Nazareth
Nazareth (hebräisch נָצְרַת [naːts'raθ]; arabisch الناصرة, DMG an-Nāṣira; aramäisch ܢܵܨܪܲܬ ['naːtsraθ]) ist eine Stadt im Nordbezirk Israels in der historischen Landschaft Galiläa. Der Ort ist vor allem aufgrund seiner christlichen Tradition bekannt. Er wird im Neuen Testament mehrfach erwähnt; die Schreibweise variiert: altgriechisch Ναζαρέτ Nazarét und altgriechisch Ναζαρέθ Nazaréth sind in den Manuskripten am besten bezeugt.[3] Als ökumenische Schreibweise in deutschsprachigen Bibeln gilt Nazaret; die Lutherbibel hat die traditionelle Schreibung Nazareth.
Nazareth | |||
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Blick auf die Stadt und die Verkündigungsbasilika | |||
Basisdaten | |||
hebräisch: | נָצְרַת | ||
arabisch: | الناصرة | ||
Staat: | Israel | ||
Bezirk: | Nord | ||
Koordinaten: | 32° 42′ N, 35° 18′ O | ||
Höhe: | 347 m | ||
Fläche: | 14,123 km² | ||
Einwohner: | 77.064 (Stand: 2018)[1] | ||
Bevölkerungsdichte: | 5.457 Einwohner je km² | ||
Gemeindecode: | 7300 | ||
Zeitzone: | UTC+2 | ||
Postleitzahl: | 16001 – 16534 | ||
Gemeindeart: | Stadt | ||
Bürgermeister: | Ali Salam[2] | ||
Website: | |||
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Nazareth ist heute die Stadt mit der größten Gemeinschaft arabischer Israelis in Israel. Die Stadt besteht im Altstadtbereich vor allem aus kleinen Gassen mit einem arabischen Markt. Zusammen mit ihrer Schwesterstadt Nof HaGalil, bis 2019 Nazareth-Illit („Ober-Nazareth“), kommen beide Städte auf 118.233 Einwohner (Stand 2018); auf Nof HaGalil entfallen davon 41.169 Einwohner, und auf Nazareth 77.064.[4] Nazareth ist eine sehr alte Stadt und wird heute in erster Linie von Muslimen und Christen bewohnt. Nof HaGalil ist deutlich jünger und wird hauptsächlich von Juden bewohnt. Nazareth und Nof HaGalil sind zwei selbständige Städte und haben getrennte Verwaltungen.
Bedeutung
Der Ort wird weder im Tanach noch im Talmud erwähnt. Seine besondere Bedeutung liegt bis heute darin, dass er für Christen als Heimatort (Lk 4,16 ) und Vaterstadt (Mk 6,1 par. Mt 13,54 ) Jesu gilt (Mt 2,23 ; 4,13 ; 21,11 ; 26,71 ; Mk 1,24 ; 16,6 ; Joh 1,45f u.ö.). Nach Darstellung der Evangelien lebten hier seine Eltern Maria und Josef (Lk 1,26 ; 2,4.39 ).
Die früheste außerchristliche Erwähnung Nazareths ist eine Inschrift aus Caesarea Maritima aus dem späten 3. bzw. frühen 4. Jahrhundert, in der der Ort als Sitz einer von 24 Priesterordnungen genannt wird.
Heute gehört Nazareth zu den wichtigsten Pilgerstätten des Heiligen Landes. An der Stelle, wo nach der Überlieferung das Haus Marias stand und der Verkündigungsengel zu ihr kam, erhebt sich die 1969 geweihte römisch-katholische Verkündigungsbasilika. Sie trägt die Aufschrift „Hic verbum caro factum est“ – „Hier ist das Wort Fleisch geworden“.
Der Ort wurde Namensgeber verschiedener Kirchen.
Geographie
Die Altstadt von Nazareth liegt in einer Geländemulde. Die Mulde liegt knapp 100 m tiefer als der Hügelzug, der die Stadt hufeisenförmig umsäumt. Die Abhänge steigen mäßig steil an. Sie sind heute fast vollständig überbaut.
