Erdbeben von Lissabon 1755
Das Erdbeben von Lissabon am 1. November 1755 zerstörte zusammen mit einem Großbrand und einem Tsunami die portugiesische Hauptstadt Lissabon fast vollständig. Mit 30.000 bis 100.000 Todesopfern ist dieses Erdbeben eine der verheerendsten Naturkatastrophen der europäischen Geschichte. Es erreichte eine geschätzte Magnitude (Stärke) von etwa 8,5 bis 9 auf der Momenten-Magnituden-Skala. Das Epizentrum wird im Atlantik etwa 200 Kilometer südwestlich des Cabo de São Vicente vermutet.
Das Erdbeben hatte erhebliche Auswirkungen auf Politik, Kultur und Wissenschaften. Es verschärfte die innenpolitischen Spannungen in Portugal und führte zu einem Bruch in den kolonialen Bestrebungen des Landes. Wegen der großen Zerstörungen löste es vielfältige Diskurse unter den Philosophen der Aufklärung aus; insbesondere warf es das Theodizeeproblem neu auf, also die Frage, wie ein gütiger Gott das Übel in der Welt zulassen könne. Ferner gab es einen Anstoß zur Entwicklung der Erdbebenforschung.
Erdbeben und Tsunami
Ursache
Die geologische Ursache des Bebens und des Tsunamis ist bis heute umstritten. Als wahrscheinlichste Ursache gilt die Plattentektonik der Azoren-Gibraltar-Bruchzone, an der die Afrikanische und die Eurasische Platte zusammenstoßen. Aufgrund der speziellen Situation an dieser Stelle kann es zu massiven vertikalen Bewegungen kommen, die besonders starke Tsunamis auslösen können.[1] Jüngste Untersuchungen des Meeresbodens vor Portugal deuten auf die Entstehung einer neuen Subduktionszone hin, die zu den Beobachtungen passt.[2]
Schäden in Lissabon
Nach Augenzeugenberichten erschütterte um 9:40 Uhr am Allerheiligentag 1755 das Erdbeben Lissabon drei bis sechs Minuten lang, riss dabei meterbreite Spalten im Boden auf und verwüstete das Stadtzentrum. An zahlreichen Stellen brachen schwere Brände aus. Die Überlebenden der Erdstöße flüchteten sich in den Hafen und sahen dort, dass das Meer zurückgewichen war und einen mit Schiffswracks und verlorenen Waren bedeckten Seeboden freigelegt hatte. Wenige Minuten danach, etwa 40 Minuten nach dem Beben, überrollte eine Flutwelle den Hafen und schoss den Tejo flussaufwärts. Zwei kleinere Wellen folgten nach. Die Flutwellen löschten zwar die Feuer, rissen aber durch ihre Wucht die noch stehenden Gebäude mit sich. In den Gegenden, die nicht vom Tsunami betroffen waren, wüteten die Brände noch tagelang. Dem Erdbeben folgten zwei Nachbeben, die jeweils etwa zwei Minuten anhielten.
Der Katastrophe fielen 30.000 bis 100.000 der 275.000 Einwohner Lissabons und der umliegenden Dörfer und Kleinstädte zum Opfer. Etwa 85 Prozent aller Gebäude Lissabons wurden zerstört, darunter die berühmten königlichen Paläste und Bibliotheken, die brillante Beispiele der manuelinischen Architektur des 16. Jahrhunderts waren. Was das Beben nicht zerstörte, fiel den Flammen zum Opfer, so das erst kurz zuvor eröffnete große Opernhaus. Der königliche Palast am Tejo-Ufer, auf der heutigen Praça do Comércio, wurde zerstört und mit ihm die riesige Staatsbibliothek mit über 70.000 Büchern und unwiederbringlichen Malereien von Tizian, Rubens und Correggio. Auch die Aufzeichnungen von den Expeditionen Vasco da Gamas und anderer Seefahrer gingen verloren.
Fast alle Kirchenbauten von Lissabon wurden zerstört, besonders die Kathedrale Santa Maria, die Basiliken von São Paulo, Santa Catarina und São Vicente de Fora, ebenso die Kirche Igreja da Misericórdia. Bis heute stehen im Zentrum Lissabons die Überreste des Convento do Carmo, die man beim Wiederaufbau der Stadt zur Erinnerung an das Beben in ihrem ruinösen Zustand beließ. Das Hospital Real de Todos os Santos (Königliches Allerheiligenhospital) verbrannte in der anschließenden Feuersbrunst, wobei Hunderte der Patienten umkamen. Die Statue des Nationalhelden Nuno Álvares Pereira ging ebenfalls verloren.
