Somatropin
Somatropin oder Somatotropin (auch Somatotropes Hormon genannt) ist ein Proteohormon, das als Wachstumshormon im menschlichen und tierischen Organismus vorkommt und im Gehirn im Vorderlappen der Hypophyse gebildet wird.
Somatropin | ||
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Bändermodell des Somatropin nach Kristallstruktur.[1] | ||
Vorhandene Strukturdaten: 1a22, 1axi, 1bp3, 1hgu, 1huw, 1hwg, 1hwh, 1kf9, 3hhr | ||
Eigenschaften des menschlichen Proteins | ||
Masse/Länge Primärstruktur | 191 Aminosäuren | |
Sekundär- bis Quartärstruktur | 1-, 2-, 3-, 4- oder 5-mer in homo- und heteropolymeren Kombinationen | |
Isoformen | 4 | |
Bezeichner | ||
Gen-Namen | GH1 ; GH-N, GHN, GH, hGH-N | |
Externe IDs | ||
Arzneistoffangaben | ||
ATC-Code | H01AC01 | |
DrugBank | DB00052 | |
Vorkommen | ||
Homologie-Familie | Somatropin | |
Übergeordnetes Taxon | Wirbeltiere |
Rekombinant hergestelltes Somatropin (rhGH) wird als Arzneistoff verwendet bei Wachstumshormonmangel (GHD) infolge Insuffizienz der Hypophyse.
Synonyme
Es gibt eine Reihe von Synonymen und Abkürzungen für das Somatropin:
- Somatotropes Hormon (STH)
- Human Growth Hormone (HGH)
- Growth Hormone (GH)
- Wachstumshormon (WH)
- Somatropin (INN)
Struktur
Die Primärstruktur des humanen Somatropins besteht aus 191 Aminosäuren mit einer Molekülmasse von 22.125 Da.[3] Dabei existieren artspezifische Varianten des Hormons. Die Tertiärstruktur besteht aus vier α-Helices mit zwei intramolekularen Disulfidbindungen.
Bildung und Regulation
Das Somatropin wird in den α-Zellen des Hypophysenvorderlappens gebildet. Seine schubweise Ausschüttung wird durch den Hypothalamus mit seinem Somatropin-releasing-Faktor (SRF, GHRH Growth-Hormone-Releasing-Hormon, GRF, Somatoliberin) und dem Somatostatin reguliert. Während des Schlafes wird am meisten Somatropin produziert. Die Pubertät ist das Lebensalter mit der ausgeprägtesten Somatropin-Produktion.
Mangel an Energiesubstrat (Hypoglykämie, Fasten, körperliche Aktivität), Erhöhung der Serumspiegel bestimmter Aminosäuren (z. B. durch eiweißreiche Kost), Fieber und psychischer Stress stellen Sekretionsstimuli für Somatropin dar.[4] Negativ reguliert wird Somatropin durch das Somatostatin, ein Inhibiting-Hormon (Growth-Hormone-Inhibiting-Hormone, GHIH), das im Pankreas und Hypothalamus gebildet wird.
Somatropin ist das quantitativ bedeutsamste Hormon der Hypophyse. Es macht etwa zehn Gewichtsprozent der getrockneten Drüse aus.
Normalwerte
Die Angabe eines Normalwertes für die Konzentration des Somatropins wäre falsch, da es einen Tagesrhythmus und einen Lebensrhythmus der Sekretion gibt. Außerdem gibt es Faktoren, die die akute Sekretion stimulieren. Deswegen werden meist mehrere Werte in einem Tagesprofil abgenommen.
Bei der Diagnostik der Akromegalie und des Riesenwuchses hat sich der Somatropin-Suppressionstest bewährt. Man spricht von einer autonomen Somatropin-Sekretion, wenn der Somatropin-Spiegel während der oralen Glukosebelastung (oGTT, 100 g Glukose) nicht unter 1,0 µg/l absinkt.
Die Einzelbestimmung von Somatropin ist für die Diagnose eines Somatropin-Mangels wegen der episodischen (pulsatilen) Spontansekretion und der dadurch bedingten Phasen mit nicht nachweisbaren Hormonspiegeln ungeeignet. Die Bestimmung unter Stimulation gelingt mit folgenden Verfahren:
- Grenzwerte: 11,5 ng/ml für Normalgewichtige mit einem BMI ≤ 25 kg/m², 8 ng/ml für Übergewichtige mit einem BMI zwischen 25 und 30 kg/m² und 4,2 ng/ml für Adipöse mit einem BMI > 30 kg/m²[5]
- Insulinhypoglykämie-Test (STF)
- Grenzwerte: Schwerer Mangel bei < 3 ng/ml; partieller Mangel bei 3–7 ng/ml; normal bei > 16 ng/ml[6]
Wirkung, Mangel und Überproduktion
Somatropin ist essentiell für ein normales Wachstum. Bei einer verminderten Produktion oder einem verminderten Ansprechen der Zellen auf Somatropin kommt es zu einem Kleinwuchs. Bei einer Überproduktion resultiert ein Riesenwuchs oder eine Akromegalie (übermäßiges Wachstum an den noch nicht verknöcherten Zonen in den Akren wie Nase, Kinn, Finger und dem Schädelknochen sowie bei allen Weichteilen (z. B. Kardiomegalie)).