Nazareth liegt am etwa 1100 Kilometer langen Fernwanderweg Israel National Trail sowie am Jesus Trail. Rund um Nazareth können hier auch Tageswanderer Kultur und historische Eindrücke erschließen, z. B. dem Israel Trail folgend den Berg Arbel erwandern.[5]
Klima
Nazareth | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Klimadiagramm | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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Monatliche Durchschnittstemperaturen und -niederschläge für Nazareth
Quelle: Israel Meteorological Service |
Geschichte
Nazareth in biblischer Zeit
Aufgrund des Fehlens jeglicher Erwähnung der Ortschaft Nazareth im Tanach, im Talmud oder in außerbiblischen Quellen aus dem ersten und zweiten Jahrhundert (wie etwa Flavius Josephus) wurde seit dem 19. Jahrhundert seine Existenz zur Zeit der Geburt Jesu selbst in Zweifel gezogen. Archäologische Grabungen haben eine Besiedlung der Areale um die heutige Stadt seit dem 2. Jahrtausend vor Chr. nachgewiesen: Auf diese Zeit geht ein Grabfeld zurück, das in dem Berghang gefunden worden ist, und auf das 13. Jahrhundert vor Chr. ein eisenzeitliches Dorf. Auch wurden die Überreste eines in späthellenistischer Zeit (zwischen 141 und 30 v. Chr.) gegründeten kleinen Dorfes freigelegt.[6]
Die archäologischen Befunde legen nahe, dass die Gegend um das heutige Nazareth im 1. Jahrhundert sehr spärlich besiedelt war. Oben an einem der Abhänge konnten landwirtschaftlich genutzte Bauten aus jener Zeit entdeckt werden, wobei es sich um die Überreste von Terrassenmauern und die Fundamente von drei Türmen handelt. Zudem stieß man bei den Ausgrabungen durch Ross Voss und Stephen Pfann ab 1996 auf ein Grab.[7] Weitere zwanzig jüdische Gräber aus römischer Zeit sind ausgegraben worden. Diese Größenordnung kann auf ein Familiengrab hindeuten oder bestenfalls einem kleineren Familienclan zugeordnet werden. Die derzeitige Interpretation der University of the Holy Land lässt jedoch eine zugehörige Siedlung vermuten, deren Einwohnerzahl sie auf 200 bis 500 Personen schätzt.[6] Im Jahr 2009 wurden bei Ausgrabungen der Israelischen Antikenverwaltung nahe der Verkündigungsbasilika erstmals Überreste eines Wohnhauses aus der frühen römischen Periode gefunden, die Rückschlüsse auf die Gegebenheiten zur Zeit Jesu zulassen. Es handelte sich um ein kleines, bescheidenes Haus mit zwei Zimmern. In dem zum Haus gehörenden Hof befand sich eine in den Felsen gehauene Zisterne. Die aufgefundenen Geschirrfragmente lassen auf die Nutzung durch jüdische Bewohner schließen.[8] Hinweise auf eine Synagoge, von der das Neue Testament berichtet (Lk 4,16 ), wurden nicht gefunden.
Spätantike
Eine Inschrift des 3./4. Jahrhunderts aus Caesarea Maritima belegt, dass sich die priesterliche Familie Ha-Pizzez nach dem Bar-Kochba-Aufstand in Nazareth niederließ.[9] Bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. lebten in Nazareth Juden.
Eine christliche Präsenz in Nazareth ist durch Eusebius von Caesarea und Julius Africanus bezeugt. Laut Epiphanios von Salamis baute Joseph von Tiberias zur Zeit Kaiser Konstantins in Nazareth eine Kirche. Die Pilgerin Egeria erwähnt eine Grotte als Marienheiligtum. Seit 614 wurde Nazareth verstärkt als christliche Stadt ausgebaut, wie Eutychios von Alexandria schreibt.[9]
Mittelalter
Tankred eroberte Nazareth im Jahr 1099. Für das frühe 12. Jahrhundert ist ein lateinischer Bischof bezeugt, dem um 1120 das Erzbistum Galiäa übertragen wurde. 1187 eroberten die Araber Nazareth; die zweite Periode der Kreuzfahrerherrschaft währte von 1229 bis 1263. Aus der Zeit der Kreuzfahrer datieren mehrere Kirchenbauten in Nazareth, darunter die Verkündigungskirche und die Josephskirche.[9] Seit dem Mittelalter war die Stadt vorwiegend von arabischen Christen bewohnt.