Das Rotlichtviertel Lissabons, die Alfama, blieb verschont, wie auch große Teile der Oberstadt Lissabons.
Schäden in weiteren Gebieten
Die Katastrophe traf nicht nur Lissabon. Besonders an der Algarve im Süden des Landes zerstörte der Tsunami Städte und Dörfer an der Küste. Flutwellen von 20 Metern Höhe überrollten die Atlantikküste Nordafrikas, möglicherweise gab es bis zu 10.000 Todesopfer in Marokko. Andere Flutwellen überquerten den Atlantik, trafen die Azoren und die Kapverden und richteten sogar noch in Martinique und Barbados Schäden an.
Das Beben war in ganz Europa spürbar:
- Der damals in den „Piombi“ gefangene Giacomo Casanova erwähnt in seinen Memoiren Histoire de ma vie, wie das bleierne Dach über dem Dogenpalast in Venedig stark in Bewegung kam.
- In Luxemburg stürzte eine Kaserne ein und mehrere Soldaten starben.
- In den Niederlanden und in Schweden rissen sich Schiffe aus ihren Verankerungen.
- An der englischen Südküste lief eine drei Meter hohe Flutwelle auf.
- Auf dem Gebiet des Heiligen Römischen Reiches gab es ebenfalls Schäden, wie z. B. am damaligen Kloster Wenau, wo die Nonnen noch am nächsten Osterfest in Bretterverschlägen wohnten.[3]
- In Schottland und der Schweiz kam es zu Seiches (stehende Wellen, bei denen der Wasserspiegel am einen Ufer steigt, am entgegengesetzten fällt) in Binnenseen, die Wasserstände stiegen plötzlich an und kehrten wieder zum Normalstand zurück.
- Das Beben wurde sogar in Finnland registriert.
Folgen
Erste Maßnahmen
Der Premierminister Sebastião de Mello, der spätere Marquês de Pombal, überlebte das Beben. Der Pragmatismus seiner Regierungsmethoden wird charakterisiert durch den ihm zugeschriebenen Ausspruch: „Und nun? Beerdigt die Toten und ernährt die Lebenden.“ Er begann sofort, die Rettungs- und Wiederaufbaumaßnahmen zu organisieren.
Er stellte Truppen auf, die die Brände zu bekämpfen hatten, andere Truppen mussten Tausende von Leichen aus der Stadt entfernen. Um das Entstehen von Epidemien zu vermeiden, ließ er die Leichen auf Schiffe laden und im Meer bestatten, obwohl dies den damaligen Gebräuchen nicht entsprach und die katholische Kirche es ablehnte.
Um Plünderer abzuschrecken, wurden an mehreren prominenten Stellen der Stadt Galgen aufgestellt, 34 Personen wurden unter dem Vorwurf des Plünderns hingerichtet. Die Armee wurde mobilisiert, um die Stadt abzuriegeln und die Flucht der Unversehrten aus der Stadt zu unterbinden, die so gezwungen wurden, bei den Aufräumarbeiten mitzuwirken.
In Europa war die Solidarität mit Portugal groß, denn an nahezu jedem der großen europäischen Handelsplätze gab es Kaufleute, die Filialen oder Geschäftspartner in Lissabon hatten. In England, das mit Portugal in engen Handelsbeziehungen stand, bewilligte das Parlament eine Soforthilfe von 100.000 Pfund.
Der Wiederaufbau
Kurz nach der Krise engagierte der Premierminister unter der Leitung von Eugénio dos Santos und Carlos Mardel Architekten und Ingenieure, die den Wiederaufbau planten. Bereits ein Jahr nach dem Beben war Lissabon frei von Schutt und der Wiederaufbau hatte begonnen. Dabei nutzte man die Gelegenheit, um die neue Stadt großzügig und durchdacht zu planen, mit breiten, geraden Straßen und großen Plätzen. Nach dem Sinn solch breiter Straßen gefragt, soll Pombal geantwortet haben, dass man sie eines Tages als klein betrachten werde.
Man trachtete auch, die Gebäude erdbebensicher zu errichten. Dazu richtete man Holzmodelle der Häuser auf, um die man Soldaten herummarschieren ließ, um Erschütterungen zu erzeugen. Das neu errichtete Stadtzentrum Lissabons, die Baixa Pombalina, ist heute eine der großen Touristenattraktionen der Stadt. Nach Pombals Prinzip wurden auch andere portugiesische Städte wiedererrichtet, etwa das an der Algarve gelegene Vila Real de Santo António.
