Luise Hensel
Luise Hensel (* 30. März 1798 in Linum, Mark Brandenburg; † 18. Dezember 1876 in Paderborn) war eine deutsche christliche Dichterin.
Leben
Luise Maria Hensel, die Schwester des Malers Wilhelm Hensel und Schwägerin der Komponistin Fanny Hensel, geb. Mendelssohn, Schwester des Komponisten Felix Mendelssohn, wurde am 30. März 1798 in Linum (Brandenburg) als Tochter des dortigen Pfarrers Ludwig Hensel und dessen Ehefrau Johanna Albertina Trost geboren. Sie siedelte nach dem Tode des Vaters mit ihrer Mutter 1809 nach Berlin über. Nachdem sie bereits im Alter von 14 Jahren „heimlich mit Gott einen Pakt“ geschlossen hatte und lange gedanklich und gefühlsgemäß auf der Suche nach der Wahrheit war, konvertierte sie am 7. Dezember 1818 vom lutherischen zum katholischen Glauben mit dem Ablegen des katholischen Glaubensbekenntnisses bei Probst Johannes Ambrosius Taube.[1]
Der romantische Dichter Clemens Brentano und der Komponist Ludwig Berger waren ihr in dieser Zeit in Liebe verbunden. Diese Gefühle konnten von ihr aus Glaubensgründen jedoch nicht erwidert werden. Sie trug aber wesentlich zur inneren Wandlung Brentanos bei. So schrieb er 1817 an seinen Bruder Christian über 20 ihm übersandte Lieder Luises: „Diese Lieder haben zuerst die Rinde über meinem Herzen gebrochen, durch sie bin ich in Tränen zerflossen, und so sind sie mir in ihrer Wahrheit und Einfalt das Heiligste geworden, was mir im Leben aus menschlichen Quellen zugeströmt.“[2]
Auch der Dichter Wilhelm Müller war unglücklich in Luise Hensel verliebt.[3] Diese unerfüllte Liebe fand ihren Niederschlag in den beiden von Franz Schubert vertonten Liederzyklen Die schöne Müllerin und die Winterreise.[4] Luise Hensels Liebe galt jedoch dem protestantischen Jugendfreund Ernst Ludwig von Gerlach, der später als Lehrer Bismarcks und Freund des Zentrums hohes Ansehen genoss. Ihre religiösen Gefühle störten aber die Beziehung und brachten sie als Konvertitin in eine seelische Krise.
Die Umstände veranlassten Luise Hensel 1819, Berlin zu verlassen. Sie trat als Gesellschafterin in den Dienst der Fürstin Marianne Salm-Reifferscheidt-Krautheim und Dyck, genannt Mimi, Tochter der Amalia von Gallitzin, und hielt sich zuerst in Münster und dann in Düsseldorf auf. In Münster stand sie unter dem Einfluss des Pädagogen Bernhard Heinrich Overberg und in Düsseldorf legte sie schließlich am 6. März 1820 bei dem Jesuitenpater Heinrich Wüsten das Gelübde der Jungfräulichkeit ab.
Ab 1821 war Luise Hensel Gesellschafterin der Witwe des Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg und Lehrerin und Erzieherin von deren Töchtern Maria Theresia, Amalie und Pauline.[5] Sie blieb auf dem Stolbergschen Gut Sondermühlen bei Melle bis 1823. Dort brachte sie ihre religiöse Entwicklung zum Abschluss. Mit ihrem Pflegesohn Rudolf Rochs aus Berlin, dem Kind ihrer früh verstorbenen Schwester, zog sie in das westfälische Wiedenbrück, um ihn dort auf der „guten Wiedenbrücker Knabenschule“ unterrichten zu lassen. Hier führte sie bis 1825 ein stilles und mildtätiges Leben. Sie befreundete sich mit der stigmatisierten Nonne Anna Katharina Emmerick aus Dülmen, pflegte sie und sichtete nach deren Tod 1824 ihren Nachlass. Hierher reiste auch Brentano, der Luise und die Nonne porträtierte. Die jahrzehntelange Freundschaft mit Brentano war für den Dichter Anlass, Luise Hensel die Sichtung seines literarischen Nachlasses zu übertragen, mit der Aufgabe, sein Werk nach seinem Tode in die Öffentlichkeit zu bringen.
Alljährlich lebte sie für einige Wochen auf Schloss Knippenburg, das ihr Freund Friedrich Carl Devens, Landrat und Mitglied des Westfälischen Provinziallandtags, 1821 erworben hatte. Die Aufenthalte auf dem Wasserschloss an der Emscher inspirierten sie zu ihrem bekannten Gebet Müde bin ich, geh zur Ruh und dem Gedicht Knippenburg:
Grau ragt und ernst ein Schloß empor
Aus Fluren und uralten Bäumen;
Es öffnet sich freundlich das gastliche Tor
Zu des Hauses stattlichen Räumen.
Und die Myrthe grünt und der Lorbeer rauscht
Und Orangen wehen im Winde
Und manch’ ein freundliches Wort wird getauscht
An der grünen duftigen Linde.
