Amalie von Gallitzin
Amalie von Gallitzin (* 28. August 1748 in Berlin; † 27. April 1806 in Münster) war eine „Pendlerin“ zwischen Aufklärung und Katholizismus und eine Mitbegründerin des „romantischen“ Katholizismus. Als Salonnière war sie an der katholischen Aufklärung im Hochstift Münster beteiligt.
Leben
Kindheit in Preußen und Ehefrau von Dmitri Alexejewitsch Golizyn
Amalie von Gallitzin wurde als Tochter des preußischen Feldmarschalls Reichsgraf Samuel von Schmettau geboren. Ihr Vater war Protestant, ihre Mutter Katholikin, sie selbst wurde in einem Ursulinenkloster in Breslau katholisch erzogen. Für eine Frau ihrer Zeit ungewöhnlich gebildet, wurde sie 1765 Hofdame von Anna Elisabeth Luise von Brandenburg-Schwedt am preußischen Hof. 1768 heiratete sie in Aachen den russischen Gesandten in Paris, den Fürsten Dmitri Alexejewitsch Golizyn (1734–1803). 1768 wurde der wissenschaftlich interessierte Fürst zum Gesandten in Den Haag ernannt. Am 7. Dezember 1769 wurde ihre Tochter Marianne, genannt Mimi, in Berlin geboren, am 22. Dezember 1770 kam ihr Sohn Dimitrij, genannt Mitri, zur Welt.[1]
Begegnung mit der Aufklärung
Über ihren Mann kam Amalie von Gallitzin in Kontakt mit dem führenden Aufklärer Voltaire und den französischen Enzyklopädisten Denis Diderot und D’Alembert. Diderot wirkte durch seine Schriften persönlich auf die Fürstin ein. Am 11. Juni 1773 verließ Diderot Paris zu seiner einzigen längeren Reise mit dem Ziel Sankt Petersburg. In Den Haag wohnte er bis zum 20. August 1773 bei dem russischen Botschafter Fürst von Gallitzin und seiner Ehefrau Amalie am Kneuterdijk.[3] Diderot beschrieb sie als lebhaft, fröhlich, geistreich, hübsch und musikalisch, als eine Frau mit Spaß am Disputieren. Auch auf dem Rückweg kam Diderot vom 5. April bis 15. Oktober 1774 vorbei; insgesamt war er acht Monate in Den Haag. Die Fürstin lebte mittlerweile zurückgezogen und bemühte sich, das rousseausche Erziehungsideal bei ihren eigenen Kindern Marianne und Demetrius Augustinus Gallitzin umzusetzen. Im selben Jahr, nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, zog sie mit ihnen in ein abgelegenes Haus nahe Scheveningen, „gibt diesem auf einem Schilde die Inschrift: Niethuys (d. i. Nicht zu Hause), zur Abwehr jeden unberufenen Besuches“. Sie trug schlichte Kleider im griechischen Stil und hatte ihr Haar kurz geschnitten – im Gegensatz zur herrschenden Mode. Ihre Kinder hielt sie zur sportlichen Betätigung an, auch ihre Tochter lernte Reiten und Fechten. Ab 1775 wurde sie von der Philosophie des Frans Hemsterhuis beeinflusst; bis an sein Lebensende blieb sie ihm verbunden und führte einen regen Briefwechsel mit ihm. Sie war seine Muse, er nannte sie seine Diotima, sie ihn „Sokrates“. Die Übersetzung eines Buches (1782) und ihre Korrespondenz beeinflusste die Frühromantiker wie Friedrich Schlegel und Novalis in Göttingen.
Die erste Zeit in Münster
Die von Franz Freiherr von Fürstenberg im Hochstift Münster eingeführten epochemachenden Schulreformen bewegten die Fürstin, 1779 nach Münster zu ziehen. Mit prominenten Zeitgenossen stand sie in Briefverkehr, so mit Johann Gottfried von Herder, Lavater und Friedrich Heinrich Jacobi. Caroline Michaelis, die spätere Frau von Schlegel und Schelling, schrieb 1781 über sie:
- Eine sehr gelehrte Dame, nach griechischer Art gekleidet, mit kurzen Haaren, flachen Schuhen, selten ohne Diener zu sehen, der ein Halbdutzend großer Foliobände trägt, wenn sie mit einem Gefolge von 6 bis 8 Herren am hellichten Tag in unserer Leine badet etc. Ihre Kinder sind sehr leicht angezogen, der Sohn trägt lange Hosen und ein Hemd statt anderer Kleidung, und die Tochter eine Art Nachthemd, im Rücken von oben bis unten offen, nur oben einmal zugebunden. Beide gehen barfuß, die Haare nicht abgeschnitten, aber abgeschoren. Sie sind schwarz wie die Neger. Die Fürstin ist sehr hübsch und von schönem Teint, obwohl sie ihn viel exponiert.[4] […] Zur Erziehung ihrer Kinder scheint sie die Natur zum Vorbild zu nehmen, ohne sich darum zu kümmern, dass die Natur manchmal ein wenig schmutzig ist.[5]
Amalie konvertierte am 28. August 1786 zum Katholizismus, was auch durch ihren Briefwechsel mit Johann Georg Hamann beeinflusst worden war. Bei einer Reise nach Weimar traf sie mit Goethe zusammen, der sie 1792 in Münster besuchte. Auch Matthias Claudius war ihr Gast. Sie unterrichtete unter anderem Latein, Griechisch, Englisch, Französisch, Deutsch, Geschichte, Erdkunde und Mathematik. Neben ihren eigenen Kindern erzog sie ihre Nichte Amalie und den Sohn Georg Arnold des Philosophen Friedrich Heinrich Jacobi. Zum Kreis der Freunde gehörte der Dichter und Jurist Anton Matthias Sprickmann, späterer Förderer der Annette von Droste zu Hülshoff, Professor in Münster, Breslau und Berlin.
