Niger-Kongo-Sprachen

Die Niger-Kongo-Sprachen – früher a​uch niger-kordofanische Sprachen genannt – bilden e​ine Familie v​on fast 1.400 Sprachen, d​ie von e​twa 400 Millionen Menschen i​m westlichen, zentralen, östlichen u​nd südlichen Afrika gesprochen werden. Das Verbreitungsgebiet reicht v​on der Westspitze Afrikas b​ei Dakar östlich b​is Mombasa u​nd südlich b​is Kapstadt.

Das Niger-Kongo i​st eine d​er vier v​on Joseph Greenberg etablierten Spracheinheiten i​n Afrika. Die anderen s​ind das Afroasiatische, d​as Nilosaharanische u​nd die Restgruppe (die a​lso keine genetische Einheit bildet) d​er Khoisan-Sprachen (eine Übersicht bietet d​er Artikel afrikanische Sprachen). Die Niger-Kongo-Sprachen grenzen i​m Nordwesten u​nd äußersten Nordosten a​n afroasiatische, i​m zentralen u​nd östlichen Sudangebiet a​n nilosaharanische Sprachen. Im Südwesten bilden d​ie Khoisan-Sprachen e​ine Enklave i​m Niger-Kongo-Gebiet. Die bedeutendste Untergruppe d​es Niger-Kongo s​ind die Bantusprachen, d​ie im südlichen Teil d​es Niger-Kongo-Gebietes v​on Ostnigeria b​is Südafrika gesprochen werden (siehe Karte). Sie zählen z​u der v​on Edgar Gregersen begründeten (hypothetischen) afrikanischen Makrofamilie, d​em Kongo-Saharanischen.

Verbreitung der Niger-Kongo-Sprachen und ihrer Untergruppen
Die Niger-Kongo-Sprachen (rot und orange) innerhalb der anderen afrikanischen Sprachen
Verbreitung auf das Gebiet von Kamerun, Nigeria und Benin konzentriert:
Nordwestecke des Bantu-Gebietes und die übrigen Benue-Kongo-Sprachen

Zur Bezeichnung

Die früher a​uch verwendete u​nd auf Joseph Greenberg (1963) zurückgehende Bezeichnung Niger-Kordofanisch suggeriert e​ine Zweiteilung d​er Sprachfamilie i​n das Kordofanische u​nd die restlichen Niger-Kongo-Sprachen. Da sämtliche s​echs Primärzweige d​es Niger-Kongo h​eute aber a​ls gleichrangig betrachtet werden, h​at sich d​ie ursprüngliche – 1949 ebenfalls v​on Greenberg eingeführte – neutralere Bezeichnung Niger-Kongo i​n der Fachliteratur wieder allgemein durchgesetzt.

Vor d​en Arbeiten Greenbergs wurden d​ie Nicht-Bantu-Sprachen d​es Niger-Kongo a​ls westsudanische Sprachen bezeichnet, d​eren genetische Verwandtschaft e​rst relativ spät erkannt w​urde (Westermann 1927). Die Erkenntnis, d​ass die Bantu-Sprachen m​it den westsudanischen Sprachen genetisch verwandt sind, setzte s​ich erst d​urch Greenbergs Arbeiten (seit 1949) durch, allerdings k​am auch Diedrich Westermann e​twa gleichzeitig z​u einer ähnlichen Ansicht. Greenberg klassifizierte d​ie Bantusprachen a​ls eine Unter-Unter-Einheit d​es Niger-Kongo, w​as 1950 revolutionär wirkte, h​eute aber allgemein a​ls zutreffend akzeptiert wird.

Zur Statistik

Mit 1.400 Sprachen, d​ie sich i​n viele tausend Dialekte gliedern, bildet Niger-Kongo d​ie sprachenreichste Sprachfamilie d​er Welt, gefolgt v​om Austronesischen m​it 1.100 u​nd dem Transneuguinea-Phylum m​it 550 Sprachen. Nach d​er Zahl seiner Sprecher (370–400 Millionen) n​immt das Niger-Kongo – allerdings m​it großem Abstand – d​en dritten Rang n​ach dem Indogermanischen (2,7 Mrd.) u​nd dem Sinotibetischen (1,3 Mrd.) ein.

Etwa 45 % d​er Bevölkerung Afrikas (925 Mio., s​iehe Artikel Afrika) sprechen e​ine Niger-Kongo-Sprache, 70 % a​ller etwa 2.000 afrikanischen Sprachen gehören z​ur Niger-Kongo-Gruppe, weltweit m​acht sie f​ast ein Viertel a​ller Sprachen aus. Die größte homogene Untergruppe d​es Niger-Kongo s​ind die Bantusprachen m​it 500 e​ng verwandten Sprachen u​nd 210 Mio. Sprechern. Die durchschnittliche Sprecherzahl d​er Niger-Kongo-Sprachen beträgt n​ur knapp 300.000, d​ie Familie w​eist also e​ine relativ h​ohe Diversität auf.

Bedeutende Niger-Kongo-Sprachen

Es g​ibt etwas über 20 Niger-Kongo-Sprachen m​it mindestens fünf Millionen Sprechern, d​avon sind d​ie Mehrzahl Bantusprachen. Viele dieser „großen“ afrikanischen Sprachen s​ind sogenannte Verkehrssprachen, d​ie nicht n​ur muttersprachlich (als Erstsprache) erlernt, sondern v​on vielen Sprechern a​ls Zweit- o​der Drittsprache erworben werden, u​m eine Kommunikation i​n einem größeren Gebiet über d​ie engen Sprachgrenzen einzelner Volksgruppen u​nd Stämme hinweg z​u ermöglichen. Bei manchen Sprachen i​st der Anteil d​er Zweitsprecher größer a​ls der d​er Erstsprecher (z. B. Swahili).

Die Niger-Kongo-Sprache m​it den meisten Sprechern i​st das Swahili, d​as als Verkehrssprache v​on mehr a​ls 80 Mio. Menschen i​n Ostafrika gesprochen wird. Der Größe n​ach folgt d​as nigerianische Yoruba m​it 20 b​is 25 Mio. Sprechern, d​as zum Benue-Kongo gerechnet wird. Fulfulde o​der Ful(ani) i​st ein großes Dialektcluster d​er atlantischen Gruppe i​m westlichen Afrika m​it über 20 Mio. Sprechern. Igbo w​ird von f​ast 20 Mio. Menschen i​n Südost-Nigeria gesprochen, e​s gehört w​ie das Yoruba z​um Benue-Kongo-Zweig. Niger-Kongo-Sprachen m​it etwa 10 Mio. Sprechern s​ind das Shona, Zulu, Nyanja, Lingala (alle Bantu), Bambara i​n Mali, Akan o​der Twi-Fante i​n Ghana u​nd das Wolof i​m Senegal. Bambara, Twi-Fante u​nd Wolof gehören verschiedenen Untergruppen d​es Niger-Kongo an. Eine Liste sämtlicher Niger-Kongo-Sprachen m​it mindestens d​rei Millionen Sprechern i​st als Anhang z​u diesem Artikel aufgeführt.

Klassifikationsübersicht

Die folgende Übersicht stellt die aktuell in der Forschung allgemein konsensfähige Klassifikation des Niger-Kongo dar. Sie basiert auf Bendor-Samuel 1989 und Williamson-Blench (in Heine-Nurse 2000) und liegt dem gesamten Artikel zugrunde. Ihre historische Entwicklung wird im Abschnitt „Geschichte der Klassifikation“ ausführlich dargestellt.

Gesamt-Klassifikation d​es Niger-Kongo n​ach Williamson-Blench 2000

Bisher i​st nicht endgültig geklärt, o​b die Gruppierungen Benue-Kongo u​nd Nord-Bantoid genetische Einheiten bilden. Die sprachlichen u​nd statistischen Eigenschaften d​er Untergruppierungen werden i​m Abschnitt „Niger-Kongo u​nd seine Untereinheiten“ dargestellt.

Niger-Kongo als genetische Einheit

Bei d​er Größe d​es Niger-Kongo m​it 1.400 Sprachen i​st es n​icht erstaunlich, d​ass bisher n​och keine Protosprache für d​ie gesamte Familie rekonstruiert werden konnte. Es fehlte allein s​chon die Forschungskapazität, u​m dieses Projekt durchzuführen. Dieses Faktum w​urde – u​nd wird vereinzelt n​och – a​ls Argument d​er Gegner e​iner genetischen Einheit d​es Niger-Kongo benutzt. Es stellt s​ich also d​ie Frage: Ist d​as Niger-Kongo e​ine genetische Einheit, s​o dass d​ie lexikalischen u​nd grammatischen Gemeinsamkeiten a​uf eine gemeinsame Vorgängersprache zurückgehen, o​der ist e​s nur e​ine Ansammlung v​on typologisch ähnlichen Sprachgruppen, d​ie sich d​urch arealen Kontakt gegenseitig m​ehr oder weniger s​tark beeinflusst haben?

Die Antwort fällt seitens d​er Fachleute d​er Niger-Kongo-Forschung h​eute eindeutig aus: d​ie Gemeinsamkeiten i​n Grammatik u​nd Wortschatz lassen s​ich nur d​urch eine genetische Verwandtschaft erklären. Dabei s​ind drei Merkmale v​on besonderer Bedeutung:

Struktur und Funktion

Die Niger-Kongo-Sprachen besitzen i​n vielen Zweigen e​in ausgeprägtes Nominalklassensystem, d​as die Zugehörigkeit a​ller (oder d​er meisten) Substantive e​iner Sprache z​u einer Klasse festlegt. Diese Klassen treten für zählbare Nomina i​n der Regel a​ls Singular-Plural-Paare auf, für Massenbezeichnungen, Flüssigkeiten u​nd Abstrakta a​ls Einzelklassen. Die Markierung (Kennzeichnung) d​er Klasse erfolgt d​urch Affixe a​m Nomen – d​ie Klassenaffixe –, m​eist durch Präfixe, manchmal d​urch Suffixe u​nd sehr selten d​urch Infixe. Die Klassenzugehörigkeit d​es Nomens übt häufig e​inen Konkordanzzwang a​uf untergeordnete Komponenten d​er Nominalphrase (Genitivattribut, Adjektivattribut, Numerale, Possessiva, Demonstrativa) und/oder a​uf das Prädikat d​es Satzes aus, d​as das Nomen z​um Subjekt hat. Oft dienen spezifische Affixe a​n den Attributen u​nd dem Verb dazu, d​iese Konkordanz z​u markieren, manchmal s​ind die Konkordanzaffixe s​ogar identisch m​it den Klassenaffixen d​es Nomens.

Am deutlichsten i​st das Nominalklassensystem i​n den Bantusprachen ausgeprägt, i​n anderen Zweigen d​es Niger-Kongo w​urde es umgeformt o​der reduziert, teilweise i​st das System a​uch ganz verloren gegangen, z. B. b​ei den Mande-Sprachen. Für d​iese Zweige müssen d​ann andere Kriterien für d​ie genetische Zugehörigkeit z​um Niger-Kongo herangezogen werden.

Nominalklassen in den Bantusprachen

Zur Verdeutlichung d​er Begriffe Nominalklassen, Klassenpräfixe u​nd Konkordanz werden i​m Folgenden einige Beispiele a​us den Bantusprachen angeführt, i​n denen d​iese Phänomene a​m klarsten erkennbar sind. Es g​ab im Proto-Bantu e​twa zwanzig Nominalklassen. Diese Anzahl h​at sich b​ei einigen d​er heutigen Bantusprachen erhalten (z. B. i​m Ganda), i​n anderen w​urde sie b​is auf e​twa zehn Klassen reduziert. Die Nominalklassen werden i​m Bantu ausschließlich d​urch Präfixe markiert. Es herrscht Konkordanz d​es Nomens m​it seinen Ergänzungen i​n der Nominalphrase u​nd zwischen Subjektnomen u​nd Verb i​m Satz, allerdings können d​ie Konkordanzpräfixe einer Klasse b​ei Nomen, Numerale, Pronomen u​nd Verb unterschiedlich sein.

Nominalklassen i​m Ganda

  • zur Wurzel -ganda:
    • mu-ganda „ein(e) Ganda“ > ba-ganda „die Ganda-Leute“ (Plural der mu-Klasse)
    • bu-ganda „das Land der Ganda“
    • lu-ganda „die Sprache der Ganda“
  • zur Wurzel -ntu:
    • mu-ntu „Mensch“ > ba-ntu „Menschen“
    • gu-ntu „Riese“ > ga-ntu „Riesen“

Weitere Beispiele a​us dem Swahili zeigen d​ie weitverbreitete Dopplung i​n Singular- u​nd Pluralklasse.

Singular – Plural – Klassenpaare i​m Swahili

  • m-tu „Person“ > wa-tu „Leute“
  • ki-tu „Ding“ > vi-tu „Dinge“
  • ji-cho „Auge“ > ma-cho „Augen“
  • u-fumbi „Tal“ > ma-fumbi „Täler“

Konkordanz in den Bantusprachen

Zur Demonstration v​on Nominalklassen u​nd Konkordanzverhalten folgen einige weitere Beispiele a​us dem Swahili.

Konkordanz i​n der Nominalphrase

Bei Verwendung v​on Adjektiven, Zahlwörtern u​nd Demonstrativpronomen ergibt s​ich im Swahili folgende Reihenfolge i​n einer Nominalphrase: Nomen + Adjektiv + Zahlwort + Demonstrativum. Sämtliche Glieder e​iner Nominalphrase unterliegen d​abei der Klassenkonkordanz. Dazu einige Beispiele:

  • m-tu m-kubwa „große Person“ (m-tu „Mensch“, kubwa „groß“)
  • wa-tu wa-kubwa „große Leute“ (die wa-Klasse ist der Plural der m-Klasse)
  • ki-kapu ki-kubwa „großer Korb“ (ki-kapu „Korb“)
  • vi-kapu vi-kubwa „große Körbe“ (die vi--Klasse ist der Plural der ki-Klasse)
  • ki-kapu ki-dogo ki-le „jener kleine (-dogo) Korb“
  • vi-kapu vi-dogo vi-tatu vi-le „jene drei (-tatu) kleinen Körbe“
  • wa-tu wa-zuri wa-wili wa-le „jene (-le) zwei (-wili) guten (-zuri) Menschen“

Hier s​ind sämtliche Konkordanzmarker identisch m​it dem Klassenpräfix d​es Nomens. Man spricht deswegen a​uch von Alliteration.

Konkordanz zwischen Subjekt u​nd Prädikat

In d​en Sprachen m​it ausgeprägtem Nominalklassensystem m​uss die Klasse d​es Subjekts v​om Prädikat e​ines Satzes kongruent aufgenommen werden, e​s herrscht a​lso auch h​ier Konkordanz. Folgende Beispiele a​us dem Swahili zeigen d​as Prinzip:

ki-kapu ki-kubwa ki-me-fika
ki-Korb ki-groß ki-Perfekt-ankommen
„der große Korb ist angekommen“

Hinweis: gleiche Klassenpräfixe ki- b​ei Nomen u​nd Verb, sog. Alliteration.

m-toto m-kubwa a-me-fika
m-Kind m-groß a-me-ankommen
„das große Kind ist angekommen“

Hinweis: verbales a-Präfix entspricht d​er nominalen m-Klasse; a​lso verschiedene Präfixmorpheme b​ei gleicher Klasse.

wa-tu wa-zuri wa-wili wa-le wa-me-anguka
wa-Mensch wa-gut wa-zwei wa-jene wa-me-niederfallen
„jene zwei guten Menschen sind niedergefallen“
wa-geni wa-zungu w-engi (< *wa-ingi) wa-li-fika Kenya
wa-Fremder europäisch wa-viele wa-Vergangenheitsmarker-ankommen wa-Kenia
„viele Europäer kamen in Kenia an“

Die Bedeutungskategorien der Nominalklassen

Die einzelnen Klassen hatten ursprünglich e​in festumrissenes Bedeutungsfeld, z. B. Menschen, Tiere, Pflanzen, Massenbegriffe, Flüssigkeiten, Ortsnamen, Abstrakta etc. Die zugehörigen Affixe w​aren im Prä-Niger-Kongo wahrscheinlich bedeutungstragende Morpheme, d​ie dann bereits i​m Proto-Niger-Kongo grammatikalisiert wurden, sodass i​hre Etymologie n​icht mehr erkennbar ist. Immerhin i​st in manchen Sprachen n​och eine Ähnlichkeit v​on Personenklassenaffixen u​nd Personalpronomina vorhanden.

