Zen-Buddhismus in China
Der Zen-Buddhismus, kurz Zen (japanisch 禅 zen), im Ursprungsland China auch Chan-Buddhismus (chinesisch 禪 / 禅, Pinyin chán) genannt, ist heute eine der verbreitetsten buddhistischen Schulen in China.
Etymologie
Der chinesische Name Chan (禪 / 禅, chán, Jyutping sim4, Pe̍h-ōe-jī siân) stammt ursprünglich vom Sanskritwort Dhyana, das ins Chinesische als Lehnwort Chánnà (禪那 / 禅那, chánnà, kurz 禪 / 禅) übertragen wurde.
Ursprung
China ist Ursprungsland des Zen-Buddhismus. Er entstand im Kaiserreich China als Meditationsschule des Mahayana-Buddhismus durch die Begegnung des Buddhismus mit dem Daoismus bzw. dem Konfuzianismus. Er hat auf die chinesische Philosophie, Kunst und Kultur einen großen Einfluss ausgeübt. Die Chan-Schule (禪宗 / 禅宗) entwickelte sich vor allem während der Tang-Dynastie, blühte noch in der Song-Zeit und verliert während der Ming- und Qing-Perioden schließlich an Einfluss. Geographischer Ausgangspunkt war der Shaolin-Tempel am Song-Berg im heutigen Henan. Die Chan-Praxis soll direkt auf den historischen Buddha Shakyamuni zurückgehen. Als dieser einst gebeten wurde, die Lehre vor einer Ansammlung von Menschen darzulegen, so berichtet eine bekannte Legende, deutete er nur auf eine Blume. Dieser schlichte Hinweis Buddhas auf die Allgegenwart der Erleuchtung steht am Anfang der Überlieferungslinie des plötzlichen Erwachens. Kāshyapa wurde zum ersten Repräsentanten dieser buddhistischen Praxis. Ihm folgten weitere 28 Linienhalter in Indien (西天二十八祖), deren Liste jedoch keine historische Glaubwürdigkeit beanspruchen kann. Die Chan-Schule in ihrer heute bekannten Form entstand vermutlich erst in China. In Indien selbst gab es keine reine „dhyāna-Schule“.[1]
Der Chan-Buddhismus wurde in Ostasien und Südostasien durch Mönche verbreitet. Dadurch entstanden unter anderem die koreanische und vietnamesische Tradition. Im 12. Jahrhundert wurde der Chan-Buddhismus nach Japan übertragen und dort als Zen – im Westen als Zen-Buddhismus – bekannt.
Geschichte
Als Begründer und erster Patriarch des Chan- und des späteren Zen-Buddhismus gilt der indische Mönch Bodhidharma. Er kam nach einer Reise über den Himalaya und Südchina um 523 n. Chr. in die nordchinesische Provinz Henan. In dem bis dahin daoistisch geprägten Shaolin-Kloster führte er seine Meditations- und Lehrpraxis ein, die von dort aus weiter getragen wurde. Einige Quellen berichten, auch die Kampfkunst des Kung Fu, für die Shaolin-Mönche im 20. Jahrhundert im Westen bekannt wurden, sei dort von ihm begründet worden.
In der Frühgeschichte des Chan ragt ein bedeutendes Ereignis hervor, die Trennung in eine Nordschule und eine Südschule. Die Nordschule begriff Erleuchtung als einen allmählichen Prozess, der durch beständiges Üben der Meditation zu verwirklichen sei, während die Südschule betonte, dass Erleuchtung ein plötzliches Moment sei. Im Verlaufe der Geschichte setzte sich die Südschule des Huineng (638–713) durch. Alle heute noch existierenden Schulen gehen auf Huineng als sechsten Patriarchen zurück. Auch heutzutage ist Satori daher immer noch als plötzliches Erwachen zur wahren Wirklichkeit definiert. Die Blütezeit des Chan in China war während der Tang- und Song-Dynastie, als wichtige Spruchsammlungen und Werke in Dialogform entstanden und auch die chinesische Kultur und Kunst beeinflusst wurden. Eine bedeutende Gestalt ist hier der Dichter Wang Wei, aber auch der Theoretiker Zongmi.