Bevölkerungsentwicklung
Im frühen 19. Jahrhundert war Nazareth laut Dan Rabinowitz ein Dorf mit höchstens 2000 meist muslimischen Bewohnern.[10] Yehoshua Ben-Arieh schätzt, dass von 1800 bis 1880 die Stadtbevölkerung von 1250[11] auf 6000[11] Personen anwuchs. Es gab stets auch eine christliche Minderheit, sie wuchs durch Zuzug christlicher Araber aus anderen Regionen der Levante: 1867 waren von 5500 Einwohnern 65 Prozent Christen, 1888 wurde mit 68 Prozent ein Höchststand erreicht, der sich in den folgenden Jahrzehnten in etwa hielt. Von den Christen waren 3040[12] im Jahr 1904 griechisch-orthodox. 1948 hatte Nazareth 17.000 Einwohner, 60 Prozent Christen, 40 Prozent Muslime.[10]
Während des Palästinakriegs war Nazareth von den Kampfhandlungen kaum betroffen, aber die demografische Situation veränderte sich stark. Mitte Juli 1948 rückte die israelische Armee in Richtung auf Nazareth vor, aber durch eine Intervention David Ben Gurions (der bei einer Flucht der christlichen Bevölkerung und Israels Übernahme christlicher heiliger Stätten diplomatische Probleme unter anderem mit dem Vatikan befürchtete) erhielt Nazareth die Möglichkeit, sich zu ergeben, mit der Konsequenz, dass die Einwohner in ihren Häusern bleiben konnten.[13] Rund 20.000 arabische, meist muslimische Binnenflüchtlinge kamen nach Nazareth. Die meisten stammten aus drei großen, von der israelischen Armee zerstörten Dörfern in der Region: Saffuriya, Mjaydal und Maʿalul. In den 1990er Jahren gaben zum Beispiel rund 10.000 Einwohner Nazareths an, dass ihre jeweilige Familie aus Saffuriya stammte. Ein Nazarether Stadtteil, Safafra, ist nach ihrem Herkunftsdorf Saffuriya benannt. Der massive Zuzug dieser Flüchtlinge bewirkte den nunmehr städtischen Charakter von Nazareth. Spätestens beim Zensus von 1972 stellten Muslime die Mehrheit der Bevölkerung, und ihr Anteil wuchs weiter auf rund zwei Drittel um die Jahrtausendwende. Als Flüchtlinge ohne Landbesitz bildeten sie allerdings auch die städtische Unterschicht und waren gegenüber der alteingesessenen christlichen Bevölkerung vielfach benachteiligt. So war die Infrastruktur in ihren neu aufgebauten Stadtteilen unzureichend.[14]
Im Dezember 1954 wurde in Nazareth der Grundstein zu einer monumentalen Verkündigungsbasilika nach Plänen von Antonio Barluzzi gelegt. Barluzzi hatte in den 1920er Jahren mehrere römisch-katholische Kirchen im Heiligen Land gestaltet. Für Nazareth entwarf er 1941 einen monumentalen, eklektischen Kirchenbau, dessen Maße (Länge 90 m, Höhe vom Bodenniveau bis zum Kreuz über der Kuppel 70 m) der Bedeutung der Inkarnation angemessen sein sollten. Der Zweite Weltkrieg und der Palästinakrieg verhinderten den Beginn der Bauarbeiten.[15] Der Vatikan strebte politisch eine Internationalisierung Nazareths wegen der Bedeutung seiner christlichen Heiligtümer an und verhandelte 1949 darüber mit den Vereinten Nationen und Belgien als dem Staat, der eine Aufsichtsfunktion über Nazareth wahrnehmen sollte.