Klassiker (Radsport)
Als Klassiker werden im Straßenradsport besonders bedeutende und traditionsreiche Eintagesrennen bezeichnet.
Obwohl der Begriff Klassiker im Radsport weder geschützt noch genau definiert ist, lassen sich doch mehrere traditionsbildende Faktoren benennen, die für das Prestige der Radrennen entscheidend sind:[1] das Jahr der Erstaustragung – möglichst vor dem Ersten Weltkrieg –, eine hohe Anzahl von Austragungen, ein während der verschiedenen Auflagen weitgehend unveränderter, von den Anforderungen typischer („klassischer“) Streckenverlauf,[2] die Anerkennung in der Öffentlichkeit und die Qualität der Siegerliste.
Radrennfahrer, die bei Klassikern erfolgreich sind, werden häufig als Klassikerjäger bezeichnet.
„Monumente des Radsports“
Charakteristik
Die bedeutendsten Klassiker sind die fünf „Monumente des Radsports“, welche alle erstmals vor dem Ersten Weltkrieg ausgetragen wurden und einen Palmarès mit zahlreichen bekannten Siegern aufweisen.[3] Jedes dieser Rennen hat eine besondere Charakteristik:
- Mailand–Sanremo („la Classicissima“ oder auch „la Primavera“)[4] wird an der italienischen Riviera oftmals zugunsten der Sprinter entschieden.
- Die Flandern-Rundfahrt („de ronde“ bzw. „vlaanderens mooiste“)[5] wird durch kurze, steile Anstiege auf Kopfsteinpflaster, den Hellingen, geprägt.
- Paris–Roubaix („l’Enfer du Nord“ oder auch „La Reine des Classiques“)[6] ist völlig flach und bezieht seine besondere Schwierigkeit aus den ca. 50 Kilometern oftmals extrem groben Kopfsteinpflasterpassagen, den Pavés.
- Das älteste Monument, Lüttich–Bastogne–Lüttich („la doyenne“),[7] wird in den wallonischen Ardennen mit zahlreichen steilen, meist kürzeren, teils aber auch bis zu vier Kilometer langen Anstiegen ausgetragen.
- Während diese vier Klassiker im Frühjahr zu Beginn der Radsportsaison ausgetragen werden, folgt als eines der letzten Rennen der Saison die Lombardei-Rundfahrt („la classica delle foglie morte“),[8] welche auf bergstärkere Fahrer zugeschnitten ist.[9]
Palmarès
Nur drei Radrennfahrern gelang es bisher, bei allen fünf Rennen mindestens einmal zu gewinnen, alle stammen aus Belgien: Zunächst gelang dies Rik Van Looy, der zwischen 1958 und 1965 insgesamt acht Siege erreichte. Danach konnten Eddy Merckx (zwischen 1966 und 1976) sowie Roger De Vlaeminck (zwischen 1970 und 1979) alle Eintagesrennen gewinnen. De Vlaeminck gewann insgesamt elfmal bei einem Klassiker, Merckx gewann insgesamt 19 Mal (und bei jedem Rennen mindestens zweimal).
