Morde auf dem Bülowplatz
Die Morde auf dem Bülowplatz in Berlin waren ein Verbrechen während der Endphase der Weimarer Republik. Im Auftrag der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) erschossen dabei am 9. August 1931 auf dem Bülowplatz der spätere Minister für Staatssicherheit der DDR, Erich Mielke, und sein Komplize Erich Ziemer die Polizeioffiziere Paul Anlauf und Franz Lenck und verletzten einen weiteren lebensgefährlich. Hintergrund war die Absicht der KPD, nach dem gescheiterten Volksentscheid zur Auflösung des preußischen Landtages vom 9. August 1931 eine neue politische Situation zu schaffen.[1]
Vorgeschichte und Auftrag
In Berlin hatte sich der politische Kampf im Vorfeld des von der KPD unterstützten Volksentscheids verschärft. Nachdem am 8. August bei der wiederholten Räumung des Bülowplatzes in der unmittelbaren Nähe der KPD-Parteizentrale der 19-jährige Klempner Fritz Auge bei einem Handgemenge von der Polizei aus nächster Nähe erschossen worden war, planten – nach späteren Aussagen Tatbeteiligter – die KPD-Reichstagsabgeordneten Hans Kippenberger und Heinz Neumann im Hinterzimmer einer Kneipe zusammen mit dem Leiter des Parteiselbstschutzes Berlin-Wedding, Michael Klause, die Erschießung des Offiziers der preußischen Schutzpolizei und Leiters der Revierwache 7, Paul Anlauf.
Dazu fand Klause in Kippenbergers Auftrag in Erich Mielke und Erich Ziemer zwei Freiwillige als Schützen.
Die geplante Aktion wurde auch von Walter Ulbricht billigend in Kauf genommen[2], zu jener Zeit der Politische Leiter des KPD-Bezirks Berlin-Brandenburg-Lausitz-Grenzmark. Er hatte am 2. August die Abgeordneten Kippenberger und Neumann abgekanzelt und dazu aufgerufen, in Kürze der Polizei „in den Kopf zu schießen.“[3]
Tathergang
Am Abend des 9. August 1931 gegen 19 oder 20 Uhr befanden sich der Hauptmann der Schutzpolizei Paul Anlauf (* 9. April 1882), der Hauptmann Franz Lenck (* 20. Mai 1892) vom Gewerbeaußendienst und der Polizeioberwachtmeister August Willig auf Streifengang von der Revierwache 7 in der Hankestraße durch die Weydingerstraße Richtung Karl-Liebknecht-Haus. Dort angekommen trafen sie auf den Polizeioberwachtmeister Burkert. Er riet ihnen, den Bülowplatz räumen zu lassen, da die Stimmung der ungefähr 1000 Menschen auf dem Platz sehr aggressiv und aufgeheizt sei.
Die drei Beamten gingen daraufhin durch die Weydingerstraße zurück Richtung Hankestraße. Mielke und Ziemer, die sich vermutlich bis dahin in einem Hauseingang versteckt gehalten hatten, näherten sich den Beamten nun sehr schnell von hinten. In der auf das Kino Babylon zulaufenden Weydingerstraße sprachen sie ihr Tatvorhaben kurz und unmittelbar hinter den Beamten befindlich ab. Willig bemerkte dies und wollte seine Pistole 08 aus dem Holster ziehen und sich zu den Attentätern umdrehen. In diesem Moment feuerten die Täter aus einer Entfernung von etwa vier bis fünf Metern mindestens sechsmal[4] auf ihre Opfer. Anlauf erlitt einen Kopfschuss und war sofort tot, Lenck wurde in den Rücken getroffen, schleppte sich noch mit gezogener Pistole in den Eingang des Kinos Babylon und starb wenig später auf dem Weg in die Rettungsstelle. Willig, kurzzeitig zusammengebrochen, konnte sich wieder aufrichten und feuerte das gesamte Magazin seiner Dienstwaffe auf umstehende unbeteiligte Passanten leer. Er überlebte mit einem Bauchschuss und einer Handverletzung.