[16] Die israelische Baugenehmigung für die monumentale Kirche Barluzzis in einer gemischt christlich-muslimischen arabischen Stadt fand 1954 in einem Klima der Annäherung zwischen Israel und dem Vatikan statt. Die wichtigste Interessenvertretung der Palästinenser war zu jener Zeit die Kommunistische Partei, in der Christen stark engagiert waren – allerdings meist orthodoxe oder anglikanische arabische Christen, da der Vatikan für Katholiken eine strikt antikommunistische Haltung vorgab. Das war aus Sicht der israelischen Regierung begrüßenswert.[17] Realisiert wurde dann allerdings nicht der Kirchenbau Barluzzis, für den Israel die Genehmigung erteilt hatte. Aufgrund von verschiedenen Seiten geäußerter Kritik beauftragte der franziskanische Kustos Alfredo Polidori 1958 den Architekten Giovanni Muzio, der eine verglichen mit Barluzzis Plänen bescheidenere Kirche entwarf. Sie sollte sich festungsartig vom Trubel der Innenstadt abgrenzen und die archäologischen Funde sowie die Reste der byzantinischen und kreuzfahrerzeitlichen Vorgängerkirchen sozusagen unter ihren Schutz nehmen.[18]
Die Situation der arabischen Binnenflüchtlinge in Nazareth wurde durch Maßnahmen der israelischen Regierung verschärft. Sie enteignete 1956 das östlich an Nazareth angrenzende, landwirtschaftlich genutzte Hügelland im „öffentlichen Interesse“, um dort die jüdische Siedlung Nazareth Illit („Ober-Nazareth“) neu anzulegen;[13] dieses Gebiet wäre aber als Landreserve für die wachsende Stadt Nazareth wichtig gewesen.[14] Die Wohn- und Industriegebiete von Nazareth Illit schnitten Nazareth von seinem Hinterland ab. Städtische Behörden, die in der britischen Mandatszeit in Nazareth ihren Sitz gehabt hatten, wurden nach Nazareth Illit verlegt.[13]
1975 war Nazareth die erste israelische Stadt, die von einem kommunistisch dominierten Stadtrat regiert wurde. Der Dichter und Politiker Tawfiq Ziad erzielte mit der „Nazareth-Front“ einen Erdrutschsieg und entmachtete die bisher regierenden Lokalpolitiker, die zionistischen Parteien nahestanden. Nazareth wurde so zum Präzedenzfall für eine Reihe von kommunistisch geführten Koalitionen auf kommunaler Ebene und gewissermaßen das Machtzentrum der Demokratischen Front für Frieden und Gleichheit (al-Jabha). Aufgrund ihrer säkularen, gesamt-palästinensischen Ausrichtung bilden christliche Araber die Stammwählerschaft von al-Jabha; die Partei wurde aber wegen ihrer sozialen Agenda in den 1970er und 1980er auch von vielen Muslimen namentlich der Unterschicht gewählt. In den 1990er Jahren gewann die Islamistische Bewegung allerdings an Zulauf. Ihr soziales Engagement galt vielen muslimischen Wählern als glaubwürdiger. In Nazareth wurde sie 1989 mit sechs Sitzen im Stadtrat die größte Oppositionspartei, spaltete sich dann aber, trat 1993 mit drei Listen an und verlor dadurch stark an Zustimmung in der Bevölkerung.[19] Beobachtern zufolge versäumte es die kommunistische Partei in Nazareth, Personen aus ihrer muslimischen, sozial benachteiligten Wählerschaft in Führungspositionen zu bringen und wurde zunehmend als pro-westlich, christlich und urban wahrgenommen.[20]
