Ste-Marie-Madeleine (Vézelay)
Die Basilika Sainte-Marie-Madeleine ist eine romanische Kirche mit frühgotischem Umgangschor in Vézelay im Burgund. Seit 1925 trägt sie den Titel einer Basilica minor.[2] Hügel und Kirche von Vézelay zählen seit 1979 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Seit 1998 ist die Kirche auch als Teil des Weltkulturerbes „Jakobsweg in Frankreich“ ausgezeichnet.
Geschichte
Die heutige Basilika Sainte-Marie-Madeleine ist nicht die erste Kirche an diesem Ort, zuvor stand hier eine karolingische Kirche. Abt Artaud ersetzte den karolingischen Chor durch einen romanischen, er wurde 1104 geweiht. Im Jahre 1120 wurde das karolingische Kirchenschiff durch einen Brand beschädigt. Daraufhin begann man mit der Errichtung des heutigen Hauptschiffs und seiner Fassade mit den drei figürlich gestalteten Portalen. Spätestens gegen 1140, vielleicht auch schon 1132 (für dieses Jahr ist die Weihe einer ecclesia peregrinorum in Anwesenheit des Papstes überliefert), waren die Arbeiten am Schiff und der Fassade beendet. Anschließend (1145–50) folgte die Vorhalle, der sog. Narthex, mit einer eigenen Fassade nach außen hin. Die heutige, monumentale und nach außen hin geschlossene Anlage ist dabei erst der zweite Plan, zuvor war eine offene und deutlich niedrigere Vorhalle geplant.[3] Die Abtei von Vézelay war ein wichtiges Zentrum der Christenheit. Sie war nicht nur Ziel einer blühenden Wallfahrt zum angeblichen Grab der Maria Magdalena, das man ab der Mitte des 12. Jahrhunderts hier verortete, sondern auch Ausgangspunkt von einer der vier wichtigsten Pilgerstraßen nach Santiago de Compostela. Die Stiftungen der Pilger sorgten für einen stetigen Fluss von Geld in die Kassen der Abtei, während die politische Unabhängigkeit von lokalen Autoritäten (dem Bischof von Autun, dem Graf von Nevers) ihre lokale Machtstellung sicherte. Die Relevanz der Abtei lässt sich daran ablesen, dass sie als Schauplatz zahlreicher Ereignisse von welthistorischer Bedeutung diente: 1146 etwa wurde in Vézelay der zweite Kreuzzug ausgerufen.[4]
„Kurz nach Fertigstellung des Langhauses erlebte Vézelay den Höhepunkt seiner Geschichte: Ostern 1146 ruft Bernhard von Clairvaux auf Geheiß Papst Eugens III. vor einer riesigen Menschenmenge, die die Kirche nicht fassen kann und sich daher auf dem Hang südlich der Kirche versammelt hat, im Beisein von König Ludwig VII., der Königin Eleonore von Aquitanien und der Großen des Reiches zum Zweiten Kreuzzug auf. Mehr als ein halbes Jahrhundert später, 1190, treffen sich in Vézelay die Könige Philippe-Auguste und Richard Löwenherz mit ihren Armeen zum Dritten Kreuzzug nach Palästina [...] Vézelay wird nicht nur Sammelort der Pilger, sondern auch der Ritter aus ganz Europa. 1166 flüchtet hier Thomas Becket vor der Verfolgung des englischen Königs, der hl. Franziskus gründet hier 1217 seine erste Niederlassung in Frankreich.“
Nach erneutem Brand wurden 1185–1215 der Chor und das Querschiff in bereits frühgotischem Stil errichtet. Noch später (1260) folgten der Südwestturm (St. Michel) mit einer 15 m hohen hölzernen Spitze und die hochgotische Westfassade. Der Nordturm wurde nicht weiter aufgebaut. 1819 brannte die Turmspitze ab. Viollet-le-Duc restaurierte die stark baufällige Kirche ab 1840. Unter seiner Leitung wurde u. a. das äußere Westportal, das wahrscheinlich das Weltgericht mit einer Majestas Domini zeigte und in der französischen Revolution fast vollständig zerstört worden war, durch eine Neuschöpfung ersetzt.[4]
Die Kirche wurde 1993 vom Ortsbischof an die französischen Brüder- und Schwesterngemeinschaft Fraternité de Jérusalem zur Nutzung übergeben. Vézelay ist weltberühmt für die Kapitelle der Säulen, die biblische Geschichten veranschaulichen, sowie für das Hauptportal.
