Karl August Varnhagen von Ense
Karl August Varnhagen, ab 1826 auch offiziell Varnhagen von Ense[1] (* 21. Februar 1785 in Düsseldorf; † 10. Oktober 1858 in Berlin) war ein deutscher Chronist der Zeit der Romantik bis zur Revolution 1848 und dem sich anschließenden Jahrzehnt der Reaktion, außerdem Erzähler, Biograph, Tagebuchschreiber und Diplomat.
Leben
Karl August Varnhagen von Ense wurde 1785 als Sohn des Arztes Johann Andreas Jacob Varnhagen (1756–1799) und dessen Ehefrau Anna Maria, geborene Kuntz (1755–1826), im damals bergischen Düsseldorf geboren. Als Kind geriet er aufgrund von Aufenthalten am Rhein, in Straßburg, in Brüssel und in Hamburg in den Umkreis der Französischen Revolution. Der Vater neigte der Politik zu. Der Sohn wuchs eine Zeitlang fern von Mutter und Schwester auf. Als 14-Jähriger erlebte Varnhagen von Ense in Hamburg den nach kurzem Siechtum eingetretenen Tod seines Vaters. Er studierte an der Pépinière, der medizinischen Akademie in Berlin, drei Jahre lang, sowie in Halle und Tübingen. Als Hauslehrer und Hofmeister sowie Erzieher bei Familien des jüdischen Bürgertums lernte er früh jüngere, aber schon teilweise prominente Zeitgenossen kennen, so Adelbert von Chamisso, Justinus Kerner, Friedrich de la Motte Fouqué, Ludwig Uhland und zahlreiche andere Dichter der Romantik. Mit einigen von ihnen gründete Varnhagen von Ense den Nordsternbund und beteiligte auch seine Schwester Rosa Maria an seinen Anthologien (Erzählungen und Spiele, 1807; Chamisso-Varnhagen-von-Ense’scher Musenalmanach, 1804–1806).
Als Offizier in österreichischen, später in russischen Diensten nahm er an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil. Für seine Verdienste als kaiserlich-russischer Kapitän in den Befreiungskriegen wurde ihm vom preußischen König Friedrich Wilhelm III. am 28. Dezember 1814 der Orden Pour le Mérite verliehen.[2] Später begleitete er Hardenberg zum Wiener Kongress und nach Paris. Er wurde 1815 zum preußischen Gesandten in Karlsruhe berufen, aber 1819, „demokratischer Neigungen“ verdächtig, abberufen und ließ sich darauf in Berlin nieder. 1813 wurde Varnhagen von Ense Mitglied im Bund der Freimaurer, seine Mutterloge war die Freimaurerloge Zur goldenen Kugel in Hamburg.
Am 27. September 1814 heirateten er und die 14 Jahre ältere Schriftstellerin Rahel Levin, die sich damals bereits seit Jahren Robert-Tornow nannte. Nach deren Tod 1833 gab der Witwer die Auswahlsammlung mit Briefen und Tagebuch-Auszügen Rahel: Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde heraus (1 Band 1833, 3 Bände 1834) und sammelte die von ihr überlieferten 6000 Briefe sowie weitere Briefe von und an 9000 Personen. Zusammen mit weiteren eigenen oder durch Schenkungen, Tausch oder Kauf erworbenen Autographen schuf er so die Sammlung Varnhagen. Seine Nichte Ludmilla Assing (1821–1880) wurde seine Universalerbin und gab die Tagebücher Varnhagen von Enses sowie zahlreiche weitere Bücher dieser Sammlung heraus. Testamentarisch vermachte sie die Handschriften, Bücher und Bilder der Königlichen Bibliothek zu Berlin, die sie im Frühjahr 1881 in ihren Bestand aufnahm. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Bibliothek nach Schlesien ausgelagert, weshalb sich heute die Handschriften in der Biblioteka Jagiellońska,[3] der Bibliothek der Jagiellonen-Universität in Krakau, die Bücher und Bilder indes in der Staatsbibliothek zu Berlin[4] befinden.