Zwar konnte Nazareth sein touristisches Potenzial nicht ausschöpfen: die Touristen kamen üblicherweise in Bussen, brauchten eine Stunde, um die Kirchen und heiligen Stätten zu besichtigen und fuhren weiter nach Tiberias, wo es Restaurants und Hotels gab. Aber es entwickelte sich dennoch zum wirtschaftlichen Zentrum des arabischen Galiläa. In Nazareth gibt es nämlich drei Krankenhäuser und zahlreiche Schulen, alle von christlichen Wohltätigkeitsorganisationen und Ordensgemeinschaften gegründet. Aus den muslimischen und christlichen Absolventen dieser Schulen rekrutiert sich die Mittelschicht Nazareths. In Nazareth Illit wurden dagegen jüdische Einwanderer aus der früheren Sowjetunion angesiedelt, von denen viele die Stadt wieder verließen. Wohlhabende, vor allem christliche arabische Bürger Nazareths waren häufig bereit, Preise über dem Marktwert zu zahlen, um aus dem dicht bevölkerten Nazareth in diese frei gewordenen Wohneinheiten zu ziehen. Seit 2005 klassifiziert die israelische Regierung Nazareth Illit offiziell als ethnisch gemischte Stadt (nach Code 20).[21]
Kontroverse um die Schihab-ad-Din-Moschee
Die Stadtverwaltung von Nazareth plante in den 1990er Jahren, das anstehende Millennium und den Pilgerbesuch Papst Johannes Pauls II. in Nazareth für ein Stadterneuerungsprojekt („Nazareth 2000“) zu nutzen: Nazareth sollte einen zentralen, runden Platz erhalten, der optisch dominiert würde von der nördlich anschließenden Verkündigungsbasilika. Der größte Teil des dafür benötigten Grundstücks war seit osmanischer Zeit in staatlichem Besitz; hier befand sich eine Elementarschule, deren Standort 1994 verlegt wurde. 1997 erfolgte der Abriss der Schulgebäude, wodurch im dicht bebauten Stadtkern überhaupt eine Freifläche entstand. Zwei kleinere Teilflächen des umstrittenen Grundstücks waren allerdings im Besitz einer islamischen Stiftung (Waqf), da sich auf diesem Areal das Grab von Schihab ad-Din, dem Neffen Saladins und somit einer wichtigen islamischen Persönlichkeit befand. Er wurde der Überlieferung nach in der Schlacht bei Hattin verwundet und verstarb in Nazareth, wo er auch begraben worden sei. Muslimische Proteste bewirkten, dass der projektierte Platz verkleinert wurde, so dass er halbkreisförmig ganz auf dem ehemaligen Schulgelände gelegen wäre. Der Schrein des Schihab ad-Din sollte nach diesen Planungen hinter einer hohen Mauer, die den Platz begrenzen würde, verschwinden und wäre nur noch schlecht erreichbar (vom Platz aus gar nicht).[22] Der Beginn der Bauarbeiten und mögliche Beschädigungen an der Bausubstanz des Schreins alarmierte einzelne Nazarether Muslime, die sich für islamische Heiligtümer engagierten. Sie forderten im Gegenzug, dass an Stelle der Schule keine Freifläche, sondern eine Moschee entstehen solle. Im Dezember 1997 errichteten einige muslimische Aktivisten ein schwarzes Zelt auf dem Baugelände und erklärten es zu einer provisorischen Moschee. Bürgermeister Ramez Jeraisi, ein säkularer Christ, wollte vermeiden, kurz vor Weihnachten eine muslimische Gebetsstätte gewaltsam räumen zu lassen. Die breite Unterstützung, die das Moscheeprojekt daraufhin in der mehrheitlich muslimischen Bevölkerung Nazareths erreichte, überraschte alle Beteiligten. Zum Freitagsgebet fanden sich 3000–4000 Menschen in der improvisierten Moschee auf der Freifläche ein, an eine Fortsetzung der Bauarbeiten war nicht zu denken.[23]
