Pinchas Goldschmidt
Pinchas Goldschmidt (* 21. Juli 1963 in Zürich) ist Oberrabbiner von Moskau, geistlicher Führer der zentralen Choral-Synagoge (Moskau), Vorsitzender der Rabbinischen Gerichte sowohl der Russischen Föderation als auch der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten, Vorstandsmitglied des Russländischen Jüdischen Kongresses sowie Vorsitzender der Europäischen Rabbinerkonferenz.
Familie
Goldschmidt entstammt einer in der vierten Generation in Zürich lebenden jüdischen Familie. Sein Vater Salomon, verheiratet mit seiner Mutter Elisabeth, war Unternehmer und entwickelte u. a. ein automatisiertes Warenumlagerungssystem für Kleider. Sein Urgroßvater väterlicherseits war Oberrabbiner von Dänemark und später von Zürich. Die Vorfahren seines Vaters sind während des Ersten Weltkriegs von Frankreich in die Schweiz eingewandert. Goldschmidts Großvater mütterlicherseits war Chassid aus dem Karpatenraum und lebte in Wien. Seine Großmutter kam 1938, kurz vor dem Anschluss Österreichs an Deutschland, wegen einer Tuberkuloseerkrankung in die Schweiz. Sein Urgroßvater mütterlicherseits und alle dessen Geschwister, die in Österreich zurückgeblieben waren, sind im KZ Auschwitz ermordet worden.[1]
Goldschmidt ist verheiratet und hat sieben Kinder. Seine Frau Dara ist in den Vereinigten Staaten von Amerika geboren, ihr Großvater stammt aus Minsk.[1]
Goldschmidts jüngerer Bruder ist Rabbiner in Südafrika.[1]
Werdegang
1979 bis 1981 studierte Goldschmidt an der Ponewiescher Jeschiwa in Bnei Berak in Israel, 1981 bis 1982 an der Telshe Yeshiva in Chicago, 1985 bis 1986 am Shevet Umechokek Institute for Rabbinical Judges und 1986 bis 1987 am Harry Fischel Institute for Rabbinical Judges in Jerusalem. 1987 erhielt er die Semicha durch den Oberrabbiner von Jerusalem, Jitzchak Kulitz.[2] Neben seiner rabbinischen Ordination besitzt Goldschmidt einen M.A. des Ner Israel Rabbinical College und einen M.S. der Johns-Hopkins-Universität, beide in Baltimore.[3] Von 1987 bis 1989 arbeitete er im Rabbinat von Nazareth-Ilit.[1]
1989, zwei Jahre vor der formellen Auflösung der Sowjetunion, kam Goldschmidt auf die gemeinsamen Bitten der Regierung der Sowjetunion, des verstorbenen Züricher Rabbis Mosche Soloweitschik, des Israelischen Oberrabbinats, des Jüdischen Weltkongresses und der örtlichen jüdischen Untergrundbewegung nach Moskau, um das jüdische Leben im Lande zu restrukturieren und die erforderlichen Voraussetzungen für ein Wiederaufleben der Jüdischen Gemeinde zu schaffen.[2] Dies gelang ihm in der Folgezeit durch die Entwicklung kommunaler Strukturen aus Colleges, Ganztagesschulen und Kindergärten, Suppenküchen und rabbinischen Schulen bis hin zu politischen Mantelstrukturen wie dem Russländischen Jüdischen Kongress und dem Kongress der Jüdischen Religiösen Organisationen und Vereinigungen in Russland.[3] 1993 wurde Goldschmidt zum Oberrabbiner von Moskau gewählt.[1]
2002 wurde Goldschmidt vom Oberrabbinat von Israel die Qualifikation für die Position eines Oberrabbiners in jeder israelischen Stadt bescheinigt.[2]
Im Frühjahr 2009 war Goldschmidt Gastwissenschaftler am Davis Center for Russian and Eurasian Studies der Universität Harvard.[3]
Religiöses Wirken und politische Aktivitäten