Rennen | Erste Austragung | aktuelle Distanz | Rekordsieger | Termin |
---|---|---|---|---|
Mailand–Sanremo | 1907 | 291 km | Eddy Merckx (sieben Siege) | März |
Flandern-Rundfahrt | 1913 | 260 km | Fabian Cancellara Tom Boonen, Achiel Buysse, Eric Leman, Fiorenzo Magni und Johan Museeuw (je drei Siege) | April |
Paris–Roubaix | 1896 | 257 km | Tom Boonen, Roger De Vlaeminck, (je vier Siege) | April |
Lüttich–Bastogne–Lüttich | 1892 | 258 km | Eddy Merckx (fünf Siege) | April |
Lombardei-Rundfahrt | 1905 | 254 km | Fausto Coppi (fünf Siege) | Oktober |
Andere Klassiker, Halbklassiker und moderne Klassiker
Allgemein zu den Klassikern wird auch Paris–Tours gezählt, obwohl der Name und die Strecke des Rennens einige Male wechselten.[10] Strittig ist der Klassikerstatus u. a. für Omloop Het Nieuwsblad (bis 2008: Omloop Het Volk), Gent–Wevelgem, La Flèche Wallonne, Amstel Gold Race, Clásica San Sebastián, Brussels Cycling Classic, früher: Paris–Brüssel, Piemont–Rundfahrt und Mailand–Turin. Diese und andere Rennen werden oftmals „nur“ als „Halbklassiker“ angesehen,[11] da bei diesen Rennen einige der genannten Kriterien für klassischen Rennen ganz oder teilweise nicht vorliegen. Für bedeutende Rennen neueren Gründungsdatums, wie die Clásica San Sebastián, Eschborn–Frankfurt und die mittlerweile für Profis eingestellte Meisterschaft von Zürich wird auch der Begriff moderne Klassiker verwendet;[12] hierzu könnte auch das 1966 erstmals ausgetragene Amstel Gold Race gezählt werden.
Eine Besonderheit stellt das in den Jahren 1891–1988 ausgetragene Bordeaux–Paris dar, das über ca. 600 km führte, aber seit den 1960er Jahren an Bedeutung verlor.[13]
Frühjahrs- und Herbstklassiker
Die meisten Klassiker finden überwiegend während zweier zeitlicher Schwerpunkte statt:
Im März und April werden vor allem in Belgien und Nordfrankreich die sogenannten Frühjahrsklassiker ausgetragen, zu denen neben den Monumenten Mailand–Sanremo, Flandernrundfahrt, Paris–Roubaix und Lüttich-Bastogne-Lüttich auch das Amstel Gold Race[14] und die Halbklassiker Gent-Wevelgem[15] und Flèche Wallonne[16] gezählt werden. Sie sind häufig von Kopfsteinpflasterpassagen (Pavés bzw. Kasseien), steilen und kurzen Anstiegen, sowie starken Wettereinflüssen geprägt.
In der zweiten Jahreshälfte folgen die Herbstklassiker,[17] zu denen man aufgrund der Austragungszeit Brussels Cycling Classic, Paris–Tours und die Lombardeirundfahrt zählen kann.
Deutsche und Schweizer Klassiker
In Deutschland werden insbesondere die Radrennen Rund um Berlin (seit 1896), Rund um die Hainleite (seit 1907), Rund um Köln[18] (seit 1908) und Eschborn-Frankfurt (von 1962 bis 2008 unter dem Namen „Rund um den Henninger-Turm“)[19] als „Klassiker“ bezeichnet. Während „Rund um Berlin“, „Rund um die Hainleite“ und „Rund um Köln“ ihr Prestige vor allem aus ihrem Alter beziehen, wird dem Frankfurter Rennen dagegen der Klassikerstatus vor allem aufgrund seiner sportlichen Bedeutung zugeschrieben. Ob diese Rennen als Klassiker oder Halbklassiker zu bezeichnen sind, ist ebenso wie bei anderen traditionsreichen deutschen und internationalen Rennen eine Frage der subjektiven Einschätzung. Die Cyclassics Hamburg sind dagegen entgegen ihrem Namen und trotz ihrer Einordnung in die UCI WorldTour und der daraus folgenden exzellenten Besetzung wohl kein Klassiker, da sie erst im Jahr 1996 erstmals ausgetragen wurden.
