Platanovirus

Platanovirus saccamoebae“ ist eine vorgeschlagene Virusspezies von Riesenviren (NCLDVs) mit Doppelstrang-DNA (dsDNA) in der Familie Mimiviridae.[5] Als Wirte dienen Amöben der Spezies Saccamoeba lacustris (Tubulinea: Euamoebida/Tubulinida: Hartmannellidae). Diese wurden aus der Rinde einer Platane (Platanus occidentalis, englisch plane tree, sycamore tree) isoliert, daher auch der Name. Bei dem zunächst gefundenen Isolat KSL-5 (auch KSL5 geschrieben) handelt es sich um das erste in Amöben der Gattung Saccamoeba gemeldete Riesenvirus. Inzwischen wurde ein weiteres Isolat, KSL-5x (bzw. KSL5x), gehfunden.[6][7][8] Mit Stand April 2019 sind die Platanoviren noch nicht vom International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) bestätigt.[9]

„Platanovirus“
Systematik
Klassifikation: Viren
Realm: Varidnaviria[1]
Reich: Bamfordvirae[1]
Phylum: Nucleocytoviricota[1]
Klasse: Megaviricetes[1]
Ordnung: Imitervirales[1]
Familie: Mimiviridae
Unterfamilie: „Mimivirinae“[2]/„Megavirinae“[3]/„Megamimivirinae“[4][4]
Gattung: „Platanovirus“
Art: „Platanovirus saccamoebae“
Unterart: KSL-5, KSL-5x
Taxonomische Merkmale
Genom: dsDNA linear
Baltimore: Gruppe 1
Symmetrie: polyedrisch
Hülle: vorhanden
Wissenschaftlicher Name
„Platanovirus“

Aufbau

Die Virusteilchen (Virionen) von „Platanovirus saccamoebae“ KSL-5 sind polyedrisch mit einem Wirbel (englisch vortex) an einer Seite und einem hals- oder stielartigen Vorsprung am gegenüberliegenden Ende. Sie sind wie Acanthamoeba polyphaga mimivirus (APMV, Wildtyp M1) von Fibrillen (Proteinfilamenten) bedeckt. Überhaupt zeigen sie in der Ultrastruktur viele Ähnlichkeiten mit anderen Riesenviren der Familie Mimiviridae. Die durchschnittliche Größe ihrer Kapside beträgt 290 nm, die Länge der Fibrillen beträgt etwa 140 nm, was zu einer mittleren Viriongröße von 430–450 nm führt.[7] Ihre Viruskapside ist damit kleiner als die anderer Mimiviridae (insbesondere der Gattung Mimivirus), die Fibrillen sind jedoch länger.

Genom

Das Genom der Platanoviren besteht aus doppelsträngiger DNA. Eine vorläufige Sequenzanalyse ergab eine große Ähnlichkeit von KSL-5 mit „Megavirus chilensis“ (~ 75 %).[7]

Vermehrungszyklus

Die Replikation von KSL-5 startete nach einer langen Verzögerungvon mindestens 12 Stunden. Nach 18 Stunden waren erste Viruspartikel und eine sich entwickelnde Virusfabrik (englisch virus factory) nachgewiesen, bei einem Maximum nach 30 Stunden. Die Virusfabrik war in der Erscheinung vergleichbar mit der Virusfabrik bei Acanthamoeba[7] (Beispiele: Infektionen von A. polyphaga durch APMV oder A. castellanii durch Acanthamoeba castellanii mamavirus, ACMV). Die Entwicklung der Virusfabrik begann nach einer viel längeren Verzögerungsphase (12 bis 18 Stunden) im Vergleich zu anderen Mimiviridae (dort nur 4 bis 5 Stunden) und die Virusfabrik war kleiner.[10] Die Bildung (Assemblierung) der Viruspartikel wurde hauptsächlich an der Peripherie der Virusfabrik beobachtet, beginnend mit der Bildung und Zusammensetzung von Vorläufermembranen. 96 Stunden nach der Infektion gab es aber immer noch lebensfähige Wirtszellen.[7]

Wirte

Nur zwei S. lacustris-Linien konnten als Wirte infiziert werden: neben SL-5 auch SL-elo. Auch in SL-elo wurden Virusfabriken erzeugt, diese waren aber mit 1–2 μm kleiner als im ursprünglichen Wirt SL-5 (dort 3,5–6 μm). Die Infektion war selbstlimitierend und verschwand nach einigen Übertragungszyklen.