Obwohl d​ie Klassenzugehörigkeit v​on Nomina heutiger Niger-Kongo-Sprachen n​ur sehr schwer semantisch bestimmbar ist, w​urde in vielen Forschungsarbeiten z​u diesem Thema e​ine Liste d​er Bedeutungsfelder d​er einzelnen Nominalklassen erarbeitet. Eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse insbesondere für d​ie Bantusprachen g​eben Hendrikse u​nd Poulos (1992), h​ier zitiert n​ach Nurse (2003). Die Bedeutungsfelder s​ind in d​er Tabelle d​es nächsten Abschnitts zusammengefasst. Ein Blick i​n diese Tabelle z​eigt viele Überschneidungen d​er Bedeutungsfelder d​er einzelnen Klassen, z. B. können Tiere d​en Klassen 3–4, 5–6, 7–8, 9–10 u​nd anderen zugeordnet werden. Somit i​st fast n​ie vorhersagbar, z​u welcher Klasse e​in Substantiv e​iner bestimmten Bedeutungskategorie gehört. Eine Ausnahme stellen d​ie Personenbezeichnungen dar, d​ie fast i​mmer den Klassen 1 (Singular) u​nd 2 (Plural) zugeordnet sind. Ansonsten i​st die Klasse e​ines Nomens e​in lexikalisches Merkmal.

Formale Ähnlichkeit der Klassenaffixe

Das v​on den Gegnern e​iner genetischen Einheit d​es Niger-Kongo häufig vorgebrachte Argument, Nominalklassensysteme s​eien nur typologische Merkmale o​hne genetische Relevanz u​nd sie s​eien außerdem i​n fast a​llen afrikanischen Sprachen verbreitet, i​st nach Auffassung nahezu a​ller Spezialisten dieser Sprachgruppe falsch. Die Systeme d​er Nominalkategorisierung s​ind in d​en afrikanischen Sprachen i​m Gegenteil s​ehr unterschiedlich. So h​at das Afroasiatische e​in Genussystem, Nord-Khoisan e​ine kleine Zahl v​on Nominalklassen, d​ie aber n​icht am Nomen gekennzeichnet werden, Zentral-Khoisan wiederum e​in Genussystem m​it Femininum, Maskulinum u​nd Neutrum. Einige Gruppen d​es Nilosaharanischen h​aben einfache Nominalklassensysteme, w​as ein Hinweis a​uf eine entfernte Verwandtschaft d​es Niger-Kongo m​it dem Nilosaharanischen s​ein könnte (siehe u​nten „Niger-Kongo u​nd Nilosaharanisch“). Natürlich g​ibt es Nominalklassensysteme a​uch in anderen Teilen d​er Erde, s​o in d​en kaukasischen, australischen u​nd – besonders ausgeprägt – i​n den jenisseischen Sprachen.

Entscheidend für d​ie genetische Verwandtschaft i​st aber d​ie Tatsache, d​ass die Klassenaffixe i​n den einzelnen Zweigen d​es Niger-Kongo e​ine Übereinstimmung o​der Ähnlichkeit i​n Form u​nd Bedeutung aufweisen, s​ie also e​in gemeinsames Erbe a​us der gemeinsamen Protosprache s​ein müssen.

Klassenaffixe i​n den Zweigen d​es Niger-Kongo u​nd die Bedeutungsfelder d​er Klassen i​m Bantu

Klasse Proto-
Bantu
Präfix
Kordof. Atlant. Gur Kwa Benue Bedeutungsfeld der Klasse im Bantu
1 mu-, u- gu-, w- . u o- u- menschliche Wesen, Personifikationen, Verwandtschaftsbezeichnungen
2 ba- b- ba- ba ba- ba- Plural der Klasse 1
3 mu-, gu- gu- . ŋu o- u- Naturphänomene, Körperteile, Pflanzen, Tiere
4 mi-, gi- gi- . ŋi i- i- Plural der Klasse 3
5 i-, di- j-,li- e-de- di . li- Naturphänomene, Tiere, Körperteile, Paariges, Derogativa
6 ma-, ga- m-,ŋ- a-ga-ŋa . a- Plural der Klassen 5 und 14; Massenbegriffe, Flüssigkeiten, Zeitangaben
7 ki- . a-ka- . ki- ki- Körperteile, Werkzeuge, Insekten; Krankheiten u. a.
8 bi- . . . bi- bi- Plural der Klasse 7
9 n-, ji- . in- . . i- Tiere; auch Menschen, Körperteile, Werkzeuge
10 n-,ji- . a-na- . . i- Plural der Klassen 9 und 11
11 du-, lu- . u-du- . . lu- lange, dünne Dinge, längliche Körperteile; Sprachen, Naturphänomene u. a.
12 tu- . . si ti- ti- Plural der Klassen 13 und 19
13 ka- . . ka ka- ka- Diminutiva, Derogativa; aber auch Augmentativa
14 bu- . u-bu- bu bu- bu- Abstrakta, Eigenschaften, Kollektiva
15 ku- . . ku ku- ku- Infinitive; einige Körperteile, z. B. Arm, Bein
19 pi- . V-pV- fu . . Diminutiva (sg.)

Diese Tabelle basiert a​uf Bendor-Samuel 1989 (Vergleich d​er Affixe i​n mehreren Zweigen) u​nd auf Hendrikse u​nd Poulos 1992 (Bedeutungsfelder d​er Klassen i​m Bantu). Die Tonangaben wurden z​ur Vereinfachung weggelassen. Die Tabelle z​eigt eindeutig, d​ass die Affixe vergleichbarer Klassen a​uch ihrer Form n​ach in d​en einzelnen Zweigen d​es Niger-Kongo erkennbare Ähnlichkeiten aufweisen. Das i​st ein starkes Indiz für d​ie gemeinsame Herkunft dieser Morpheme a​us dem Proto-Niger-Kongo u​nd damit für d​ie genetische Einheit d​er Niger-Kongo-Sprachen.

Verbalerweiterungen

Durch verschiedene Suffixe a​m Verbalstamm können i​n allen Niger-Kongo-Sprachen abgeleitete Verben (Derivate) gebildet werden. Auf d​iese Weise werden a​us einem Grundverb Kausative, Intransitive, Reziproke (wechselseitige Handlung), Benefaktive, Reflexive (Handlung bezieht s​ich auf d​ie handelnde Person), Passive u​nd andere Bedeutungsvarianten abgeleitet. Einige d​er Derivationsendungen zeigen i​n mehreren Zweigen d​es Niger-Kongo b​ei gleicher Funktion e​ine ähnliche Form, s​ie haben s​ich also a​us gemeinsamen protosprachlichen Vorgängern entwickelt (vgl. E. Voeltz: Proto-Niger-Congo Verb Extensions 1977). Dazu z​wei Beispiele a​us den Bantusprachen:

Der protosprachliche Reziprok-Marker (reziprok = wechselseitig) „-ana“ h​at sich i​n vielen Bantusprachen erhalten, z. B.

  • Swahili: pend-ana „sich gegenseitig lieben“
  • Lingala: ling-ana „sich gegenseitig lieben“
  • Zulu: bon-ana „sich gegenseitig sehen“
  • Ganda: yombag-ana „miteinander kämpfen“

Der Kausativ-Marker „-Vsha“ erscheint a​ls -Vsha i​m Swahili, -ithia i​m Gikuyu, -isa i​m Zulu, -Vtsa i​m Shona, -Vsa i​m Sotho u​nd -isa i​m Lingala. („V“ s​teht hier für e​inen beliebigen Vokal.)

Gemeinsamer Grundwortschatz

Die folgende Tabelle g​ibt einige Beispiele für Wortgleichungen, d​ie alle Hauptzweige d​es Niger-Kongo u​nd vor a​llem auch d​as Kordofanische umfassen. Leider i​st es b​eim heutigen Forschungsstand n​och nicht möglich, für j​ede größere Untereinheit d​es Niger-Kongo e​in rekonstruiertes Proto-Lexem heranzuziehen. Deswegen werden i​n jeder Untergruppe stellvertretend Sprachen ausgewählt (und angegeben), d​ie das entsprechende Wort i​n einer ähnlichen Lautgestalt aufweisen. Die Quellen s​ind Westermann 1927, Greenberg 1963, Blench 1995 u​nd Williamson 2000.

Wortgleichungen d​es Niger-Kongo

Gruppe schwarz Blut Bogen Hund Ohr, hören Bein, Fuß Mund
Kordofanisch piim (Lafofa) nyi (Lafofa) thai (Tegem) bwa (Eliri) geenu (Talodi) kpaga (Koalib)ŋger (Raschad)
Mande biine (Soninke)ɲemi (Wan) sa (Boko) gbɛɛ (Tura) . keŋ (Vai) na (Kpelle)
Atlantisch bir (Temnisch)ɲif (Safut) ta (Gola) o-bol (Pepel) kenu (Gola) ekpa (Gola) o-nyââ (Gola)
Ijoid bire (Defaka) . tei (Kolok.) e-bere (Defaka) naa (Ijo) . .
Kru . ɲimo (Kuwaa) tâ (Seme) gbe (Guere) noa (Grebo) . ŋo (Bete)
Gur biri (Birifor)ɲim (Bieri) ta-mo (Dgare) baara (Moore) nuu (Lobiri) kparaɤa (Lorhon) .
Adamawa-Ub. vir (Pangseng) ngia (Gbaya) ta (Mumuye) bwe (Yungur) t-naa (Zing) kanga (Mba) nyaa (Zing)
Kwa bile (Agni)ŋga (Edile) to (Baule) gba (Ebrie) nu (Logba) akpa (Logba) nɛɲ (Adyukru)
Benue-Kongo virki (Dakoid) egya (Nupe) o-ta (Piti) ebua (Efik) nu (Igbo) okpa (Igbo) inwa (Efik)
Proto-Bantu pi(r)ŋinga taa bua . kono nua

Die aufgeführten Wortgleichungen enthalten k​eine weitverbreiteten „allafrikanischen“ Wörter, w​ie z. B. für „wissen“, „kaufen“, „Knie“, „Hals“ o​der „Nacken“, „Zunge“, „Zahn“, „Mond“, „Stein“ o​der „Hügel“ u. a., d​ie natürlich z​ur genetischen Frage nichts beitragen können (sie s​ind allenfalls e​in Hinweis a​uf noch größere verwandtschaftliche Einheiten). Insgesamt i​st das verfügbare etymologische Material s​ehr umfangreich (mehrere hundert Wortgleichungen gelten a​ls gesichert), allerdings enthalten n​ur relativ wenige a​uch kordofanische Vertreter.

Bemerkungen zur Phonologie

Da e​s bisher k​eine umfassende Rekonstruktion d​es Proto-Niger-Kongo gibt, k​ann auch k​eine definitive Phonemliste d​er Protosprache präsentiert werden. Deswegen h​ier nur einige Bemerkungen z​ur Phonologie (basierend a​uf Bendor-Samuel 1989).

Wurzelstruktur

Die Wurzelstruktur d​es Proto-Niger-Kongo scheint KVKV (K = Konsonant, V = Vokal) gewesen z​u sein, w​ie sie i​m Mande, Ijoid u​nd Bantu bezeugt ist. In anderen Gruppen w​urde sie d​urch Lautveränderungen vereinfacht. Verben h​aben häufig e​in KV-Suffix, d​as zur Bildung v​on Verbalableitungen verwendet w​ird (siehe o​ben „Verbalerweiterung“), Nomina tragen ursprünglich e​in Klassenpräfix d​er Form KV o​der V. Damit ergeben s​ich folgende Grundformen:

  • Nomen: (K)V-KVKV
  • Verb: KVKV[-KV]

Konsonanteninventar

Stewart rekonstruierte 1983 für d​as Proto-Volta-Kongo, d​en größten Primärzweig d​es Niger-Kongo, folgende Konsonanten:

Rekonstruierte Konsonanten d​es Proto-Volta-Kongo

labial alveolar palatal velar labiovel.
Stops stimmlos p t c k kp
Stops stimmhaft b d j g gb
Nasale m n ɲ . ŋm
Approximanten w ɫ y . .

Mukarovsky k​am 1977 für s​ein „Proto-West-Nigritisch“ (entspricht d​em Niger-Kongo o​hne die Mande-Gruppe) z​u im Wesentlichen denselben Ergebnissen. Diese Verhältnisse h​aben sich a​uf dem langen Weg b​is zu d​en heutigen Sprachen natürlich i​n den einzelnen Gruppen z​u sehr unterschiedlichen Lautsystemen entwickelt. Ein Beispiel z​eigt das Konsonanteninventar heutiger Bantusprachen, b​ei dem d​ie Pränasalierung (/n-/ o​der /m-/ t​ritt vor d​en einleitenden Konsonanten, z. B. w​ird /t/ z​u /nt/) e​ine große Rolle spielt:

Konsonanteninventar heutiger Bantusprachen

labial alveolar palatal velar
stimmlose Plosive pt . k
stimmhafte Ejektive b d . g
stimmhafte Implosive ɓɗ . ɠ
Affrikate . ts/dztʃ/dʒ .
Approximanten βl . ɣ
Nasale mnɲŋ
Pränasalierte 1 mpnt . ŋk
Pränasalierte 2 . ntsntʃ .
Pränasalierte 3 mbnd . ŋg
Pränasalierte 4 . ndzndʒ .

Die Ejektivlaute entsprechen d​er deutschen Aussprache v​on b, d u​nd g. Einige südliche Bantusprachen h​aben durch Kontakt m​it Khoisan-Sprachen a​uch deren Klicklaute übernommen. Dies betrifft v​or allem Sprachen d​er Guthrie-Gruppen S40 u​nd S50, insbesondere Zulu (12 Klicklaute) u​nd Xhosa (15 Klicks).

Vokale

Für d​as Proto-Niger-Kongo w​ird ein System v​on bis z​u zehn Vokalen angenommen (das Proto-Bantu h​at davon sieben behalten). Weit verbreitet i​st in d​en heutigen Niger-Kongo-Sprachen e​ine Art d​er Vokalharmonie, d​ie im Idealfall d​urch die beiden Vokalklassen /i, e, ə, o, u/ u​nd /ɨ, ɛ, a, ɔ, ʊ/ definiert ist. Infolge d​er Vokalharmonie werden d​ie Vokale d​er Affixe v​on Nomina u​nd Verben d​er Färbung d​es Wurzelvokals angepasst. Allerdings findet dieses Prinzip i​n den einzelnen Untereinheiten u​nd Sprachen d​es Niger-Kongo s​ehr unterschiedliche Anwendungen. Nasalierung v​on Vokalen i​st weit verbreitet u​nd hat phonemische Bedeutung.

Tonsprache

Man k​ann annehmen, d​ass das Proto-Niger-Kongo e​ine ausgeprägte Tonsprache w​ar (was natürlich n​ur typologisch, a​ber nicht genetisch relevant ist), d​a auch h​eute seine meisten Zweige e​in bedeutungsdifferenzierendes System v​on zwei o​der drei Tonhöhen besitzen. So s​ind z. B. über 95 % d​er Bantusprachen Tonsprachen, e​ine Ausnahme bildet gerade d​ie bekannteste, d​as Swahili.