Im Erwachsenenalter führt ein Mangel an Somatropin zu vielfältigen Symptomen:[7]
- erhöhte Körperfettmasse (hauptsächlich Viszeralfett)
- reduzierte Muskelmasse
- reduzierte Knochenmineraldichte
Außerdem führt ein Mangel an Somatropin zu
- einem erhöhten kardiovaskulären Risikoprofil,
- verringerter Lebensqualität und
- der vermehrten Inanspruchnahme medizinischer Leistungen.
Diese Symptome gehen einher mit einer verminderten Lebenserwartung.
Somatropin wirkt indirekt, indem es an den Somatropin-Rezeptor bindet, der ein Transkriptionsfaktor ist und die Expression des Proteins Insulinähnlicher Wachstumsfaktor 1 (IGF-1) erhöht. Dieses wiederum bindet an seinen Rezeptor (IGF1R), der ebenso ein Transkriptionsfaktor ist und die Produktion einer Vielzahl von anderen Proteinen steuert. Ist der Somatropin-Rezeptor durch Mutationen verändert, sprechen die Zellen nicht oder vermindert auf Somatropin an, was als Somatropin-Resistenz oder Laron-Syndrom bezeichnet wird.[8][9]
Genauer betrachtet wirkt Somatropin vor allem an folgenden Organen:
Anabol wirkt es vor allem an Muskel, Leber und Knochen, indem es dort zur vermehrten Aufnahme und Verwertung von Aminosäuren führt. Somatropin erhöht den Blutzuckerspiegel (durch Glykogenolyse) und wirkt auf die Fettzellen lipolytisch, also fettabbauend.
Bei Wiederkäuern bewirkt Somatropin, dass die Laktation aufrechterhalten bleibt (siehe Rinder-Somatropin). Beim Haushund führt ein Somatotropinmangel zu Zwergwuchs.
Verwendung als Arzneistoff
Somatropin wird seit 1963 zur Behandlung des Kleinwuchses eingesetzt, wenn er durch Wachstumshormonmangel verursacht ist. Es wurde aus Hypophysen von Toten gewonnen, bis dies Anfang 1985 weltweit verboten wurde, weil es bei Patienten zur Übertragung von AIDS und der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit und in der Folge zu Todesfällen kam. Somatropin wird seit Dezember 1985 rekombinant hergestellt. Das Wachstumshormon wird heute auch dann zur Therapie einer geringen Körperhöhe angewandt, wenn eine andere Grunderkrankung diesen Kleinwuchs nach sich zieht, zum Beispiel beim Ullrich-Turner-Syndrom, beim Prader-Willi-Syndrom, bei chronischer Niereninsuffizienz oder bei Kleinwuchs infolge einer intrauterinen Wachstumsverzögerung (SGA, Small for Gestational Age). Außerdem wird es seit einigen Jahren zur Substitutionstherapie bei schwerem Wachstumshormonmangel im Erwachsenenalter eingesetzt.[7]
Die europäische Arzneimittelagentur (EMA) hat im Dezember 2011 das positive Nutzen-Risiko-Verhältnis für somatropinhaltige Arzneimittel bestätigt.[10]
Nichtmedizinische Verwendung
Synthetisches Somatropin wird als „Anti-Aging“-Mittel verwendet, wobei es keine Belege für einen Langzeitnutzen gibt. Häufig missbräuchlich angewendet wird es aufgrund seiner muskelbildenden Eigenschaften auch im Bodybuilding und anderen Sportarten. Zu diesem Zweck wird es teilweise auch mit Testosteron, Insulin, Trenbolon und dem Schilddrüsenhormon Triiodthyronin (T3) kombiniert. Mittlerweile sind aber auch schon gefährliche Totalfälschungen von angeblich Somatropin-haltigen Arzneimitteln aufgetaucht, die für die Verwendung in der Bodybuilder-Szene bestimmt waren.[11] In der Doping-Szene gilt Somatropin allgemeinhin als teure „Wunderwaffe“.[12]
Die Anwendung von Somatropin bei Menschen ohne vorliegenden Mangel kann zu Akromegalie mit schwersten Nebenwirkungen führen, die oft irreversibel sind.