Hauptkirche
Die Kirche Sainte Marie-Madeleine ist eine dreischiffige Basilika mit sehr lang gezogenem Langhaus (zehn schmalrechteckige Travéen), einem kaum auskragenden Querhaus und einem Umgangschor mit Kranzkapellen. Das 1120–1140 errichtete Langhaus zeigt rein romanische Formen. Die von 1145 bis 1260 (Südwestturm) gestaltete Westfassade befindet sich im Übergang von der Romanik zu Gotik. Der von 1185 bis 1215 geschaffene Chor ist frühgotisch mit leichten romanischen Reminiszenzen.
Langhaus
Im Langhaus von Vézelay sind Mittelschiff wie Seitenschiffe mit rundbogigen Kreuzgratgewölben gedeckt, entsprechend den klassischen Formen der überregionalen Romanik. gestaltet, Demgegenüber wird in Vézelay nur der Rundbogen verwendet, der Wandaufbau ist zweigeschossig und das Langhaus ist mit einem Kreuzgratgewölbe überdeckt. Als Vorbild dieser Baustruktur gilt die Kirche in Anzy-le-Duc. Vergleichbar ist auch St. Lazare im benachbarten Avallon. Der farbige Wechsel der Steinschichten in Arkaden und Gurtbögen hat Vorbilder bis in die Karolingerzeit, beispielsweise in der zwischen 795 und 803 nach byzantinischen Vorbildern errichteten Aachener Pfalzkapelle, näher gelegen die um 1020 begonnenen Abteikirche Saint-Philibert in Tournus. Der Aufriss der Mittelschiffswand ist zweizonig, die einzelnen kreuzgratgewölbten Travéen werden von einem differenzierten System von Wandvorlagen voneinander geschieden. In Mittel- und Seitenschiff befinden sich zahlreiche aufwändig figürlich oder floral gestaltete Kapitelle.
Damit nimmt Vézalay aber in Burgund eine Sonderstellung ein, dessen romanische Architektur folgte dem Vorbild der seit 1188 errichteten (dritten) Kirche der mächtigen Benediktinerabtei Cluny. Das cluniazensische Architektursystem, noch gut in der Prioratskirche Sacré-Cœur in Paray-le-Monial und der Kathedrale St. Lazare in Autun zu erkennen, unterscheidet sich von der übrigen Romanik durch die Verwendung des Spitzbogens in den Arkaden und in TonnengewölbeTonnen- und Kreuzgratgewölben (aber nicht in den Fenstern) und einen dreiteiligen Wandaufbau aus Arkaden, Triforium und Obergaden. Eine auffällige Gemeinsamkeit des Langhauses von Vézelay mit dem (verlorenen) Langhaus von Cluny III ist allerdings die Verwendung von Strebebögen (die gerne als Kennzeichen gotischer Basilikan gesehen werden) schon in der Romanik.
Umgangschor
Der frühgotische Chor von Vézelay hat im Unterschied zum Schiff einen dreigeschossigen Wandaufbau, bestehend aus den Arkaden des Chorumgangs, den Arkaden des Emporengeschosses und den Obergaden. Die Umgangsarkaden sind spitzbogig. Die Arkaden der Empore sind als Biforien gestaltet, mit spitzbogigen Öffnungen aber noch rundbogigen Überfangbögen. Die Obergadenfenster sind spitzbogig, wenn auch noch ohne Maßwerk, aber die Schildbögen darüber sind rundbogig. Wie bei vielen gotischen Kirchen Frankreichs, nicht zuletzt Notre-Dame de Paris, sind die Stützen im Erdgeschoss Säulen, fangen die für die gotische Architektur typischen Dienste erst auf deren Kapitellen an.