Die Polizeikräfte vor dem Karl-Liebknecht-Haus – mittlerweile in Panik geraten – glaubten nun an einen groß angelegten Angriff und schossen wahllos auf flüchtende Passanten. Nachdem Verstärkung eintraf, war der Bülowplatz fast menschenleer, Polizeibeamte feuerten noch auf vermeintliche Heckenschützen. Umliegende Häuser wurden durchsucht, ebenso wie die Besucher des Kinos Babylon.
Mielke und Ziemer konnten entkommen.
Die Täter
Die Täter, die auf die Polizisten schossen, gehörten dem Parteiselbstschutz der KPD (PSS), einer paramilitärisch organisierten und bewaffneten Gruppe innerhalb der Partei, an. Die Schützen waren der spätere Minister für Staatssicherheit in der Deutschen Demokratischen Republik Erich Mielke und Erich Ziemer. Beide flohen mit Hilfe ihrer Partei über Rostock und Leningrad nach Moskau. Der Auftrag zur Ermordung kam vom kommunistischen Reichstagsabgeordneten und Leiter des militärischen Apparates der KPD Hans Kippenberger. Politischer Hauptverantwortlicher war Heinz Neumann, damals in der KPD die Nummer zwei nach Ernst Thälmann. Der instruierte Michael Klause bat um zwei Freiwillige (Mielke und Ziemer) und stellte zur weiteren Ausführung fünf bewaffnete Ordner als Nachhut und mehrere unbewaffnete Eingeweihte ab, die möglichen Verfolgern wie der Polizei den Weg versperren sollten. Klause beteiligte sich darüber hinaus nicht an der Ausführung.[5]
Bis heute ist nicht restlos geklärt, ob an der Tatdurchführung noch ein dritter Attentäter beteiligt war, der aus seiner Pistole keine Schüsse abgegeben haben soll.
Strafverfolgung in der Weimarer Republik
Noch am 9. August 1931 wurden am Bülowplatz mehrere Häuser durchsucht, darunter das gegen 23 Uhr abgeriegelte Karl-Liebknecht-Haus, welches am Folgetag um 5 Uhr morgens von der Polizei besetzt wurde. Es erfolgten Personalienfeststellungen, eine KPD-Personalkartei und die aktuelle Ausgabe der Roten Fahne wurden beschlagnahmt.
Als einzigen möglichen Tatverdächtigen konnte die politische Polizei seinerzeit nur Max Thunert ermitteln, der am 9. August am Bülowplatz von der Polizei in einer Regentonne sitzend entdeckt worden war und angegeben hatte, sich nur aus Angst vor den Schüssen der Polizei dort versteckt zu haben. Ihm konnte damals keine direkte Tatbeteiligung nachgewiesen werden.
Verfolgung der Tat in der Zeit des Nationalsozialismus
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wurden bislang nicht aufgeklärte Fälle sogenannter Rotmorde der Mordkommission der Berliner Kriminalpolizei unter Ernst Gennat übergeben. Beide Tatwaffen, die Mielke und Ziemer auf ihrer Flucht in Richtung Volksbühne über einen Zaun geworfen hatten, konnten aufgefunden werden.[6] Thunert wurde durch Gennat nochmals verhört. Nun gab er eine Tatbeteiligung zu, bestritt jedoch selbst geschossen zu haben und belastete Max Matern als angeblichen Auftraggeber schwer. Am 23. April 1933 erließ das Landgericht Berlin Haftbefehle gegen Mielke und Ziemer.
Nach der Verhaftung Klauses durch die Nationalsozialisten am 17. Juli 1933 wurde dieser von der SA misshandelt und sollte als Kronzeuge im Bülowplatz-Prozess aussagen. Im Laufe der Ermittlungen wurden ebenso Max Matern, Friedrich Broede, Albert Kuntz und Erich Wichert verhört. Neben Matern und Broede wurde Klause am 19. Juni 1934 vom Schwurgericht I beim Landgericht Berlin unter Vorsitz des Landgerichtsdirektors Walter Böhmert wegen „gemeinschaftlichen Mordes und Begünstigung“ zum Tode verurteilt. Ein Gnadengesuch an Adolf Hitler führte zur Umwandlung des Todesurteils von Klause in eine lebenslange Zuchthausstrafe. Kuntz und Wichert wurden in einem späteren Prozess wegen Hochverrats zu Zuchthaus- bzw. Schutzhaftstrafen verurteilt. Broede kam im März 1935 im Gefängnis ums Leben; Matern wurde zwei Monate darauf hingerichtet.
