Joe Kaeser
Joe Kaeser (* 23. Juni 1957 als Josef Käser in Arnbruck, Niederbayern; amtlich Josef Kaeser) ist ein deutscher Manager. Zwischen 2006 und 2013 war er zunächst Finanzvorstand von Siemens und dann von 2013 bis 2021[1] Vorstandsvorsitzender des Konzerns.
Leben
Kaeser absolvierte die mittlere Reife an der Realschule in Kötzting[2] und legte an der Fachoberschule Cham die Fachhochschulreife ab.[3] Nach dem Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Regensburg trat Kaeser 1980 bei Siemens in den Unternehmensbereich Bauelemente ein, wo er in den folgenden Jahren verschiedene kaufmännische Leitungsfunktionen übernahm – unter anderem auch im Siemens-Bauelementegeschäft in Malaysia (1987–1988). 1990 wurde ihm die kaufmännische Leitung des Geschäftsgebiets Opto Semiconductors übertragen. Ab 1994 war Kaeser als Executive Vice President and Chief Financial Officer und später als CEO der US-Töchter Siemens Components, Cupertino, sowie Siemens Microelectronics, San José, tätig. Seit seinen USA-Aufenthalten nennt er sich Joe Kaeser.[4]
Im Jahr 1999 wurde Kaeser in der zentralen Finanzabteilung des Konzerns die Aufgabe zum Aufbau eines neuen, konzernweiten Systems zum Performance Controlling übertragen. In dieser Zeit war er im Vorfeld der Börsennotierung in New York unter anderem mitverantwortlich für die Umstellung der weltweiten Rechnungslegung von Siemens auf US-GAAP.
Von April 2001 bis September 2004 war Kaeser Mitglied des Bereichsvorstands IC Mobile und Chief Financial Officer des Bereichs. Am 1. Mai 2006 trat Kaeser im Amt des Leiters Corporate Finance die Nachfolge von Heinz-Joachim Neubürger als Finanzvorstand des Konzerns an, als dieser im Zuge des Bestechungsskandals aus dem Unternehmen ausschied. Auch Kaeser wurde die Mitwisserschaft und Duldung von Schmiergeldpraktiken im Siemens-Konzern vorgehalten.[5] Er beteuerte jedoch seine Unschuld und wurde nie juristisch belangt.[6]
Der Aufsichtsrat der Siemens AG wählte ihn am 31. Juli 2013 als Nachfolger von Peter Löscher zum Vorstandsvorsitzenden des Unternehmens. Am 1. August 2013 trat er den Posten an.[7] Seit dem Jahr 2014 ist Kaeser Mitglied im Aufsichtsrat der Daimler AG. Auf der Hauptversammlung 2019 wurde er für weitere fünf Jahre als Mitglied des Aufsichtsrats wiedergewählt.[8] Kaeser entschied sich Mitte März 2020, den Vorstandsvorsitz von Siemens zu räumen, um an die Spitze des Aufsichtsrates von Siemens Energy zu wechseln.[9] Auf der virtuellen Hauptversammlung der Siemens AG am 3. Februar 2021 verabschiedete sich Joe Kaeser als Vorstandsvorsitzender und übergab an den Nachfolger Roland Busch.
Als CEO von Siemens verdiente er im Jahr 2020 9,27 Mio. Euro und galt damit als einer der Topverdiener von DAX-Konzernen.[10]
Kaeser ist Mitglied der Trilateralen Kommission in Europa.[11] Vom 11. bis 14. Juni 2015 nahm er an der 63. Bilderberg-Konferenz in Telfs-Buchen in Österreich teil.
