Rudi Arndt
Rudi Arndt (* 1. März 1927 in Wiesbaden; † 14. Mai 2004 in der Nähe von Kiew, Ukraine) war ein deutscher Politiker der SPD.
Familie
Rudi Arndt stammt aus einer sozialdemokratischen Familie. Sein Vater Konrad Arndt (1899–1940) war Gewerkschaftssekretär. Er war eine Weile im KZ Sachsenhausen inhaftiert (siehe auch „Schutzhaft“), dort auch gefoltert worden, kam 1938 frei und ließ sich 1939 einberufen, um dem Verfolgungsdruck der Gestapo Wiesbaden zu entgehen. Konrad Arndt starb am 13. November 1940 angeblich bei einem Autounfall unter mysteriösen Umständen; es gibt starke Indizien, dass er von SS-Leuten ermordet wurde.[1] Seine Mutter Anna Babette (Betty) Arndt, geb. Stunz, (1899–1984) war ebenfalls Sozialdemokratin und Kommunalpolitikerin in Frankfurt am Main. Deren Schwester wurde ebenfalls 1940 durch die Nationalsozialisten ermordet.
Rudi hatte einen älteren Bruder namens Günter. Dieser wurde 1942 nach NS-Regime-kritischen Äußerungen von einer Lehrerbildungsanstalt verwiesen, zum Kriegsdienst eingezogen und an die Ostfront kommandiert (er kehrte 1949 aus sowjetischer Kriegsgefangenschaft zurück).[1]
Arndt war dreimal verheiratet. Aus der ersten Ehe stammte ein Sohn.
Zeit des Nationalsozialismus
Am 3. März 1944 beantragte Arndt die Aufnahme in die NSDAP und wurde am 20. April 1944, dem Geburtstag Hitlers, aufgenommen (Mitgliedsnummer 10.163.291)[2][3]. Der Historiker Hans-Peter Klausch, der 2011 im Auftrag der Fraktion Die Linke im Hessischen Landtag eine Studie zu den NSDAP-Mitgliedschaften der hessischen Landtagsabgeordneten veröffentlichte, warnt allerdings vor pauschalen Urteilen. Viele, wie der seinerzeit 17-jährige Arndt, seien „in jugendlicher Verblendung nach jahrelanger Indoktrination“ eingetreten und hätten später einen „Gesinnungswandel“ vollzogen.[4][5] In den letzten Tagen des NS-Regimes war er außerdem noch niedrigrangiger HJ-Führer und Flakhelfer.[6]
Leben und Beruf
Nach einem „Not-“ bzw. „Kriegsabitur“ an der Frankfurter Helmholtzschule und dem nachgeholten regulären Abitur an der Liebigschule[7] studierte Arndt Rechtswissenschaften an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. 1952 legte er das Erste, 1960 (zu dieser Zeit schon als Landtagsabgeordneter) das Zweite juristische Staatsexamen ab. Von 1953 bis zu seiner Wahl in den Landtag 1956 arbeitete er hauptamtlich als Referent für Jugendrecht und Bundesjugendplan im hessischen Innenministerium.
Neben seiner politischen Tätigkeit verfügte er über eine Zulassung als Rechtsanwalt. Nach seiner Abwahl als Oberbürgermeister 1977 arbeitete er als Anwalt. In seiner Freizeit fuhr er Rallye.
Seit 1989 im Ruhestand, arbeitete Arndt nach dem Fall der Mauer bzw. der Wiedervereinigung als „Mann für alle Fälle, Plakatkleber, Ratgeber, Material- und Geldbeschaffer“ ehrenamtlich für den SPD-Landesverband in Thüringen. Er starb unerwartet im Mai 2004 während einer Flussfahrt auf dem Dnepr nahe Kiew.[8]
Partei
Arndt trat 1945 der SPD bei und gehörte dem linken Flügel der hessischen SPD an. Er war von 1948 bis 1954 Vorsitzender der Sozialistischen Jugend und von 1962 bis 1975 stellvertretender Bezirksvorsitzender der SPD Hessen-Süd. Auf dem Bezirksparteitag in Büdingen im April 1967 kam es zu einer Kampfabstimmung zwischen Arndt und Albert Osswald um den Bezirksvorsitz, den Osswald klar für sich entschied. Diese Abstimmung war eine Vorentscheidung bezüglich der zwei Jahre später erfolgenden Frage der Nachfolge Zinns als Ministerpräsident. 1975 wurde Arndt Nachfolger von Albert Osswald als Bezirksvorsitzender. 1980 schied er als Bezirksvorsitzender aus. Arndt war langjähriges Vorstandsmitglied der SPD Hessen und wurde im April 1973 in den Bundesvorstand der SPD gewählt, dem er bis Dezember 1979 angehörte. Im April 1987 trat er aus Protest gegen die Zusammenarbeit mit den Grünen aus dem Landesvorstand zurück. Auf Bitte von Holger Börner hatte er mit diesem Schritt bis nach der Landtagswahl in Hessen 1987 gewartet.