Alle Versuche, KLS-5 auf andere Amöben zu übertragen, einschließlich mehrerer Acanthamoeba-Arten, schlugen fehl.[10] Der Umstand, dass nur Saccamoeba lacustris-Stämme für das Virus KLS-5 anfällig sind, deutet auf ein hochspezifisches Virus-System hin.[7]

Satellitenvirus

Bei der Infektion von SL-5 mit KSL-5-Viren wurden auch Satellitenviren gefunden: 24 Stunden nach der Infektion wurden erste kleine ikosaedrische Virionen mit einem Durchmesser von 50–60 nm in der Virusfabrik sichtbar, wo sie sich offenbar replizierten. Kleine Viruskapside wurden in leeren Kapsiden des Riesenvirus nachgewiesen, was zu defekten Riesenviruspartikeln führte.[7] Wenn das Riesenvirus fehlte konnten bei Saccamoeba lacustris SL5-5 keine Anzeichen einer Infektion mit dem kleinen Satellitenvirus festgestellt werden,[10] das Riesenvirus ist also ein für diese notwendiges Helfervirus. Die Koinfektion mit dem kleinen Virus führte zu einer Reduktion in der Herstellung der KSL-5-Kapside um 70 %. Das kleine Satellitenvirus scheint daher die Replikation von KSL-5 zugunsten der Wirtszelle signifikant zu stören.[7] Es verhält sich in dieser Beziehung wie der Virophage Sputnik, und nicht wie Zamilon. Unter der Annahme, dass es sich tatsächlich um einen neuen Virophagen handelt, wurde für den Platanovirus saccamoebae Virophagen des KSL-5-Virus die Bezeichnung „Comedo Virophage“ bzw. „Comedo virus“ vorgeschlagen (nach lateinisch comedere essen’, ‚verschlingen).[6][10][7]

Bei Saccamöben d​es Stammes SL-elo konnten k​eine dazugehörigen Satellitenviren beobachtet werden.[7]

Weiteres Isolat

In einem weiteren Experiment wurde ein virusfreier Stamm der Wirtsamöbe SL-5 mit zerkleinertem Material aus demselben Platanenbaum gemischt, was zur Isolierung eines zweiten Riesenvirus KLS-5x (alias KSL5x) führte.[7] Dieses zweite Isolat KSL-5x infiziert die Wirtszellen sogar stärker als das erste KSL-5. Die Virusfabrik ist von sternförmiger Gestalt mit langen Verlängerungen (Vorbau, englisch projections). Innerhalb von zwei Tagen war die gesamte Wirtszelle vollständig mit Viruspartikeln gefüllt, wodurch die Zellen schließlich platzen. Die Virionen haben sehr lange Hälse bzw. Stiele, vergleichbar mit denen einiger Bakteriophagen (Beispiele: Phage T4, Phage Lambda). Gegenüber dem Stiel befindet sich eine fünfzackige Sternstruktur ähnlich dem ,Stargate’ anderer Mimiviridae.[10] die Übereinstimmung im Genom zwischen KSL-5 und KSL-5x beträgt 99 %.[6]

In d​er Natur w​urde keine Infektion v​on KSL-5x d​urch die Satellitenviren beobachtet, lediglich u​nter Laborbedingungen w​ar es möglich, isolierte Satellitenviren i​n KSL-5x u​nd geeigneten Saccamöben z​u vermehren. Auch d​ies deutet a​uf ein hochspeziallisiertes Wirt-Virus-Virophage-System hin.[6]