In der Chan-Bewegung nach Huineng ragen während der Tang-Zeit Mazu Daoyi (jap. Baso Dōitsu), Baizhang Huaihai (jap. Hyakujō Ekai), Huangbo Xiyun (jap. Obaku Kiun) und Linji Yixuan (jap. Rinzai Gigen) heraus. Sie stellen das Chan der Patriarchen dar, jener historisch nicht verbürgten Überlieferungslinie, die mit Buddha begonnen haben soll. Sie betonen die Überlieferung außerhalb der schriftlichen Werke und den Weg der plötzlichen Erleuchtung, um die eigene Buddha-Natur zu erfahren.
Baizhang soll die festen und strengen Regeln der Tempelklöster eingeführt haben, die heute noch eine Rolle in chinesischen und japanischen Zen- und Chan-Klöstern spielen, und betonte den Wert der Arbeit: „Ein Tag ohne Arbeit, ein Tag ohne Essen“. Auch er betonte den Wert der Selbstnatur, als er von einem Mönch gefragt wurde, „Wer ist Buddha?“, antwortete er „Wer bist du?“.
Mazu vertrat einen dynamischen Weg der Meditation und betonte die Einheit des ursprünglichen Geistes mit der Buddhanatur. In einer Gong’an-Sammlung antwortet er auf die Frage „Was ist Buddha?“, zunächst mit „Der Geist ist Buddha“, und auf die erneute Frage mit „Weder Geist noch Buddha.“
Linji betonte in einer Art von Humanismus den „wahren Menschen“ (真人, zhēnrén, jap. shinjin), ein Begriff daoistischen Ursprungs, ohne Eigenschaften, der in vollkommener Freiheit lebt, und sein Dasein als Patriarchenbuddha, d. h. das Dasein jedes Wesens als Buddha. Der wahre Mensch ist gemäß Linji ein Mensch ohne Eigenschaften und ohne Rang, munter wie ein Fisch und quicklebendig. Linji verwirft damit die Richtungen des Chan, die die bewegungslose Reinheit und Stille zum Ideal erhoben. Von Linji stammt auch der berühmte Ausspruch des Chan-Buddhismus: „Wenn ihr einem Buddha begegnet, tötet den Buddha.“ Er verwirft damit die Ansichten, der Buddha sei ein überweltliches Wesen und es gebe Autoritäten. Gemäß Linji ist es die Aufgabe jedes Einzelnen, den wahren Buddha zu verwirklichen, nicht ihm zu „begegnen“.
Huangbo betonte die höchste Wirklichkeit als den universellen Geist, der allem zugrunde liegt und der ohne jegliche Attribute sei. Der Geist sei der Schöpfer aller Dinge und die Quelle wahrer Weisheit und durch Nichtdenken könne man zu ihr zurückkehren und den universellen Geist durch direkte Intuition erfahren.
Während der Tang-Zeit hatten sich fünf Schulen des Chan herausgebildet, die sogenannten „Fünf Häuser“. Diese umfassten das Guiyang-Haus (潙仰 / 沩仰, Wéiyǎng; jap. Igyō), das Linji-Haus (臨濟 / 临济, Línjì; jap. Rinzai), das Caodong-Haus (曹洞, Caódòng; jap. Sōtō) sowie die Häuser Yunmen (雲門 / 云门, Yúnmén; jap. Ummon) und Fayan (法眼, Fǎyǎn; jap.Hōgen). Während der nördlichen Song dominierten die Linji- und Yunmen-Schule, die Caodong-Schule gewann während der südlichen Song an Einfluss. Der Caodong-Mönch Hongzhi Zhengjue betonte das Sitzen in Meditation als Hauptpraxis, was als „Chan der schweigenden Erleuchtung“ bezeichnet wird. Dahui Zonggao, ein Mönch der Linji-Schule, griff diese Lehrmeinung scharf an und stellte ihr das „Chan des Sehens auf den Gong’an“ konzeptuell gegenüber, da seiner Meinung nach nur durch die Koan-Übung die Erleuchtung erlangt werden könne.