Planungen wurden veröffentlicht, dass an Stelle des Zeltes eine Moschee erbaut werden solle, die höher als die Verkündigungsbasilika sei und somit Nazareth optisch zu einer muslimisch dominierten Stadt mache. Im Stadtrat wurde intensiv über die kirchlichen und privaten Besitzverhältnisse auf dem Platz diskutiert. Die israelische Regierung trug das Stadterneuerungsprogramm „Nazareth 2000“ eigentlich mit und unternahm 1998 und 1999 ebenso wie palästinensische Politiker verschiedene Versuche, den Konflikt in Nazareth im Vorfeld des Papstbesuchs beizulegen. Unterdessen machten sich islamistische Lokalpolitiker das Projekt der Schihab-ad-Din-Moschee zu eigen, verbanden es mit sozialen Anliegen und erzielten mit ihrer Liste „Vereintes Nazareth“ 1998 bei den Kommunalwahlen einen spektakulären Erfolg. Sie errangen 10 von 19 Sitzen. Bürgermeister Jeraisi blieb mit äußerst knapper Mehrheit im Amt. Der Stadtrat war bis zur Jahrtausendwende handlungs- und beschlussunfähig.[24]
In der Osternacht vom 3. auf den 4. April 1999 kam es zu Ausschreitungen. Angeblich hatten christliche Jugendliche die im Zelt kampierenden muslimischen Aktivisten bedrängt und den Propheten Mohammed beleidigt. Daraufhin mobilisierten die Aktivisten ihre Anhängerschaft; parkende Autos wurden angezündet, Schaufenster eingeschlagen. Bürgermeister benachbarter arabischer Orte vermittelten einen Kompromiss, wonach mit Billigung der israelischen Regierung eine Moschee gebaut werden sollte. Ende 1999 wurde hierfür der Grundstein gelegt und das Moschee-Zelt abgebrochen. Die christlichen Konfessionen in Nazareth schlossen alle ihre Kirchen und sonstigen Einrichtungen aus Protest, weil aus ihrer Sicht die israelische Regierung aggressiven Islamisten entgegengekommen war.[25]
Unterdessen gab es massive internationale Proteste christlicher Stellen gegen das Moscheebauprojekt, die sich auch über den Papstbesuch hinaus fortsetzten. Am 9. Januar 2002 verhängte das israelische Sicherheitskabinett einen dauerhaften Baustopp. Im März 2006 wurde eine provisorische Mauer um den Platz aufgrund öffentlicher Proteste abgerissen.[26]
Kommunalpolitik
Eine im Sommer 2013 veröffentlichte Studie im Auftrag des israelischen Ministeriums für öffentliche Sicherheit kam zu dem Ergebnis, dass die Einwohner Nazareths von allen Bürgern Israels das größte Risiko haben, Opfer einer Straftat zu werden.[14]
Bei den Bürgermeisterwahlen im Januar 2015 siegte der unabhängige Kandidat Ali Salam; der bisherige Bürgermeister Ramez Jeraisi (Demokratische Front) erlitt eine deutliche Niederlage. Damit endete eine rund 40-jährige Periode, in der die Demokratische Front stets die Stadtregierung stellte. Jeraisi hatte die Nachfolge von Tawfik Ziad angetreten, nachdem dieser 1994 bei einem Autounfall verstorben war.[14] Salam war vor seiner Kandidatur langjähriger Stellvertreter Jeraisis. Jeraisi ist Christ, Salam Muslim; im Wahlkampf wurde gemutmaßt, dass die Demokratische Front christliche Privilegien verteidige bzw. dass Salam sich islamischen Chauvinismus zunutze mache.[27]
Söhne und Töchter der Stadt
Die Liste enthält eine chronologische Übersicht bedeutender, im heutigen Nazareth geborener oder aufgewachsener Persönlichkeiten. Ob die Personen ihren späteren Wirkungskreis in Nazareth hatten oder nicht, ist dabei unerheblich. Viele sind nach ihrer Geburt weggezogen und andernorts bekannt geworden. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
- Gaudenzio Orfali (1889–1926), italienischer Franziskaner und Archäologe