Die gemeinsame Grabstätte des Ehepaars Varnhagen von Ense befindet sich auf dem Dreifaltigkeitsfriedhof I in Berlin-Kreuzberg. Obwohl sie 25 Jahre vor ihrem Gatten gestorben war, wurde Rahel Varnhagen erst neun Jahre nach ihm hier beigesetzt. Zuvor war ihr Sarg in einer Halle auf dem Friedhofsquartier vor dem Halleschen Tor aufbewahrt worden. Als Grabmarkierungen dienen zwei marmorne Kissensteine mit Inschriften, die auf dem efeubewachsenen Grabhügel liegen. Eine weitere Marmorplatte mit einem Zitat von Rahel Varnhagen ist stehend angebracht.[5] Die Grabstätte wurde im Herbst 2007 durch das Landesamt für Denkmalpflege und die Varnhagen Gesellschaft restauriert und mit einer Ruhebank versehen.
Auf Beschluss des Berliner Senats ist die letzte Ruhestätte des Ehepaars Varnhagen (Grablage DV2-2-38/39), zu Ehren von Rahel Varnhagen, seit 1956 als Ehrengrab des Landes Berlin gewidmet. Die Widmung wurde im Jahr 2016 um die inzwischen übliche Frist von zwanzig Jahren verlängert.[6]
Adelstitel
1826 stellte sich heraus, dass Varnhagen seit 15 Jahren seinen Adelstitel zu Unrecht getragen hatte. Um einen Skandal zu verhindern, wurde ihm in aller Stille der Adelsbrief nachträglich verliehen.[7]
Ehrungen
- Karl August Varnhagen von Ense war Träger des Ordens Pour le Mérite (1814).
- Der damalige Kronprinz Bernadotte, spätere König von Schweden verlieh ihm das Kleinkreuz des schwedischen Schwert-Ordens (1815).
- Der Großherzog Ludwig von Baden verließ ihm das Großkreuz des badischen Ordens vom Zähringer Löwen (1819).
- Für seine Vermittlung im kurhessischen Familienstreit erhielt Varnhagen vom Kurfürsten Wilhelm II. das Kommandeurkreuz des kurfürstlich-hessischen Hausordens vom Goldenen Löwen (1830).
- Varnhagen war Dr. phil. honoris causa der Universität Tübingen (1845).
- Nach Rahel und Karl August Varnhagen von Ense wurde ein Asteroid benannt.[8]
Schriften
- Testimonia auctorum de Merkelio, das ist: Paradiesgärtlein für Garlieb Merkel. Hammer, Kölln u. a. 1806 (Digitalisierte Ausgabe der Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf).
- Geschichte der Kriegszüge des Generals von Tettenborn. 1815 (Digitalisat).
- Biographische Denkmale. 5 Bände (1824–1830).
- 1826, Leben des Fürsten Blücher von Wahlstadt (Digitalisat).
- Graf Schlabrendorf, amtlos Staatsmann, heimathfremd Bürger, begütert arm. Züge zu seinem Bilde. In: Historisches Taschenbuch (Friedrich von Raumer, Hrsg.). Dritter Jahrgang, Leipzig 1832, S. 247–308.
- Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. 7 Bände (1837–1846) (Digitalisat und Volltext Band 1–3).
- Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Band 8 (Digitalisat) und 9 (Digitalisat). Hrsg. v. Ludmilla Assing, F. A. Brockhaus, Leipzig 1859.
- Goethe in den Zeugnissen der Mitlebenden. Anonym erschienen 1823, Textarchiv – Internet Archive.
- Zur Geschichtschreibung und Literatur. Berichte und Beurtheilungen, 1833 (Digitalisat).
- Hrsg.: Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde (1 Band, Berlin 1833; Buchhandelsausgabe: 3 Bände, Berlin 1834).
- Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv Band 1
- Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv Band 2
- Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv Band 3
- Biographien verschiedener preußischer Generäle (u. a. Leopold v. Anhalt-Dessau, Blücher, Bülow von Dennewitz, Keith, Schwerin, Seydlitz),
- Hans Karl von Winterfeld. Textarchiv – Internet Archive.
- Tagebücher. 14 Bände (= Aufzeichnungen von 1834–1858), hrsg. v. Ludmilla Assing. F. A. Brockhaus, Leipzig; Meyer & Zeller, Zürich; Hoffmann und Campe, Hamburg 1861–1870, Bd. 1 (Digitalisat); Bd. 2 (Digitalisat); Bd. 3 (Digitalisat); Bd. 4 (Digitalisat); Bd. 5 (Digitalisat); Bd. 6 (Digitalisat); Bd. 7 (Digitalisat); Bd. 8 (Digitalisat); Bd. 9 (Digitalisat); Bd. 10 (digitalisat); Bd. 11 (Digitalisat); Bd. 12 (Digitalisat); Bd. 13 (digitalisat); Bd. 14 (Digitalisat).
