mit seiner Familie nach Mannheim und im Sommer 1923 nach Feldafing, worauf er sich als Anwalt in München niederließ. Hier kam es zu ersten Treffen mit Adolf Hitler und zu mehreren Verhandlungen über einen Beitritt in die NSDAP. Jung trat letztendlich nicht ein, da das Trennende das Gemeinsame überwog.
In München traf Jung auf den ebenfalls aus der Pfalz ausgewiesenen Walter Antz aus Zweibrücken, der im Bayerischen Staatskommissariat für die Pfalz für die Separatistenabwehr zuständig war. Antz beauftragte ihn der mit der Vorbereitung, Organisation und Leitung eines Anschlages auf Franz Josef Heinz, den Anführer der Separatisten und Präsidenten der Autonomen Pfalz. Um die Finanzierung kümmerte sich Antz selbst. Die Männer für die Aktion wurden von Hermann Ehrhardt zur Verfügung gestellt.[7]
Das Attentat gelang erst im zweiten Anlauf: Am Abend des 9. Januar 1924 stürmten unter dem Kommando von Jung rund 20 Männer, die über den gefrorenen Rhein gekommen waren, den Speisesaal des „Wittelsbacher Hofes“ in Speyer. Sie ermordeten Heinz, seine beiden Mitarbeiter Nikolaus Fußhöller und Matthias Sand sowie einen unbeteiligten Gast.[8] Zwei Attentäter aus dem Umfeld der NSDAP starben beim anschließenden Schusswechsel mit Anhängern von Heinz. Jung selbst wurde durch einen Streifschuss am Hals leicht verletzt und kehrte nach München zurück.
„Konservative Revolution“ (1924 bis 1932)
1924 versuchte er, für die Deutsche Volkspartei in den Reichstag gewählt zu werden, scheiterte jedoch. Stattdessen verlegte Jung sich auf die politische Schriftstellerei. Mit seinem Buch Die Herrschaft der Minderwertigen, einer intellektuellen Generalabrechnung mit Demokratie, Parlamentarismus und Liberalismus, avancierte er 1926 zu einem der prominentesten Wortführer der konservativen Revolution.
Am 2. Juni 1926 gründete er in München den Jungakademischen Klub mit dem Ziel der Schulung der Münchner Studentenschaft im „jungkonservativen Sinne“. Laut Hans-Joachim Schoeps lassen sich bei den Jungkonservativen zwei durchgängige Ideologeme beschreiben: „neben dem aggressiven Nationalismus ihr unversöhnlicher Antiparlamentarismus“.[9]
Jung engagierte sich im Hochschulring deutscher Art[10] und wurde, laut Joachim Petzold, einer seiner eifrigsten und bekanntesten Redner.[11] Als politischer Ideengeber und Sprachrohr der politischen Rechten konnte Jung Anhänger vor allem in der Studentenschaft und in der rheinischen Schwerindustrie finden. Aus der Ruhrlade erhielt er ab 1929 monatlich 2000 Mark für seine publizistische und politische Tätigkeit.
Im Sommer 1932 verwies Jung nicht ohne Stolz auf seine „Verdienste“ und die seiner intellektuellen Weggefährten um die politischen Erfolge der Nationalsozialisten:
„Es steht weiter fest, daß die Gedanken der konservativen Revolution in den Jahren 1919 bis 1927 fast unter Ausschluß der Öffentlichkeit von einzelnen Kreisen und schöpferischen Menschen geformt und gegen den Widerstand einer hohnlachenden Umwelt durchgefochten wurden (…). Die geistigen Voraussetzungen für die deutsche Revolution wurden außerhalb des Nationalsozialismus geschaffen.[12]“
Im Sinne einer Aufgabenteilung erklärte Jung die NSDAP zum „Referat Volksbewegung“ des nationalen Lagers.[13] Dabei war Jung kein Anhänger Adolf Hitlers. Ähnlich wie viele andere Vertreter der Konservativen Revolution orientierte er sich am Faschismus Mussolinis.[14]
1933 bis 1934
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 bewarb sich Jung erfolgreich beim konservativen Vize-Kanzler des Koalitionskabinetts, Franz von Papen, als politischer Berater und Redenschreiber.