Doch auf der Terrasse, auf Garten und Park
Ruht nicht nur poetisches Weben,
Es tönt das Wort durch Herzen und Mark,
Das Wort vom ewigen Leben;
Denn, wenn die Glocke des Turmes erschallt
Hoch über der stillen Kapelle,
Dann ist die Rede des Mundes verhallt
Wie des Baches fliehende Welle — — —.[6]
Eine lebenslange Wallfahrt
Eine weitere wichtige Bekanntschaft aus der Zeit mit Brentano und Emmerick in Westfalen war Apollonia Diepenbrock aus Bocholt. Gemeinsam fassten die (auch mit der Konvertitin Maria Pohl, der Tochter des Physikers Georg Friedrich Pohl, befreundeten und wie diese engen Kontakt zum Breslauer Fürstbischof Förster habenden[7]) Freundinnen den Entschluss, karitativ tätig zu werden, ohne jedoch einem Orden beizutreten. Sie reisten nach Koblenz, wo sie 1825/1826 als Freiwillige im neu eingerichteten Bürgerhospital halfen, einem ehemaligen Franziskanerkloster. Diepenbrock ging danach andere Wege.
Hensel führte von nun an ein entbehrungsreiches Leben als Pilgerin, nach ihrem Aufenthalt in Koblenz vor allem in Sondermühlen und im Mädchenpensionat Marienberg bei Boppard, unterbrochen von 1827 bis 1833 durch ihre erzieherische Tätigkeit an der Höheren Töchterschule St. Leonhard in Aachen. Hier unterrichtete sie u. a. drei Schülerinnen, die später Ordensgründerinnen wurden: Clara Fey, die Gründerin des Ordens der Schwestern vom armen Kinde Jesus, Franziska Schervier, die Gründerin des Ordens der Armen-Schwestern vom Heiligen Franziskus, und Pauline von Mallinckrodt, die Gründerin der Kongregation der Schwestern der Christlichen Liebe. In Aachen wurde sie durch den Heiratsantrag des Arztes Clemens August Alertz, des späteren Leibarztes des Papstes Pius IX., erneut in eine schwere Prüfung ihrer religiösen Haltung geführt.
Von 1833 bis 1837 lebte sie in Berlin und Dresden, danach bis 1840 im Stift Neuburg im Haus der Gattin von Johann Friedrich Heinrich Schlosser. 1841 zog sie nach Köln und gründete dort einen karitativen Kreis, das „Armenkränzchen“. Dadurch kam sie in Kontakt mit der Familie des Kaufmanns Wilhelm Bartman, Vorstandsmitglied im Kölner Dombauverein, der für seine im gleichen Jahr verwaiste Nichte und seine beiden Neffen eine Erzieherin suchte. Von 1842 bis Ende 1849 führte sie den Haushalt in dem Bartmanschen Haus am Heumarkt 76 und zog die Kinder groß. 1853 ging sie nach Wiedenbrück und lebte dort mit Unterbrechungen bis 1872. Danach zog sie schließlich nach Paderborn, in die Nähe von Pauline von Mallinckrodt, ihrer Schülerin aus Aachener Zeiten. Dort starb sie am 18. Dezember 1876 im Westphalenhof und wurde auf dem Ostfriedhof in Paderborn unweit der Kapelle beigesetzt.
Werke
Ihre Gedichte, zuerst mit Gedichten ihrer Schwester Wilhelmine vereinigt (herausgegeben von Hermann Kletke, Berlin 1858, Digitalisat), zeichneten sich hauptsächlich durch den Geist milder, inniger und sehnsüchtiger Frömmigkeit aus. Ihr Abendlied bzw. Nachtgebet Müde bin ich, geh’ zur Ruh[8] zählt zu den Perlen der deutschen religiösen Lyrik. Einer vollständigen Sammlung der Lieder (herausgegeben von Christoph Bernhard Schlüter, Paderborn 1869, Digitalisat; 6. Aufl. 1886) folgten Briefe der Dichterin Luise Hensel (daselbst 1878, Digitalisat).
Beispiel
Müde bin ich, geh zur Ruh (1816), hier der Text des Erstdrucks 1829:[9]
Nachtgebet
Müde bin ich, geh zur Ruh,
Schließe beyde Aeuglein zu:
Vater, laß die Augen dein
Ueber meinem Bette seyn!
Hab’ ich Unrecht heut gethan,
Sieh es, lieber Gott, nicht an!
Deine Gnad’ und Jesu Blut
Macht ja allen Schaden gut.
Alle, die mir sind verwandt,
Gott, laß ruhn in deiner Hand.
Alle Menschen, groß und klein,
Sollen dir befohlen seyn.
Kranken Herzen sende Ruh,
Nasse Augen schließe zu;
Laß den Mond am Himmel stehn,
Und die stille Welt besehn!
