Von Delacroix bis Picasso
Von Delacroix bis Picasso hieß eine Ausstellung, die 1965 in der Nationalgalerie in Ost-Berlin gezeigt wurde. Gemäß ihrem Untertitel präsentierte sie Ein Jahrhundert französischer Malerei, wobei die Werke der beiden Künstler Eugène Delacroix und Pablo Picasso den zeitlichen Rahmen markierten. Die Ausstellung fiel in eine Aufbruchphase der DDR-Kulturpolitik und spiegelt auf Museumsebene eine Annäherung zwischen den beiden deutschen Staaten.
Hintergrund der Ausstellung
Vom 4. September bis zum 20. Oktober 1965 fand in der Nationalgalerie auf der Museumsinsel in Ost-Berlin die Ausstellung Von Delacroix bis Picasso: Ein Jahrhundert französischer Malerei statt.[1] Die von der Kunsthistorikerin Vera-Maria Ruthenberg konzipierte Übersichtsschau knüpfte bewusst an das Wirken der ehemaligen Museumsdirektoren Hugo von Tschudi und Ludwig Justi an, die sich besonders für den Erwerb von Kunst aus Frankreich eingesetzt hatten. So gelang es Tschudi beispielsweise 1900 das Gemälde Mühle von Pontoise von Paul Cézanne für das Museum zu gewinnen. Die Nationalgalerie war damit das erste Museum, das noch zu Lebzeiten ein Werk des Malers ankaufte, worauf Ruthenberg ausdrücklich im Katalog zur Ausstellung hinwies.[2] Während es Tschudi vor allem gelang, Werke des französischen Impressionismus für die Nationalgalerie zu sichern, darunter Bilder von Édouard Manet, Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir und Edgar Degas, konnte sein Nachfolger Justi nach dem Ersten Weltkrieg die Sammlung um Arbeiten des Post-Impressionismus, beispielsweise Gemälde von Vincent van Gogh, erweitern.[3] Durch das Wirken der beiden Direktoren gab es in der Nationalgalerie eine umfassende Sammlung französischer Malerei des 19. und des beginnenden 20. Jahrhunderts. Dies änderte sich jedoch nach der Machtübernahme der Nationalsozialisthen. So wurden 1936 einzelne Kunstwerke des französischen Impressionismus verkauft, um mit den Geldern ein Werk des deutschen Caspar David Friedrich anzukaufen.[4] Im Zusammenhang mit der Ausstellung Entartete Kunst 1937 gingen der Sammlung zahlreiche weitere Werke verloren und wenig später wurde Gemälde von Vincent van Gogh zur Devisenbeschaffung aus der Nationalgalerie entfernt.[5] Im Zweiten Weltkrieg wurde die Nationalgalerie geschlossen und die Bestände ausgelagert. Das Museumsgebäude erlitt im Krieg schwere Beschädigungen.
Justi, den die Nationalsozialisten aus dem Amt entfernt hatten, wurde nach dem Krieg Generaldirektor der Staatlichen Museen. Unter seiner Leitung konnten 1949 die ersten zehn Räume der Nationalgalerie wiedereröffnet werden. Wichtige Werke der Sammlung standen Justi allerdings nicht zur Verfügung. Teile waren in die Bundesrepublik ausgelagert, andere Objekte befanden sich in der Sowjetunion. Allgemein konzentrierte sich die DDR-Kulturpolitik auf die Förderung der Kunst des Sozialistischen Realismus.[6] Nach Justis Tod 1957 übernahm seine Mitarbeiterin Vera-Maria Ruthenberg die Leitung der Nationalgalerie, deren Ausstellungsfläche ab 1959 wieder vollständig zur Verfügung stand. Zwischenzeitlich kamen 1958 aus der Sowjetunion Werke des 19. und 20. Jahrhunderts in die Nationalgalerie zurück.[7] Die vormals umfangreichen Bestände französischer Werke der Sammlung waren jedoch zwischen Ost- und West-Berlin geteilt. Während die Gemälde von Manet, Monet und Renoir zunächst im Schloss Charlottenburg in West-Berlin gezeigt wurden, kehrten Bilder von Degas und Cézanne in das Stammhaus auf der Museumsinsel zurück.