Goldschmidt verfasst religionsrechtliche Beiträge zum postsowjetischen Judentum und hat 1996 in Moskau eine Reihe von Responsen zu russischen jüdischen Namen veröffentlicht.[3] Er nimmt in der Presse und vor internationalen Einrichtungen wie dem Senat der Vereinigten Staaten, dem Europäischen Parlament, dem Europarat, der Knesset, der Neeman Commission von Premierminister Benjamin Netanjahu, der Universität Oxford, der Berliner Antisemitismus-Konferenz der OSZE oder der Universität Harvard Stellung zu aktuellen Themen, zumeist zum Zustand der Jüdischen Gemeinde und zu den Bedrohungen durch den Antisemitismus.[3]
Im Januar 2005 entgegnete er detailliert auf eine von 500 Petenten, darunter Zeitungsherausgeber, Intellektuelle und 19 Duma-Abgeordnete, unterschriebene Petition zur Schließung aller jüdischen Einrichtungen in der Russischen Föderation. Der damalige Vorsitzende der nationalistischen Rodina-Partei, Dmitri Olegowitsch Rogosin, entschuldigte sich daraufhin bei Goldschmidt und distanzierte sich von der Petition.[3]
Vorsitzender der Europäischen Rabbinerkonferenz
Im Juli 2011 wurde Goldschmidt in London zum Präsidenten der Europäischen Rabbinerkonferenz, die ca. 400 Rabbis von Dublin bis Chabarowsk vereint[4], gewählt. Er folgte damit dem früheren Oberrabbiner von Frankreich, Joseph Chaim Sitruk, der den Posten seit 1999 innehatte. Goldschmidt ist in der 54-jährigen Geschichte der Konferenz erst der vierte Präsident und der erste aus Osteuropa. 2012 kritisierte er in dieser Funktion mit harten Worten ein Urteil des Landgerichts Köln vom 7. Mai 2012[5], wonach Beschneidungen grundsätzlich als Körperverletzung zu werten seien.[6] 2013 warnte er in Berlin davor, als Reaktion auf die Zuwanderung von Muslimen aus Nordafrika und dem Nahen Osten die Religionsfreiheit einzuschränken.[7] 2015 dankte er Papst Franziskus für den Einsatz der Römisch-katholischen Kirche für die Religionsfreiheit und kritisierte, dass das säkulare Europa auf antijüdische Attentate durch radikalisierte muslimische Einwanderer mit einer „Attacke auf den Islam“ reagiere, „anstatt die Radikalen zu bekämpfen“. Zugleich warnte er angesichts des Ukraine-Konflikts vor einer neuen Trennung Europas, die auch darin bestehe, „dass der Osten der Verteidiger traditioneller religiöser Werte werden würde, während der Westen einen Säkularismus annimmt, der ihn von seinem jüdisch-christlichen Erbe wegführt“.[8]
Auszeichnungen
Am 27. Juli 2016 wurde Pinchas Goldschmidt von der französischen Regierung mit dem Orden der Ehrenlegion für seinen großen Beitrag zur Stärkung der Beziehungen zwischen Russland und Frankreich ausgezeichnet.
Einzelnachweise
- Раввин Пинхас Гольдшмидт. In: Московская Еврейская Религиозная Община. Abgerufen am 17. Januar 2017.
- Moscow Rabbi Elected New President of the Conference of European Rabbis. In: The Jewish Post of New York. Abgerufen am 26. April 2015.
- President (Memento vom 9. Januar 2015 im Internet Archive). In: Conference of European Rabbis. Abgerufen am 28. April 2015.
- Archivierte Kopie (Memento vom 6. Januar 2014 im Internet Archive). In: HULYA – Young Rabbis for European Jewry. Abgerufen am 28. April 2015.
- Landgericht Köln, 151 Ns 169/11. Abgerufen am 28. April 2015.
- Religionsfreiheit: Rabbiner verschärfen Kritik an Beschneidungsurteil. In: spiegel online, 12. Juli 2012. Abgerufen am 28. April 2015.
- Mahnen und Versöhnen: Gedenken an das Novemberpogrom. In: Deutsche Welle, 10. November 2013. Abgerufen am 28. April 2015.
- Franziskus empfängt europäische Rabbiner. In: Radio Vatikan. Abgerufen am 25. April 2015.