Erdbebenforschung
Der Premierminister sorgte nicht nur für den Wiederaufbau, sondern ordnete auch eine Umfrage bei allen Pfarrern an, um Fakten über das Beben und seine Auswirkungen zu sammeln. Sie erfragte
- die Dauer des Erdbebens
- die Anzahl der Nachbeben
- die durch das Beben verursachten Schäden
- besondere Verhaltensweisen von Tieren vor dem Erdbeben
- Besonderheiten in Brunnen und Wasserlöchern
Die Antworten auf diese Fragen sind bis heute erhalten und liegen im Arquivo Nacional da Torre do Tombo, dem Zentrum des Nationalarchivs von Portugal. Ihr Studium erlaubt es modernen Wissenschaftlern, das Beben zu rekonstruieren, was ohne diese Umfrage des Marquês de Pombal nicht möglich gewesen wäre. Deshalb wird er als Vorläufer der modernen Seismologie betrachtet.
Wirkung auf den König
Der damals 41-jährige König José I. und seine Familie überlebten die Katastrophe durch Zufall. Eine Tochter des Königs hatte sich gewünscht, den Feiertag außerhalb der Stadt zu verbringen. Nach der Morgenmesse des Allerheiligentages verließen der König und sein Hofstaat Lissabon. Man befand sich in Santa Maria de Belém, etwa sechs Kilometer vom Zentrum der Hauptstadt entfernt, als sich das Beben ereignete.
Nach dem Beben entwickelte der König eine unkontrollierbare Angst davor, innerhalb von vier festen Wänden zu leben. Er zog es vor, eine riesige Zeltstadt in den Hügeln von Ajuda vor den Toren Lissabons errichten zu lassen und danach dort zu residieren. Diese Klaustrophobie legte sich bis zu seinem Tode nicht. Erst nach dem Ableben des Königs ließ seine Tochter Maria I. den festen Palácio Nacional da Ajuda am Ort der väterlichen Zeltstadt errichten.
Innenpolitik
Das Erdbeben schlug auch in der Innenpolitik Portugals große Wellen. Der Premierminister war zu dieser Zeit bereits ein Protegé des Königs, während die alteingesessene Aristokratie ihn aufgrund seiner Herkunft als Landjunker verunglimpfte. Der Premierminister verachtete seinerseits den Adel, den er als korrupt und unfähig zu konstruktivem Handeln bezeichnete. Während vor dem Beben ein zäher Machtkampf zwischen Premier und Aristokratie geherrscht hatte, änderte sich nun aufgrund der Kompetenz des Premiers die Lage zu seinen Gunsten. Der König distanzierte sich langsam vom Adel. Der Machtkampf fand 1759 seinen Höhepunkt in einem Attentat auf den Monarchen, in dessen Folge der mächtige Herzog von Aveiro und der Távora-Clan eliminiert wurden.
Erst 1770, also 15 Jahre nach dem Erdbeben, wurde dem Premierminister der hohe Adelstitel eines Marquês de Pombal verliehen.
Rezeption
Wirkung auf die Philosophie
Das Erdbeben warf für Philosophen und Theologen das alte Theodizee-Problem neu auf: Wie kann ein allmächtiger und gütiger Gott ein so gewaltiges Unglück wie das Erdbeben von Lissabon zulassen? Warum hatte das Beben die Hauptstadt eines streng katholischen Landes getroffen, das für die Verbreitung des Christentums in der Welt wirkte? Und warum überdies am Festtag Allerheiligen? Und warum waren zahlreiche Kirchen dem Beben zum Opfer gefallen, aber ausgerechnet das Rotlichtviertel Lissabons, die Alfama, verschont geblieben? Gelehrte wie Voltaire, Kant und Lessing diskutierten diese Fragen.