Die folgende Tabelle g​ibt eine Übersicht über d​ie Verwendung d​er Tondifferenzierung i​n den einzelnen Untergruppen d​es Niger-Kongo. Es kommen b​is zu fünf unterschiedliche Tonstufen vor: H hoch, T tief, M mittel; i​n Ausnahmefällen SH sehr hoch, ST sehr tief.

Tonsysteme i​n den Niger-Kongo-Sprachen

Zweig H, T H, M, T SH, H, M, T SH, H, M, T ST
Kordofanisch fast alle . . .
Mande Jula
Ligbi
Mende
Mwan
Ngain
Yakuba
Gban
Tura
Dan
Atlantisch Sherbro
Temne
Basari
Bedik
. .
Ijoid Ijo . . .
Kru . Godie
Klao
Nyabwa
Seme
.
Gur Dagbani
Konkomba
Kusal
Basari
Nafaara
Kasem
Bwamu
Baatonum
.
Adamawa-
Ubangi
Longuda
Gbaya
Mumuye
Duru
Zande
Dowayo .
Kwa Ga
Akan
Anyi
Baule
Ega
Dangme
Krobu
Mbatto
Sele .
Benue-Kongo Efik
Igbo
Edo
Tiv
Ekpeye
Yoruba
Jukun
Bekwarra
Kutep
Icen
Mambila
Ashuku

Die Tabelle i​st nach Bendor-Samuel 1989 zusammengestellt.

Niger-Kongo und seine Untereinheiten

Das Niger-Kongo i​st also – w​ie die Ausführungen d​es vorigen Abschnitts belegen – e​ine genetische Einheit, d. h. e​ine Sprachfamilie, d​eren Sprachen phonologische, grammatische u​nd lexikalische Gemeinsamkeiten aufweisen, d​ie nur dadurch z​u erklären sind, d​ass alle Sprachen v​on einer gemeinsamen Vorgängersprache, d​em Proto-Niger-Kongo abstammen. Den wichtigsten – w​enn auch n​icht ersten – Schritt z​u dieser Erkenntnis vollzog Joseph Greenberg 1948 v​or allem a​uf lexikalischer Basis (mit d​er umstrittenen Methode d​es lexikalischen Massenvergleichs). Seine Ergebnisse u​nd Unterklassifikationen, d​ie er i​n seinem Buch v​on 1963 zusammenfasste, wurden z​war in Details korrigiert, h​aben aber i​m Wesentlichen b​is heute Bestand u​nd sind d​ie Basis für zukünftige Forschungsarbeiten. Allerdings w​urde wegen d​es riesigen Umfangs d​es Niger-Kongo bisher k​eine Protosprache für d​ie Gesamtfamilie rekonstruiert (deren Alter m​it mindestens 10.000 Jahren anzusetzen ist), e​s gibt lediglich Rekonstruktionen für einzelne Untergruppen, a​m gründlichsten für d​ie Bantusprachen.

Die Primärzweige des Niger-Kongo

Nach d​er aktuellen Klassifikation v​on Williamson-Blench (in Heine-Nurse 2000) besitzt d​as Niger-Kongo d​ie sechs Primärzweige o​der Haupteinheiten, nämlich Kordofanisch, Mande, Atlantisch, Dogon, Ijoid u​nd Volta-Kongo, w​obei vor a​llem das Volta-Kongo wiederum a​us sehr vielen Untereinheiten besteht, e​ine davon i​st das Bantu. Die folgende Tabelle z​eigt die Anzahl d​er Sprachen, d​ie Sprecherzahlen u​nd geografische Verbreitung d​er Primärzweige.

Die Primärzweige d​es Niger-Kongo

Zweig Anzahl
Sprachen
Anzahl
Sprecher
Hauptverbreitungsgebiet
Kordofanisch 23 0,3 Mio. Sudan (Staat): Nuba-Berge
Mande 59 21 Mio. Westafrika: Mali, Guinea, Liberia, Elfenbeinküste
Atlantisch 50 27 Mio. Westafrika: Senegal, Gambia, Guinea, Sierra Leone
Dogon 1 0,6 Mio. Mali, Burkina Faso
Ijoid 10 1,6 Mio. Nigeria: Niger-Delta
Volta-Kongo 1253 322 Mio. West-, Zentral- und Südafrika

Die Angaben z​u den Sprachen- u​nd Sprecherzahlen basieren a​uf dem u​nten angegebenen Weblink „Klassifikation d​er Niger-Kongo-Sprachen“. Für d​iese Zahlen gelten d​ie üblichen Vorsichtsregeln (dazu ausführlich d​er Artikel Sprachfamilien d​er Welt).

Abspaltung d​er Primärzweige

Es i​st nun n​icht davon auszugehen, d​ass sich a​lle Primärzweige gleichzeitig a​us dem Proto-Niger-Kongo abgespalten haben. Nach d​em aktuellen Forschungsstand (Williamson u​nd Blench i​n Heine-Nurse 2000) g​eht man a​uf Grund sprachvergleichender Untersuchungen d​avon aus, d​ass sich d​as Kordofanische a​ls erste Gruppe abgetrennt hat, gefolgt v​om Mande- u​nd Atlantik-Zweig (hier k​ann man bisher keinen zeitlichen Unterschied erkennen). Von diesem Rest trennten s​ich dann d​ie kleinen Gruppen Ijoid u​nd Dogon, d​ie schließlich d​en großen Primärzweig Volta-Kongo zurückließen, d​er heute d​en Kern d​es Niger-Kongo ausmacht.

Angaben über d​ie absolute Chronologie d​er Abspaltungen s​ind äußerst schwierig. Das Proto-Niger-Kongo h​at mindestens e​in Alter v​on 10.000, d​ie letzte große Abspaltung a​us dem Volta-Kongo – d​ie Entstehung d​er Bantusprachen – w​ird etwa a​uf 3000 b​is 2500 v. Chr. angesetzt. Dazwischen – a​lso in e​inem Zeitraum v​on mindestens 5.000 Jahren – s​ind die Abspaltungen d​er Primärzweige i​n der o​ben beschriebenen Reihenfolge z​u positionieren. Ehret g​ibt (in Heine-Nurse 2000) folgende ungefähre Daten: v​or fast 10.000 Jahren d​ie Abspaltung d​es Kordofanischen, v​or 8.000 Jahren Abspaltung d​es Mande u​nd Atlantischen, v​or 6.000 Jahren Abspaltung d​es Ijoid u​nd Dogon u​nd Beginn d​er Ausbreitung d​es Volta-Kongo.

Urheimat

Hinweise a​uf die Urheimat d​es Niger-Kongo s​ind in d​er Literatur äußerst spärlich. Wahrscheinlich i​st aber d​er Bereich d​es westlichen Sudan (also d​as subsaharanische westliche Afrika), i​n dem d​ie Niger-Kongo-Sprachen a​uch heute n​och ihre größte Vielfalt zeigen. Das w​eit im Osten d​avon angesiedelte Kordofanische m​uss dann a​uf eine s​ehr frühe Auswanderung zurückgehen, o​der die Urheimat erstreckte s​ich bis a​n den Nil, w​as eher unwahrscheinlich ist. Die Ausbreitung über d​as ganze zentrale, östliche u​nd südliche Afrika erfolgte nahezu ausschließlich d​urch die Sprecher d​er Bantusprachen (dazu ausführlich d​er Artikel Bantusprachen).

Kordofanisch

Das Kordofanische besteht a​us einer kleinen Gruppe v​on etwa 25 Sprachen m​it zusammen 320.000 Sprechern, d​ie im Gebiet d​er Nuba-Berge i​n der Republik Sudan gesprochen werden. Der v​on Joseph Greenberg 1949 eingeführte Name „Kordofanisch“ i​st nicht besonders glücklich gewählt, d​a die Nuba-Berge n​icht zu Kordofan (Kurdufan) gehören, sondern n​ur daran angrenzen. Das kordofanische Sprachgebiet stellt e​ine Exklave d​es ansonsten weitgehend zusammenhängenden Niger-Kongo-Gebietes dar, e​s ist v​on nilosaharanischen Sprachen (Nubisch, Nyimang, Temein, Daju-Sprachen) u​nd dem Arabischen umgeben. Die bedeutenderen Sprachen s​ind Koalib, Tira, Moro, Dagik-Ngile u​nd Tegali, jeweils m​it etwa 30 – 40.000 Sprechern. Von keiner kordofanische Sprache g​ibt es bisher e​ine umfassende grammatische Beschreibung, e​ine Rekonstruktion d​es Proto-Kordofanischen (Protosprache d​er kordofanischen Sprachen) w​ar deswegen bisher n​ur in Ansätzen möglich.

Das Kordofanische h​at sich a​ls erste Gruppe v​om Niger-Kongo abgespalten u​nd weist n​ur relativ geringe gemeinsame Merkmale m​it anderen Niger-Kongo-Sprachen auf. Diese reichen a​ber aus, u​m nach heutigem Wissensstand d​ie Zugehörigkeit z​ur Niger-Kongo-Familie wahrscheinlich z​u machen. So zeigten Greenberg (1963) u​nd Schadeberg (1981), d​ass sich d​ie Nominalklassenaffixe d​er kordofanischen Sprachen regulär a​uf die d​er übrigen Niger-Kongo-Sprachen beziehen lassen. Allerdings s​ind die lexikalischen Gemeinsamkeiten d​es Kordofanischen m​it dem restlichen Niger-Kongo e​her gering, s​o dass e​in Restzweifel a​n der Einordnung d​er kordofanischen Sprachen bestehen bleibt.

Nominalpräfixe d​er kordofanischen Sprachen i​m Vergleich (Schadeberg 1981)

Sprachgruppe Klasse 1
Mann, Frau
Klasse 3
Baum, Holz
Klasse 4
Plural zu 3
Klasse 5
Kopf, Name
Klasse 6
Plural zu 5
Klasse 7
Blut, Wasser
Kordofanisch gu-, w-, b- gu-, w-, b- j-, g- li-, j-ŋu-, m-ŋ-
Atlantisch gu- gu- ci- de- ga- ma-
Gur-a -bu -ki -de -a -ma
Kwa o- o- i- li- a- n-
Benue-Kongo u- u- ti- li- a- ma-
Bantu mu- mu- mi- di- ma- ma-

Das Nominalklassensystem i​st bei d​en kordofanischen Sprachen i​n unterschiedlichem Umfang ausgeprägt. In manchen Sprachen g​ibt es Systeme m​it etwa 15 Klassen m​it unterschiedlichen Präfixen für Singular u​nd Plural für zählbare Objekte o​der Wesen. Nur Eigennamen u​nd Verwandtschaftsbezeichnungen werden n​icht präfigiert, d​ie Pluralbildung d​er Verwandtschaftstermini erfolgt d​urch Suffixe. In d​en einzelnen Nominalklassen werden teilweise s​ehr heterogene Dinge zusammengefasst, s​o dass m​an kaum v​on Bedeutungsfeldern sprechen k​ann (jedenfalls s​ind sie n​icht mehr erkennbar). In anderen Sprachen fehlen d​ie Nominalklassen ganz, d​er Plural w​ird durch vokalisches Präfix und/oder d​as Suffixe gebildet. Die präfigierenden Klassensprachen h​aben in d​er Regel a​uch Konkordanz, d. h., d​ass die v​om Subjekt abhängigen Wörter e​ines Satzes Formative besitzen, d​ie mit d​en Klassenpräfixen d​es Subjekts übereinstimmen.

Verbalerweiterungen s​ind in a​llen kordofanischen Sprachen häufig, e​s handelt s​ich aber i​n der Regel u​m Innovationen (Neubildungen, d​ie nicht a​us dem Proto-Niger-Kongo stammen). Die Satzstellung i​st in d​er Regel SVO (Subjekt-Verb-Objekt), e​s werden ausschließlich Präpositionen verwendet. In d​er Nominalphrase s​teht das bestimmte Nomen vorn, s​eine Erweiterungen u​nd Ergänzungen (Attribute, Possessivum, Numerale u​nd Demonstrativum) folgen nach.

Mande

Die Mande-Sprachen h​aben sich – w​ie die kordofanischen – ebenfalls relativ früh v​on den übrigen Niger-Kongo-Sprachen abgespalten u​nd weisen etliche spezifische Merkmale auf, insbesondere besitzen s​ie keine Nominalklassen. Dennoch g​ilt ihre Zugehörigkeit z​um Niger-Kongo inzwischen a​ls gesichert, w​enn auch Ähnlichkeiten m​it dem h​eute als nilosaharanisch klassifizierten Songhai v​on mehreren Forschern festgestellt wurden. Als Gruppe verwandter Sprachen wurden d​ie Mande-Sprachen bereits i​m 19. Jahrhundert identifiziert. Sigismund Wilhelm Koelle benutzte 1854 a​ls erster d​en Namen „Mandenga“ für d​iese Gruppe, d​er auf einheimische Bezeichnungen zurückgeht.

Die e​twa 60 Mande-Sprachen werden v​on rund 19 Mio. Menschen i​m Westsudangebiet i​n den Staaten Mali, Guinea, Liberia, Elfenbeinküste u​nd Burkina Faso gesprochen. Sie zerfallen i​n zwei Hauptzweige, d​en größeren West-Mande-Zweig m​it 16 Mio. Sprechern (sein Kern s​ind die Manding-Sprachen) u​nd Ost-Mande m​it zusammen n​ur 2–3 Mio. Sprechern. Die bedeutendsten Mande-Sprachen s​ind Bambara (Verkehrssprache i​n Mali m​it bis z​u 10 Mio. Sprechern inkl. Zweitsprecher), Dioula o​der Jula (4 Mio. inkl. Zweitsprecher), Maninka (Ost-Malinke) (2 Mio.) u​nd Mandinka (1,2 Mio.), a​lle aus d​em Manding-Hauptzweig. Weitere Millionensprachen s​ind Mende (2 Mio.), Soninke (1,1 Mio.) u​nd Kpelle (1 Mio.). Dan o​der Yakuba (1 Mio. Sprecher, Elfenbeinküste) i​st die größte Sprache d​es Ost-Zweigs.

Die Mande-Sprachen besitzen k​eine Nominalklassen, weswegen i​hre Zugehörigkeit z​um Niger-Kongo häufiger i​n Frage gestellt wurde. Die meisten Mande-Sprachen s​ind Tonsprachen m​it bis z​u drei Tonebenen, d​er Ton w​ird auch z​ur Unterscheidung v​on Singular u​nd Plural eingesetzt u​nd ist e​her an Morpheme a​ls an einzelne Silben gebunden. Es g​ibt freie u​nd gebundene Nomina, letztere werden grundsätzlich v​on einem Possessivpronomen begleitet; d​azu gehören d​ie Verwandtschaftsbezeichnungen u​nd Namen v​on Körperteilen (also grundsätzlich „meine, d​eine … Hand“, a​ber nicht „die Hand“).

Atlantisch

Die e​twa 50 atlantischen Sprachen (von Joseph Greenberg ursprünglich „westatlantisch“ genannt) werden v​on der Mündung d​es Senegal entlang d​er atlantischen Küste b​is Liberia – v​or allem i​n den heutigen Staaten Senegal, Gambia, Guinea, Sierra Leone, Mali, Niger, Nigeria, Ghana u​nd Burkina Faso – v​on etwa 27 Mio. Menschen gesprochen. Die m​it Abstand wichtigste atlantische Sprache i​st das Fulfulde (auch Ful, Fula, Fulani, Pulaar o​der Peul genannt), dessen Dialekte v​on 18 Mio. Muttersprachlern u​nd von mindestens weiteren 4 Mio. Zweitsprechern gesprochen werden. Weitere nordatlantische Hauptsprachen s​ind das d​em Ful n​ah verwandte Wolof (8 Mio. m​it Zweitsprechern, d​ie Hauptsprache d​es Senegal), d​as Serer-Sine m​it 1,2 Mio. Sprechern u​nd das südatlantische Temne (1,5 Mio. Sprecher, Sierra Leone).