Im September 2021 berief die Wochenzeitung Die Zeit Kaeser in ihren „Green Council“, der das Ressort „Green“ mit Ideen, Kritik und eigenen Beiträgen unterstützen soll.[12]
Kaeser ist verheiratet und hat zwei Töchter.[13]
2021 erhielt er den Bayerischen Verdienstorden.[14]
Positionierungen und Kritik
Kaeser trieb früh die Digitalisierung mit Industrie 4.0 voran.[15]
Kaeser hat sich in der Vergangenheit wie selten ein deutscher Manager zu Fragen von Moral und Politik positioniert, was ein kontroverses Echo hervorrief.[16] Auch mit seinem Verhalten als Siemens-Chef stieß er bisweilen auf öffentliche Kritik.
Im März 2014, kurz nachdem die Krim von Russland annektiert worden war, reiste Kaeser nach Moskau und traf dort Wladimir Putin. Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, erklärte dazu: „Kaesers Vorgehen zeigt, dass er entweder die geopolitische Bedeutung der Krise nicht verstanden hat oder dass er das Einzelinteresse seines Unternehmens über die Interessen nicht nur Deutschlands, sondern Europas und des gesamten Westens stellt.“[17]
In der Debatte um das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) plädierte Kaeser für die Einführung eines solchen und warnte vor sozialen Spannungen durch die Digitalisierung.[18]
Kaeser gab im November 2017 den Abbau von 6900 Arbeitsplätzen bei Siemens bekannt, davon etwa die Hälfte in Deutschland. Dies wurde vielfach kritisiert.[19] Im Mai 2018 wurde bekannt, dass das Werk in Erfurt nicht verkauft wird und die Standorte Görlitz und Leipzig nicht geschlossen werden.[20]
2018 äußerte sich der Siemens-Chef als Befürworter von Donald Trumps Steuerreform für Unternehmen.[21] Nachdem Alice Weidel (AfD) in einer Bundestagsdebatte von „Messermännern“ und „Kopftuchmädchen“ gesprochen hatte, twitterte Kaeser im Mai 2018: „Lieber ‚Kopftuch-Mädel‘ als ‚Bund Deutscher Mädel‘. Frau Weidel schadet mit ihrem Nationalismus dem Ansehen unseres Landes in der Welt. Da, wo die Haupt-Quelle des deutschen Wohlstands liegt.“ Daraufhin habe es Gewaltandrohungen gegen ihn, seine Familie und sein Umfeld gegeben. Es dürfe jedoch keine Schweigespirale entstehen und man dürfe die öffentliche Diskussion „nicht populistisch-nationalen Äußerungen überlassen“. Kaeser ist überdies der Ansicht, dass „ohne ein Einwanderungsgesetz die Republik die Kontrolle nicht wiedererlangen wird.“[22]
Als nach dem ungeklärten Verschwinden des Journalisten Jamal Khashoggi internationale Vertreter aus Wirtschaft und Politik ihre Teilnahme an einer geplanten Investorenkonferenz in Riad absagten, hielt Kaeser – der dem Beirat der Konferenz angehört – seine Teilnahme bis zum Schluss offen.[16] Noch eine Woche vor dem Treffen sagte Kaeser in Toronto: „Wenn wir aufhören, mit Ländern zu kommunizieren, in denen Menschen vermisst werden, kann ich auch gleich zu Hause bleiben.“ Er wurde daraufhin unter anderem von Norbert Röttgen und dem FDP-Politiker Bijan Djir-Sarai kritisiert. Auch Alexander Graf Lambsdorff (FDP) forderte die deutsche Wirtschaft auf, die Investorenkonferenz in Riad so lange nicht zu unterstützen, bis der Fall Khashoggi eindeutig aufgeklärt sei.[23] Am Tag vor dem Konferenzbeginn sagte Kaeser seine Teilnahme schließlich doch ab und bezeichnete die mittlerweile eingeräumte Tötung Khashoggis als „barbarisch“. Die offizielle Erklärung Saudi-Arabiens, es habe sich um einen Unfall gehandelt, hält er für „kaum glaubhaft“.[24] Hintergrund für sein Zögern soll ein abschlussreifer Milliardenauftrag gewesen sein, dessen Zustandekommen Tausende Arbeitsplätze in der Siemens-Sparte Energietechnik gesichert hätte.[25]