Am 17. Juni 1934 hielt Papen vor Marburger Studenten die von Jung verfasste Marburger Rede. In dieser Rede bekannte der Vizekanzler sich zwar zur Führerschaft Hitlers und bejahte auch das Bündnis zwischen konservativer und nationalsozialistischer Revolution, übte gleichwohl massive Kritik an den Missständen der nationalsozialistischen Herrschaft: Er reklamierte ein geordnetes Wachstum anstelle von revolutionären Zuständen und erteilte dem Kollektivismus in Wirtschaft und Gesellschaft sowie dem Nationalsozialismus – unter Akzentuierung der sozialistischen Elemente der Bewegung – eine Absage. Papen forderte des Weiteren die ständische Neuordnung nach wilhelminischem Vorbild als ein Alternativmodell zur zweiten Revolution, wie sie durch die Parteilinke gefordert wurde, und verlangte die Abschaffung der NSDAP als Überbleibsel des Parteiensystems. Im Ganzen wurde der Eindruck suggeriert, der Nationalsozialismus stelle nur ein ephemeres Durchgangsstadium im Zuge eines gesamteuropäischen Umwandlungsprozesses dar.
Jung hatte beabsichtigt, durch diese Rede ein Fanal für die jungkonservative Konterrevolution gegen den Nationalsozialismus zu setzen. Seine die Realitäten verkennenden Vorstellungen sahen die Verhängung des Ausnahmezustandes durch den Reichspräsidenten Paul von Hindenburg, auf den Papen erheblichen Einfluss ausübte, die Bildung eines Direktoriums unter Einbeziehung von Hitler und Göring und die Ausschaltung der NS-Radikalen vor. Eine landesweite Verbreitung der Marburger Rede durch eine Verlesung im Radio wurde von Reichspropagandaminister Joseph Goebbels verhindert.
Jung und einige andere Mitarbeiter von Papens (später als Edgar-Jung-Kreis bezeichnet) beabsichtigten in Anbetracht des vorhersehbaren Ablebens Hindenburgs, ihre Pläne von der konservativen Revolution gestützt auf den Oberbefehl des Reichspräsidenten über die Reichswehr umzusetzen. Hindenburg sollte durch Papen, der am 30. Juni eine Audienz beim Reichspräsidenten haben würde, dazu bewogen werden, ein staatsstreichartiges Eingreifen der Reichswehr in die schwelende Staatskrise des Jahres 1934 zu veranlassen.
Aus Verärgerung über die Marburger Rede gab Hitler Heinrich Himmler am 25. Juni 1934 die Erlaubnis, Edgar Jung verhaften zu lassen. Die Verhaftung durch die Gestapo erfolgte bereits am Abend desselben Tages in Halensee, wo Jung seit einigen Monaten eine möblierte Wohnung gemietet hatte.[15] Eine erste Intervention Papens bei Hitler zugunsten seines Redenschreibers am 28. Juni verlief erfolglos: In seinem Tagebuch vermerkte der NS-Parteiideologe Alfred Rosenberg: „Der Führer erzählte, daß er Dr. Jung, den Verfasser der unglaublichen Papen Rede [sic!], habe verhaften lassen. – Gerade läßt der Vice-K.[anzler] anfragen, ob der Führer ihn noch heute empfangen könnte. Hitler lacht: ‚Der kommt wegen seines Dr. Jung!‘ Und läßt ablehnen.“[16] Bei einer späteren Intervention Papens versicherte Hitler diesem wiederum, Jung sei zu „seiner eigenen Sicherheit“ in Schutzhaft genommen worden, zudem sei bei der Durchsuchung von Jungs Wohnung belastendes Material über landesverräterische Beziehungen Jungs zur österreichischen Regierung gefunden worden.[17]
Die verbliebenen Mitarbeiter Papens versuchten in den folgenden Tagen die gemeinsamen Staatsstreichpläne gegen die Regierung Hitler und die NSDAP weiter umzusetzen: An einem für den 30. Juni 1934 geplanten Besuch auf dem Gut des Reichspräsidenten in Ostpreußen sollte von Papen Hindenburg dazu bewegen, den Reichsnotstand zu erklären und der Reichswehr den Befehl zum Vorgehen gegen SA, SS und NSDAP zu erteilen. Noch am selben Tag setzte der NS-nahe Generalmajor der Reichswehr Walter von Reichenau, der über diese Absichten Kenntnis erlangt hatte, die Führer der SS, Himmler und Heydrich, mit denen er seit längerem politisch verbündet war, über diese Pläne in Kenntnis. Mehrere Zeugen der Ereignisse vermuteten später, dass diese Wendung das Todesurteil für den inhaftierten Jung bedeutete.