Erste Ergebnisse der Studie Thymus Regeneration, Immunorestoration, and Insulin Mitigation [13] warfen ethische Fragen auf wie „Wollen wir eine Welt, in der Millionen hungern und andere steinalt werden?“[14]
Nachweis
Somatropin ist seit 1999 mit einem von dem deutschen Hormonforscher Christian Strasburger entwickelten Verfahren zuverlässig nachweisbar. Ein weiteres Verfahren wurde 2000 von Peter Sönksen entwickelt.[15]
Handelsnamen
Genotropin (D, A, CH), Humatrope (D, A, CH), Jintropin (RU, CN), Norditropin (D, A, CH), NutropinAq (D, A), Omnitrope (D, A, CH), Saizen (D, A, CH), Zomacton (D, A)
Omnitrope (Sandoz) ist der Handelsname für das seit 2006 als Biosimilar zugelassene Somatropin.[16]
Weblinks
- Öffentlicher Beurteilungsbericht (EPAR) der europäischen Arzneimittelagentur (EMA) zu: Somatropin
Literatur
- Siegfried Zabransky, Michael B. Ranke: Wachstumshormontherapie in der Pädiatrie. Palatium-Verlag, Mannheim 2002, ISBN 3-920671-46-5.
- Lois Jovanovic, Genell J. Subak-Sharpe: Hormone. Das medizinische Handbuch für Frauen. (Originalausgabe: Hormones. The Woman’s Answerbook. Atheneum, New York 1987) Aus dem Amerikanischen von Margaret Auer, Kabel, Hamburg 1989, ISBN 3-8225-0100-X, S. 20, 48 ff. und 387.
Einzelnachweise
- PDB 1hgu
- Datenblatt Somatropin (PDF) beim EDQM, abgerufen am 6. Juni 2011.
- UniProt P01241
- William F. Ganong: Lehrbuch der Medizinischen Physiologie: Die Physiologie des Menschen für Studierende der Medizin und Ärzte. Springer, Berlin/ Heidelberg 2013, ISBN 978-3-662-00627-6, S. 352 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- G. Corneli, C. Di Somma, R. Baldelli, S. Rovere, V. Gasco, C. G. Croce, S. Grottoli, M. Maccario, A. Colao, G. Lombardi, E. Ghigo, F. Camanni, G. Aimaretti: The cut-off limits of the GH response to GH-releasing hormone-arginine test related to body mass index. In: European Journal of Endocrinology. 2005, S. 257–264.
- Consensus guidelines for the diagnosis and treatment of adults with growth hormone deficiency: summary statement of the Growth Hormone Research Society Workshop on Adult Growth Hormone Deficiency. In: Journal of Clinical Endocrinology & Metabolism. 1998, S. 379–381.
- Anton Luger: Substitutionstherapie bei Wachstumshormonmangel. In: Journal für Fertilität und Reproduktion. Ausgabe für Österreich. 17(1), 2007, S. 15–18.
- Z. Laron: Laron syndrome (primary growth hormone resistance or insensitivity): the personal experience 1958–2003. In: The Journal of clinical endocrinology and metabolism. Band 89, Nummer 3, März 2004, S. 1031–1044. PMID 15001582.
- Z. Laron: Do deficiencies in growth hormone and insulin-like growth factor-1 (IGF-1) shorten or prolong longevity? In: Mechanisms of ageing and development. Band 126, Nummer 2, Februar 2005, S. 305–307, doi:10.1016/j.mad.2004.08.022. PMID 15621211. (Review).
- European Medicines Agency confirms positive benefit-risk balance of somatropin-containing medicines. Pressemeldung der EMA, 15. Dezember 2011.
- Zollfahndung warnt vor totalgefälschtem Arzneimittel „SOMATROPE“. (Memento vom 1. Januar 2011 im Internet Archive)
- Plagiatpillen lassen Bizeps schwinden. In: Der Spiegel. 42/2009.
- "Can We Restore Thymus Function to Cheat Death?"
- "Wer ewig lebt, macht keinen Platz für andere" Zeit Online vom 15. Juli 2019
- Nachweis von Doping mit HGH (Memento vom 18. Februar 2009 im Internet Archive).
- 10 Jahre Biosimilars in Europa – Biosimilarzulassungen im Überblick. In: Pro Biosimilars. 12. April 2016 (probiosimilars.de [abgerufen am 26. November 2018]).