Krypta
Die Krypta befindet sich unter dem erhöhten Chor. Sie ist 19 m lang und 9,20 m breit. Sie besitzt ein Kreuzgratgewölbe, das auf zwölf Säulen unterschiedlicher Größe ruht. Die Krypta enthielt angebliche Reliquien der Maria Magdalena.
Vorhalle
Im Westen ist dem Bau ein ebenfalls dreischiffiger, drei Joche langer Narthex vorgelagert, stilistisch im Übergang von der Romanik zur Gotik. Ihm verdanken die Tympana und die Kapitelle ihren hervorragenden Erhaltungszustand. Eine solche Vorhalle wurde u. a. als zusätzliche Station für die raumgreifenden Prozessionen des cluniazensischen Ritus genutzt.[5]
Das große Mittelportal (errichtet schon im Zusammenhang mit dem Kirchenschiff, zwischen 1120 und 1140)[3] stellt im Tympanon die Spende des Heiligen Geistes an die Apostel durch Christus dar, also das Pfingstereignis. Es ist zugleich Gründung der Kirche wie die Aussendung der Apostel zur Mission in aller Welt.[6] In den kastenartig gerahmten Feldern sind die Völker der Erde dargestellt, zu denen die Apostel das Evangelium bringen sollen. In den Medaillons der Archivolten sind die Tierkreiszeichen und Monatsarbeiten wiedergegeben. Die Nebenportale zeigen Anfang und Ende des irdischen Lebens Jesu: links Verkündigung, Geburt und Anbetung der Heiligen Drei Könige, rechts die Emmaus-Erscheinung und die Himmelfahrt.
- Hauptportal, Sicht aus dem Narthex ins Langhaus
- Der Christus des Tympanons
- Die Völker
Kapitelle
Die Kapitelle von Vézelay stammen aus der Zeit zwischen 1120 und 1140. Von den 99 Kapitellen im Kirchenschiff sind nur wenige im 19. Jahrhundert durch Kopien der Originale ersetzt worden. Leitthemen der Kapitelle von Vézelay sind die Darstellungen des Guten und des Bösen in vielfältigen Beispielen.
Das berühmteste Kapitell in Vézelay ist Die mystische Mühle. Ein Mann im kurzen Gewand mit Schuhen an den Füßen schüttet Korn in eine Mühle, während ein barfüßiger anderer, bekleidet mit einer weißen Toga, das Mehl auffängt. In der ersten Gestalt muss man Moses sehen; im Korn, das er in die Mühle schüttet, das Gesetz des Alten Testamentes, das er von Gott am Berg Sinai erhalten hat. In der Mühle, die das Korn mahlt, wird symbolisch Christus dargestellt (das Rad ist mit einem Kreuz bezeichnet). In dem Menschen, der das Korn auffängt, wird der Apostel Paulus gezeigt, und im Mehl selbst das Gesetz des Neuen Bundes, die neue Gerechtigkeit. Das Gesetz des Moses enthielt zwar die Wahrheit, aber es war eine verborgene Wahrheit, so verborgen wie das Mehl im Korn. Erst durch das Opfer Christi am Kreuz ist es in dieses Mehl verwandelt worden, das man in sich aufnehmen kann, indem man es zu Brot weiterverarbeitet: und das ist das neue Gesetz des Evangeliums Jesu Christi, das der hl. Paulus durch Gottes Auftrag annahm, um es weiter zu verbreiten.