Nach dem Fall der Mauer baute er ab 1989 die thüringische SPD mit auf und war ehrenamtlicher Landesgeschäftsführer.
Abgeordneter
1952 bis 1956 war Arndt als Stadtverordneter in Frankfurt am Main tätig. Nach dem Tod von Walter Kolb rückte der 29-jährige Arndt am 25. September 1956 in den Hessischen Landtag nach. Diesem gehörte er bis 1972 an, von 1961 bis 1964 war er dort Vorsitzender der SPD-Fraktion. Er trat im Wahlkreis Frankfurt-Westliche Vororte an und war jeweils über die SPD-Landesliste abgesichert. Bei der Landtagswahl in Hessen 1958 kandidierte er auf Platz zwölf der Liste, 1962 auf Platz zwei.
Von 1979 bis 1989 war er Mitglied des Europäischen Parlaments, wo er von 1984 bis 1989 Vorsitzender der größten Fraktion, der Sozialdemokratischen Fraktion (SPE) war.
Er war Mitglied der 3., 4., 6., 7. und 8. Bundesversammlung.
Öffentliche Ämter
Nach dem Ausscheiden von Wilhelm Conrad wurde Arndt 1964 als Wirtschafts- und Verkehrsminister in das Kabinett Zinn IV berufen. Nach dem Rücktritt von Georg August Zinn als Ministerpräsident war Arndt innerparteilich einer der Kandidaten für die Nachfolge, konnte sich aber nicht durchsetzen und Albert Osswald wurde Ministerpräsident. Auch unter Albert Osswald blieb Arndt bis 1970 Wirtschaftsminister der hessischen Landesregierung.[9] Im Kabinett Osswald II wurde er Dezember 1970 hessischer Finanzminister.
Nachdem er bereits am 16. Dezember 1971 als Nachfolger des verstorbenen Walter Möller zum Oberbürgermeister von Frankfurt am Main gewählt wurde, trat er am 6. April 1972 sein Amt an,[10] das er bis 1977 ausübte.
Als Oberbürgermeister von Frankfurt war er auch verantwortlich für die Baupolitik und damit betroffen vom Häuserkampf, den Bürgerinitiativen und Studenten um die Erhaltung von bedrohtem Wohnraum im Frankfurter Westend führten. Seiner 1965 geäußerten Idee, die bei den Luftangriffen auf Frankfurt am Main zerbombte Alte Oper nicht wieder aufzubauen, sondern sprengen zu lassen, verdankte er den Spitznamen Dynamit-Rudi. Arndt erklärte später, die Sprengung nie ernsthaft vorgeschlagen zu haben. 1972 taufte Arndt das 14. im Zoo Frankfurt geborene Flusspferd auf den Namen Dynamit.
Er nahm die Parteispenden entgegen, die als Spendenaffäre der Frankfurter SPD durch Teile der Medien und der Opposition kritisiert wurden.[11]
Bei den Kommunalwahlen am 20. März 1977 gelang der CDU Hessen ein Erdrutschsieg. Bundesweite Beachtung fand vor allem die absolute Mehrheit der Union im Römer. In der Folge wurde Walter Wallmann (CDU) Oberbürgermeister und Arndt wurde Oppositionsführer im Stadtparlament.
Literatur
- Roselinde Arndt u. a.: Rudi Arndt. Politik mit Dynamit. Eine politische Biografie. vmn, Verlag M. Naumann, Hanau 2011, ISBN 978-3-940168-45-0.
- Gerhard Beier: Arbeiterbewegung in Hessen. Zur Geschichte der hessischen Arbeiterbewegung durch einhundertfünfzig Jahre (1834–1984). Insel, Frankfurt am Main 1984, ISBN 3-458-14213-4, S. 361.