- Ignatius Ghattas (1920–1992), Bischof von Newton (USA)
- Abd al-Aziz az-Zubi (1926–1974), israelisch-arabischer Politiker
- Tawfiq Ziad (1929–1994), palästinensischer Politiker und Dichter
- Michel Sabbah (* 1933), palästinensischer katholischer Theologe
- Michel Khleifi (* 1950), arabisch-israelischer Drehbuchautor, Filmregisseur und Filmproduzent
- Wael B. Hallaq (* 1955), US-amerikanischer Islamwissenschaftler und Jurist
- Asmi Bischara (* 1956), arabisch-israelischer Politiker
- Basel Ghattas (* 1956), arabisch-israelischer Politiker
- Hiam Abbass (* 1960), arabisch-israelische Schauspielerin
- Elia Suleiman (* 1960), arabisch-israelischer Filmregisseur
- Hany Abu-Assad (* 1961), niederländisch-palästinensischer Filmregisseur
- Tom Gores (* 1964), US-amerikanischer Investor und Unternehmer
- Aida Touma-Suleiman (* 1964), israelische Politikerin
- Youssef Matta (* 1968), melkitischer Erzbischof von Akka
- Hisham Zreiq (* 1968), arabisch-israelischer Filmemacher und bildender Künstler
- Hanin Soabi (* 1969), israelische Politikerin
- Saleem Abboud Ashkar (* 1976), arabisch-israelischer klassischer Pianist
- Ali Suliman (* 1977), israelischer Schauspieler arabisch-palästinensischer Abstammung
- Basil Khalil (* 1981), arabisch-israelischer Filmemacher
- Wissam Joubran (* 1983), israelischer Komponist, Oud-Spieler und Gitarrenbauer
- Munas Dabbur (* 1992), israelischer Fußballspieler
Städtepartnerschaften und Städtefreundschaften
Städtefreundschaften
Tschenstochau, Polen
Loreto, Italien
Florenz, Italien
Den Haag, Niederlande
Saint-Denis, Frankreich
Siehe auch
Literatur
- Jürgen Zangenberg: Nazareth. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 6, Mohr-Siebeck, Tübingen 2003, Sp. 163.
- Rainer Riesner: Nazaret. In: M. Görg, B. Lang (Hrsg.): Neues Bibel-Lexikon. Band 2: Haar-Nymphas. Benziger, Zürich u. a. 1995, ISBN 3-545-23075-9, S. 909–912.
- Christian Seebauer: Israel Trail mit Herz. Das Heilige Land zu Fuß, allein und ohne Geld. MALIK/NATIONAL GEOGRAPHIC, ISBN 978-3-492-40496-9.
Weblinks
- Website von Nazareth (englisch)
- Gabriele Faßbeck: Nazareth. In: Michaela Bauks, Klaus Koenen, Stefan Alkier (Hrsg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WiBiLex), Stuttgart 2006 ff.
Einzelnachweise
- אוכלוסייה ביישובים 2018 (Bevölkerung der Siedlungen 2018). (XLSX; 0,13 MB) Israel Central Bureau of Statistics, 25. August 2019, abgerufen am 11. Mai 2020.
- Nazareth mayor announces plan to establish joint Arab-Jewish political party. In: The Times of Israel, 27. November 2020
- Bauer/Aland, Griechisch-deutsches Wörterbuch zu den Schriften des Neuen Testaments und der frühchristlichen Literatur. De Gruyter, 6. völlig neu bearbeitete Auflage Berlin / New York 1988, Sp. 1077.
- אוכלוסייה ביישובים 2018 (Bevölkerung der Siedlungen 2018). (XLSX; 0,13 MB) Israel Central Bureau of Statistics, 25. August 2019, abgerufen am 11. Mai 2020.
- 11 Kfar Kish – Mashad, Nazareth. In: Israel National Trail, Shvil Israel, Outdoorblog. 26. Mai 2020, abgerufen am 7. Juni 2020 (deutsch).
- Rainer Riesner: Nazaret. In: Manfred Görg, Bernhard Lang (Hrsg.): Neues Bibel-Lexikon. Band 2: Haar–Nymphas. Benziger, Zürich u. a. 1995, ISBN 3-545-23075-9, S. 909–912.