In der Debatte um die Sea-Watch-3-Kapitänin Carola Rackete erklärte sich Kaeser Ende Juni 2019 solidarisch via Twitter mit den Seenotrettern.[26]
Nachdem die Beteiligung von Siemens am Bau der Steinkohlebergwerk Carmichael der Adani Group kritisiert wurde, traf sich Kaeser am 10. Januar 2020 mit Aktivisten von Fridays for Future und bot dabei Luisa Neubauer einen Aufsichtsposten bei Siemens Energy an. Auf die Frage, ob es der Aufsichtsrat oder ein anderes Gremium sei, antwortete Kaeser, dass Neubauer dies selbst entscheiden könne.[27][28] Neubauer lehnte das Angebot ab, weil sie dann den Interessen des Unternehmens verpflichtet wäre und Siemens nicht mehr unabhängig kommentieren könnte. Ihr Vorschlag, den Aufsichtsposten stattdessen mit einem Vertreter von Scientists for Future zu besetzen, wurde wiederum von Kaeser mit der Begründung abgelehnt, dass Siemens bereits genügend Experten und Wissenschaftler habe.[29] Kaeser bestritt später Neubauer einen Aufsichtsratsposten angeboten zu haben,[30] was wiederum von Fridays for Future bestritten wurde.[31] Laut Kaeser sei dieser Eindruck entstanden, weil er auf die Nachfrage eines Journalisten, ob er Neubauer einen Sitz in einem Kontrollgremium oder ein Aufsichtsratsmandat angeboten habe, gesagt habe, das könne sie sich aussuchen.[32]
Im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 sprach sich Kaeser für Annalena Baerbock von der Partei Bündnis 90/Die Grünen aus. Sie hätte die größte Glaubwürdigkeit für eine nachhaltige und langfristige Erneuerung und stehe für eine sozial-ökologische Marktwirtschaft, die Deutschland brauchen würde.[33]
Weblinks
- Joe Kaeser im Munzinger-Archiv, abgerufen am 15. März 2021 (Artikelanfang frei abrufbar)
- Lebenslauf bei Siemens Energy
- Vorstandsvorsitzende von Siemens
Einzelnachweise
- Vorstandsvorsitzende Siemens AG. Abgerufen am 20. März 2021.
- Joe Kaeser - Munzinger Biographie. Abgerufen am 13. März 2021.
- 50 Jahre FOSBOS in Bayern und in Cham. Abgerufen am 7. Juni 2021: „Als Festredner hatte bereits Siemens-Vorstandsvorsitzender und Landkreis-Bürger Joe Kaeser zugesagt. Er zählt selbst zu den ersten Chamer FOS-Schülern aus der Anfangszeit in den 1970er Jahren.“
- Passauer Neue Presse, 5. August 2013, Seite 3 (Interview mit Joe Kaeser).
- Siemens-Affäre: Vorwürfe gegen Finanzvorstand Kaeser. In: Spiegel Online, 23. Januar 2007, abgerufen am 24. Oktober 2018.
- Dana Heide: Jetzt kommt ein „echter Siemensianer“. In: Handelsblatt, 31. Juli 2013, abgerufen am 24. Oktober 2018.
- Löscher-Nachfolge: Aufsichtsrat wählt Joe Kaeser zum neuen Siemens-Chef. In: Spiegel Online, 31. Juli 2013, abgerufen am selben Tag.
- daimler.com: Hauptversammlung 2019
- Dinah Deckstein: Joe, der Brutale. In: Der Spiegel. Nr. 14, 2020, S. 75 (online – 28. März 2020).
- Managementvergütung: Boni stützen Gehaltskonten der Dax-Chefs – Post-CEO Frank Appel ist Topverdiener. Abgerufen am 29. März 2021.
- Mitgliedsverzeichnis der Trilateralen Kommission (PDF; 284 kB), Stand 2015.