Die genauen Umstände von Jungs Ende sind nicht vollständig gesichert: Fritz Günther von Tschirschky gibt in seinen Memoiren an, Jung noch einmal kurz am 30. Juni im Keller des Gestapo-Hauptquartiers in der Prinz-Albrecht-Straße getroffen zu haben.[18] Seraphim zufolge wurde Jung dort noch am selben Tag im Zuge der „Röhm-Affäre“ erschossen.[16] Andere Darstellungen geben demgegenüber an, Jung sei noch ins KZ Oranienburg überführt und dort in der Nacht zum 1. Juli erschossen worden. Jungs Freund Edmund Forschbach zieht diese Angabe in seiner Biografie Jungs jedoch ausdrücklich in Zweifel.[19]
Nachleben
Edgar Jungs Urne wurde Anfang Juli von seinem Freund Franz-Maria Liedig im Auftrag von Jungs Familie in einer im ehemaligen Preußischen Herrenhaus eingerichteten Urnenabgabestelle der Gestapo abgeholt. Sie wurde auf dem Münchener Waldfriedhof beigesetzt.
1960 wurde im Auftrag von Jungs Schwiegersohn Berthold Spangenberg eine von dem Künstler Hans Wimmer gestaltete 2 Meter hohe Gedenksäule aus Stein auf dem Grab aufgestellt. Die Säule ruht auf einer flachen Plinthe, die in einem gekehlten Kegelstumpf zum Abschluss kommt, auf dem eine Taube aus Bronze ruht. Das Grab wurde schließlich 1996 aufgelassen. Die Gedenksäule wurde daraufhin ins Schleswig-Holsteinische Landesmuseum Schloss Gottorf verbracht, wo sie sich bis heute befindet. Die Originaltaube auf der Grabsäule wurde damals durch einen Zementguss ersetzt, während die Originaltaube aus Bronze ins Arbeitszimmer von Jungs Tochter in der Bäumlstraße 6 in München kam. Nach ihrem Tod wurde die Taube auf dem Familiengrab der Spangenbergs aufgestellt.[20]
Autoren der Neuen Rechten stützen sich in ihrer Traditionsbildung gern auf Jung, weil er als Verfolgter des NS-Regime unverdächtig erscheint.[21]
Politische und soziale Vorstellungen Jungs
Die weltanschauliche Entwicklung Jungs dokumentiert sich in erster Linie in seiner Hauptschrift Die Herrschaft der Minderwertigen von 1927, die in der zweiten Auflage von 1930 eine grundlegende Überarbeitung erfuhr. Von nun an stand nicht mehr die Nation im Vordergrund seines Denkens, sondern das Volk.[22]
Obwohl nach heutigen Maßstäben klar rechts stehend, lehnte Jung die von Richelieu begründete Nationalstaatsidee ab. In einem starken, gegenüber der Zentralgewalt durchsetzungsfähigen Föderalismus sah er die natürliche Fortsetzung der deutschen Kleinstaaterei, die ihrerseits den Gegenpol zum rein zentralistischen französischen Staatsmodell bilde. Der innere Föderalismus der deutschen Regionen untereinander musste nach Jungs Auffassung langfristig in einen äußeren Föderalismus der europäischen Nationen ausgreifen, der in der Errichtung eines übernationalen europäischen Imperiums gipfeln sollte. Moeller van den Brucks Hass auf den Westen und das „Westlertum“ – damals ein weitverbreitetes Sentiment der nationalistischen Rechten – teilte Jung ausdrücklich nicht.