Systematik

Platanovirus saccamoebae“ ist derzeit (Stand April 2019) noch nicht vom International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) offiziell anerkannt, daher haben alle Benennungen noch vorschlagsmäßigen Charakter. „Platanovirus“ ist mit den Mimiviridae s. s. (herkömmliche Mimiviridae, ohne Erweiterung durch früher zu den Phycodnaviridae gestellte Vertreter) näher verwandt als mit anderen Riesenviren, gehört also insbesondere zum Phylum Nucleocytoviricota (früher Nucleocytoplasmic large DNA viruses, NCLDV). Unter diesen besteht die größte Verwandtschaft zu dem kurz zuvor entdeckten, ebenfalls noch nicht ICTB-bestätigten „Tupanvirus[11] (nach alternativer Sicht auch „Megavirus chiliensis[12]). Zusammen mit „Tupanvirus“ und dem weiteren nach Metagenomanalysen von Bodenproben vorgeschlagenen „Satyrvirus“ wird „Platanovirus“ keiner der herkömmlichen Mimivirus-Linien (Kladen) A, B oder C zugeordnet, sondern einer aber mit diesen zusammen einer eigenen Linie.[6][13][4]

Einzelnachweise

  1. ICTV: ICTV Taxonomy history: Acanthamoeba polyphaga mimivirus, EC 51, Berlin, Germany, July 2019; Email ratification March 2020 (MSL #35)
  2. Christoph M. Deeg, Cheryl-Emiliane T. Chow, Curtis A. Suttle: The kinetoplastid-infecting Bodo saltans virus (BsV), a window into the most abundant giant viruses in the sea…, in: eLife Sciences 7, März 2018, doi:10.7554/eLife.33014
  3. Centre national de la recherche scientifique: List of the main “giant” viruses known as of today (March 2019), Université Aix Marseille, März 2019.
  4. Frederik Schulz, Lauren Alteio, Danielle Goudeau, Elizabeth M. Ryan, Feiqiao B. Yu, Rex R. Malmstrom, Jeffrey Blanchard, Tanja Woyke: Hidden diversity of soil giant viruses. In: Nature Communications, volume 9, 19. November 2018, Article number: 4881, doi:10.1038/s41467-018-07335-2
  5. Platanovirus ist nicht zu verwechseln mit der Spezies Banana bunchy top virus, spanisch Plátano virus bunchy top, in der Gattung Babuvirus der Familie Nanoviridae.
  6. Bärbel Hauröder, Liane Junglas, Silke Loch, Rolf Michel, Karl-Dieter Müller, Claudia Wylezich: Experimental co-infection of Saccamoeba lacustris with Mimivirus-like Giant virus and a small Satellite virus, in: Open Agrar, 15. Mai 2018
  7. Bärbel Hauröder, Claudia Wylezich, Liane Junglas, Silke Loch, Jenny Eisenkolb, Rolf Michel: New Giant Virus in Free-Living Amoeba, in: Imaging & Microscopy vom 20. Juli 2018, Central Hospital of the Deutsche Bundeswehr Medical Services, Koblenz
  8. Andere von Riesenviren befallene Amöbengattungen sind Vermamoeba (Kaumoebavirus, Faustovirus, Orpheovirus) und Acanthamoeba (Mimivirus mit Acanthamoeba polyphaga mimivirus und „Mamavirus“, „Moumouvirus“ mit AMoV, „Pacmanvirus“, „Medusavirus“, „Pithovirus“, „Mollivirus“, „Cedratvirus“), während bei anderen wie Entamoeba sowie Thecamoeba und Stenamoeba offenbar noch keine solche Parasiten bekannt sind.
  9. ICTV: ICTV Master Species List 2018b.v2 MSL #34v
  10. Said Mougari, Dehia Sahmi-Bounsiar, Anthony Levasseur, Philippe Colson, Bernard La Scola: Virophages of Giant Viruses: An Update at Eleven, in: Viruses 11(8), Juli/August 2019, 733, doi:10.3390/v11080733
  11. Claudia Wylezich, Bärbel Hauröder, Dirk Höper, Martin Beer: A new giant virus isolated from its natural host Saccamoeba sp. together with its virophage shows a narrow host range, in: Conference: 38th meeting of the german Society for Protozoology (DGP), At Vienna/Austria, Februar 2019
  12. Said Mougari, Dehia Sahmi-Bounsiar, Anthony Levasseur, Philippe Colson, Bernard La Scola: Virophages of Giant Viruses: An Update at Eleven, in: Viruses 11(8), 8. August 2019, S. 733, doi:10.3390/v11080733, PMC 6723459 (freier Volltext), PMID 31398856, Abschnitt 3.1.5
  13. List of the main “giant” viruses known as of today (PDF; 334 kB) Université Aix Marseille, Centre national de la recherche scientifique, 18. April 2018.
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