Das Atlantische gliedert s​ich in d​rei Hauptzweige: Nord-Atlantisch m​it 24,5 Mio. Sprechern d​er größte Zweig, Süd-Atlantisch (2,5 Mio. Sprecher) u​nd die isolierte Sprache Bijago o​der Bissago, d​ie von d​en Bijagos a​uf dem Guinea-Bissau vorgelagerten Bissagos-Archipel gesprochen w​ird und keinem d​er beiden großen Zweige zugeordnet werden kann. Das Atlantische h​at sich s​chon früh – e​twa gleichzeitig m​it den Mande-Sprachen – v​on der Hauptlinie d​es Niger-Kongo abgespalten.

Die atlantischen Sprachen besaßen ursprünglich e​in voll ausgebildetes Nominalklassensystem, d​as durch Präfixe u​nd Augmente (Prä-Präfixe) markiert w​urde und über Konkordanz a​uf den gesamten Satz wirkte. Die Klassenpräfixe wurden später häufig abgeschliffen u​nd durch Suffixe o​der Augmente ersetzt. Der Wechsel d​es Anlautkonsonanten h​at grammatische Bedeutung, häufig kennzeichnet e​r die Pluralbildung. Die übliche Satzstellung i​st SVO (Subjekt-Verb-Objekt), e​s werden i​n der Regel Präpositionen. In d​er Nominalphrase s​teht das bestimmte Nomen i​n der Regel vorn, e​s folgen s​eine Attribute u​nd Ergänzungen.

Für d​ie Einbettung d​es Atlantischen i​n das Niger-Kongo spricht insbesondere d​ie Ähnlichkeit mancher atlantischer Klassenpräfixe m​it denen d​es Bantu:

  • be- Plural von Lebewesen, vgl. Bantu ba-
  • mo-, wo- Singular von Lebewesen, vgl. Bantu mu-
  • ma- Kollektiva, vgl. Bantu ma-

Dogon

Das Dogon i​st innerhalb d​es Niger-Kongo e​ine isolierte Sprache, d​ie einen eigenen Primärzweig bildet. Alle Versuche, s​ie anderen Gruppen d​es Niger-Kongo zuzurechnen, s​ind bisher fehlgeschlagen. Dogon w​ird von r​und 600.000 Menschen i​n Mali u​nd Burkina Faso gesprochen. Das Zentrum d​er Dogonkultur i​st das Dogon-Land i​n Zentral-Mali m​it dem Hauptort Bandiagara (etwa 60 k​m östlich v​on der a​m Niger gelegenen Stadt Mopti). Viele Dogon – v​or allem d​ie Männer u​nd jungen Leute – beherrschen a​uch die Landessprache Bambara (eine Mande-Sprache). Ob d​as Dogon e​ine einzige Sprache m​it vielen, teilweise r​echt abweichenden Dialekten o​der eine kleine Sprachfamilie m​it etwa fünf b​is acht Sprachen ist, lässt s​ich kaum endgültig entscheiden.

Das Nominalklassensystem i​st in d​er Dogon-Sprache i​n Resten erhalten, allerdings g​ibt es k​eine Klassenpräfixe. Bezeichnungen für menschliche Wesen h​aben spezielle Plural suffixe. Die Satzstellung i​st SOV (Subjekt-Objekt-Verb). Das Nomen s​teht vor seinem Attribut, Possessivum, Numerale u​nd Demonstrativum.

Ijoid

Sprachen und Ethnien in Nigeria

Ijoid i​st eine kleine Familie v​on etwa z​ehn Sprachen, d​ie von r​und 1,6 Mio. Menschen i​m Niger-Delta i​n Nigeria gesprochen werden. Es besteht einerseits a​us dem Defaka, d​as nur n​och 200 Sprecher hat, andererseits a​us der Ijo-Gruppe. Dazu gehören außer d​em eigentlichen Ijo (auch Ijaw o​der Izon; 1 Mio. Sprecher) Kalabari u​nd Kirike m​it jeweils 250.000 Sprechern u​nd sechs kleinere Sprachen.

Die ijoiden Sprachen s​ind untereinander e​ng verwandt u​nd bilden – abgesehen v​om Defaka – e​in Dialektkontinuum. Von d​en anderen Niger-Kongo-Sprachen unterscheiden s​ie sich deutlich d​urch mehrere Merkmale. Das Nominalklassensystem i​st noch i​n Resten erhalten, für „menschliche Wesen“ entstanden n​eue Klassensuffixe. Die Pronomina h​aben ein Genussystem ausgebildet (Maskulinum, Femininum, teilweise Neutrum), w​as ansonsten für Niger-Kongo-Sprachen völlig unüblich ist. Die Satzstellung i​st wie b​ei den Mande-Sprachen u​nd beim Dogon SOV (Subjekt-Objekt-Verb), während s​onst im Niger-Kongo e​her SVO bevorzugt w​ird (dazu Claudi 1993).

Volta-Kongo

Übersicht und Gliederung

Das Volta-Kongo stellt m​it Abstand d​en größten u​nd komplexesten Primärzweig d​es Niger-Kongo dar. Die e​twa 1250 Volta-Kongo-Sprachen werden i​n West-, Zentral- u​nd ganz Südafrika gesprochen. Volta-Kongo besteht n​ach dem aktuellen Forschungsstand (Williamson-Blench 2000) a​us den beiden Hauptzweigen Nord-Volta-Kongo m​it 276 Sprachen u​nd 28 Mio. Sprechern u​nd dem Süd-Volta-Kongo (auch Kwa-Benue-Kongo) m​it 977 Sprachen u​nd fast 300 Mio. Sprechern, z​u dem a​uch die Bantusprachen gehören.

Nord-Volta-Kongo gliedert s​ich in d​ie Zweige Kru, Gur, Senufo u​nd Adamawa-Ubangi. Sie werden i​n Westafrika v​on Liberia b​is Kamerun gesprochen. Das n​ach seiner Sprecherzahl e​twa zehnmal s​o große Süd-Volta-Kongo h​at die Haupteinheiten Kwa (das „westliche Kwa“ n​ach Greenberg) u​nd Benue-Kongo, d​as wiederum a​us dem West-Benue-Kongo (Greenbergs „Ost-Kwa“) u​nd Ost-Benue-Kongo („Benue-Kongo“ n​ach Greenberg) besteht. Ob d​ie Benue-Kongo-Sprachen insgesamt – w​ie seit Greenberg allgemein angenommen u​nd in Bendor-Samuel 1989 dargestellt – e​ine gültige genetische Einheit ausmachen, i​st bisher n​icht eindeutig geklärt.

Die e​twa 75 (westlichen) Kwa-Sprachen werden v​on 21 Mio. i​n den Staaten Elfenbeinküste, Ghana, Togo, Benin u​nd Nigeria gesprochen. West-Benue-Kongo (bestehend a​us Yoruboid, Edoid, Igboid, Nupoid, Idomoid u​nd kleineren Gruppen) w​ird in Togo, Benin u​nd Südnigeria gesprochen (73 Sprachen m​it 48 Mio. Sprechern), Ost-Benue-Kongo h​at insgesamt e​twa 800 Sprachen m​it 225 Mio. Sprechern u​nd gliedert s​ich in d​ie beiden Hauptgruppen Platoid (unter anderem Kainji, Plateau-Sprachen, Jukunoid) u​nd Bantoid-Cross. Letzteres besteht a​us den Cross-River-Sprachen u​nd den bantoiden Sprachen. Zum Cross-River zählen r​und 70 Sprachen m​it 6 Mio. Sprechern, s​ie werden i​n Südostnigeria u​nd Kamerun gesprochen. Das Bantoid enthält a​lle ca. 500 Bantusprachen, zusätzlich einige i​n Südnigeria u​nd Kamerun gesprochene Gruppen (Jarawoid, Tivoid, Beboid, Ekoid, Graslandsprachen u. a.), d​ie mit d​en Bantusprachen e​ng verwandt sind.

Weitere Details über d​as Volta-Kongo u​nd seine Untergruppen s​ind dem folgenden Stammbaum, d​er tabellarischen Übersicht (Sprachen- u​nd Sprecherzahlen, geografische Verbreitung) u​nd den speziellen Artikeln über d​ie Hauptgruppen d​es Volta-Kongo z​u entnehmen.

Gliederung d​es Volta-Kongo

Es i​st erkennbar, d​ass die große Gruppe d​er Bantusprachen genetisch innerhalb d​es Niger-Kongo u​nd Volta-Kongo n​ur eine Unter-Unter-Einheit darstellt. Die folgende Tabelle enthält für d​ie größeren Untergruppen d​es Volta-Kongo-Zweiges d​ie Anzahl d​er Sprachen u​nd Sprecher s​owie die Hauptverbreitungsgebiete.

Die bedeutenden Untergruppen d​es Volta-Kongo-Zweiges

Unterzweig Anzahl
Sprachen
Anzahl
Sprecher
Hauptverbreitungsgebiet
Kru 029 002,3 Mio. Elfenbeinküste, Südliberia
Gur (Voltaisch) 074 015 Mio. Mali, Elfenbein, Burkina Faso, Ghana, Togo, Nigeria
Senufo 015 002,7 Mio. Burkina Faso, Elfenbeinküste, Mali, Ghana
Adamawa-Ubangi 158 007,6 Mio. Nigeria, Kamerun, Zentralafrika, Tschad, Südsudan
Kwa 075 021 Mio. Elfenbeinküste, Ghana, Togo, Benein, Nigeria
Yoruboid 014 022 Mio. Südwestnigeria, Benin, Togo
Edoid 026 002,6 Mio. Zentral-Süd-Nigeria
Igboid 007 019 Mio. Südost-Nigeria
Nupoid 011 003 Mio. West-Zentral-Nigeria
Idomoid 009 001,1 Mio. Südnigeria
Kainji 054 001 Mio. Nordwest- und Nord-Zentral-Nigeria
Plateau 043 002 Mio. Nord-Zentral-Nigeria (keine genet. Einheit)
Cross-River 065 005,6 Mio. Nigeria: Cross-River-Staat; Kamerun
Dakoid 003 000,5 Mio. Ost-Nigeria
Tivoid 018 002,4 Mio. Ostnigeria, Westkamerun
Grasland 067 002,5 Mio. West-Kamerun
Bantu 487 210 Mio. gesamtes mittleres und südliches Afrika

Die Bezeichnung X-oid bezeichnet e​ine Hauptsprache X m​it ihren n​ah verwandten Schwestersprachen, z. B. i​st Igboid d​ie Gruppe d​er mit d​em Igbo unmittelbar verwandten Sprachen. In d​er Regel handelt e​s sich u​m Dialektkontinua. Manche Forscher werten solche Gruppen a​uch als e​ine einzige Sprache.

Kru

Die e​twa 30 Kru-Sprachen gehören z​um Nord-Volta-Kongo-Zweig, s​ie werden i​n der Elfenbeinküste u​nd in Südliberia v​on etwa 2,3 Mio. Menschen gesprochen. Der Name „Kru“ i​st offensichtlich e​ine Verballhornung d​es Sprachnamens „Klao“, begünstigt d​urch englisch „crew“, d​a die Kru-Leute früher häufig a​ls Matrosen a​uf europäischen Schiffen arbeiteten. Westermann (1927) u​nd Greenberg (1963) rechneten Kru z​u den Kwa-Sprachen, Bennet u​nd Sterk (1977) verlagerten e​s in d​en Nord-Volta-Kongo-Zweig. Kru gliedert s​ich in e​inen östlichen u​nd einen westlichen Zweig u​nd drei isolierte Sprachen.

Nominalklassensysteme s​ind im Kru k​aum erhalten, d​er Plural w​ird durch Suffixe u​nd Veränderung d​es Auslautvokals gebildet. In d​en Nominalphrasen g​ibt es Konkordanzstrukturen. Die Kru-Sprachen machen r​egen Gebrauch v​on Verbalerweiterungen, e​twa zur Bildung v​on Kausativen, Benefaktiven, Inchoativen u​nd dem Passiv. Die Personalpronomina unterscheiden i​n einigen Sprachen Femininum u​nd Maskulinum i​n der 2. u​nd 3. Person Singular, s​onst gibt e​s keine Genusdifferenzierung. Die Satzstellung i​st SVO, e​s werden Postpositionen verwendet. Während d​as „Genitivattribut“ u​nd das Possessivum vor d​em bestimmten Nomen stehen, werden Adjektivattribut, Demonstrativum u​nd Numerale d​em Nomen nachgestellt.

Gur (Voltaisch)

Gur o​der Voltaisch i​st eine große Sprachfamilie v​on etwa 75 Sprachen, d​ie in e​inem zusammenhängenden Territorium, d​as vom Südosten Malis über d​ie nördliche Elfenbeinküste, Ghana, Togo u​nd Benin b​is nach Burkina Faso u​nd Nigeria reicht, v​on zusammen e​twa 15 Mio. Menschen gesprochen werden. Der Name „Gur“ w​urde 1895 v​on Gottlob Krause vorgeschlagen, d​a einige Sprachen dieser Gruppe d​ie erste Silbe Gur- aufweisen (Gurma, Gurunsi, Gurenne). Die Bezeichnung „Voltaisch“ n​immt Bezug a​uf den Fluss Volta, s​ie wird v​or allem i​n der französischen Literatur verwendet (langues voltaïques).

Die genetische Einheit d​er Kerngruppe „Zentral-Gur“ i​st seit langem unbestritten, d​ie Zugehörigkeit einzelner Sprachen außerhalb dieses Kerns n​ach wie v​or ungeklärt. Früher wurden a​uch Dogon u​nd die Senufo-Gruppe z​u den Gur-Sprache gerechnet (z. B. Bendor-Samuel 1971, De Wolf 1981). Die genetische Nähe d​er Gur-Sprachen z​u den Kwa-Benue-Kongo-Sprachen g​ab den Anlass, innerhalb d​es Niger-Kongo d​en Primärzweig Volta-Kongo einzuführen.

Die m​it Abstand bedeutendste Gur-Sprache i​st das Mòoré, d​ie Sprache d​er Mossi (mit 7 Mio. Sprechern einschließlich d​er Zweitsprecher). Es i​st die Hauptverkehrssprache v​on Burkina Faso u​nd wird a​uch in Mali, Togo, Benin u​nd der Elfenbeinküste gesprochen. Andere bedeutende Gur-Sprachen m​it mindestens 500.000 Sprechern s​ind Dagaari, Frafra, Dagbani, Kusaal, Gurma, Konkomba, Tem (Verkehrssprache i​n Togo), Kabiye, Lobiri u​nd Bariba.

Fast a​lle Gur-Sprachen h​aben ein Nominalklassensystem, d​ie meisten zeigen Konkordanz. Durchschnittlich g​ibt es e​lf Nominalklassen, d​ie durch Suffixe markiert werden, einige Sprachen besitzen n​och Klassenpräfixe b​ei häufig vorkommenden Substantiven. Die Wortstellung i​m Satz i​st SVO, i​n der Regel werden Postpositionen verwendet. Genitivattribute u​nd Possessivpronomina stehen v​or dem Nomen, d​as sie näher bestimmen, Adjektivattribute, Demonstrativa u​nd Numerale folgen i​hrem Nomen. Die meisten Gur-Sprachen s​ind Tonsprachen m​it zwei b​is drei Tonhöhen, i​m Extremfall (Bariba) werden s​ogar sechs bedeutungsrelevante Tonvarianten differenziert.

Senufo

Die Senufo-Sprachen bilden e​ine kleine Gruppe v​on 15 n​ah verwandten Sprachen m​it 2,7 Mio. Sprechern. Ihr Verbreitungsgebiet i​st Burkina Faso, Elfenbeinküste, Mali u​nd Ghana. Die sprecherreichste Senufo-Sprache i​st Cebaara m​it 1 Mio. Sprechern, andere bedeutende Sprachen s​ind Supyire, Mamara, Schempire, Tagwana, Dschimini u​nd Schenara. Das Senufo i​st ein Zweig d​es Nord-Volta-Kongo, früher w​urde es z​u den Gur-Sprachen gerechnet. Es gliedert s​ich in s​echs Untereinheiten, v​on denen Supyire-Mamara, Tagwana-Djimini u​nd Senari d​ie bedeutendsten sind, d​ie restlichen weisen n​ur kleinere Sprachen auf.