Auch zahlreiche traditionsreiche Schweizer Eintagesrennen werden als Klassiker bezeichnet, neben der Meisterschaft von Zürich z. B. die Berner Rundfahrt (von 1921 bis 1991: Nordwestschweizer Rundfahrt, 1992 Umbenennung in Berner Rundfahrt) und der Grosse Preis des Kantons Aargau in Gippingen (seit 1964).[20]
Breitensport-Klassiker
Von Veranstaltern und manchen Radsportenthusiasten werden auch bedeutende Breitensport-Veranstaltungen wie Radmarathons, Radtourenfahren und Jedermannrennen, z. B. Limburgs Mooiste, De Hel van Twente, Paris–Brest–Paris oder der Alpenbrevet, als Radklassiker bezeichnet.[21]
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise und Anmerkungen
- ähnlich wie hier: "Die Radsportklassiker" auf strassenradsport.com (Memento des Originals vom 9. April 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , abgerufen am 3. April 2011
- Rolf Gölz: Mythos Klassiker. Eine Hommage an die großen Eintagesrennen. (Mit Fotos von Hans-Alfred Roth). Covadonga-Verlag, Bielefeld 2003, ISBN 3-936973-01-6, S. 6.
- Der Begriff wird u. a. vom Weltradsportverband UCI vorausgesetzt, vgl. UCI-Presseerklärung vom 18. Juni 2010 : Second day of the UCI Management Committee meeting (englisch/französisch) (Memento des Originals vom 24. Dezember 2011 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , welche hier allerdings die Grand Tours in den Begriff einbezieht.
- classicissima = it. Steigerungsform von „Klassiker“, la Primavera = „der Frühling“
- ned. für „die Runde“ bzw. „Flanderns Schönste“
- frz. „die Hölle des Nordens“ bzw. „die Königin der Klassiker“
- frz. „die Dienstälteste“ oder „die Ehrenwerte“
- it. „Klassiker der toten Blätter“, meist übersetzt mit „Rennen der fallenden Blätter“
- Top-5: Die Monumente des Radsports – und ihre Eigenheiten. n24.de, 21. März 2015, abgerufen am 23. März 2015.
- Das Rennen hieß zeitweise Grand Prix d'Automne (dt.: Großer Herbstpreis) bzw. nach den wechselnden Start- und Zielorten. Es wurde abweichend vom heutigen Namen auf folgenden Strecken ausgetragen: Tours–Versailles (1974–75), Blois–Chaville (1976/77 und 1979–1984), Blois–Autodrome de Montlhéry (1978) und Créteil–Chaville (1985–1987).
- z. B. sport.freenet.de vom 27. März 2011: Halbklassiker Gent-Wevelgem: Tom Boonen siegt im Sprint
- Philippe Bouvet, Philippe Brunel, Pierre Callewaert, Jean-Luc Gatellier, Serge Laget: Klassiker des Radsports. Die großen Eintagesrennen. Delius Klasing, Bielefeld 2008, ISBN 978-3-7688-5270-8, S. 148 ff.
- zur Einordnung als Klassiker, vgl. z. B. Gilbert Duclos-Lassalle – Wie ein guter Wein auf radsport-seite.de abgerufen am 23. November 2014
- vgl. Tour-Service: Die Frühjahrsklassiker 2014 auf tour-magazin.de abgerufen am 23. November 2014
- radsport-news.com vom 24. März 2013: Frühjahrsklassiker in Eiseskälte
- vgl. radsport-news.com vom 17. März 2014: La Flèche de Wallonie: der "Pfeil" fliegt für alle
- zur Verwendung des Begriffs Herbstklassiker vgl. z. B. rad-net.de vom 13. Oktober 2013: Ergebnisse vom Herbst-Klassiker Paris-Tours
- vgl. news.de vom 30. März 2011: Deutsche Rad-Auswahl bei «Rund um Köln» am Start (Memento des Originals vom 13. September 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- vgl. freiepresse.de vom 1. Mai 2010: Wegmann gewinnt erneut Frankfurter Radklassiker
- Kurt Graunke, Walter Lemke, Wolfgang Rupprecht: Giganten von einst bis heute. Die Geschichte der deutschen Profi-Strassenradrennfahrer. Namen, Erfolge, Anekdoten. Edition Sedina, München 1993, ISBN 3-9803273-0-2, S. 6.
- vgl. für den Alpenbrevet: rad-net.de vom 30. August 2012 Komplett ausgebucht: Samstag der Klassiker «Alpenbrevet» rad-net.de vom 30. August 2012