Voraussetzung für die Ausstellung Von Delacroix bis Picasso im Jahr 1965 war neben dem wiederhergestellten Gebäude und der teilweisen Rückkehr der eigenen Sammlung zudem eine veränderte DDR-Kulturpolitik. In den 1950er Jahren war die politische und kulturelle Ausrichtung auf die Sowjetunion geprägt, mit dem Bau der Berliner Mauer 1961 verstärkte sich die Abschottungspolitik in Richtung Westen. Dies änderte sich Mitte der 1960er Jahre mit einer kulturellen Öffnung in verschiedenen Bereichen.[8] Zwei internationale Ausstellungen des Jahres 1965 sollten nicht zuletzt dazu beitragen, „die lang vermisste Weltläufigkeit hinter der Mauer“ herzustellen. Dies waren zum einen die Biennale der Ostseeländer als Forum der neuen Kunst in Rostock, zum anderen die Schau Von Delacroix bis Picasso in der Berliner Nationalgalerie.[9] Die Bedeutung der Berliner Ausstellung wurde nicht nur in Zeitschriften herausgestellt, sondern auch in der DDR-Wochenschau Der Augenzeuge unterstrichen.[10]
Der Titel Von Delacroix bis Picasso und die damit verbundene programmatische zeitliche Festlegung waren nicht neu. Beispielsweise zeigte 1925 die Berliner Kunsthandlung Hugo Perls ein Zusammenstellung mit dem Titel Von Delacroix bis Picasso: hundert Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen französischer Meister des XIX. Jahrhunderts[11] und 1961 präsentierte das Volkswagenwerk in der Wolfsburger Stadthalle die Ausstellung Französische Malerei von Delacroix bis Picasso.[12] Allen Ausstellungen gemeinsam ist nicht nur der zeitliche Rahmen, auch die Einordnung von Künstlern wie dem Spanier Pablo Picasso oder dem Niederländer Vincent van Gogh zur französischen Kunst findet sich übereinstimmend wieder. Dies entspricht dem geografischen Wirkungsfeld dieser Künstler in Frankreich. Insbesondere das Werk von Pablo Picasso wurde in der sozialistischen Kulturpolitik der 1950er Jahre noch als „formalistisch“ abgelehnt und war nur selten in Ausstellungen zu sehen.[13]
Angesichts des zur Verfügung stehenden geringen eigenen Bestandes war die Ost-Berliner Nationalgalerie vor allem auf Leihgaben angewiesen. Besonders umfangreiche Ausleihen gab es aus den Museen in Prag und Budapest, die zahlreiche ihrer bedeutenden Werke französischer Malerei nach Berlin schickten. Hinzu kamen Ausleihen aus anderen Städten der DDR und aus weiteren sozialistischen Ländern wie Polen und der Sowjetunion. Weitere Leihgeber waren Museen in Helsinki und Wien. Die staatlichen französischen Sammlungen übersandten zudem einige ausgewählte Werke, was bei der Thematik der Ausstellung naheliegend erscheint. Eher ungewöhnlich war die hohe Beteiligung westdeutscher Museen. Zwar kamen wenige Jahre nach dem Bau der Mauer aus ideologischen Gründen Ausleihen aus West-Berlin nicht in Betracht, aber die Museen in Hamburg, Bremen, Essen, Wuppertal, Köln, Stuttgart und München sandten Gemälde nach Ost-Berlin, was als gute Zusammenarbeit zwischen deutschsprachigen Kollegen, aber auch als Zeichen des allgemeinen politischen Wandels gesehen werden kann.
Liste der ausgestellten Werke
Nachfolgende Liste führt alle in der Ausstellung gezeigten Werke auf. Die Angaben beziehen sich dabei auf denen des Ausstellungskataloges. Teilweise wurde die Titelbezeichnung der neuen Rechtschreibung angepasst (Beispiel: Stillleben statt Stilleben), bei fehlenden Jahresangaben erscheint das Kürzel o. J. (ohne Jahresangabe). Die Museumsangaben wurden in Einzelfällen den heutigen Standorten angepasst (Musée d’Orsay statt Louvre) und Städtenamen ergänzt (Leningrad, Ost-Berlin). Alle anderen Angaben entsprechen den Katalogeinträgen.
Literatur
- Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie (Hrsg.): Von Delacroix bis Picasso: Ein Jahrhundert französische Malerei. Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Berlin 1965.
- Johann Georg Prinz von Hohenzollern, Peter-Klaus Schuster (Hrsg.): Manet bis van Gogh, Hugo von Tschudi und der Kampf um die Moderne. Nationalgalerie Berlin und Neue Pinakothek München 1996, ISBN 3-7913-1748-2.
- Claudia Rückert, Sven Kuhrau (Hrsg.): "Der Deutschen Kunst ...". Nationalgalerie und nationale Identität, 1876–1998. Verlag der Kunst, Amsterdam 1998, ISBN 90-5705-093-5.