Sein Hauptwerk Die Herrschaft der Minderwertigen ist eine radikale Kritik des Parlamentarismus und der repräsentativen Demokratie. Nach Jungs Vorstellung lässt sich der Volkswille (gedacht als metaphysische Einheit im Sinne von Rousseaus Volonté générale) nicht durch Wahlen finden. Insbesondere für die Vorstellung, dass alle Stimmen gleich viel zählen, hatte er nur Spott übrig. Die auf gleichen und allgemeinen Wahlen basierende Demokratie sei im Grunde keine: „Wer sie mit Feuer und Schwert austilgt, vollbringt ein gutes Werk.“[23] In der Neuauflage des Werkes polemisierte Jung 1930 in einem eigenen Abschnitt gegen das Judentum: Zwar nahm er die Existenz wertvoller und minderwertiger Rassen an, doch hielt er den Rasse-Begriff für wissenschaftlich zu wenig untermauert. Zentral war für ihn daher das Volkstum, mit dem das Judentum nicht vereinbar sei. Jung behauptete, „der Jude“ habe sich seit Beginn der Emanzipationsdebatte auf die Seite von Aufklärung und Individualismus gestellt, „um von innen heraus das Gebäude des deutschen Staatsaufbaus auszuhöhlen“. Nun gehe es „nicht mehr um die Frage des Bekenntnisses, sondern des Volkstums“, weshalb für die Juden in Deutschland nur zwei Möglichkeiten blieben: Entweder sie wanderten aus oder sie würden auf den Status einer „völkischen Minderheit“ zurückgestuft.[24]
Statt der Demokratie schwebte Jung eine neue Aristokratie vor:
„Die Kraft, Menschen zu binden und zu beherrschen, liegt jenseits aller Leistung und Anstrengung im Wesen des Herrenmenschen beschlossen. Der Appell, sich zu unterwerfen, ist eine Ausstrahlung, die sogar stumm sein kann. […] Der Adel […] herrscht durch sein überlegenes Sein.“
Demgegenüber lehnte er den Begriff der Elite als bürgerlich ab, da er dem individualistischen und konkurrenzorientierten Leistungsprinzip verpflichtet sei.[25]
Anfang der 1930er Jahre drängte Jung im Sinne seines Föderalismuskonzepts auf die Lösung des – 1919 ungelöst gebliebenen Problems – des Dualismus Preußen-Deutschland, da er dies als Gewähr dafür ansah, die Gefahr künftiger schädlicher innenpolitischer Konflikte zu beseitigen. Als Mittel zur Lösung schwebte ihm die Wiederherstellung der föderalistischen Ordnung im Norden und im Westen des Reiches vor. Seine Forderung nach einer föderalistischen Erneuerung des Reiches begründete Jung insbesondere auch außenpolitisch: Die deutschen Volksgruppen, die nach 1919 unter die Herrschaft anderer Staaten geraten waren, konnten nach seiner Ansicht mit den Mehrheitsvölkern nur ausgesöhnt werden, wenn die Gaststaaten ihrerseits eine föderalistische Ordnung annehmen würden, die fremden Volksgruppen die Beibehaltung ihrer Eigenständigkeit ermöglichen würde. Dies war nach Jungs Meinung aber nur zu erwarten, wenn das Reich mit gutem Beispiel vorangehen würde und ein echter Bundesstaat würde. In Anlehnung an die deutschen Minister der Prager Regierung Robert Mayr-Harting und Franz Spina sah Jung die „Verschweizerung“ der Tschechoslowakei als die einzige Möglichkeit, das sudetendeutsche Problem friedlich zu lösen.
Sozial drang Jung nachdrücklich auf die Stärkung der Familie als des Kerns der Gesellschaft und die Stützung der tradierten Rollen. Heftige Kritik übte er an Erscheinungen wie dem angeblichen „Gebärstreik“ der Frau und der Kriegsdienstablehnung zahlreicher Männer. Den Sozialstaat wollte er weitgehend abbauen und dafür den Arbeitern ermöglichen, Eigentum zu bilden.[26]
Dem nationalsozialistischen Gedankengut konnte Jung nur wenig abgewinnen: Seiner Forderung nach der „Entmassung“ der Gesellschaft und ihrer Führung durch neu herauszubildende Eliten stand die Praxis Hitlers, seine Macht nach Art eines Volkstribuns auf „Massen“ zu stützen, diametral entgegen. Den Rassenkult der Nationalsozialisten lehnte Jung als eine Verirrung und Degeneration des jungkonservativen Volkstumsgedankens ab:
„Wenn unsere Volkstumsgedanken mit der Rassenlehre, dem biologischen Naturalismus, verwechselt werden, dann kann Hitler alles, was wir jungen Konservativen in den letzten Jahren geistig geschaffen haben, verfälschen und in das Gegenteil seiner ursprünglichen Bedeutung verkehren.“[27]
Jung sah sich gleichwohl selbst als Wegbereiter des Nationalsozialismus. Im Juni 1932 schrieb er in einem Aufsatz:
„Die geistigen Voraussetzungen für die deutsche Revolution wurden außerhalb des Nationalsozialismus geschaffen. […] In unsagbarer Kleinarbeit, besonders in den gebildeten Schichten, haben wir die Voraussetzung für jenen Tag geschaffen, an dem das deutsche Volk den nationalsozialistischen Kandidaten seine Stimme gab.“[28]
Schriften
- Die Herrschaft der Minderwertigen, ihr Zerfall und ihre Ablösung. 1927.
