Raymond Barre
Raymond Barre (* 12. April 1924 in Saint-Denis auf Réunion; † 25. August 2007 in Paris) war ein französischer Politiker und Wirtschaftswissenschaftler. 1976–1981 war er französischer Premierminister unter Staatspräsident Valéry Giscard d’Estaing.
Leben
Raymond Barre wurde als Sohn eines Kaufmanns auf der französischen Insel Réunion im Indischen Ozean geboren, wo er auch seine Jugend bis auf eine Unterbrechung von wenigen Monaten im Jahr 1934 verlebte. Er besuchte zunächst dieselbe Grundschule wie der Journalist und Politiker Raymond Bourgine, bevor er auf das Lycée Leconte de Lisle wechselte. Anschließend wurde er in die École de droit de la Réunion aufgenommen.
Im Alter von zwanzig Jahren konnte er nicht, wie in seiner Familie üblich, an der Universität Montpellier Medizin studieren, da er 1945 zum Artillerieregiment in Madagaskar einberufen wurde. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges ging er Anfang 1946 nach Paris, wo er bis 1950 ein Zimmer in der Cité Internationale Universitaire de Paris mietete.
Barre schloss sein Studium mit einer Staatsprüfung in Recht und Wirtschaftswissenschaften ab, anschließend absolvierte er ein Studium am Institut d’études politiques de Paris. Danach wurde er schon 1950, mit nur 26 Jahren, Hochschullehrer in Caen und veröffentlichte 1959 ein Wirtschaftslehrbuch.
Von 1962 bis 1965 war Raymond Barre Kabinettsleiter von Jean-Marcel Jeanneney, dem Industrieminister in der Regierung Michel Debré. Im Jahre 1967 wurde er von Charles de Gaulle in die Europäische Kommission entsandt, wo er Vizepräsident wurde. Diese Position, in der er für Wirtschaft und Finanzen verantwortlich war, hatte er bis 1973 inne. Zwischen 1973 und 1976 saß er als Gründungspräsident der International Association for the Study of Insurance Economics vor.
Nach einem Finanzskandal seitens der Lyoner Stadtverwaltung übernahm er von 1995 bis 2001 als Bürgermeister von Lyon die Leitung der Verwaltung. 2004 wurde Barre mit dem Konrad-Adenauer-Preis (Stadt Köln) ausgezeichnet.
Raymond Barre starb am 25. August 2007 im Alter von 83 Jahren im Militärkrankenhaus Val-de-Grâce in Paris und wurde auf dem Cimetière du Montparnasse bestattet.
Aus seiner 1954 geschlossenen Ehe mit der aus ungarisch-jüdischer Familie stammenden Éva Hegedűs gingen die beiden Söhne Olivier (* 1955) und Nicolas (* 1961) hervor.[1]
Mitglied der Regierung (1976–1981)
Von Januar bis August 1976 war Raymond Barre Minister für Außenhandel unter Jacques Chirac.
Im März 1976 wurde Raymond Barre nach der Entlassung von Jacques Chirac Premierminister Frankreichs unter Valéry Giscard d’Estaing und sah sich, in seiner zusätzlichen Funktion als Wirtschafts- und Finanzminister (1976–1978), wegen hoher Arbeitslosigkeit und Inflation zu einer strengen Sparpolitik gezwungen. Er musste mit den Folgen des Ölpreisschocks, einer Abwertung des französischen Franc und einer zweistelligen Inflation fertigwerden. Trotz dieser Maßnahmen konnte er weder die Arbeitslosigkeit noch die Inflation senken. Unbeirrt übte er das Amt fast fünf Jahre lang aus, bis Giscard d'Estaing als Staatspräsident 1981 seinem sozialistischen Nachfolger François Mitterrand weichen musste.[2]
Als Wirtschaftsminister beschäftigte er Maurice Papon, der in die Kollaboration in Frankreich (1940–1944) verstrickt war. Als dieser 1997/98 trotz aller gegenteiligen Bemühungen der französischen Elite vor Gericht kam, betonte der mit einer Jüdin verheiratete Raymond Barre dessen „Anständigkeit“. Als am 3. Oktober 1980 eine Bombe vor der Synagoge der Rue Copernic explodierte, beklagte er die Todesopfer, sie waren für ihn entweder Juden oder unschuldige Franzosen.
Weitere Ämter (1978–2002)
Von 1978 bis 2002 vertrat Raymond Barre das Département Rhône in der Nationalversammlung und war seit 1986 Mitglied der Kommission für auswärtige Angelegenheiten. Bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich 1988 war er Kandidat der Mitte-rechts-Partei Union pour la démocratie française (UDF), ohne jedoch deren Mitglied zu sein. Mit 16,5 % der Stimmen schied er als Drittplatzierter hinter François Mitterrand und Jacques Chirac im ersten Wahlgang aus. Von 1995 bis 2001 amtierte er als Bürgermeister von Lyon, der drittgrößten Stadt des Landes. Dort weihte er im Jahr 2000 die neue Straßenbahn Lyon ein.
Daneben war er sowohl Professor als auch Präsident des Institut d’études politiques de Paris (Sciences Po).
Kontroverse mit Claude Lanzmann
Aufsehen erregte er Anfang März 2007, als er in einer landesweit ausgestrahlten Radiosendung den kurz zuvor verstorbenen Maurice Papon sowie den Rechtsextremen Bruno Gollnisch in Schutz nahm, der wegen relativierender Äußerungen zum Holocaust verurteilt worden war. Darauf konterte Claude Lanzmann (Shoah) im Blatt Libération, dass Barre ein „Antisemit“ sei, weil er Kritik an einer angeblichen „jüdischen Lobby“ geübt habe. Der Regisseur warf Barre vor, „sich zum Herold dieser ekelhaften Leidenschaft zu machen, sie zu propagieren und sich dessen zu rühmen“.
Ehrungen
Weblinks
- Literatur von und über Raymond Barre im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- „Raymond Barre, Former French Prime Minister and Economist, Dies“, New York Times, 24. August 2007
- „Frankreichs Ex-Premier Barre gestorben“ Spiegel Online, 25. August 2007
Einzelnachweise
- http://www.economie.gouv.fr/caef/raymond-barre
- "Der dicke Raymond": Frankreichs Ex-Premier Barre gestorben. In: Spiegel Online. 25. August 2007, abgerufen am 9. Juni 2018.
Vorgänger | Amt | Nachfolger |
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Michel Noir | Bürgermeister von Lyon 1995–2001 | Gérard Collomb |