Berühmt ist auch das Kapitell, auf dem zu sehen ist, wie der erhängte Judas vom guten Hirten auf seinen Schultern fortgetragen wird. Papst Franziskus sagte zu diesem Bild, das ihn nach eigener Aussage „zutiefst berührt“ hat: „Das war die Theologie des Mittelalters, wie die Mönche sie lehrten. Der Herr vergibt bis zuletzt.“[7]
- Mystische Mühle
- Eustachius jagt den Hirsch
- Verzweiflung und Wollust
- Tod des reichen Prassers
- Vier Winde
- Jakobs Kampf mit dem Engel
- Segnung Jakobs durch Isaak
- Tanz um das Goldene Kalb
- David besiegt Goliath
- Daniel in der Löwengrube
Orgel
Die Orgel wurde 1922 von dem Orgelbauer Reygaërt (Auxerre) erbaut; das Gehäuse wurde von dem Künstler Lebrun (Vézelay) geschaffen. Das rein mechanische Instrument hat 16 Register auf zwei Manualen und Pedal. Die Pedalregister sind Transmissionen.[8]
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- Koppeln: II/I, I/P, II/P
Kunsthistorische Fachliteratur
- Peter Diemer: Stil und Ikonographie der Kapitelle von Ste.-Madeleine, Vézelay. Dissertation. Heidelberg 1975.
- Bernhard Rupprecht: Romanische Skulptur in Frankreich. Aufnahmen von Max Hirmer und Albert Hirmer, 2. Auflage. Hirmer, München 1995, ISBN 3-7774-3750-6.
- Francis Salet: La Madeleine de Vézelay. Étude iconographique de Jean Adhémar. Melun 1948.
- Stéphane Büttner: La mise en œuvre de la façade et du grand portail de la nef de Vézelay. Nouvelles données archéologiques. In: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa XLV, 2014. Le portail roman – XIe-XIIe siècles. Nouvelles approches, nouvelles perspectives. S. 145–156.
- Marcel Angheben: Apocalypse XXI–XXII et l'iconographie du portail central de la nef de Vézelay. In: Cahiers de civilisation médiévale 41, 1998. S. 209–240.
- Peter Diemer: Das Pfingstportal von Vézelay. Wege, Umwege und Abwege einer Diskussion. In: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte 1, 1985. S. 77–114.
- Arnaud Timbert: Vézelay: le chevet de la Madeleine et le premier gothique bourguignon. Rennes 2009.
Kunstreiseführer
- Klaus Bußmann: Burgund. DuMont, Köln 1988, ISBN 3-7701-0846-9.
- Thorsten Droste: Burgund. Kernland des europäischen Mittelalters. Hirmer, München 2001, ISBN 3-7774-8980-8.
- Sibylle Lauth: Kunstdenkmäler in Burgund. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-14908-4.
Siehe auch
Weblinks
- Website der Basilika von Vézelay
- Website mit vielen guten Bildern
- Eintrag auf der Website des Welterbezentrums der UNESCO (englisch und französisch).
Einzelnachweise
- fertiggestellt 2019 zum 40. Jahrestag der Eintragung Vezelays in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes
- Basilique Sainte-Marie-Madeleine auf gcatholic.org
- Stéphane Büttner: La mise en œuvre de la façade et du grand portail de la nef de Vézelay. Nouvelles données archéologiques. In: Les Cahiers de Saint-Michel de Cuxa. Le portail roman – XIe-XIIe siècles. Nouvelles approches, nouvelles perspectives. Band XLV, 2014, S. 145–156, hier S. 146.
- Francis Salet: La Madeleine de Vézelay. Melun 1948, S. 33 f.
- Peter Diemer: Das Pfingstportal von Vézelay. Wege, Umwege und Abwege einer Diskussion. In: Jahrbuch des Zentralinstituts für Kunstgeschichte. Nr. 1, 1985, S. 77–114, hier S. 102 f.
- Marcel Angheben: Apocalypse XXI–XXII et l’iconographie du portail central de la nef de Vézelay. In: Cahiers de civilisation médiévale. Band 41, 1998, S. 209–240, hier S. 213 ff.
- Interview mit Giovanni di Lorenzo, in: Die Zeit Nr. 11, 9. März 2017, S. 15.
- Informationen zur Orgel (französisch)