- Erweiterte Neuauflage unter dem Titel: Die Herrschaft der Minderwertigen, ihr Zerfall und ihre Ablösung durch ein neues Reich. 1930.
- An der Schwelle einer neuen Zeit. 21 gesammelte populäre Aufsätze. ca. 1930 (Digitalisat).
- Föderalismus aus Weltanschauung. 1931.
- Sinndeutung der deutschen Revolution. 1933.
Literatur
Biographische Skizzen:
- Hermann Graml: Vorhut konservativen Widerstands. Das Ende des Kreises um Edgar Jung. In: Hermann Graml (Hrsg.): Widerstand im Dritten Reich. Probleme, Ereignisse, Gestalten. Frankfurt am Main, 1994, ISBN 3596122368, S. 172–183.
- Friedrich Graß: Edgar Julius Jung (1894–1934). In: Kurt Baumann: Pfälzer Lebensbilder, Bd. 1 (= Veröffentlichungen der Pfälzischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften in Speyer, Bd. 48), Speyer 1964, S. 320–348.
- Karl-Martin Graß: Jung, Edgar Julius. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 10, Duncker & Humblot, Berlin 1974, ISBN 3-428-00191-5, S. 669–671 (Digitalisat).
- Larry Eugene Jones: „Edgar Julius Jung: the Conservative Revolution in Theory and Practice“, in: Central European History, 21 (2), 1988, S. 142–174.
- Joachim Knoll: Konservatives Krisenbewußtsein am Ende der Weimarer Republik. Edgar Julius Jung – ein geistesgeschichtliches Porträt. In: Deutsche Rundschau, 87/1961, S. 930–940.
Monographien:
- Karl Martin Graß: Edgar Jung, Papenkreis und Röhmkrise 1933–34. 1966.
- Helmut Jahnke: Konservativer Revolutionär zwischen Tradition und Moderne. 1998.
- Bernhard Jenschke: Zur Kritik der Konservativ-Revolutionären Ideologie in der Weimarer Republik. Weltanschauung und Politik bei Edgar Julius Jung. Beck Verlag, 1971.
- Gerhard Gräber, Matthias Spindler: Die Pfalzbefreier. Volkes Zorn und Staatsgewalt im bewaffneten Kampf gegen den pfälzischen Separatismus 1923/24. Pro Message, Ludwigshafen/Rhein 2005, ISBN 3-934845-24-X (u. a. über die Ermordung von Franz Josef Heinz und den Sturm auf das Pirmasenser Bezirksamt 1924).
- Roshan Magub: Edgar Julius Jung, right-wing enemy of the Nazis: a political biography. Camden House, Rochester 2017, ISBN 978-1-57113-966-5.
- Michael Lee Mosley: Metaphysical revenge: The ideas and life of Edgar Julius Jung. Miami 1997.
- Rainer Orth: „Der Amtssitz der Opposition“?: Politik und Staatsumbaupläne im Büro des Stellvertreters des Reichskanzlers in den Jahren 1933–1934. Böhlau, Köln 2016, ISBN 978-3-412-50555-4.
Weblinks
- Literatur von und über Edgar Julius Jung im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Daniel Wosnitzka: Edgar Julius Jung. Tabellarischer Lebenslauf im LeMO (DHM und HdG)
- Kurzbiografie der Gedenkstätte Deutscher Widerstand
Einzelnachweise
- Edmund Forschbach: Edgar J. Jung. Ein konservativer Revolutionär 30. Juni 1934, 1984, S. 44.
- Friedrich Graß: Edgar Julius Jung (1894–1934). 1964, S. 320.
- Gerhard Nestler u. a.: Vom Scheitern der Demokratie, Die Pfalz am Ende der Weimarer Republik. S. 346.
- Blutiger Anschlag im Wittelsbacher Hof von Regierung gedeckt.
- website der Historiker/Heimatforscher Gerhard Gräber und Matthias Spindler
- Wolfgang Kohlstruck: Edgar Jung - ein Märtyrer? (Memento vom 24. September 2015 im Internet Archive)
- Susanne Meinl, Nationalsozialisten gegen Hitler, Siedler 2000, S. 84.