- Angelika Wesenberg, Eve Förschl: Nationalgalerie Berlin. Das XIX. Jahrhundert, Katalog der ausgestellten Werke. Staatliche Museen zu Berlin und Seemann Verlag, Berlin und Leipzig 2001, ISBN 3-363-00765-5.
- Michael F. Zimmermann, Christoph Hölz, Ulrike Steiner (Hrsg.): Berlins Museen, Geschichte und Zukunft. Deutscher Kunstverlag, München 1994, ISBN 3-422-06135-5.
- Timo Saalmann: Die Kunstpolitik der Berliner Museen. De Gruyter, Berlin 2014, ISBN 978-3-05-006101-6.
- Gunnar Decker: 1965–der kurze Sommer der DDR. Hanser, München 2015, ISBN 978-3-446-24735-2.
Einzelnachweise
- Im Katalog zur Ausstellung sind nur die beiden Ausstellungsmonate vermerkt. Die genauen Daten der Ausstellung finden sich im Zentralarchiv der Staatlichen Museen zu Berlin
- Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie (Hrsg.): Von Delacroix bis Picasso: Ein Jahrhundert französische Malerei, S. 12.
- Timo Saalmann: Die Kunstpolitik der Berliner Museen, S. 129.
- Verkauft wurden unter anderem die Gemälde Landhaus in der Hermitage von Camille Pissarro (heute Kunstmuseum St. Gallen) und Frühschnee in Louveciennes von Alfred Sisley (heute Museum of Fine Arts, Boston), im Gegenzug kam Mann und Frau in Betrachtung des Mondes von Caspar David Friedrich in die Nationalgalerie. Siehe hierzu ausführlich Johann Georg Prinz von Hohenzollern, Peter-Klaus Schuster (Hrsg.): Manet bis van Gogh, Hugo von Tschudi und der Kampf um die Modern, S. 104–106.
- Drei Gemälde van Goghs wurde Ende der 1930er Jahre aus der Nationalgalerie entfernt. Der Verbleib von Liebespaar und Kornfeld mit Mäher ist ungeklärt, Der Garten Daubignys befindet sich heute im Hiroshima Museum of Art. Siehe hierzu Michael F. Zimmermann, Christoph Hölz, Ulrike Steiner (Hrsg.): Berlins Museen, Geschichte und Zukunft, S. 170-
- Angelika Wesenberg, Eve Förschl: Nationalgalerie Berlin. Das XIX. Jahrhundert, Katalog der ausgestellten Werke., S. 20.
- Willi Geismeier: Innenansichten. Die Nationalgalerie auf der Museumsinsel in den fünfziger und sechziger Jahren dieses Jahrhunderts in Claudia Rückert, Sven Kuhrau (Hrsg.): "Der Deutschen Kunst ...". Nationalgalerie und nationale Identität, 1876–1998, S. 138.
- Zur Kulturpolitik der DDR in den 1950er und 1960er Jahren siehe ausführlicher in Willi Geismeier: Innenansichten. Die Nationalgalerie auf der Museumsinsel in den fünfziger und sechziger Jahren dieses Jahrhunderts in Claudia Rückert, Sven Kuhrau (Hrsg.): "Der Deutschen Kunst ...". Nationalgalerie und nationale Identität, 1876–1998, S. 132–151.
- Gunnar Decker: 1965-der kurze Sommer der DDR, o. S.
- Informationen zur Wochenschau Der Augenzeuge vom 1. Oktober 1965 im Archiv der DEFA-Stiftung
- Katalog zur Ausstellung Von Delacroix bis Picasso: hundert Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen französischer Meister des XIX. Jahrhunderts, Kunsthandlung Hugo Perls, Februar-März 1925.
- Franz Resch (Hrsg.): Französische Malerei von Delacroix bis Picasso. Ausstellungskatalog, Wolfsburg 1961.
- 1957 gelang es Direktor Ludwig Justi in der Nationalgalerie eine Picasso-Ausstellung zu zeigen, was aber eine seltene Ausnahme blieb. Siehe Willi Geismeier: Innenansichten. Die Nationalgalerie auf der Museumsinsel in den fünfziger und sechziger Jahren dieses Jahrhunderts in Claudia Rückert, Sven Kuhrau (Hrsg.): "Der Deutschen Kunst ...". Nationalgalerie und nationale Identität, 1876–1998, S. 138.
- Das Gemälde wird nicht mehr Manet zugeschrieben und ist nicht in den Werkverzeichnissen enthalten.
- Die Jahreszahl gilt als umstritten.