Die Spuren der Caodong-Schule in China verlieren sich zum Ende der Song-Zeit. Allerdings war 1223 der japanische Mönch Dōgen Kigen auf einer Chinareise beim Patriarchen einer Caodong-Nebenlinie mit dem Gedankengut der Schule in Berührung gekommen. Die von ihm 1227 bei seiner Rückkehr nach Japan begründete Schule wird daher auch Sōtō-Zen bezeichnet, wenngleich Dōgen über seinen Lehrmeister Myōzen zugleich in der Rinzai-Tradition steht. Bereits 1191 hatte der Mönch Myōan Eisai die Lehre der Linji-Schule nach Japan überbracht und dort als Rinzai-Zen etabliert. Die beiden Schulen bewahrten in Japan ihre Eigenständigkeit und sind bis heute die Hauptvertreter des japanischen Zen-Buddhismus. Die Rinzai-Schule legt dabei nach wie vor ihr Hauptaugenmerk auf die Kōan-Übung, während die Sōtō-Schule das Sitzen in Meditation (Zazen) betont und so die Caodong-Tradition außerhalb des chinesischen Mutterlandes fortführt.
Die übrigen Schulen des chinesischen Chan, Guiyang, Yunmen und Fayan, gingen spätestens bis zum Ende der Song-Dynastie in der Linji-Schule auf, die in dieser Zeit zur dominierenden chinesischen Schule wurde und die beiden Hauptlinien Yangqi (楊岐 / 杨岐, Yángqí; jap. Yōgi) und Huanglong (黃龍 / 黄龙, Huánglóng; jap. Ōryō) herausbildete. Während der Ming- und Qing-Dynastie wurde chinesische Chan der Linji-Schule zunehmend synkretistisch. Es kam zu Vermischungen mit anderen buddhistischen Strömungen wie der Schule des Reinen Landes. So fanden etwa das Nianfo (念佛, niànfó; jap. Nembutsu), also das namentliche Anrufen des Buddha Amitabha, oder tantrische Praktiken Eingang in den Chan-Buddhismus. Auch gewann die Sutrenrezitation zunehmend an Bedeutung, was eine gewisse Relativierung der besonderen außerschriftlichen Überlieferung des Chan bedeutete. 1654 begründete der chinesische Chan-Mönch Yinyuan Longqi in der Absicht, zeitgenössisches chinesisches Chan der Ming-Dynastie nach Japan zu bringen, die Ōbaku-Schule als dritte Schule des japanischen Zen-Buddhismus. Dabei zeigte sich in den Spannungen mit der japanischen Rinzai-Schule, dass diese seit der Verpflanzung des Zen nach Japan eine vom chinesischen Chan unabhängige Entwicklung vollzogen hatte.
Im frühen 20. Jahrhundert wurde der chinesische Buddhismus und die Chan-Lehre durch Hsu Yun wiederbelebt, der sein Augenmerk auch auf die untergegangenen Chan-Richtungen richtete.
In der Volksrepublik China wurde Chan lange Zeit unterdrückt; seit den 1980er Jahren wurden jedoch viele Tempel und Klöster wiederaufgebaut und Nonnen und Mönche ordiniert. Es gibt eine wachsende Anzahl an Praktizierenden. Auf Taiwan, in Hongkong und unter den Übersee-Chinesen ist Chan nach wie vor populär. Heute prägen Laienbewegungen wie der Shenghuo-Chan prägen das Bild des Buddhismus in der chinesischen Öffentlichkeit. Gemeint ist damit ein auf das menschliche Zusammenleben bezogener Buddhismus. Dieser „Chan des Alltagsleben“, wie er sich nach der Reform- und Öffnungspolitik auf dem chinesischen Festland etablierte, basiert auf der Vision einer von Harmonie und friedlichem Zusammenleben geprägten Gesellschaft. Allerdings geht es den Anhängern dieser Richtung nicht um einen Gegenentwurf zur herrschenden politischen Ordnung, sondern um die systematische Kultivierung positiver Eigenschaften.
Lehre
Begründet wurde der Chan-Buddhismus der Legende nach durch Bodhidharma zwischen 480 und 520 nach Christus. Er soll sich ganz auf die Meditation gestützt und jede schriftliche Überlieferung abgelehnt haben. Jedoch wird auch berichtet, er sei ein Anhänger des Lankavatara-Sutra, das die innere Erleuchtung betont, gewesen. Dementsprechend fand im Chan die Übermittlung der Lehre nicht mit Hilfe von Schriften, sondern von Meister zu Schüler und „von Herz zu Herz“ statt, obwohl es einige Textsammlungen von Chanmeistern gab und auch das Prajnaparamita-, das Lankavatara- und das Nirvana-Sutra eine Rolle spielten. Den größten Stellenwert hatte jedoch immer das Diamant-Sutra.