Auf viele Denker der Aufklärung machte das Erdbeben einen großen Eindruck. Zahlreiche zeitgenössische Philosophen erwähnen das Erdbeben in ihren Schriften oder spielen zumindest darauf an. Voltaire etwa schrieb ein Poème sur le désastre de Lisbonne (Gedicht über die Katastrophe von Lissabon). Vor allem aber inspirierte ihn das Beben in seinem Roman Candide zu einer bissigen Satire auf die Philosophie Leibniz’ und Wolffs, wonach die existierende Welt die beste aller möglichen Welten sei. Theodor Adorno schrieb 1966 in Negative Dialektik, „das Erdbeben von Lissabon reichte hin, Voltaire von der Leibniz’schen Theodizee zu heilen“.[4] Zwischen Voltaire und Rousseau entwickelte sich eine Kontroverse über den Optimismus und die Frage des Schlechten in der Welt. Adorno sah eine Analogie zwischen dem Erdbeben von 1755 und dem Holocaust; beide Katastrophen seien so groß gewesen, dass sie die europäische Kultur und Philosophie zu transformieren vermochten.
Der junge Immanuel Kant war von dem Beben fasziniert und sammelte alle Nachrichten darüber, die er bekommen konnte. Kant veröffentlichte drei Texte über das Erdbeben und versuchte sich daran, eine Theorie über die Entstehung von Erdbeben aufzustellen. Diese postulierte riesige, mit heißen Gasen gefüllte Höhlen unter dem Meeresboden, was zwar später widerlegt wurde, aber einer der ersten systematischen Ansätze war, Erdbeben auf natürliche Ursachen zurückzuführen. Auch Kants Theorie des Erhabenen ist vom Erlebnis der Katastrophe von Lissabon beeinflusst.
Werner Hamacher behauptet, dass die Grundlage der Philosophie von René Descartes im Gefolge des Bebens zu wanken begonnen und das Erdbeben sogar Auswirkungen auf das Vokabular der Philosophie gehabt habe. Die häufig gebrauchte Metapher einer festen Grundlage für die Argumente eines Philosophen sei angesichts des Bebens zu einer Worthülse verkommen.
Literarische Werke
In der Literatur wurde die Theodizeeproblematik bis heute immer wieder mit den Geschehnissen vom 1. November 1755 verknüpft. Von Voltaires philosophischem Roman Candide oder der Optimismus (1759) und Kleists Erzählung Das Erdbeben in Chili (1807) über Reinhold Schneiders Erzählung Das Erdbeben (1932) bis zur Verwendung in Peter Sloterdijks Roman Der Zauberbaum (1985) und einem Radioessay für Kinder aus der Feder Walter Benjamins wurde das Erdbeben von Lissabon zum Sinnbild für die Frage nach der Rechtfertigung Gottes angesichts des Übels in der Welt.
Goethes Schilderung
Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) gibt im ersten Buch seiner autobiographischen Schrift Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit folgende Schilderung:
„Durch ein außerordentliches Weltereignis wurde jedoch die Gemütsruhe des Knaben zum erstenmal im Tiefsten erschüttert. Am ersten November 1755 ereignete sich das Erdbeben von Lissabon, und verbreitete über die in Frieden und Ruhe schon eingewohnte Welt einen ungeheuren Schrecken. Eine große prächtige Residenz, zugleich Handels- und Hafenstadt, wird ungewarnt von dem furchtbarsten Unglück betroffen. Die Erde bebt und schwankt, das Meer braust auf, die Schiffe schlagen zusammen, die Häuser stürzen ein, Kirchen und Türme darüber her, der königliche Palast zum Teil wird vom Meere verschlungen, die geborstene Erde scheint Flammen zu speien: denn überall meldet sich Rauch und Brand in den Ruinen. Sechzigtausend Menschen, einen Augenblick zuvor noch ruhig und behaglich, gehen mit einander zugrunde, und der glücklichste darunter ist der zu nennen, dem keine Empfindung, keine Besinnung über das Unglück mehr gestattet ist. Die Flammen wüten fort, und mit ihnen wütet eine Schar sonst verborgner, aber durch dieses Ereignis in Freiheit gesetzter Verbrecher. Die unglücklichen Übriggebliebenen sind dem Raube, dem Morde, allen Mißhandlungen bloßgestellt; und so behauptet von allen Seiten die Natur ihre schrankenlose Willkür.