- Betrachtungen und Bekenntnisse. Auswahl aus Tagebüchern von 1835 bis 1858. Hrsg. v. Dieter Bähtz. [Rütten & Loening], Berlin (DDR) 1980.
- Journal einer Revolution: Tagesblätter 1848/49 (Auswahl der Texte von Hans Magnus Enzensberger, Reihe Die Andere Bibliothek). Greno-Verlag, Nördlingen 1986, ISBN 978-3-921568-70-5.
- Blätter aus der preußischen Geschichte. Aufzeichnungen von 1819–1830. 5 Bände, 1868–1869.
- Briefwechsel mit Alexander von Humboldt. 5 Auflagen, hrsg. v. Ludmilla Assing. Leipzig 1860 (Digitalisat).
- Briefwechsel mit Fürst Pückler, hrsg. v. Ludmilla Assing, Wedekind & Schwieger, Berlin 1874 (Briefwechsel und Tagebücher, Bd. 3) (Digitalisat).
- Briefwechsel mit seiner Frau Rahel. 6 Bde., hrsg. v. Ludmilla Assing, F. A. Brockhaus, Leipzig 1874–1875, Bd. 1 (Digitalisat), Bd. 2 (Digitalisat), Bd. 3 (Digitalisat), Bd. 4 (Digitalisat), Bd. 5 (Digitalisat), Bd. 6 (Digitalisat).
- Briefwechsel mit Friedrich de La Motte Fouqué.
- Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Band 15. 2. Auflage. Berlin [1910], S. 1–79. In: Thomas Weitin (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz 2016. Digitalisat und Volltext im Deutschen Textarchiv
- Paris, 1810. Reisebericht aus Straßburg, Lothringen und Paris mit neun Briefen von Henriette Mendelssohn an den Autor. Varnhagen Gesellschaft, Köln 2013, ISBN 978-3-00-040929-5.
Literatur
- Oskar Franz Walzel: Varnhagen von Ense, Karl August. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 39, Duncker & Humblot, Leipzig 1895, S. 769–780.
- Konrad Feilchenfeldt: Varnhagen von Ense als Historiker. Verlag der Erasmus Buchhandlung, Amsterdam 1971.
- Joachim Kühn: Zwei Briefe Varnhagens an Carlyle. In: Jahrbuch Der Bär von Berlin, hrsg. v. Verein für die Geschichte Berlins, 20. Jahrgang, Berlin 1971.
- Terry H. Pickett: The Unseasonable Democrat: K. A. Varnhagen von Ense (1780–1858) (= Modern German Studies, Band 14). Bouvier Verlag Herbert Grundmann, Bonn 1985, ISBN 3-416-01883-4.
- Werner Greiling: Varnhagen von Ense. Lebensweg eines Liberalen. Politisches Wirken zwischen Diplomatie und Revolution. Böhlau Verlag, Köln/Weimar/Wien 1993, ISBN 3-412-05692-8.
- Friedrich von Klocke: Karl August Varnhagen von Ense als Adelsursupator. In: Westfälisches Adelsblatt, 5 (1928), S. 242–248.
- Ursula Wiedenmann: Karl August Varnhagen von Ense. Ein Unbequemer in der Biedermeierzeit. J. B. Metzler, Stuttgart/Weimar 1994, ISBN 3-476-00983-1 (Web-Ressource).
- Nikolaus Gatter: „Gift, geradezu Gift für das unwissende Publicum“. Der diaristische Nachlaß von Karl August Varnhagen von Ense und die Polemik gegen Ludmilla Assings Editionen (1860–1880). Aisthesis, Bielefeld 1996, ISBN 3-89528-149-2; dass., vom Verfasser durchgesehene 2. Auflage, Varnhagen Gesellschaft e. V., Köln 2020 (Web-Ressource).
- Nikolaus Gatter (Hrsg.): Wenn die Geschichte um eine Ecke geht (= Almanach der Varnhagen Gesellschaft, Bd. 1). Berlin Verlag Arno Spitz, Berlin 2000, ISBN 3-8305-0025-4.
- Berndt Tilp (Hrsg.): Karl August Varnhagen von Ense / Heinrich Düntzer: Briefwechsel 1842–1858 (= Forschungen zum Junghegelianismus, Bd. 7). 2 Bde. Peter Lang, Frankfurt a. M. u. a. 2002, ISBN 3-631-39894-8.