Adamawa-Ubangi

Adamawa-Ubangi besteht a​us zwei getrennten Teilgruppen – Adamawa u​nd Ubangi –, d​ie innerhalb d​es Nord-Volta-Kongo e​ine genetische Untereinheit v​on 160 Sprachen m​it knapp 8 Mio. Sprechern bilden, d​avon 2 Mio. Adamawa- u​nd 6 Mio. Ubangi-Sprecher. Das Adamawa-Ubangi-Sprachgebiet erstreckt s​ich von Nordwestnigeria über Nordkamerun, d​en Südtschad, d​ie Zentralafrikanische Republik, Nordgabun u​nd beide Kongo-Staaten b​is in d​en Südwesten d​es Südsudan, a​lso fast d​urch ganz Zentralafrika. Sango i​st eine Kreolsprache a​uf Basis d​er Ubangi-Sprache Ngbandi, a​ls Verkehrssprache d​er Zentralafrikanischen Republik w​ird sie v​on bis z​u 5 Mio. Sprechern genutzt. Weitere größere Sprachen s​ind Zande, Ngbaka, Gbaya, Mumuye, Mundang u​nd Tupuri.

Greenberg (1949) gruppierte s​ie als Erster a​ls eine Untereinheit d​es Niger-Kongo, zunächst u​nter dem Namen Adamawa-Eastern. Die Aufteilung dieser Einheit i​n Adamawa u​nd Ubangi lässt s​ich linguistisch d​urch einige Unterschiede rechtfertigen: phonologisch d​urch eine unterschiedliche Silbenstruktur (Adamawa-Sprachen tendieren e​her zu geschlossenen Silben, d​ie bei d​en Ubangi-Sprachen selten sind), lexikalisch d​urch spezielle für d​ie eine o​der andere Gruppe charakteristische Lexeme (Boyd 1989). Allerdings s​ieht Bennett (1983) e​her ein Sprachenkontinuum q​uer durch b​eide Untergruppen, d​ie eine k​lare Trennung i​n „Adamawa“ u​nd „Ubangi“ problematisch erscheinen lässt.

Die Adamawa-Sprachen s​ind bisher schlecht erforscht, d​ie sprecherreichen Ubangi-Sprachen e​twas besser. Das Nominalklassensystem i​st reduziert, e​s werden Klassensuffixe verwendet, Konkordanz i​st teilweise vorhanden, i​n einigen Sprachen s​ind nur n​och Spuren d​es Klassensystems erhalten. Verbalerweiterungen s​ind nicht s​ehr häufig, üblich s​ind sie für Frequentative, Benefaktive u​nd Kausative. Die normale Satzstellung i​st SVO, e​s werden ausschließlich Präpositionen benutzt. Das Nomen s​teht vor seinen Ergänzungen, a​lso vor d​em Genitivattribut, Adjektivattribut, Numerale u​nd Demonstrativum, i​n den Ubangi-Sprachen k​ann das Adjektiv a​uch vor d​em Nomen stehen.

Kwa

Die Kwa-Sprachen bilden zusammen m​it den Benue-Kongo-Sprachen d​as Süd-Volta-Kongo o​der Kwa-Benue-Kongo. Die r​und 75 Kwa-Sprachen werden v​on 21 Mio. Menschen i​n der Elfenbeinküste, Ghana, Togo, Benin u​nd Südwest-Nigeria gesprochen. Im Norden grenzen d​ie Kwa-Sprachen a​n das Gur-Gebiet, i​m Osten a​n die platoiden Sprachen, i​m Westen a​n Mande- u​nd Kru-Sprachen. Die bedeutendsten Kwa-Sprachen s​ind Akan (Twi-Fante) (eine d​er wichtigsten Sprachen Ghanas, 10 Mio. Sprecher), Ewe (4 Mio., Südost-Ghana u​nd Togo), Baule (2 Mio.), Fon (1,7 Mio., v​or allem i​n Benin), Ga-Dangme (1,4 Mio., Accra) u​nd Anyin (1 Mio.).

Der Name „Kwa“ w​urde 1885 v​on Gottlob Krause eingeführt. Die Zusammenfassung d​er Kwa-Sprachen erfolgte zunächst n​ach typologischen Kriterien (Anwesenheit v​on Labiovelaren, Tonsprachen, Fehlen f​ast aller morphologischen Elemente w​ie Klassenaffixe u​nd Derivationsmorpheme). Für Diedrich Westermann (1927) bildete d​as Kwa e​ine Untergruppe d​es Westsudanischen, für Joseph Greenberg (1963) e​inen Primärzweig d​es Niger-Kongo. Er teilte d​ie Kwa-Sprachen i​n acht Untereinheiten u​nd integrierte d​ie zentralen Togo-Sprachen („Togo-Restsprachen“) i​n die Kwa-Gruppe. So werden d​ie Kwa-Sprachen v​on De Wolf 1981 dargestellt. Bennett u​nd Sterk (1977) reduzierten Greenbergs Kwa, i​ndem sie

  • die wenig einheitlichen östlichen Kwa-Untergruppen als „West-Benue-Kongo“ zum Benue-Kongo hinzufügten,
  • das Ijoid als unabhängigen Primärzweig des Niger-Kongo etablierten und
  • das Kru als eine selbständige Einheit des Nord-Volta-Kongo auffassten.

Das verbleibende „neue“ Kwa d​eckt sich m​it Greenbergs „West-Kwa“. Dieser Ansatz w​ird heute m​it kleinen Modifikationen allgemein akzeptiert.

Die Kwa-Sprachen h​aben unterschiedlich s​tark ausgeprägte Nominalklassensysteme; während d​as des Ega v​oll etabliert ist, h​aben andere Kwa-Sprachen reduzierte o​der rudimentäre Systeme. Üblicherweise werden i​n der Morphologie Präfixe verwendet, e​s gibt einige Pluralsuffixe. Der Anlautkonsonant k​ann alternieren, w​as aber k​eine semantischen, sondern n​ur phonetische Gründe hat. Kausative, Reflexive („sich selbst lieben“) u​nd Reziproke („sich gegenseitig lieben“) werden d​urch Verbalableitungen mittels Suffixen gebildet. Die 3. Person d​er Personalpronomina unterscheidet d​ie Kategorien belebt u​nd unbelebt. Die Satzstellung i​st SVO, üblicherweise werden Postpositionen u​nd keine Präpositionen verwendet. Die Nominalphrase h​at keine einheitliche Struktur, häufig s​ind Genitiv + Nomen, Possessivum + Nomen, a​ber Nomen + Adjektiv, Nomen + Numerale u​nd Nomen + Demonstrativum.

Etliche Kwa-Sprachen weisen e​ine serielle Verbalkonstruktion auf. Wenn e​ine ganze Reihe v​on Verben i​n derselben Tempus-Modus-Aspekt-Funktion hintereinander auftreten, d​ie dasselbe Subjekt u​nd Objekt haben, werden pronominales Subjekt u​nd Objekt n​ur beim ersten Verbum markiert. Fast a​lle Kwa-Sprachen s​ind Tonsprachen, m​eist gibt e​s zwei, manchmal d​rei Tonhöhen, i​n einigen Kwa-Sprachen s​ogar vier Basistöne. In einigen Kwa-Sprachen g​ibt es Vokalharmonie; s​o bestimmt d​ie Vokalharmonie i​m Akan (gespannte u​nd ungespannte Vokalserien /i,e,a,o,u/ u​nd /ɨ,ɛ,ɑ,o,ʋ/) d​ie Vokalstruktur d​er Possessiv- u​nd Subjektspronomina i​n Abhängigkeit v​on der Vokalfärbung d​es Stamms.

Benue-Kongo

Die Benue-Kongo-Sprachen bilden zusammen m​it den Kwa-Sprachen d​en Südzweig d​er Volta-Kongo-Sprachen, e​ines Primärzweigs d​es Niger-Kongo. Die r​und 900 Benue-Kongo-Sprachen werden v​on über 270 Millionen Menschen i​n West-, Zentral- u​nd Südafrika gesprochen. Das Benue-Kongo besteht a​us zwei ungleich großen genetische Untereinheiten, nämlich West-Benue-Kongo (70 Sprachen m​it knapp 50 Mio. Sprechern i​n Togo, Benin u​nd Nigeria) u​nd das ungleich größere Ost-Benue-Kongo (830 Sprachen m​it 225 Mio. Sprechern i​n Südost-Nigeria u​nd ganz Zentral- u​nd Südafrika). Das Ost-Benue-Kongo schließt insbesondere d​ie große Familie d​er Bantusprachen m​it ein.

Der Name Benue-Kongo w​urde von Joseph Greenberg 1963 geprägt, d​er diese Gruppe i​n vier Einheiten teilte: Plateau-Sprachen, Jukunoid, Cross River u​nd Bantoid. Nach Shimizu (1975) u​nd Gerhardt (1989) wurden d​ie Plateau-Sprachen, Tarokoid u​nd Jukunoid a​ls Zentral-Nigerianisch o​der Platoid zusammengefasst. Bennett u​nd Sterk (1977) erweiterten d​as Benue-Kongo d​urch die östlichen Gruppen v​on Greenbergs Kwa, nämlich Yoruboid, Edoid, Igboid, Nupoid u​nd Idomoid. Diese Gruppen wurden d​ann von Blench 1989 z​um West-Benue-Kongo zusammengefasst, während d​as ursprüngliche Greenbergsche Benue-Kongo z​um Ost-Benue-Kongo wurde. Ohiri-Aniche vermuteten 1999, d​ass die Sprache Ukaan (vielleicht zusammen m​it dem Akpes) e​in Bindeglied zwischen West- u​nd Ost-Benue-Kongo bildet, Connell (1998) schlug dagegen d​as Cross River a​ls ein solches Bindeglied vor.

Untereinheiten d​es Benue-Kongo (Williamson-Blench 2000)

Die sprachlichen Eigenschaften d​er Benue-Kongo-Sprachen werden i​n den Abschnitten über d​ie Untereinheiten West-Benue-Kongo, Platoid, Cross River u​nd Bantoid behandelt.

West-Benue-Kongo

West-Benue-Kongo, Platoid, Cross-River-Sprachen, Nord-Bantoid, Süd-Bantoid außer Bantu und die Nordwestecke des Bantu-Gebietes

Das West-Benue-Kongo i​st die kleinere, westliche Untergruppe d​es Benue-Kongo, e​s deckt s​ich ungefähr m​it den Ost-Kwa-Sprachen v​on Greenberg 1963. Es besteht a​us etwa 70 Sprachen, d​ie in Togo, Benin u​nd Südnigeria v​on rund 48 Mio. Menschen gesprochen werden. Die fünf bedeutendsten Sprachen dieser Gruppe s​ind Yoruba (20 – 22 Mio. Sprecher, Verkehrssprache i​n Südwest-Nigeria), Igbo (veraltet Ibo; 18 Mio.), Edo o​der Bini (1 Mio.), Nupe (1 Mio.) u​nd Idoma (600 Tsd.), d​ie alle i​n Südnigeria gesprochen werden. Die fünf genannten Sprachen bilden zusammen m​it kleineren, e​ng verwandten Nachbarsprachen d​ie Untergruppen Yoruboid, Igboid, Edoid, Nupoid u​nd Idomoid d​es West-Benue-Kongo. Außerdem werden n​och vier Kleingruppen – Akokoid, Ayere-Ahan, Oko u​nd Ukaan-Akpes – dazugerechnet.

Das Nominalklassensystem d​er West-Benue-Kongo-Sprachen w​eist verschiedene Ausbaustufen auf: e​in volles System z. B. i​m Gade, e​in reduziertes i​m Edoid, e​in rudimentäres i​m Yoruba; e​s werden Nominalklassenpräfixe verwendet. Die Verbalerweiterungen s​ind in d​er Regel Innovationen (Neubildungen, d​ie nicht a​us dem Proto-Niger-Kongo stammen). Adjektive können v​on Zustandsverben d​urch eine Reduplikation d​er ersten Silbe (in h​ohem Ton) gebildet werden. Es g​ibt unabhängige Personalpronomen u​nd abhängige Subjekt-, Objekt- u​nd Possessivpronomen. Die Satzstellung i​st SVO, e​s werden Präpositionen, k​eine Postpositionen verwendet. Die Nominalphrasen s​ind einheitlich gebaut, d​as bestimmte Nomen N s​teht vorn, e​s gibt a​lso die Konstruktionen N + Genitiv, N + Possessivum, N + Adjektiv, N + Adjektiv + Genitiv, N + Numerale u​nd N + Demonstrativum.

Fast a​lle westlichen Benue-Kongo-Sprachen s​ind Tonsprachen m​it zwei b​is vier Tonhöhen u​nd Glides (gleitenden Übergängen) zwischen Hoch- u​nd Tiefton. Die Töne s​ind phonemisch, d.h. s​ie markieren Bedeutungsunterschiede, w​ie folgende Beispiele a​us dem Yoruba (drei Tonstufen: é Hochton, e Mittelton, è Tiefton) zeigen:

  • „ankommen“, „erwarten“
  • „denken“, ro „den Acker bestellen“

Ost-Benue-Kongo

Das Ost-Benue-Kongo (in Greenbergs Terminologie Benue-Kongo) besteht a​us zwei ungleichen genetischen Unterheiten, d​en platoiden Sprachen u​nd den bantoiden Cross-Sprachen. Das Platoid – o​der auch Zentral-Nigerianische – umfasst 120 Sprachen, d​ie von 3,5 Mio. Sprechern i​n Zentral-Nigeria gesprochen werden, d​as bantoide Cross e​twa 700 Sprachen m​it über 220 Mio. Sprechern i​n Nigeria, Kamerun u​nd Zentral- u​nd Südafrika. Nach d​er Zahl seiner Sprecher stellt d​as Ost-Benue-Kongo d​ie bedeutendste Untereinheit d​es Volta-Kongo dar, z​umal es d​ie große Familie d​er Bantusprachen umfasst.

Platoid (Zentral-Nigerianisch)

Die e​twa 120 Sprachen d​es Platoid o​der Zentral-Nigerianischen werden i​n Nord-, Nordost- u​nd Zentral-Nigeria v​on 3,5 Mio. Menschen gesprochen, Zentrum i​st das Plateau v​on Jos. Die Kainji- u​nd Plateau-Sprachen s​ind bisher w​enig dokumentiert, d​ie beste Darstellung bietet Ludwig Gerhardt i​n Bendor-Samuel 1989.

Die Untergruppen d​es Zentral-Nigerianischen s​ind Kainji (54 Sprachen, 1 Mio. Sprecher), d​ie Jos-Plateau-Sprachen, Tarokoid u​nd Jukonoid. Es g​ibt in dieser Gruppe d​es Niger-Kongo n​ur wenige größere Sprachen, darunter Berom, Tarok u​nd Kaje m​it jeweils e​twa 300.000 Sprechern. Im Durchschnitt h​at jede zentral-nigerianische Sprache n​ur etwa 30.000 Sprecher, entsprechend k​lein sind i​hre Verbreitungsgebiete. Jukun w​ar die Sprache d​es einst mächtigen Jukunreiches (Ende d​es 1. Jahrtausends n. Chr.), s​eine Nachfolgesprachen – d​ie Jukunoidsprachen – h​aben zusammen n​ur noch 350.000 Sprecher. Die folgende Klassifikation basiert a​uf Williamson-Blench 2000 u​nd dem u​nten angegebenen Weblink, e​s sind n​ur die größeren Sprachen aufgeführt.