Schneller als die Nachrichten hatten schon Andeutungen von diesem Vorfall sich durch große Landstrecken verbreitet; an vielen Orten waren schwächere Erschütterungen zu verspüren, an manchen Quellen, besonders den heilsamen, ein ungewöhnliches Innehalten zu bemerken gewesen: um desto größer war die Wirkung der Nachrichten selbst, welche erst im Allgemeinen, dann aber mit schrecklichen Einzelheiten sich rasch verbreiteten. Hierauf ließen es die Gottesfürchtigen nicht an Betrachtungen, die Philosophen nicht an Trostgründen, an Strafpredigten die Geistlichkeit nicht fehlen. So vieles zusammen richtete die Aufmerksamkeit der Welt eine Zeit lang auf diesen Punkt, und die durch fremdes Unglück aufgeregten Gemüter wurden durch Sorgen für sich selbst und die Ihrigen um so mehr geängstigt, als über die weitverbreitete Wirkung dieser Explosion von allen Orten und Enden immer mehrere und umständlichere Nachrichten einliefen. Ja vielleicht hat der Dämon des Schreckens zu keiner Zeit so schnell und so mächtig seine Schauer über die Erde verbreitet.
Der Knabe, der alles dieses wiederholt vernehmen mußte, war nicht wenig betroffen. Gott, der Schöpfer und Erhalter Himmels und der Erden, den ihm die Erklärung des ersten Glaubens-Artikels so weise und gnädig vorstellte, hatte sich, indem er die Gerechten mit den Ungerechten gleichem Verderben preisgab, keineswegs väterlich bewiesen. Vergebens suchte das junge Gemüt sich gegen diese Eindrücke herzustellen, welches überhaupt um so weniger möglich war, als die Weisen und Schriftgelehrten selbst sich über die Art, wie man ein solches Phänomen anzusehen habe, nicht vereinigen konnten.“
Goethe, der zur Zeit des Erdbebens sechs Jahre alt war, versucht in seinem 1811 entstandenen Werk aus einem Abstand von mehr als fünf Jahrzehnten die damalige Perspektive des Kindes zu rekonstruieren und den Eindruck zu schildern, den die Berichte über das Erdbeben auf ihn gemacht hatten. Für die sachlichen Angaben orientierte er sich an zeitgenössischen Beschreibungen, vor allem an der 1756 in Danzig erschienenen Schrift Beschreibung des Erdbebens, welches die Hauptstadt Lissabon und viele andere Städte in Portugall und Spanien theils ganz umgeworfen, theils sehr beschädigt hat, die er im Mai 1811 aus der Weimarer Bibliothek entliehen hatte.
Musik
Georg Philipp Telemann komponierte auf Texte aus dem 8. und 29. Psalm die Donner-Ode, die 1756 uraufgeführt wurde. Hier bezieht sich das Bass-Duett „Er donnert, dass er verherrlichet werde“ auf das Erdbeben von Lissabon.
Voltaires Candide oder der Optimismus fand musikalischen Niederschlag in der Operette Candide von Leonard Bernstein (1956).
Die portugiesische Metal-Band Moonspell behandelt in ihrem 2017 veröffentlichtem Album 1755 die Zerstörung Lissabons.[5]
Literatur
Quellen
- Umständliche und zuverläßige Nachricht von dem entsetzlichen und unerhörten Erdbeben, welches den 1sten Novembris dieses 1755sten Jahrs die welt-berühmte Stadt Lissabon und andere vornehme Orte betroffen: in sicheren Briefen, welche Tit. Herr Rathherr Ruffier, vornehmer Handelsmann alhier, von daher erhalten; zur Erweckung einer wahren Furcht Gottes und christlichen Mitleidens mitgetheilet, Straßburg 1755.
- Hermann Gottlob: Lissabon, wie es ohnlängst noch im schönsten Flor gestanden, am 1. Novembr. des 1755sten Jahres aber durch ein entsetzliches Erdbeben in einen Stein-Hauffen verwandelt worden: Nebst Geographischer Beschreibung von Belem, Setubal, Coimbra, Braga, Cadix und Conil, Und einigen Betrachtungen vom Erdbeben, ingleichen auch accurater Bestimmung aller von Anfange der Welt biß auf unsere Zeiten entstandenen Erdbeben. … Mit D. J. Olearii Gebet bey entstehenden Erdbeben … / entworffen von M. G. H. Arch. B. Stolpen o. J. [1755?].
- Die traurige Verwandlung von Lissabon in Schutt und Asche: nachdem es den 1. November 1755 durch ein gewaltiges Erdbeben und eine darauf entstandene hefftige Feuersbrunst heimgesuchet worden / … eine unpartheyische Feder. Frankfurt am Main o. J. [1755?].
- Wolfgang Breidert (Hrsg.): Die Erschütterung der vollkommenen Welt. Die Wirkung des Erdbebens von Lissabon im Spiegel europäischer Zeitgenossen. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1994, ISBN 3-534-12079-5.