Literatur
- Paul Gerhard Aring: Hensel, Luise. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 14, Bautz, Herzberg 1998, ISBN 3-88309-073-5, Sp. 1086.
- Ferdinand Bartscher: Der innere Lebensgang der Dichterin Luise Hensel. Schöningh, Paderborn 1882.
- Franz Binder: Luise Hensel. Ein Lebensbild nach gedruckten und ungedruckten Quellen. Herder, Freiburg/B. 1885 (Digitalisat der UB Paderborn).
- Winfried Freund: Müde bin ich, geh zur Ruh: Leben und Werk der Luise Hensel. Güth & Etscheidt, Rheda-Wiedenbrück 1984, ISBN 3-922828-15-9.
- Wolfgang Frühwald: Hensel, Louise Maria. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 8, Duncker & Humblot, Berlin 1969, ISBN 3-428-00189-3, S. 560 f. (Digitalisat).
- Hermann Kletke: Gedichte von Luise und Wilhelmine Hensel. Verlag von Ludwig Raul, Berlin 1857.
- Christoph B. Schlüter (Hrsg.): Lieder von Luise M. Hensel. Schöningh, Paderborn 1869.
- Josef H. Reinkens: Luise Hensel und ihre Lieder. Verlag Neusser, Bonn 1877 (auf der Autobiografie der Dichterin beruhend).
- Christoph B. Schlüter (Hrsg.): Briefe der Dichterin Luise Hensel. Schöningh, Paderborn 1878.
- Joseph Hubert Reinkens: Hensel, Louise. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 12, Duncker & Humblot, Leipzig 1880, S. 1–3.
- Irina Rockel: Wilhelm und Luise Hensel – Geschwister aus Linum. Ruppiner Jahrbuch ’93, S. 57 ff., Berlin 1992.
- Barbara Stambolis: Luise Hensel (1798–1876). Frauenleben in historischen Umbruchszeiten. SH-Verlag, Köln 1999, ISBN 3-89498-054-0.
- Rüdiger Krüger: Zur Situation der katholischen Kirche im preußischen Wiedenbrück im Spiegel des Lebens der Luise Hensel und ihrer Briefe an Christoph Bernhard Schlüter. In: Johannes Meier (Hrsg.): Der Kreis Wiedenbrück in seinen ersten Jahrzehnten. Strukturen und Personen (= Veröffentlichungen aus dem Kreisarchv Gütersloh. Band 15). Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld 2018, S. 119–153.
Weblinks
- Literatur von und über Luise Hensel im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Luise Hensel in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Werke von Luise Hensel bei Zeno.org.
- Werke von Luise Hensel im Projekt Gutenberg-DE
- Luise Hensel im Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren
- Vertonungen von Gedichten von Luise Hensel
- Luise Hensel. In: FemBio. Frauen-Biographieforschung (mit Literaturangaben und Zitaten).
- Fanny, Wilhelm & Luise Hensel
- Online-Biographie zu Luise Hensel
- Luise Hensel im Wiedenbrücker Schule Museum
- Hensel, 3) Luise. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Band 8, Verlag des Bibliographischen Instituts, Leipzig/Wien 1885–1892, S. 387.
Anmerkungen
- Hermann-Josef Fohsel: Berlin, du bunter Stein, du Biest: biografische Erkundungen. Koehler & Amelang, 2002, S. 120 f.
- Zitiert nach Wolfgang Frühwald: Gedichte der Romantik, Band 8230 von Reclams Universal-Bibliothek, Reclam, Stuttgart, 1984, S. 444.
- Erika von Borries: Wilhelm Müller. Der Dichter der Winterreise. Eine Biographie. C. H. Beck, München 2007, S. 52–65.
- Peter Gülke: Franz Schubert und seine Zeit. 2. Auflage der Originalausgabe von 1996, Laaber-Verlag, 2002, S. 216–217.
- Winfried Freund: Müde bin ich, geh zur Ruh: Leben und Werk der Luise Hensel. Güth & Etscheidt, Rheda-Wiedenbrück 1984, ISBN 3-922828-15-9, S. 30–33.
- Chronikblätter für die Familie Luyken und ihre Anverwandten 4/1923
- Michael Sachs: ‚Fürstbischof und Vagabund‘. Geschichte einer Freundschaft zwischen dem Fürstbischof von Breslau Heinrich Förster (1799–1881) und dem Schriftsteller und Schauspieler Karl von Holtei (1798–1880). Nach dem Originalmanuskript Holteis textkritisch herausgegeben. In: Medizinhistorische Mitteilungen. Zeitschrift für Wissenschaftsgeschichte und Fachprosaforschung. Band 35, 2016 (2018), S. 223–291, hier: S. 250.
- Auch in: Melchior Diepenbrock: Geistlicher Blumenstrauß aus spanischen und deutschen Dichter-Gärten, den Freunden der christlichen Poesie dargeboten. J. E. v. Seidel, Sulzbach 1928, S. 270.
- Melchior von Diepenbrock, Geistlicher Blumenstrauß, Sulzbach 1829, S. 270