- Wilhelm Kreutz, Karl Scherer (Hrsg.): Die Pfalz unter französischer Besetzung (1918/19–1930). Beiträge zur pfälzischen Geschichte, Bd. 15. Bezirksverband Pfalz, Kaiserslautern 1999, ISBN 3-927754-24-2, S. 72.
- Manfred Schoeps, Der Deutsche Herrenklub. Ein Beitrag zur Geschichte des Jungkonservativismus in der Weimarer Republik, Phil. Diss. Erlangen-Nürnberg 1974, S. 12.
- Barbara Stambolis, Der Mythos der jungen Generation: ein Beitrag zur politischen Kultur der Weimarer Republik, Phil. Diss. Bochum 1982 1982, S. 64f
- Joachim Petzold, Konservative Theoretiker des deutschen Faschismus: jungkonservative Ideologen in der Weimarer Republik als geistige Wegbereiter der faschistischen Diktatur, Deutscher Verlag der Wissenschaften 1982, S. 152.
- Uwe Backes, Politischer Extremismus in demokratischen Verfassungsstaaten, Springer-Verlag 2013, S. 229.
- Daniel Morat: Von der Tat zur Gelassenheit. Konservatives Denken bei Martin Heidegger, Ernst Jünger und Friedrich Georg Jünger, 1920-1960, Wallstein Verlag 2007, S. 49.
- Martin Langebach, Michael Sturm: Erinnerungsorte der extremen Rechten, Springer Verlag 2015, S. 110.
- Edmund Forschbach: Edgar Jung. 1984, S. 122. Bevor Jung seine Wohnung verlassen musste, schrieb er das Wort „Gestapo“ auf die Tür des Medikamentenschranks im Badezimmer, wie Forschbach angibt, wohl, um seine Freunde über seinen Verbleib zu informieren.
- Hans-Günther Seraphim (Hrsg.): Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs. 1934/35 und 1939/40. Dokumentation. München 1964, S. 42.
- Edmund Forschbach: Edgar Jung. S. 123.
- Fritz Günther von Tschirschky: Erinnerungen eines Hochverräters. 1973.
- Edmund Forschbach: Edgar Jung. 1984, S. 127. Forschbach erklärt mit Blick auf einen Brockhaus-Eintrag im Bd. 9 der Ausgabe von 1970, der Oranienburg am 1. Juli als Sterbeort angibt, dass er die dortige Angabe für falsch hält.
- Franz Schröther: Hier ruht, was sterblich war: Der Nymphenburger Friedhof in München - Geschichte und Biographien, 2004, S. 61f.
- Wolfgang Benz: Straßer, Otto. In: derselbe (Hrsg.): Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Bd. 8: Nachträge und Register. De Gruyter Saur, Berlin 2015, ISBN 978-3-11-037932-7, S. 129 (abgerufen über De Gruyter Online).
- Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik: die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. Nymphenburger Verlagshandlung, 1962, S. 190.
- Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. Nymphenburger Verlags-Handlung, München 1962, S. 203 (hier das Zitat), 250 u.ö.
- Peter Longerich: Antisemitismus: Eine deutsche Geschichte. Von der Aufklärung bis heute. Siedler, München 2021, ISBN 978-3-8275-0067-0, S. 220.
- Edgar Julius Jung: Adel oder Elite? In: Europäische Revue 9 (1933), S. 535, zitiert bei Morten Reitmayer: „Elite“ im 20. Jahrhundert. Aus Politik und Zeitgeschichte 15 (2014), Zugriff am 14. Februar 2021.
- Daniela Rüther: Der Widerstand des 20. Juli auf dem Weg in die Soziale Marktwirtschaft die wirtschaftspolitischen Vorstellungen der bürgerlichen Opposition gegen Hitler. Schöningh, Paderborn 2002, S. 254 f.
- Edmund Forschbach: Edgar J. Jung. Ein Konservativer Revolutionär 30. Juni 1934. Neske, Pfullingen 1984, S. 17.
- Edgar Julius Jung: Neubelebung von Weimar?. In: Deutsche Rundschau, Juni 1932, S. 158 ff.; zitiert bei Kurt Sontheimer: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933. Nymphenburger Verlags-Handlung, München 1962, S. 36, Anm. 32; Armin Pfahl-Traughber: Wegbereiter der Nationalsozialisten. Blick nach rechts, 26. März 2010, Zugriff am 14. Februar 2021.