Rückkehr zur Kirche und „Familia sacra“
Ab 1783, nach einer Erkrankung, begann Fürstin Amalie, sich mit der Religion zu beschäftigen. In dieser Zeit wurde sie besonders vom Königsberger Philosophen Johann Georg Hamann beeinflusst, der sie 1787/1788 in Münster kennenlernte und dort überraschend starb; er wurde in ihrem Garten beigesetzt.
Die Beschäftigung mit der Religion, insbesondere der Einfluss des Leiters der Normalschule in Münster, Bernhard Heinrich Overberg, bewirkte, dass die Fürstin am 28. August 1786 in die katholische Kirche zurückkehrte. Ihr Haus wurde Mittelpunkt des Münsterschen Kreises, von den Zeitgenossen liebevoll-ironisch „familia sacra“ genannt. Zu diesem Kreis gehörten die Brüder Kaspar Max und Clemens August Droste zu Vischering, die Eltern der Dichterin Annette von Droste-Hülshoff, später auch Friedrich Leopold Graf von Stolberg.
„Der Münstersche Kreis um Amalie von Gallizin wurde von großer Bedeutung für die innere Erneuerung des deutschen Katholizismus.“
Nach der Französischen Revolution entfaltete die Fürstin eine weitgefächerte karitative Tätigkeit für die französischen Emigranten.
Die Universitäts- und Landesbibliothek Münster widmete Amalie von Gallitzin 1998 eine Ausstellung. Die Geschichte ihrer Rezeption wurde erstmals dargestellt und die Frage ihrer Bedeutung für die Geistesgeschichte beschrieben in Markus von Hänsel-Hohenhausen: Amalia Fürstin von Gallitzin, Bedeutung und Wirkung, Anmerkungen zum 200. Todestag, Frankfurt/M. 2005.
Werke
- Mittheilungen aus dem Tagebuch und Briefwechsel der Fürstin Adelheid Amalie von Gallizin, 1868
- Briefwechsel und Tagebücher der Fürstin Amalie von Gallitzin, hrsg. von Christoph Schlüter, 3 Bd., 1874–76
- „Abhandlung vom Belohnen und Bestafen“, In: „Anweisungen zum zweckmäßigen Schulunterricht für die Schulleherer im Fürstentum Münster“, hrsg. von Overberg 1793 unter dessen Namen
Bildnis
Die Fürstin Gallitzin im Kreis ihrer Freunde, Gemälde von Theobald von Oer aus dem Jahr 1864: Das Bild zeigt die Fürstin Amalia von Gallitzin mit ihren Freunden der „familia sacra“ vor ihrem Haus in Angelmodde bei Münster. Das Gemälde, das sich heute im Besitz des Bistums Münster befindet, entstand erst 64 Jahre nach der historischen Begegnung. Der Berliner Künstler Paul Dröhmer fertigte nach diesem Gemälde eine größere Anzahl Kupferstiche, die auch heute noch in vielen öffentlichen und privaten Häusern – vor allem in Westfalen – zu finden sind.