- Nikolaus Gatter (Hrsg.): Makkaroni und Geistesspeise (= Almanach der Varnhagen Gesellschaft, Bd. 2). Berliner Wissenschafts Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-8305-0296-6.
- Hazel Rosenstrauch: Varnhagen und die Kunst des geselligen Lebens. Eine Jugend um 1800. Biographischer Essay. Das Arsenal, Berlin 2003, ISBN 3-931109-50-X.
- Konrad Feilchenfeldt, Bernhard Fischer, Dietmar Pravida (Hrsg.): Varnhagen von Ense und Cotta. Briefwechsel 1810–1848 (= Veröffentlichungen der Deutschen Schillergesellschaft Bd. 51.1–51.2). 2 Bde. J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachf., Stuttgart 2006, ISBN 3-7681-9700-X.
- Nikolaus Gatter: „Lebensbilder, die Zukunft zu bevölkern.“ Von Rahel Levins Salon zur ‚Sammlung Varnhagen‘. Varnhagen Gesellschaft e. V., Köln 2006, ISBN 3-00-019894-6.
- Erich H. Fuchs, Antonie Magen (Hrsg.): Karl August Varnhagen von Ense – Friedrich de La Motte Fouqué. Briefwechsel 1806-1834. Universitätsverlag Winter, Heidelberg 2015, ISBN 978-3-8253-6423-6.
- Nikolaus Gatter: Nachwort. In Karl August Varnhagen von Ense: Denkwürdigkeiten des eignen Lebens. Bd. 1, Golkonda-Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-944720-07-4, S. 401–472 (Web-Ressource).
- Nikolaus Gatter (Hrsg.), unter Mitarbeit von Inge Brose-Müller und Sigrun Hopfensperger: Der Sopha schön, und doch zum Lottern (= Almanach der Varnhagen Gesellschaft, Bd. 3). Berliner Wissenschafts-Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-8305-0579-2.
- Nikolaus Gatter: Varnhagen von Ense, Karl August. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 26, Duncker & Humblot, Berlin 2016, ISBN 978-3-428-11207-5, S. 716–718 (Digitalisat).
Weblinks
- Literatur von und über Karl August Varnhagen von Ense im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Werke von und über Karl August Varnhagen von Ense in der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Werke (als Digitalisat und Volltext) von Karl August Varnhagen von Ense im Deutschen Textarchiv.
- Varnhagen im Internet Archive
- Edierte Briefe von und an Karl August Varnhagen von Ense im Webservice correspSearch der BBAW
- Manuskripte und Briefe Varnhagens in Bibliotheken und Archiven
- Webseite der Varnhagen Gesellschaft e. V.
- „Bibliothek Varnhagen“ in der Staatsbibliothek zu Berlin
- Werke von Karl August Varnhagen von Ense im Projekt Gutenberg-DE
Einzelnachweise
- Maximilian Gritzner: Chronologische Matrikel der Brandenburgisch-Preußischen Standeserhöhungen und Gnadenacte von 1600–1873. Berlin 1874, S. 91 (Digitalisat).
- Gustav Lehmann: Die Ritter des Ordens pour le merite. Band II. Berlin 1913, S. 337 (Nr. 2260).
- Biblioteka Jagiellońska
- Bibliothek Varnhagen in der Staatsbibliothek zu Berlin; abgerufen am 23. August 2019.
- Hans-Jürgen Mende: Lexikon Berliner Begräbnisstätten. Pharus-Plan, Berlin 2018, ISBN 978-3-86514-206-1, S. 228. Rahel Varnhagen von Ense. Kurzbiografie von Rahel Varnhagen und Beschreibung des Grabmals auf der Webseite der „Stiftung Historische Kirchhöfe und Friedhöfe in Berlin-Brandenburg“; abgerufen am 6. April 2019.
- Ehrengrabstätten des Landes Berlin (Stand: November 2018). (PDF, 413 kB) Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz, S. 89; abgerufen am 6. April 2019. Anerkennung und weitere Erhaltung von Grabstätten als Ehrengrabstätten des Landes Berlin. (PDF, 205 kB). Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 17/3105 vom 13. Juli 2016, S. 1 und Anlage 2, S. 16; abgerufen am 6. April 2019.
- Carola Stern: Der Text meines Herzens: Das Leben der Rahel Varnhagen. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1994, ISBN 3-498-06289-1, S. 242.
- Der main-belt asteroid Nr. 2100029.