- Stephen Pfann, Ross Voss, Yehudah Rapuano: Surveys and Excavations at the Nazareth Village Farm (1997–2002): Final Report. (pdf; 5,9 MB) In: Bulletin of the Anglo-Israel Archaeological Societ. Band 25, 2007, S. 19–79, abgerufen am 18. April 2021 (englisch, wiedergegeben auf der Website der University of the Holy Land).
- For the Very First Time: A Residential Building from the Time of Jesus was Exposed in the Heart of Nazareth. In: antiquities.org.il. 21. Dezember 2009, abgerufen am 18. April 2021 (englisch).
- Jürgen Zangenberg: Nazareth. In: Religion in Geschichte und Gegenwart (RGG). 4. Auflage. Band 6, Mohr-Siebeck, Tübingen 2003, Sp. 163.
- Dan Rabinowitz: Strife in Nazareth: Struggles over the religious meaning of place. In: Ethnography 2/1 (2001), S. 93–113, hier S. 101.
- Elias Sanbar: Il Palestinese – Figure di un'identità: le origini e il divenire. In: Collana Di fronte e attraverso. Nr. 712. Editoriale Jaca Book, Milano 2005, ISBN 88-16-40712-3, S. 28 (Originalausgabe: Figures du Palestinien. Identité des origines, identité de devenir. Éditions Gallimard, Paris 2004; übersetzt von Anna Maria Cagiano Malvezzi).
- Michelle U. Campos: Ottoman Brothers – Muslims, Christians, and Jews in Early Twentieth-Century Palestine. Stanford University Press, Stanford (California) 2011, ISBN 978-0-8047-7068-2, S. 266.
- Jonathan Cook: Nazareth Dispatch. In: Middle East Report 267 (2013), S. 15–17, hier S. 15.
- Dan Rabinowitz: Strife in Nazareth: Struggles over the religious meaning of place. In: Ethnography 2/1 (2001), S. 93–113, hier S. 101f.
- Masha Halevi: The Politics behind the Construction of the Modern Church of the Annunciation in Nazareth. In: The Catholic Historical Review 96/1 (2010), S. 27–55, hier S. 30.
- Masha Halevi: The Politics behind the Construction of the Modern Church of the Annunciation in Nazareth. In: The Catholic Historical Review 96/1 (2010), S. 27–55, hier S. 50.
- Masha Halevi: The Politics behind the Construction of the Modern Church of the Annunciation in Nazareth. In: The Catholic Historical Review 96/1 (2010), S. 27–55, hier S. 51.
- Masha Halevi: The Politics behind the Construction of the Modern Church of the Annunciation in Nazareth. In: The Catholic Historical Review 96/1 (2010), S. 27–55, hier S. 35f.
- Dan Rabinowitz: Strife in Nazareth: Struggles over the religious meaning of place. In: Ethnography 2/1 (2001), S. 93–113, hier S. 104.
- Graham Usher: Seeking Sanctuary: The “Church” vs. “Mosque” Dispute in Nazareth. In: Middle East Report 214 (2000), S. 2–4, hier S. 3.
- Jonathan Cook: Nazareth Dispatch. In: Middle East Report 267 (2013), S. 15–17, hier S. 16.
- Dan Rabinowitz: Strife in Nazareth: Struggles over the religious meaning of place. In: Ethnography 2/1 (2001), S. 93–113, hier S. 96f.
- Dan Rabinowitz: Strife in Nazareth: Struggles over the religious meaning of place. In: Ethnography 2/1 (2001), S. 93–113, hier S. 100.
- Dan Rabinowitz: Strife in Nazareth: Struggles over the religious meaning of place. In: Ethnography 2/1 (2001), S. 93–113, hier S. 103–105.
- Dan Rabinowitz: Strife in Nazareth: Struggles over the religious meaning of place. In: Ethnography 2/1 (2001), S. 93–113, hier S. 106f.
- Noga Collins-Kreiner: Religion and Politics: New Religious Sites and Spatial Transgression in Israel. In: Geographical Review 98/2 (2008), S. 197–213, hier S. 206.
- Jonathan Cook: Sectarian tensions on the rise in Nazareth. In: Middle East Eye, 12. Februar 2015.