Auf dem Gemälde sind folgende Personen abgebildet (von links nach rechts):
- Franz Bernhard von Bucholtz, Gutsbesitzer auf Haus Welbergen, Humanist und Freund der Fürstin
- Franz Ferdinand von Druffel, Schwiegersohn von Buchholtz, Arzt der Fürstin
- Georg Kellermann, Erzieher der Söhne Graf Stolbergs, später Dechant
- Andreas Graf zu Stolberg (1786–1863), zweiter Sohn aus erster Ehe des Grafen Friedrich Leopold zu Stolberg-Stolberg
- Christian Graf zu Stolberg (1748–1821), Sohn aus zweiter Ehe des Grafen
- Sophie Gräfin zu Stolberg, geb. Gräfin Redern (1765–1842)
- Friedrich Leopold Graf zu Stolberg-Stolberg (1750–1819)
- Adolph Freiherr Droste-Vischering (1769–1826)
- Franz Freiherr von Fürstenberg (1729–1810), Domherr und Minister zu Münster
- Amalia Fürstin von Gallitzin geb. Gräfin von Schmettau
- Bernhard Overberg (1754–1826), Lehrer, Beichtvater der Fürstin
- Franz Freiherr Droste-Vischering (1771–1826), Domherr
- Clemens August Freiherr Droste-Vischering (1773–1845), Domherr, später Erzbischof von Köln
- Marianne Prinzessin Gallitzin (1769–1823), Tochter der Fürstin, später als Gattin von Franz Wilhelm zu Salm-Reifferscheidt Fürstin von Salm-Reifferscheidt
- Caspar Max Freiherr Droste zu Vischering (1770–1846), Weihbischof, später Bischof von Münster
- Johann Hyacinth Kistemaker, Gymnasialdirektor und Professor der Exegese
- Anton Matthias Sprickmann (1749–1833), Dichter und Prof. Dr. jur., später in Breslau und Berlin
- Theodor Katerkamp, Erzieher der Freiherren von Droste Vischering, Professor für Kirchengeschichte
- Prinz Demetrius Gallitzin (1770–1840), Sohn der Fürstin, später Missionar in Amerika
Literatur
- Friedrich Wilhelm Bautz: Amalie von Gallitzin. In: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (BBKL). Band 2, Bautz, Hamm 1990, ISBN 3-88309-032-8, Sp. 170–172.
- Hanny Brentano: Amalie Fürstin von Gallitzin. Herdersche Verlagshandlung, Freiburg im Breisgau 1910.
- Markus von Hänsel-Hohenhausen: Amalie Fürstin von Gallitzin, Bedeutung und Wirkung, Anmerkungen zum 200. Todestag. Mit einem Beitrag über Frans Hemsterhuis und die Fürstin von Marcel F. Fresco und mit einer literarischen Miniatur von Demetrius Augustin Prinz von Gallitzin gezeichnet von Ilse Pohl. Frankfurter Verlagsgruppe, Frankfurt a. M. 2006, ISBN 978-3-8267-0013-2.
- Mathilde Köhler: Amalie von Gallitzin. Ein Leben zwischen Skandal und Legende. Schöningh, Paderborn 1993, ISBN 3-506-74759-2.
- Gisbert Kranz: Amalie von Gallitzin (1748–1806). In: Ders.: Zwölf Frauen. Eos Verlag, St. Ottilien 1998, ISBN 3-88096-461-0.
- Josef Bernhard Nordhoff: Gallitzin, Adelheid Amalia Fürstin von. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 8, Duncker & Humblot, Leipzig 1878, S. 338–345.
- Siegfried Sudhof: Der Kreis von Münster. In: Reallexikon der deutschen Literaturgeschichte. Bd. II, 1961, S. 439 ff.
- Siegfried Sudhof: Gallitzin, Amalia Fürstin, geborene Gräfin von Schmettau. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 6, Duncker & Humblot, Berlin 1964, ISBN 3-428-00187-7, S. 51–53 (Digitalisat).
- Petra Schulz: Amalie Fürstin von Gallitzin (1748–1806): „Meine Seele ist auf der Spitze meiner Feder“. 1998 (Begleit-Katalog zur Ausstellung des Westfälischen Landschaftsverbandes).
- Andreas Oberdorf: Demetrius Augustinus von Gallitzin. Bildungspionier zwischen Münster und Pennsylvania 1770–1840. Paderborn 2020, ISBN 978-3-506-70425-2.
Weblinks
- Literatur von und über Amalie von Gallitzin im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Adelheid Amalia von Gallitzin im Lexikon Westfälischer Autorinnen und Autoren
- Veranstaltungshinweis mit biografischen Daten (Memento vom 3. November 2004 im Internet Archive)
- Aufbruch in die Moderne - Das Beispiel Westfalen
- Die Gallitzin-Stiftung
- Briefwechsel mit Goethe, 1793 bis 1801. In: Goethe-Jahrbuch, Jg. 3 (1882), S. 276–307: Digitalisat
Einzelnachweise
- Siegfried Sudhof: Gallitzin, Amalia Fürstin, geborene Gräfin von Schmettau. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 6, Duncker & Humblot, Berlin 1964, ISBN 3-428-00187-7, S. 51–53 (Digitalisat).
- Geschiedenis van Den Haag. Kneuterdijk 22 (24), huis van Oldenbarnevelt.
- Biographische Daten, Dmitri Alexejewitsch Fürst von Gallitzin (Golizyn)(1738-1803)
- D. h. häufig der Sonne aussetzt.
- Anlässlich eines Besuches der Fürstin in Göttingen im September 1781. Zitiert in: Eckart Kleßmann: Universitätsmamsellen Frankfurt am Main 2008, S. 82f