- Albrecht Kirschner: Abschlussbericht der Arbeitsgruppe zur Vorstudie „NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter“ der Kommission des Hessischen Landtags für das Forschungsvorhaben „Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen“. Hrsg.: Hessischer Landtag. Wiesbaden 2013, S. 23, 45, 50 (Download [PDF; 479 kB]).
- Jochen Lengemann: Das Hessen-Parlament 1946–1986. Biographisches Handbuch des Beratenden Landesausschusses, der Verfassungsberatenden Landesversammlung und des Hessischen Landtags (1.–11. Wahlperiode). Hrsg.: Präsident des Hessischen Landtags. Insel-Verlag, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-458-14330-0, S. 199–200 (hessen.de [PDF; 12,4 MB]).
- Jochen Lengemann: MdL Hessen. 1808–1996. biographischer Index (= Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen. Bd. 14 = Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen. Bd. 48, 7). Elwert, Marburg 1996, ISBN 3-7708-1071-6, S. 56.
- Sabine Schneider: Belastete Demokraten. Hessische Landtagsabgeordnete der Nachkriegszeit zwischen Nationalsozialismus und Liberalisierung. Hrsg. Historische Kommission für Hessen, ISBN 9783942225458 (darin Einträge zu Arndt sowie zu zehn weiteren Personen), Vertrieb Hessisches Staatsarchiv Marburg 2019 (Reihen: Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Hessen 48, 15; & Politische und parlamentarische Geschichte des Landes Hessen, 47) (endgültiger Bericht zu einem Vorbericht von 2013).
Weblinks
- Literatur von und über Rudi Arndt im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Nachlass von Rudi Arndt im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung (Bonn)
- Rudi Arndt in der Abgeordneten-Datenbank des Europäischen Parlaments
- Rudi Arndt im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
- BUNDESARCHIV – Zentrale Datenbank Nachlässe In: nachlassdatenbank.de. Abgerufen am 30. August 2016 (Informationen über den Nachlass Rudi Arndts im Institut für Stadtgeschichte Frankfurt).
- Arndt, Rudi. Hessische Biografie. (Stand: 1. März 2020). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
Einzelnachweise
- Axel Ulrich: Konrad Arndt. Ein Wiesbadener Gewerkschafter und Sozialdemokrat im Kampf gegen den Faschismus. (PDF 844kB) 2001, S. 60, archiviert vom Original am 4. Januar 2004; abgerufen am 23. August 2017.
- Bundesarchiv R 9361-IX KARTEI/700896
- http://www.niqolas.de/bredel/news/hessen.pdf hier wird als letzte Ziffer der Nummer korrekt eine 1 statt einer 4 bei Klausch gelesen (die 4er sind rechts oben offen gedruckt und nicht geschlossen wie hier und bei den 1ern generell der Fall)
- Pitt von Bebenburg: Neuanfang mit Alt-Nazi. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Frankfurter Rundschau. 4. Mai 2011, archiviert vom Original am 10. Mai 2011; abgerufen am 24. Mai 2011.
- Hans-Peter Klausch: Braunes Erbe. NS-Vergangenheit hessischer Landtagsabgeordneter der 1.–11. Wahlperiode (1946–1987). Die-Linke-Fraktion im Hessischen Landtag, Wiesbaden 2011 (Download [PDF; 4,2 MB]).
- Joachim Neander: "Dynamit-Rudi" – eine Legende wird 70. In: Die Welt. 1. März 1997, abgerufen am 23. August 2017.
- Roselind Arndt, Armin Clauss, Petra Roth u. a.: Rudi Arndt: Politik mit Dynamit. Eine politische Biographie. Hrsg.: Hans Sarkowicz. 1. Auflage. Verlag M. Naumann, Hanau 2011, ISBN 978-3-940168-45-0, S. 38, 53.
- Gestorben: Rudi Arndt. In: Der Spiegel. Nr. 21, 2004, S. 202 (online).
- Die Finanzminister seit 1945 (Memento vom 2. Januar 2011 im Internet Archive)
- Dokumentation zur Nachkriegszeit – Oberbürgermeister bis 1971 (Memento vom 28. September 2013 im Internet Archive)
- Manfred Kittel: Marsch durch die Institutionen? Politik und Kultur in Frankfurt nach 1968, 2011, ISBN 3486704028, S. 377 ff., online.