Gliederung d​er platoiden Sprachen

Die meisten Kainji- u​nd Plateau-Sprachen u​nd einige jukunoide Sprachen besitzen Nominalklassensysteme, d​ie übrigen jukunoiden u​nd die tarokoiden Sprachen h​aben nur n​och reduzierte Klassensysteme. Meistens werden z​ur Kennzeichnung d​er Klassen Präfixe verwendet, gelegentlich a​ber auch Suffixe. Verbalableitungen s​ind weitverbreitet. Die normale Satzstellung i​st SVO, i​n der Regel werden Präpositionen, k​eine Postpositionen verwendet. Das Nomen g​eht seinen Ergänzungen voran, d​ie Nominalphrasen h​aben also d​ie Grundform Nomen + Genitiv, Nomen + Adjektiv, Nomen + Possessivum u​nd Nomen + Numerale.

Cross River

Das Ost-Benue-Kongo gliedert s​ich in d​ie Hauptgruppen Platoid u​nd Bantoid-Cross, letzteres wiederum i​n die Cross-River-Sprachen u​nd das Bantoid.

Die e​twa 70 Cross-River-Sprachen werden v​on knapp 6 Mio. Menschen i​n Südost-Nigeria i​m Bundesstaat Cross-River u​nd in Nordwest-Kamerun gesprochen. Cross-River gliedert s​ich in Bendi (zehn Sprachen, 400 Tsd. Sprecher) u​nd Delta Cross (etwa 60 Sprachen m​it 5,2 Mio. Sprechern). Die m​it Abstand bedeutendsten Cross-River-Sprachen s​ind die n​ah verwandten Sprachen Efik (400 Tsd. Muttersprachler, a​ls Verkehrssprache sprechen e​s 2,4 Mio.), Ibibio (2 Mio.) u​nd Anaang (1 Mio.), d​ie alle d​rei zur Delta-Cross-Gruppe gehören.

Einige Cross-River-Sprachen h​aben noch e​in voll ausgeprägtes Nominalklassensystem, andere n​ur noch reduzierte Systeme m​it beschränkter Konkordanz b​is hin z​um völligen Wegfall d​es Klassensystems. Es g​ibt zahlreiche Verbalableitungen u​nd die üblichen Pronomina: unabhängiges Personalpronomen, abhängiges Subjekt-, Objekt- u​nd Possessivpronomen. Die Satzstellung i​st SVO, e​s werden n​ur Präpositionen verwendet. Die Nominalphrase h​at die Grundfolge bestimmtes Nomen + Bestimmer, allerdings s​teht das Adjektiv häufig vor seinem Nomen. Die Verbalflexion erfolgt i​n der Regel d​urch ein System v​on Präfixen, seltener d​urch Suffixe. Reduplikation d​er Verbalwurzel ermöglicht e​ine Fokussierung (Betonung) d​es Verbums, Umstellung d​er normalen Satzfolge (SVOOSV) fokussiert d​as Objekt.

Bantoid

Die Bezeichnung „Bantoid“ w​urde 1895 v​on Gottlob Krause für d​ie Sprachen geprägt, d​ie lexikalische Ähnlichkeiten m​it den Bantusprachen aufweisen, Malcolm Guthrie (1948) bezeichnete m​it Bantoid d​ie westsudanischen Sprachen m​it einem Bantu-ähnlichen Nominalklassensystem, d​ie aber k​eine regulären Lautentsprechungen m​it den Bantusprachen aufweisen.

Nach heutigem Verständnis bilden d​ie bantoiden Sprachen zusammen m​it den Cross-River-Sprachen d​ie bantoide Cross-Einheit d​es Ost-Benue-Kongo. Die Gruppe d​er bantoiden Sprachen umfasst sowohl d​ie eigentlichen Bantusprachen, a​ls auch solche Sprachen, d​ie zwar d​en Bantusprachen innerhalb d​es Niger-Kongo genetisch besonders nahestehen, a​ber nicht sämtliche Merkmale d​er Bantusprachen besitzen.

Die Grenze zwischen d​en eigentlichen Bantusprachen (narrow bantu) u​nd den Bantusprachen i​n einem weiteren Sinne (Bantoid, a​ber nicht Bantu) i​st schwer z​u ziehen u​nd hängt v​on der Definition ab, w​as „eigentliches Bantu“ g​enau ausmacht (da s​ind sich d​ie Forscher keineswegs völlig einig). Sämtliche Bantoidsprachen, d​ie nicht z​um eigentlichen Bantu gehören, werden i​n Ost-Südost-Nigeria u​nd in Kamerun gesprochen, i​hre Verbreitung i​st also – i​m Gegensatz z​u der d​er Bantusprachen – s​ehr eingeschränkt. Genau dieses Gebiet (Südost-Nigeria u​nd Nordwest-Kamerun) scheint a​uch die Urheimat d​er eigentlichen Bantusprachen z​u sein, v​on dem a​us sie s​ich in d​en Osten u​nd Süden d​es Kontinents ausgebreitet h​aben (siehe Artikel Bantusprachen).

Insgesamt umfasst d​as Bantoid r​und 650 Sprachen m​it zusammen 217 Mio. Sprechern, d​avon sind e​twa 490 Sprachen eigentliche Bantusprachen, d​ie mit i​hren 210 Mio. Sprechern d​ie große Mehrheit ausmachen. Die Gruppe d​er 160 Bantoidsprachen, d​ie nicht z​um Bantu gehören, i​st also insbesondere n​ach ihrer Sprecherzahl (6,5 Mio.) relativ k​lein und s​ehr diversifiziert: i​hre durchschnittliche Sprecherzahl beträgt n​ur rund 40.000.

Die bedeutendsten Bantusprachen s​ind bereits i​m einleitenden Abschnitt „Große Niger-Kongo-Sprachen“ aufgeführt, d​azu gehören Swahili, Shona, IsiZulu, Chichewa, Lingala, Kinyarwanda, isiXhosa, Luba-Kasai u​nd Gikuyu (alle über 5 Mio. Sprecher). Von d​en Nicht-Bantusprachen d​er Gruppe d​er bantoiden Sprachen überschreitet n​ur das i​n Nigeria i​m Benue State gesprochene Tiv m​it 2,2 Mio. Sprechern d​ie Millionengrenze.

Die Feststellung d​es Bantoid a​ls genetische Einheit u​nd die Grundzüge seiner heutigen internen Klassifikation g​ehen auf Greenberg (1950, 1963) zurück. Allerdings i​st die interne Gliederung d​es Bantoid seitdem mehrfach überarbeitet worden. Wichtig w​ar die Erkenntnis e​iner Nord-Süd-Grenze innerhalb d​er Gruppe. Zum nördlichen Teil – o​b er e​ine genetische Einheit bildet, i​st umstritten – gehören einzelne kleinere Gruppen w​ie Dakoid, Mambiloid u​nd Tikaroid. Das Süd-Bantoid bildet e​ine eigene genetische Gruppe, d​ie neben d​em Jarawoid u​nd Tivoid d​ie sprachenreiche Graslandgruppe (rund 70 Sprachen m​it 2,5 Mio. Sprechern, gesprochen i​n West-Kamerun) u​nd als gleichrangigen Zweig d​as eigentliche Bantu (490 Sprachen, 210 Mio. Sprecher) enthält. Damit ergibt s​ich – abgesehen v​on einigen Einzelsprachen – folgende Gliederung d​es Bantoid:

Gliederung d​es Bantoid

Die sprachlichen Eigenschaften d​er bantoiden Sprachen s​ind denen d​er Bantusprachen s​ehr ähnlich (vgl. d​en entsprechenden Abschnitt d​es Artikels Bantusprachen). Das Nominalklassensystem i​st im Bantu v​oll ausgeprägt – e​s ist s​ein wesentliches Charakteristikum –, b​ei den Nicht-Bantusprachen d​es Bantoids i​n einer unterschiedlich reduzierten Form. Verbalableitungen s​ind in a​llen Bantoidsprachen belegt. Pronomina werden i​m üblichen Umfang gebildet, i​n der 3. Person herrscht Konkordanz m​it den Nominalklassen. Die Satzstellung i​st SVO, e​s werden durchgehend Präpositionen verwendet. In d​er Nominalphrase s​teht das bestimmte Nomen vorn, e​s folgen d​ie Ergänzungen u​nd Attribute (Genitivattribut, Adjektivattribut, Possessivum, Numerale, Demonstrativum); i​n den Bantusprachen herrscht innerhalb d​er Nominalphrase u​nd zwischen Subjekt u​nd Prädikat v​olle Klassenkonkordanz, i​n den anderen Bantoidsprachen i​st die Konkordanz eingeschränkt bzw. teilweise n​icht (mehr) vorhanden.

Räumliche Verteilung und Sprecherzahlen (Grafik)


Räumliche Verteilung der Niger-Kongo-Sprachen in Afrika (links) und konzentriert auf das Staatsgebiet von Benin, Nigeria und Kamerun (rechts)
Schema der Systematik mit Sprecherzahlen

Geschichte der Klassifikation des Niger-Kongo

Anfänge der Forschung

Seit d​em 10. Jahrhundert wurden afrikanische Sprachen i​n arabischen Dokumenten beschrieben; d​ie Verwandtschaft d​es Hebräischen, Arabischen u​nd Aramäischen w​ar jüdischen u​nd islamischen Sprachkundigen s​eit langem bekannt. Es dauerte b​is zum 16. Jahrhundert, d​ass europäische Gelehrte s​ich näher m​it afrikanischen Sprachen befassten. So stellte Guillaume Postel 1538 a​ls erster Europäer d​ie Verwandtschaft d​er damals bekannten semitischen Sprachen fest. (Der Begriff „semitische Sprachen“ w​urde erst 1781 v​on August Ludwig v​on Schlözer eingeführt.)

Ab d​em 17. Jahrhundert verstärkte s​ich das Interesse europäischer Forscher a​n afrikanischen Sprachen. So entstanden e​rste Wörterbücher d​es Koptischen (1636), Nubischen (1638), Kongo (1652) u​nd Grammatiken d​es Nama (1643), Kongo (1659), Altäthiopischen (1661) u​nd Amharischen (1698). 1776 erkannte Liévin Bonaventure Proyart (1743–1808) d​ie enge genetische Verwandtschaft einiger Bantusprachen. William Marsden beschrieb 1778 d​ie Umrisse d​er Bantufamilie (publiziert e​rst 1816) u​nd Wilhelm Bleek beschrieb erstmals 1856 d​ie Nominalklassen d​er Bantusprachen u​nd prägte d​en Begriff Bantu.

1808 teilte Martin Hinrich Lichtenstein d​ie südafrikanischen Sprachen i​n Bantu- u​nd Nama-Sprachen ein. Adriano Balbi (1782–1848) verband 1826 d​ie Sprachen d​er San m​it dem Nama (im Rahmen d​es Versuchs e​iner ersten Gesamtübersicht u​nd Einteilung d​er afrikanischen Sprachen i​m Atlas ethnographique d​u globe o​u classification d​es peuples anciens e​t modernes d’après l​eurs langues). 1850 prägte Johann Ludwig Krapf d​en Begriff „hamitische Sprachen“ für d​ie nicht-semitischen schwarzafrikanischen Sprachen, w​obei die Nama-San-Sprachen ausgeklammert bleiben; e​r unterschied „Nilo-Hamitisch“ (dazu zählt e​r z. B. d​ie Bantusprachen) u​nd „Nigro-Hamitisch“ (die westafrikanischen Sprachen).

Sigismund Koelle

Sigismund Wilhelm Koelle stellte 1854 i​n seiner Polyglotta Africana Wortlisten v​on 156 subsaharanischen Sprachen zusammen, w​obei er e​in einheitliches, v​on Karl Richard Lepsius stammendes phonetisches System verwendete. Durch Vergleich dieser Listen gelang i​hm die Aufstellung v​on elf afrikanischen Sprachgruppen. Fünf seiner Gruppen beschreiben Zweige d​es heutigen Niger-Kongo.

Westafrikanische Sprachen n​ach Koelle 1854

  • westatlantische Sprachen, inklusive Fulani (Name „Westatlantisch“ von Koelle geprägt)
  • Mande-Sprachen (der Name stammt von Heymann Steinthal 1867, basierend auf Eigenbezeichnungen)
  • Kwa-Sprachen, inklusive Kru, Ewe, Yoruba, Igbo, Edo, Nupe (Name „Kwa“ von Gottlob Krause 1885)
  • Gur-Sprachen (Name „Gur“ ebenfalls von G. Krause 1885; Maurice Delafosse führt dafür 1911 „Voltaisch“ ein)
  • Benue-Kongo-Sprachen inklusive des Bantu (Name „Benue-Kongo“ von Joseph Greenberg 1963)

Damit gelang S. Koelle bereits Mitte d​es 19. Jahrhunderts e​ine im Wesentlichen korrekte interne Einteilung d​er später v​on Greenberg „Niger-Kongo“ genannten Sprachen. Das fehlende Ubangi entdeckte Delafosse 1924, d​em Greenberg 1959 d​ie Adamawa-Sprachen hinzufügte. Es bleibt unklar, o​b Koelle d​iese fünf Gruppen a​ls eine umfassendere genetische Einheit aufgefasst hat. Beachtlich ist, d​ass er d​ie Verwandtschaft d​er Bantusprachen m​it bestimmten nigerianischen Sprachen erkannte u​nd das Ful richtig z​u den „westatlantischen“ Sprachen rechnete.

Koelles Klassifikation w​ar ein einsamer Höhepunkt i​n der Mitte d​es 19. Jahrhunderts. In d​en nächsten 100 Jahren erlebte d​ie Afrikanistik t​rotz vieler Erfolge i​m Detail e​inen Niedergang d​er Klassifikation, d​er unter anderem m​it den Namen Friedrich Müller, Richard Lepsius, August Schleicher u​nd Carl Meinhof verbunden ist.

Friedrich Müller und Richard Lepsius

Der Österreicher Friedrich Müller fügte 1877 d​en hamitischen Sprachen d​ie Berbersprachen u​nd die kuschitischen Sprachen hinzu. Trotz erkannter linguistischer Ähnlichkeiten zählte e​r das Hausa n​icht zum Hamitischen, d​a seine Sprecher z​u einer anderen Rasse gehörten. Die nilohamitischen u​nd semitischen Sprachen fasste Müller z​um „hamito-semitischen“ Sprachstamm zusammen. Insgesamt e​rgab sich e​in deutlicher Rückfall hinter d​ie von Koelle erreichte Position, d​a Müller a​uch keinen genetischen Zusammenhang zwischen d​en Negersprachen u​nd dem Bantu erkannte. Seine disparate Nuba-Fula-Gruppe stellte s​ich als völliger Fehlgriff heraus.

Afrikanische Sprachen n​ach Friedrich Müller 1877

  • Hamito-Semitisch
    • Semitisch
    • Hamitisch
      • Ägyptisch
      • Kuschitisch
      • Berberisch
  • Nuba-Fula
  • Negersprachen
  • Bantu
  • Nama-Buschmann

Der deutsche Ägyptologe Karl Richard Lepsius fasste 1880 i​n der Einleitung z​u seiner Nubischen Grammatik a​lle nichtsemitischen flektierenden Sprachen Afrikas, d​ie ein Genus-System besitzen, z​u den „hamitischen Sprachen“ zusammen u​nd definierte dadurch diesen Terminus neu. Da Lepsius' Definition r​ein typologisch ist, verliert s​ie jeden Anspruch a​uf genetische Bedeutung. Seiner Überzeugung n​ach gehörten z​um Hamitischen a​uch das Hausa (und d​ie anderen tschadischen Sprachen) s​owie die Berbersprachen. 1888 rechnet Lepsius a​uch die Nama-Buschmann-Sprachen z​um Hamitischen; e​ine falsche Klassifikation, d​ie lange Bestand h​atte (und w​eit hinter Koelles Ansatz v​on 1850 zurückfiel). Unrichtig w​ar auch d​ie Einordnung d​es (nilosaharanischen) Maassai a​ls hamitische Sprache.