1947: Haftbefehl gegen Erich Mielke
Am 7. Februar 1947 erließ das Amtsgericht Berlin-Mitte Haftbefehl gegen Erich Mielke (nicht gegen Erich Ziemer, dieser war bereits 1937 in Spanien gefallen) wegen Doppelmordes an den Polizeibeamten Anlauf und Lenck. Auf Betreiben der SED wurde der Haftbefehl außer Vollzug gesetzt, die sowjetische Besatzungsmacht zog die Verfahrensakten ein.
In Westberlin blieb der Haftbefehl gegen Mielke weiterhin in Kraft.
Betrachtung der Tat in der DDR
In Band vier der achtbändigen Ausgabe der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Vorsitzender des Autorenkollektivs war kein Geringerer als Walter Ulbricht, wurden für die Polizistenmorde auf dem Berliner Bülowplatz allein Neumann und Kippenberger verantwortlich gemacht, die 1937 im Zuge der stalinschen Säuberungen in der Sowjetunion ermordet wurden. Diese hätten in der Ausübung individuellen Terrors, welcher unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der KPD sei und im Widerspruch zu den marxistisch-leninistischen Auffassungen vom Klassenkampf stehe, eine parteifeindliche Handlung begangen und im August 1931 die Erschießung von zwei bei der Arbeiterschaft wegen ihrer Brutalität verhassten Polizeioffiziere organisiert. Dies sei hinter dem Rücken der Parteiführung und der Berliner Bezirksleitung geschehen. Die Parteiführung und die Berliner Bezirksleitung seien damals von dem Vorfall völlig überrascht worden.
Wichert, der die Haft überlebte und nach dem Zweiten Weltkrieg ein hochrangiger Offizier des Ministeriums für Staatssicherheit war, erklärte später in seinem handschriftlichen Lebenslauf, dass Matern im Prozess die Schuld auf sich genommen hätte und damit den an der Aktion beteiligten Mittätern Wilhelm Peschky, Wilhelm Becker, Herbert Dobersalske, Paul Kähne und Karl Holstein die Flucht aus Deutschland ermöglicht habe.[7]
Strafverfolgung in der Bundesrepublik Deutschland
Erich Mielke wurde 1993 durch das Landgericht Berlin wegen Mordes an den beiden Polizeibeamten zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Ende 1995 wurde er im Alter von 88 Jahren auf Bewährung entlassen.
Einzelnachweise
- Heinrich August Winkler: Weimar 1918–1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie. Beck, München 1998, ISBN 3-406-43884-9, S. 424.
- Mario Frank: Walter Ulbricht. Siedler, Berlin 2001, S. 89 f.
- John O. Koehler: Stasi. The untold story of the East German Secret Police, Boulder Colorado USA 1999, S. 36.
- BGH 5 StR 434/94 – Urteil vom 10. März 1995 (LG Berlin)
- Jochen von Lang: Erich Mielke. Eine deutsche Karriere Rowohlt, Reinbek, 1993, S. 23–26, 219.
- John O. Koehler: Stasi. The untold story of the East German Secret Police, Boulder Colorado USA 1999, S. 41–42.
- Wilfriede Otto: Erich Mielke – Biographie. Aufstieg und Fall eines Tschekisten, K. Dietz, Berlin, 2000, S. 49.
Literatur
- Michael Stricker: Letzter Einsatz. Im Dienst getötete Polizisten in Berlin von 1918 bis 2010 (=Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Polizeigeschichte, Band 11). Verlag für Polizeiwissenschaft, Frankfurt 2010, ISBN 978-3-86676-141-4, S. 63–106.
- Zank, Wolfgang: Mord auf dem Bülowplatz, in: Die Zeit, 16. August 1991, Nr. 34.