Der Weisheitsbegriff der Sūtras wird im Chan ausgelegt als Durchschauen der Leere der Welt der Erscheinungen, der Eigenschaften und Formen der Dinge und der abgegrenzten Person, um zum Nichts vorzudringen. Prajna und Shunyata, Weisheit und Leere, werden als die gleiche Wirklichkeit gesehen, so dass im Chan von Nichtgeist und Nichtgedanke gesprochen wird. Diese werden erklärt als gleichzeitig existierend und nicht existierend, unfassbar und das Unfassbare selbst. Außen und Innen sowie Sein und Nichtsein sollen im Chan vollständig aufgegeben werden, um die ursprüngliche Buddha-Natur zu erfahren und durch sie die absolute Wirklichkeit zu erfassen. Demgemäß lehnt Chan auch die herkömmlichen philosophischen Meinungen zu den Sutras ab, da die Lehren des Chan auf direkten Erfahrungen basieren und auf das eigene Selbst verweisen. Der richtige Standpunkt ist gemäß dem Chan die Abwesenheit von Standpunkten. In der Geschichte des Chan kam es so immer wieder vor, dass Chan-Meister rituell Sutras verbrannten und Statuen zerstörten.
Das Ziel des Chan ist die Erleuchtung beziehungsweise das Erwachen (開悟 / 开悟, kāiwù, jap. Satori), welches mit unterschiedlichen Mitteln erreicht werden konnte. Eines davon waren die Gong’ans (公案, gōng'àn, jap. Kōans), Sentenzen oder Fälle, die rational nicht lösbar waren und der Transzendierung des Verstandes dienten, jedoch spielte die vertiefte Meditation (坐禪 / 坐禅, zuòchán, jap. Zazen) in allen Schulen des Chan immer die bedeutendste Rolle. Der Einfluss des Daoismus zeigt sich in der Neigung zur begrifflichen Negation, der Betonung der Leere und Einheit als das Absolute und dem hohen Stellenwert der Natur als Selbstnatur, Dharma-Natur, Weisheitsnatur und Buddha-Natur.
Negative Begriffe wie das Nichtsein (無有 / 无有, wúyǒu, jap. muyū), Nichthandeln (無為 / 无为, wúwéi, jap. mui), Nichtdenken (無念 / 无念, wúniàn, jap. munen) und Nichtbewusstsein (無心 / 无心, wúxīn, jap. mushin) waren für den Chan-Buddhismus wichtig, und die Philosophie des Chan zeichnete sich immer als Philosophie des Paradoxen und Weg der radikalen Freiheit des Geistes aus. Chan betont die Einheit des Geistes mit der Buddha-Natur, die sich nur im gegenwärtigen Dasein erfahren lässt, beziehungsweise immer vorhanden ist, und stellt sich dar als Weg der Praxis und nicht der philosophischen Spekulation, wie sie andere Schulen des Buddhismus in China auszeichnete. Die metaphysische Konzeption des Chan-Buddhismus weist Parallelen zur Strömung des Huayan (華嚴 / 华严, huāyán, jap. Kegon) auf, wobei einige Huayan-Patriarchen zugleich Chan praktizierten.
Literatur
- Heinrich Dumoulin: Geschichte des Zen-Buddhismus. Bd. I: Indien und China. Bern 1985, ISBN 3-7720-1554-9; Bd. II: Japan. Bern 1986, ISBN 3-317-01596-9
- Helwig Schmidt-Glintzer: Der Buddhismus. München 2005, ISBN 3-406-50867-7
- Hans-Günter Wagner (Übers.): Die Lyrik des Chan-Buddhismus. Verlag Beyerlein und Steinschulte, Stammbach 2009, 3 Bände, ISBN 978-3-931095-81-9
- Hans-Günter Wagner (Übers.): Das Kostbarste im Leben – Geschichten und Anekdoten des Chan-Buddhismus. Kristkeitz Verlag, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-932337-26-0
- Hans-Günter Wagner: Wie die Wolken am Himmel – Die Dichtung des Chan-Buddhismus. YinYang Media-Verlag, Frankfurt/Main 2007, ISBN 978-3-935727-13-6
- Hans-Günter Wagner: Buddhismus in China. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. 1. Auflage. Matthes & Seitz, Berlin 2020, ISBN 978-3-95757-844-0 (Inhalt und Vorwort [PDF; 160 kB]).
Belege
- Hans-Günter Wagner: Buddhismus in China. Berlin 2020, S. 398.