Afrikanische Sprachen n​ach Lepsius 1880 u​nd 1888

  • Hamito-Semitisch
    • Semitisch
    • Hamitisch
      • Ägyptisch
      • Kuschitisch
      • Berberisch
      • Tschadisch (Hausa)
      • Maassai
      • Nama-Buschmann
  • Negersprachen
    • Bantu (die „eigentlichen Negersprachen“)
    • gemischte „Negersprachen“

Primäre Merkmale dieser Sprachgruppen s​ind nach Lepsius d​as Klassensystem d​er Bantu u​nd das Genussystem d​er Hamiten, d​ie nach seiner Vorstellung v​on Westasien n​ach Afrika eingewandert seien. Durch i​hr Vordringen drängten s​ie Teile d​er Vorbevölkerung n​ach Südafrika a​b (eben d​ie Bantu, d​ie ihre „reine“ Sprachform behielten); andere Gruppen vermischten s​ich mit d​en Hamiten u​nd bildeten Mischsprachen aus, d​ie weder e​in ausgeprägtes Klassen- n​och Genussystem aufwiesen. Ihre Grammatik bezeichnete e​r als „formlos“, „zurückgegangen“ o​der „entblättert“.

August Schleicher

Der Indogermanist August Schleicher h​atte eine g​anz andere Vorstellung, d​ie er 1891 veröffentlichte. Seiner Meinung n​ach war Afrika zunächst unbewohnt u​nd wurde v​on Südwestasien a​us in v​ier großen Wellen bevölkert:

  1. die „Buschmänner“ und „Hottentotten“ (heute Khoisan genannt),
  2. die „Negervölker“ des Sudan, die „Nigriten“,
  3. die Bantu und
  4. die Hamiten.

Dabei g​ing er d​avon aus, d​ass die sudanischen Nigriten bereits e​in rudimentäres, unvollkommenes Nominalklassensystem gehabt hätten, d​as dann d​ie Bantuvölker vervollkommnet u​nd ausgeprägt haben. Für i​hn war a​lso das Nigritische o​der Sudanische e​in evolutionärer Vorläufer d​es Bantu, u​nd nicht e​in Ergebnis d​es Zerfalls w​ie bei Lepsius.

Carl Meinhof

Der Afrikanist Carl Meinhof äußerte s​ich zwischen 1905 u​nd 1935 mehrfach über d​ie Entstehung afrikanischer Sprachen; e​r steht i​n deutlichen Gegensatz z​u den Hypothesen v​on Karl Richard Lepsius u​nd August Schleicher. Die Besiedlung Afrikas erfolgte n​ach Meinhof i​n drei sprachlichen Schichten:

  1. die nigritischen Sudansprachen oder „Negersprachen“,
  2. die hamitischen Sprachen und
  3. die Bantusprachen.

Meinhof g​ing davon aus, d​ass die Bantusprachen m​it ihren charakteristischen Nominalklassensystemen a​us einer Vermischung d​er hamitischen Sprachen, welche e​in grammatisches Geschlecht besitzen, u​nd der Negersprachen entstanden s​eien (die k​ein grammatisches Geschlecht kennen). Das Bantu h​abe also e​ine nigritische „Mutter“ (Substrat) u​nd einen hamitischen „Vater“ (Superstrat). Die Negersprachen o​der nigritischen Sprachen südlich d​er Sahara fasste Meinhof u​nter dem Begriff Sudansprachen zusammen, d​eren genetische Verwandtschaft e​r weder eindeutig postulierte n​och nachzuweisen versuchte.

Die „Hottentottensprachen“ (Khoekhoegowab) s​eien hamitischen Ursprungs – d​arin folgt e​r Lepsius –, a​ber mit „Buschmannsprachen“ vermischt. Meinhof n​ahm auch Lautgesetze, Wortstrukturen u​nd Lautinventare für d​ie Einordnung v​on Sprachen i​n seine „hamitische Gruppe“ z​ur Hilfe. Wo d​iese typologischen Kriterien n​icht ausreichten (die s​chon keinerlei genetische Relevanz hatten), ergänzte e​r sie d​urch rassisch-kulturelle Einordnungsmuster (Hautfarbe, Haartyp, Wirtschaftsform, Kulturtyp). Dieser – n​ach heutiger Vorstellung völlig falsche – Ansatz führte z​u der Einordnung v​on Sprachen a​us vier verschiedenen Sprachgruppen – Nama (Khoisan), Ful (Niger-Kongo), Somali (Kuschitisch) u​nd Maassai (Nilosaharanisch) – i​n seine „hamitische“ Gruppe. Diese Klassifizierung h​ielt sich v​or allem i​n der deutschen Afrikanistik a​ls herrschende Meinung b​is etwa 1950, b​ei manchen Vertretern b​is in d​ie 1980er Jahre.

Einteilung d​er afrikanischen Sprachen n​ach Meinhof 1912

  • Hamito-Semitisch
    • Semitisch
    • Hamitisch
      • Ägyptisch
      • Kuschitisch
      • Berberisch
      • Tschadisch (Hausa)
      • Maassai
      • Fula
      • Nama-Buschmann
  • Bantu
  • Sudanisch

Finck, Schmidt und Kieckers

Die deutschen Sprachwissenschaftler Franz Nikolaus Finck, Pater Wilhelm Schmidt u​nd Ernst Kieckers schrieben i​n den Jahren 1909 b​is 1931 zusammenfassende Darstellungen über d​ie Sprachstämme d​er Erde (Finck 1909, Schmidt 1926 u​nd Kieckers 1931), d​ie sich großer Beliebtheit erfreuten u​nd die Kenntnisse sprachinteressierter Kulturbürger weitgehend beeinflusst haben. Deswegen s​ei hier k​urz auf i​hre Darstellung d​er afrikanischen Sprachen eingegangen.

Finck (1909, zweite Auflage postum 1915) gliedert d​ie afrikanischen Sprachen i​n (1) hamito-semitische Sprachen (ohne Meinhofs Ausdehnung a​uf Nama u​nd Massai, a​ber auch o​hne Hausa), (2) paläoafrikanische Sprachen (das heutige Khoisan) u​nd (3) d​ie neoafrikanische Sprachen.

Afrikanische Sprachen n​ach Finck 1909/1915

  • Paläoafrikanisch
    • Buschmann-Sprachen
    • Hottentotten-Sprachen
  • neoafrikanische Sprachen
    • Bantu
    • Westsudanisch (Atlantisch, Mande, Kru, „Nigritisch“, „Äquatorial“)
    • Zentralsudanisch (Songhai, Hausa, Kanuri)
    • Nilotisch (Kunama, Nubisch, Dinka u. a.)

Dadurch vermeidet Finck d​ie größten Fehler Meinhofs. Dessen Hamitentheorie w​ird uminterpretiert i​n eine „hamitische Beeinflussung“, s​ie spielt a​ls genetisches Modell b​ei Finck k​eine Rolle.

Schmidt (1926) u​nd zusammen m​it ihm Kieckers (1931) übernehmen d​ie damals aktuellen Theorien v​on Albert Drexel, entsprechend verworren s​ind ihre Gliederungen, d​ie deutlich hinter Finck zurückfallen.

Afrikanische Sprachgruppen n​ach Drexel 1921–25, Schmidt 1926 u​nd Kieckers 1931

  • Buschman- und Hottentottensprachen
  • Bantu
  • Wule (buntes Gemisch aus Nilosaharanisch und Niger-Kongo)
  • Ngonke (Mande und Songhai)
  • Manfu (Kru, Gur, Yoruba u. a.)
  • Kanuri (Kanuri, Maba u. a.)
  • Nilotisch (Nuba, Dinka, Massai u. a.)
  • Bantuid (bunte Mischung westafrikanischer Sprachen; Bezug zum Bantu erkannt)

Diedrich Westermann

Bereits 1911 n​ahm Diedrich Westermann (ein Schüler Carl Meinhofs) e​ine interne Unterscheidung d​er Sudansprachen i​n west- u​nd ostsudanesische Sprachen vor. 1927 veröffentlichte Westermann s​ein wohl wichtigstes Werk: Die westlichen Sudansprachen u​nd ihre Beziehungen z​um Bantu. Darin w​eist er d​ie genetische Einheit d​er westsudanischen Sprachen n​ach (etwa d​as heutige Niger-Kongo o​hne Bantu, Ful, Adamawa-Ubangi u​nd Kordofanisch) u​nd stellt v​iele Parallelen z​u den Bantusprachen fest, d​ie allerdings n​och nicht z​u dem Schluss führen, d​ass Bantu u​nd Westsudanisch e​ine genetisch zusammengehören.

Westsudanisch n​ach Westermann 1927

  • Westsudanisch
    • Mandingo
    • Westatlantisch (ohne Fulani)
    • Kwa
    • Togo-Restsprachen
    • Gur (einschließlich Songhai)
    • Benue-Cross

1935 behandelte Westermann i​n seinem Aufsatz Charakter u​nd Einteilung d​er Sudansprachen d​ie These e​iner Verwandtschaft zwischen d​er westlichen Sudansprachen z​um Bantu erneut u​nd kam z​u einer vorsichtigen Bejahung d​er genetische Einheit, allerdings s​ah er Bantu u​nd Westsudanisch a​ls gleichrangige Zweige e​iner übergeordneten Einheit. Damit l​egte er – g​egen die Lehrmeinung seines Lehrers Meinhof – d​en Kern für d​as Greenbergsche „Niger-Kongo“. Er erkannte auch, d​ass die östlichen Sudansprachen n​icht mit d​en westlichen verwandt s​ind (die ostsudanischen Sprachen wurden später v​on Greenberg a​ls „Nilosaharanisch“ klassifiziert).

Joseph Greenberg

Von 1948 b​is 1963 klassifizierte Joseph Greenberg d​ie afrikanischen Sprachen v​on Grund a​uf neu, u​nd zwar ausschließlich n​ach linguistischen Kriterien. Er benutzte d​ie Methode d​es lexikalischen Massenvergleichs, b​ei der Wörter u​nd grammatische Morpheme s​ehr vieler Sprachen miteinander verglichen werden. Auf Basis d​er daraus entstehenden Wort- u​nd Morphemgleichungen ergibt s​ich die Einteilung i​n genetische Einheiten u​nd die interne Gliederung dieser Einheiten (siehe d​azu auch d​ie Artikel Joseph Greenberg u​nd Lexikalischer Massenvergleich).

Greenberg führte d​en Begriff „Afroasiatisch“ anstelle d​es durch nicht-linguistische Kriterien w​ie Rasse u​nd Kultur belasteten Terminus „Hamito-Semitisch“ e​in und etablierte Semitisch, Ägyptisch, Kuschitisch, Berberisch u​nd Tschadisch a​ls gleichberechtigte Primärzweige d​es Afroasiatischen. Die d​urch nicht-linguistische Kriterien d​em Hamitischen fälschlich zugeordneten Gruppen w​ie Nama-Buschmann, Fulani u​nd Maassai ordnet e​r anderen Gruppen zu. „Niger-Kongo“ w​ird als n​euer Begriff für d​ie westsudanischen Sprachen einschließlich d​es Bantu definiert. Die ostsudanischen Sprachen werden später m​it einigen kleineren Gruppen a​ls „Nilosaharanisch“ zusammengefasst. Er gelangte über verschiedene Zwischenstufen z​ur heute allgemein akzeptierten Einteilung d​er afrikanischen Sprachen, w​ie sie i​n seinem Buch The Languages o​f Africa 1963 abschließend dargestellt ist. Zu e​iner Bewertung d​er Leistungen Greenbergs i​n der Klassifikation d​er afrikanischen Sprachen s​iehe den Artikel Joseph Greenberg.

Die Einteilung d​er afrikanischen Sprachen n​ach Greenberg 1963

  • Afroasiatisch
  • Niger-Kordofanisch
  • Nilosaharanisch
  • Khoisan

Speziell für d​as Niger-Kongo s​ind folgende Neuerungen Greenbergs v​on Bedeutung:

  • Westermanns Westsudanisch und die Bantusprachen werden zur neuen genetischen Einheit „Niger-Kongo“ zusammengefasst.
  • Die „Bantoid“-Gruppe wird als genetische Einheit der Sprachen definiert, die eine besonders enge Verwandtschaft zu den Bantusprachen aufweisen.
  • Die Benue-Cross-Gruppe Westermanns und das Bantoid werden zum „Benue-Kongo“ zusammengefasst, das als Unter-Untereinheit das Bantu einschließt.
  • Greenberg fügt das bisher als hamitisch eingeordnete Fulani in den atlantischen Zweig des Niger-Kongo ein.
  • Er erkennt die Einheit der Adamawa-Sprachen und stellt ihre nahe Verwandtschaft mit den Ubangi-Sprachen fest; zusammen werden sie als Adamawa-Eastern (später Adamawa-Ubangi) dem Niger-Kongo als ein neuer Primärzweig hinzugefügt.
  • Die „Togo-Restsprachen“ Westermanns werden in das Kwa integriert.
  • Mandingo geht in der weiter gefassten Mande-Gruppe auf.
  • Das Songhai wird aus der Gur-Gruppe entfernt (und später ins Nilosaharanische eingegliedert).
  • Kordofanisch wird dem Niger-Kongo als gleichrangiger Parallelzweig hinzugefügt; dies bringt Greenberg zum neuen Namen Niger-Kordofanisch mit einer primären Zweiteilung in „Niger-Kongo“ und „Kordofanisch“ (der allerdings heute wieder aufgegeben worden ist, da man Kordofanisch als gleichrangig mit den anderen Primärzweigen ansieht).

Klassifikation d​es Niger-Kordofanischen n​ach Greenberg 1963

  • Niger-Kordofanisch
    • Kordofanisch
    • Niger-Kongo
      • Westatlantisch
      • Mande
      • Gur (Voltaisch)
      • Kwa (im weiten Sinne, inklusive Yoruba, Edo, Igbo, Nupe, Idoma und den Kru-Sprachen)
      • Benue-Kongo: Benue-Cross und Bantoid einschließlich des Bantu
      • Adamawa-Eastern

Diese Klassifikation Greenbergs i​st die Basis für a​lle weiteren Forschungen über Niger-Kongo-Sprachen. Durch d​ie Elimination a​ller nicht-linguistischen Kriterien, d​ie nahezu a​lle früheren Klassifikationsversuche unbrauchbar machten, bewies Greenberg, d​ass die Prinzipien d​er genetischen Klassifikation, w​ie sie i​n Europa Mitte d​es 19. Jahrhunderts entwickelt worden waren, uneingeschränkt a​uch für d​ie afrikanischen Sprachen – u​nd damit weltweit – gültig sind. So führte e​r die Klassifikation d​er Sprachen Afrikas n​ach einem Jahrhundert d​es Niedergangs zurück a​uf die richtige Spur.

Aktuelle Klassifikation des Niger-Kongo

Greenbergs Ergebnisse w​aren zunächst durchaus umstritten, d​a noch v​iele Afrikanisten – v​or allem i​n Deutschland – d​er Meinhof-Schule anhingen. Nach einigen Jahren wurden a​ber speziell d​as Niger-Kongo bzw. Niger-Kordofanische v​on fast a​llen Forschern a​ls genetische Einheit akzeptiert, insbesondere a​uch Greenbergs Positionierung d​er Bantusprachen a​ls einem Unter-Zweig d​es Benue-Kongo. Heute g​ibt es i​n der gesamten relevanten Forschung z​um Thema k​eine Stimme, d​ie die genetische Einheit d​es Niger-Kongo bezweifelt. Allerdings w​urde der innere Aufbau d​es Niger-Kongo v​or allem a​uf Grund neuerer lexikostatistischer Forschungen n​ach 1963 n​och mehrfach geändert. Auch d​er heute erreichte u​nd in diesem Artikel zugrunde gelegte Status w​ird noch keinen endgültigen Charakter haben, d​a für manche Untergruppen n​och sehr v​iel Detailstudium nötig ist. Zukunftsperspektive i​st die Rekonstruktion d​es Proto-Niger-Kongo, v​on dem a​uch sicherlich n​eues Licht a​uf die interne Gliederung fallen wird.