- British Historical Society of Portugal (Hrsg.): O terramoto de 1755: testemunhos britânicos = The Lisbon earthquake of 1755: British accounts. Lisboa 1990, ISBN 972-9394-03-2.
- Dirk Friedrich (Hrsg.): Das Erdbeben von Lissabon 1755. Quellen und historische Texte. Minifanal, Bonn 2015, ISBN 978-3-95421-077-0.
- Dirk Friedrich (Hrsg.): Die traurige Verwandlung von Lissabon in Schutt und Asche. Das Erdbeben von 1755 in zeitgenössischen Berichten. Minifanal, Bonn 2015, ISBN 978-3-95421-076-3.
Sekundärliteratur
- Erdbeben von Lissabon 1755, mit Beiträgen von Wolf R. Dombrowsky, Odo Marquard, Franz Mauelshagen, Andreas Maurer, Wolfgang Sofsky u. a. In: Neue Zürcher Zeitung. NZZ, Zürich 29./30. Oktober 2005, ISSN 0376-6829, S. 61–65.
- Christiane Eifert: Das Erdbeben von Lissabon 1755. Zur Historizität einer Naturkatastrophe. In: Historische Zeitschrift 274 (2002), Nr. 3, ISSN 0018-2613, S. 633–664.
- Matthias Georgi: Das Erdbeben von Lissabon. Primus, Darmstadt 2005, ISBN 3-89678-280-0.
- Horst Günther: Das Erdbeben von Lissabon und die Erschütterung des aufgeklärten Europa. (= Fischer-Taschenbuch 16854). Fischer, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-596-16854-6.
- Achim Kopf: Der Untergang von Lissabon. In: Spektrum der Wissenschaft Nr. 11/2005, ISSN 0170-2971, S. 84 ff.
- Gerhard Lauer, Thorsten Unger (Hrsg.): Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert. Wallstein, Göttingen 2008, ISBN 978-3-8353-0267-9.
- Ulrich Löffler: Lissabons Fall – Europas Schrecken. Die Deutung des Erdbebens von Lissabon im deutschsprachigen Protestantismus des 18. Jahrhunderts. de Gruyter, Berlin / New York 1999, ISBN 3-11-015816-7 (zugleich Dissertation an der Universität Erlangen-Nürnberg 1995/1996).
- Martin Warnke: Das Erdbeben von Lissabon 1755 – eine Bewährung der Aufklärung. In: Zeitschrift des Vereins für Hamburgische Geschichte, 95, 2009, S. 1–22.
- Jürgen Wilke: Das Erdbeben von Lissabon (1755). In: Europäische Geschichte Online. Hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2014; abgerufen am 11. März 2021; d-nb.info (PDF; 432 kB).
- Gerhard Streminger: Die Welt gerät ins Wanken. Das Erdbeben von Lissabon im Jahre 1755 und seine Nachwirkungen auf das europäische Geistesleben. Ein literarischer Essay. Alibri Verlag 2021, ISBN 978-3-86569-346-4.
- Voltaire: Poème sur le désastre de Lisbonne. In: Œuvres complètes de Voltaire. Garnier, 1877, Band 9, S. 470–479 (französisch); Gedicht, Volltext (Wikisource)
Weblinks
- Das Erdbeben von Lissabon und der Katastrophendiskurs im 18. Jahrhundert. (Memento vom 4. Januar 2006 im Internet Archive) Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts e. V. (DGEJ) vom 6. bis 8. Oktober 2005 an der Georg-August-Universität Göttingen
- Rüdiger Suchsland: Als ob der jüngste Tag kommen sey … Telepolis, 5. November 2005
Einzelnachweise
- Tsunamis – Assessing the Hazard for the UK and Irish Coasts (Memento vom 23. Januar 2013; PDF; 8,2 MB) UK Department for Environment, Food and Rural Affairs, Juni 2006, S. 4 ff.
- João C. Duarte, Filipe M. Rosas u. a.: Are subduction zones invading the Atlantic? Evidence from the southwest Iberia margin. In: Geology. 6. Juni 2013, doi:10.1130/G34100.1
- Sandra Kinkel: Langerwehe-Wenau: Kloster wartet auf viele Besucher. In: Aachener Nachrichten. 25. August 2011, abgerufen am 10. November 2018.
- Theodor W. Adorno: Negative Dialektik. Suhrkamp, 1966, S. 354.
- Rezension. In: Silence Metal-Magazin