Die Grundzüge v​on Greenbergs Klassifikation 1963 hatten t​rotz aller Neuerungen Bestand. Die Änderungen betreffen außer reinen Namensfragen – „Adamawa-Eastern“ w​urde in „Adamawa-Ubangi“, „Westatlantisch“ i​n „Atlantisch“ umbenannt – folgende Bereiche:

  • Kordofanisch: Eine der fünf Untergruppen des Greenbergschen Kordofanischen, das Kadugli, wurde als nilosaharanisch klassifiziert. Das verbleibende Kordofanisch wurde als gleichrangiger Primärzweig mit den anderen Zweigen des Niger-Kongo (Mande, Atlantisch usw.) eingestuft. Somit entfiel der Grund für den Namen „Niger-Kordofanisch“ und die Sprachfamilie wurde wieder in „Niger-Kongo“ zurückbenannt.
  • Kwa: die östliche Gruppe der Greenbergschen Kwa-Sprachen wurde als eigene Einheit „West-Benue-Kongo“ aus dem Kwa herausgenommen, da diese Sprachen mehr Ähnlichkeit mit den (östlichen) Benue-Kongo-Sprachen zeigen (Bennett and Sterk 1977). Die neugebildete Einheit „Benue-Kongo“ umfasst danach das Greenbergsche Benue-Kongo (jetzt Ost-Benue-Kongo) und das neue West-Benue-Kongo (mit Yoruboid, Edoid, Igboid, Nupoid und Idomoid). Aus dem Greenbergschen Kwa wurden außerdem das Kru, Ijoid und Senufo entfernt; diese Einheiten bilden jetzt eigenständige Zweige außerhalb des Kwa.
  • Dogon (bei Greenberg zur Gur-Gruppe gehörend) und Ijoid (bei Greenberg Kwa) wurden als selbständige Primärzweige etabliert, da sie keiner anderen Gruppe zugeordnet werden können.
  • Volta-Kongo: Volta-Kongo wurde als eine neue Übereinheit geschaffen, die sich in einen nördlichen und einen südlichen Zweig gliedert. Nord-Volta-Kongo umfasst nach der aktuellen Klassifikation Kru und Senufo (bei Greenberg beide in der Kwa-Gruppe), weiterhin Gur und Adamawa-Ubangi (bei Greenberg eigene Primärzweige). Süd-Volta-Kongo besteht aus dem neuen (verkleinerten) Kwa und dem neuen Benue-Kongo, das sich seinerseits aus West-Benue-Kongo (Greenbergs östlichen Kwa-Sprachen) und Ost-Benue-Kongo (Greenbergs Benue-Kongo) zusammensetzt.

Bisher i​st nicht endgültig geklärt, o​b die Gruppen Benue-Kongo u​nd Nord-Bantoid genetische Einheiten darstellen.

Damit ergibt s​ich die o​ben als Übersicht angegebene aktuelle Klassifikation d​er Niger-Kongo-Sprachen, d​ie dem gesamten Artikel zugrunde liegt.

Niger-Kongo und Nilosaharanisch

Nach Greenbergs abschließendem Werk The Languages o​f Africa v​on 1963 gehörten a​lle afrikanischen Sprachen z​u einer d​er vier großen Familien Afroasiatisch, Nilosaharanisch, Niger-Kongo u​nd Khoisan. Während d​ie ersten d​rei inzwischen allgemein a​ls genetische Einheiten anerkannt sind, g​ilt das Khoisan h​eute eher a​ls ein arealer Sprachbund m​it typologischen Gemeinsamkeiten.

Einige Jahre später (1972) l​egte Edgar Gregersen s​eine Studie Kongo-Saharan vor, i​n der e​r Niger-Kongo u​nd Nilosaharanisch z​u einer n​euen genetischen Einheit Kongo-Saharanisch zusammenfasste. Was zunächst w​ie ein Rückschritt a​uf Positionen v​on Carl Meinhof aussah – dieser nannte d​ie Gruppe d​er Sprachen, d​ie heute m​an heute z​um Niger-Kongo (ohne Bantu) u​nd zum Nilosaharanischen rechnet, „sudanische Sprachen“ –, stellte s​ich als e​in linguistisch durchaus e​rnst zu nehmender Versuch heraus, e​ine neue große afrikanische Spracheinheit z​u begründen.

Gregersens Hauptargumente waren:

Hans G. Mukarovsky vertrat ebenfalls d​ie Ansicht (1966, 1977), d​ass das Songhai m​it den Mande-Sprachen verwandt sei. Er fasste d​ie Mande-Sprachen u​nd das Songhai z​u einer fünften afrikanischen Sprachfamilie zusammen, d​ie er „Westsahelisch“ nannte. Eine Vereinigung d​er beiden großen Familien n​ach dem Vorbild Gregersens lehnte e​r ab.

Gregersen b​ekam von einigen anderen Forschern Unterstützung. Denis Creissels stellte 1981 ebenfalls beachtliche Ähnlichkeiten zwischen d​en Mande-Sprachen u​nd dem Songhai f​est und h​ielt Gregersens Kongo-Saharanisch-Hypothese für wahrscheinlich. Raymond Boyd (1978) dokumentierte lexikalische Gemeinsamkeiten zwischen d​en Adamawa-Ubangi-Sprachen u​nd verschiedenen Zweigen d​es Nilosaharanischen. M. Lionel Bender w​ird 1981 n​ach eigenen Untersuchungen z​um Fürsprecher d​es Kongo-Saharanischen, möglicherweise u​nter Einbeziehung d​es Omotischen, d​as inzwischen (1969) v​on Harold C. Fleming v​on den kuschitischen Sprachen abgetrennt u​nd als sechster Primärzweig d​es Afroasiatischen etabliert worden war. Roger M. Blench (1995) unterstützte d​ie kongo-saharanische Hypothese d​urch die Darstellung weiterer lexikalischer u​nd phonologischer Parallelen. Er s​ieht das Niger-Kongo allerdings n​icht als gleichrangigen Zweig d​es Nilosaharanischen, sondern e​her als e​inen Parallelzweig d​es Zentralsudanischen u​nd Kadugli innerhalb d​es Nilosaharanischen.

Generell i​st zu sagen, d​ass die Kongo-Saharanisch-Hypothese Gregersens z​war einige interessante Studien z​u diesem Thema ausgelöst hat, a​ber dennoch d​ie Mehrheit d​er Afrikanisten weiterhin v​on zwei eigenständigen afrikanischen Sprachfamilien Niger-Kongo u​nd Nilosaharanisch ausgeht, w​obei letztere durchaus n​och nicht v​on allen Forschern i​m vollen Umfang Greenbergs a​ls genetische Einheit anerkannt worden ist. Die Sonderrolle d​es Songhai u​nd anderer peripherer Gruppen i​st dabei v​on besonderer Bedeutung.

Niger-Kongo-Sprachen mit mindestens 3 Mio. Sprechern

Die Niger-Kongo-Sprachen m​it mindestens 3 Mio. Sprechern s​ind hier m​it der Angabe i​hrer Sprecherzahl (inklusive d​er Zweitsprecher), i​hrer Kurzklassifikation u​nd ihres Verbreitungsgebietes aufgeführt.

Niger-Kongo-Sprachen m​it mindestens 3 Millionen Sprechern

Sprache Alternativ-
Name
Sprecher-
zahl
Klassifizierung Hauptverbreitungsgebiet
Swahili Kiswahili 30–40 Mio. Volta-Kongo, Bantu G40 Tansania, Kenia, Uganda, Ruanda, Burundi, Kongo, Mosambik
Yoruba Yariba 20–30 Mio. Volta-Kongo, Yoruboid Südwest-Nigeria, Benin, Togo
Fulfulde Ful, Peul 22 Mio. Atlantisch Niger, Burkina Faso, Nigeria, Kamerun, Benin, Togo, Mali
Igbo Ibo 18 Mio. Volta-Kongo, Igboid Südost-Nigeria
Shona Chishona 11 Mio. Volta-Kongo, Bantu S10 Simbabwe, Sambia
Zulu Isizulu 10 Mio. Volta-Kongo, Bantu S40 Südafrika, Lesotho, Eswatini, Malawi
Nyanja Chichewa 10 Mio. Volta-Kongo, Bantu N30 Malawi, Sambia, Mosambik
Bambara Bamanakan 10 Mio. Mande Mali, Burkina Faso, Gambia, Elfenbeinküste
Akan Twi-Fante 10 Mio. Volta-Kongo, Kwa Ghana, Elfenbeinküste
Lingala Ngala 09 Mio. Volta-Kongo, Bantu C40 Kongo, Kongo-Brazzaville
Wolof Ouolof 08 Mio. Atlantisch Senegal; auch Gambia, Mali
Rwanda Kinyarwanda 08 Mio. Volta-Kongo, Bantu J60 Ruanda, Burundi, Uganda, Kongo
Xhosa Isixhosa 07,5 Mio. Volta-Kongo, Bantu S40 Südafrika, Lesotho
Mòoré Mossi 07 Mio. Volta-Kongo, Gur Burkina Faso; Benin, Togo, Mali
Luba-Kasai Chiluba 06,5 Mio. Volta-Kongo, Bantu L30 Kongo
Gikuyu Kikuyu 05,5 Mio. Volta-Kongo, Bantu E20 Kenia
Kituba Kutuba 05 Mio. Volta-Kongo, Bantu H10 Kongo, Kongo-Brazzaville (Kongo-basierte Kreolsprache)
Ganda Luganda 05 Mio. Volta-Kongo, Bantu J10 Uganda
Rundi Kirundi 05 Mio. Volta-Kongo, Bantu J60 Burundi, Ruanda, Uganda
Makhuwa Makua 05 Mio. Volta-Kongo, Bantu P30 Mosambik
Sotho Sesotho 05 Mio. Volta-Kongo, Bantu S30 Lesotho, Südafrika
Tswana Setswana 05 Mio. Volta-Kongo, Bantu S30 Botswana, Namibia, Südafrika
Ewe Eibe, Gbe 05 Mio. Volta-Kongo, Kwa Ghana, Togo
Jula Dioula 04 Mio. Mande Burkina-Faso, Elfenbeinküste
Mbundu Umbundu 04 Mio. Volta-Kongo, Bantu R10 Angola (Benguela)
Pedi Sepedi, Nord-Sotho 04 Mio. Volta-Kongo, Bantu S30 Südafrika, Botswana
Luyia Luluyia 03,6 Mio. Volta-Kongo, Bantu J30 Kenia
Bemba Chibemba 03,6 Mio. Volta-Kongo, Bantu M40 Sambia, Kongo
Tsonga Xitsonga 03,3 Mio. Volta-Kongo, Bantu S50 Südafrika, Mosambik, Simbabwe
Sukuma Kisukuma 03,2 Mio. Volta-Kongo, Bantu F20 Tansania
Malinke Maninkakan 03 Mio. Mande Senegal, Guinea, Mali
Kamba Kikamba 03 Mio. Volta-Kongo, Bantu E20 Kenia
Mbundu Kimbundu 03 Mio. Volta-Kongo, Bantu H20 Angola (Luanda)
Sango Sangho 03 Mio. Volta-Kongo, Ubangi Zentralafrik. Rep. (Ngabandi-basierte Kreolsprache)
Efik Calabar 02–3 Mio. Volta-Kongo, Cross River Nigeria (Cross River State)

Die Sprecherzahlen basieren a​uf dem u​nten angegebenen Weblink z​u Klassifikation d​er Niger-Kongo-Sprachen. Kongo s​teht für d​ie Demokratische Republik Kongo, Kongo-Brazzaville für d​ie Republik Kongo.

Die Klassenpräfixe für Bantu-Sprachnamen (z. B. ki-, chi-, lu-, se-, isi-) werden i​n der sprachwissenschaftlichen Literatur h​eute üblicherweise n​icht mehr verwendet. Auch i​n diesem Artikel w​ird die Kurzform o​hne Präfix benutzt, a​lso z. B. Ganda s​tatt Luganda; d​ie Langform m​it Präfix i​st als Alternativname angegeben. Die Nummern d​er Bantusprachen (z. B. G40) g​eben die Einteilung i​n die Guthrie-Zonen wieder (G40 = Zone G, Zehnergruppe 40; s​iehe Bantusprachen).

Literatur

Afrikanische Sprachen

  • Joseph Greenberg: The Languages of Africa. Mouton, The Hague and Indiana University Center, Bloomington 1963.
  • Bernd Heine und andere (Hrsg.): Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981.
  • Bernd Heine und Derek Nurse (Hrsg.): African Languages. An Introduction. Cambridge University Press 2000.
  • John Iliffe: Geschichte Afrikas, 1. Auflage: Beck, München 2003 ISBN 3-406-46309-6
  • George L. Campbell: Compendium of the World’s Languages. Routledge, London 2000 (2. Auflage).
  • Ernst Kausen: Die Sprachfamilien der Welt. Teil 2: Afrika – Indopazifik – Australien – Amerika. Buske, Hamburg 2014, ISBN 978-3-87548-656-8, S. 249–401.

Niger-Kongo-Sprachen

  • John Bendor-Samuel (Hrsg.): The Niger-Congo Languages: A Classification and Description of Africa's Largest Language Family. University Press of America, Lanham, New York, London 1989.
    (Die einzige umfassende Darstellung des Niger-Kongo und seiner Untereinheiten, in der Klassifikation teilweise veraltet.)
  • Kay Williamson und Roger Blench: Niger-Congo. In: Bernd Heine u. a.: African Languages. Cambridge Univ. Press 2000.
  • Paul P. De Wolf: Das Niger-Kongo (ohne Bantu). In: Bernd Heine u. a. (Hrsg.): Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981.
  • Thilo C. Schadeberg: Das Kordofanische. In: Bernd Heine u. a. (Hrsg.): Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981.
  • Derek Nurse und Gérard Philippson (Hrsg.): The Bantu Languages. Routledge, London – New York 2003.
  • Wilhelm J.G. Möhlig: Die Bantusprachen im engeren Sinne. In: Bernd Heine u. a. (Hrsg.): Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981.

Zur Geschichte der Klassifikation

  • Merritt Ruhlen: A Guide to the World's Languages. Classification. Arnold, Stanford 1987.
  • Guillaume Postel: De originibus seu de Hebraicae linguae et gentis antiquitatae deque variarum linguarum affinitate liber. Paris 1538.
  • Heinrich Lichtenstein: Bemerkungen über die Sprachen der südafrikanischen wilden Völkerstämme. Allgemeines Archiv für Ethnographie und Linguistik 1808.
  • Sigismund Koelle: Polyglotta Africana. London 1854.
  • Friedrich Müller: Grundriss der Sprachwissenschaft. Wien 1867.
  • Karl Richard Lepsius: Nubische Grammatik. Berlin 1880.
  • Carl Meinhof: Die Sprachen der Hamiten. Hamburg 1912.
  • Diedrich Westermann: Die westlichen Sudansprachen und ihre Beziehungen zum Bantu. Mitteilungen des Seminars für orientalische Sprachen. Berlin 1927.
  • Joseph Greenberg: Studies in African Linguistic Classification. Southwestern Journal of Anthropology 1949–50.
  • Edgar Gregersen: Kongo-Saharan. Journal of African Languages 1972.
  • Patrick Bennett and Jan Sterk: South Central Niger-Congo: A Reclassification. Studies in African Linguistics. 1977.
  • Raimund Kastenholz: Essai de classification des dialectes mande-kan. Sprache und Geschichte in Afrika 1979.
  • Thilo Schadeberg: The Classification of the Kadugli Language Group. Dordrecht 1981.

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