- „Zeit“ lässt sich von Luisa Neubauer und Joe Kaeser zu Umweltthemen beraten. In: welt.de. 10. September 2021, abgerufen am 10. September 2021.
- Ein Chef zum Anfassen. In: FOCUS Magazin, Nr. 32 (2013). 13. August 2013, abgerufen am 7. Juni 2021.
- https://www.bayern.de/wp-content/uploads/2021/07/Ausgezeichnete-Persoenlichkeiten-8.-Juli-2021.pdf
- Angela Unger-Leinhos: Bundeskanzlerin Merkel besucht Siemens-Vorzeigewerk der Digitalen Fabrik. Abgerufen am 14. März 2021.
- Christoph Schäfer, Georg Meck, Tim Kanning: Deutsche-Bank-Chef sagt Reise nach Saudi-Arabien ab. In: FAZ, 19. Oktober 2018, abgerufen am selben Tag.
- Zitiert nach Matthias Naß: Schleimen ist Chefsache. In: Die Zeit 1/2018, 31. Januar 2018, abgerufen am 19. Oktober 2018.
- Max Hägler: Siemens-Chef plädiert für ein Grundeinkommen. In: Süddeutsche Zeitung, 20. November 2016, abgerufen am 24. Oktober 2018.
- Siemens will weltweit 6.900 Jobs streichen. In: Die Zeit, 16. November 2017, abgerufen am 19. Oktober 2018.
- Anne Hähnig: Hat hier der Populismus gesiegt? In: Zeit im Osten Nr. 23, 30. Mai 2018 (Onlinefassung: 3. Juni 2018, abgerufen am 19. Oktober 2018).
- Siemens-Chef verteidigt sein Lob für Donald Trump. In: Süddeutsche Zeitung, 3. Februar 2018, abgerufen am 24. Oktober 2018.
- Gerhard Hegmann: Siemens-Chef sieht sich im Kampf gegen die AfD alleingelassen. In: Die Welt, 10. Juli 2018, abgerufen am 19. Oktober 2018.
- Fall Khashoggi: FDP-Politiker nennt Verhalten von Siemens-Chef Kaeser „unverantwortlich“. In: Spiegel Online, 19. Oktober 2018, abgerufen am selben Tag.
- Florian Diekmann, Dinah Deckstein: Siemens-Chef Kaeser und der Fall Khashoggi: Absage mit Nebenwirkungen. In: Spiegel Online, 22. Oktober 2018, abgerufen am 23. Oktober 2018.
- Ist Siemens in Riad ein Milliardenauftrag entgangen? In: FAZ, 23. Oktober 2018, abgerufen am 24. Oktober 2018.
- Seenotrettung. Debatte im Netz: Darf der Siemens-Chef Carola Rackete unterstützen?, derstandard.at vom 3. Juli 2019
- Siemens-Chef Kaeser bietet Luisa Neubauer Sitz im Aufsichtsrat an. In: spiegel.de. 10. Januar 2020, abgerufen am 10. Januar 2020.
- "Sie ist eine sehr angenehme Persönlichkeit". In: spiegel.de. 10. Januar 2020, abgerufen am 10. Januar 2020.
- Klimaaktivistin Neubauer lehnt Siemens-Posten ab. In: sueddeutsche.de. 12. Januar 2020, abgerufen am 12. Januar 2020.
- Joe Kaeser fühlt sich missverstanden. In: faz.net. 26. Januar 2020, abgerufen am 26. Januar 2020.
- Klimaaktivisten bezichtigen Siemens-Chef Kaeser der Lüge. In: faz.net. 2. Februar 2020, abgerufen am 2. Februar 2020.
- Kaeser über Neubauer: "Dann hätte sie nicht mehr dieses Greta-Gesicht sein können". In: focus.de. 29. Januar 2020, abgerufen am 29. Januar 2020.
- Ex-Siemens-Chef Kaeser wirbt für Baerbock. In: sueddeutsche.de. 2. Juni 2021, abgerufen am 2. Juni 2021.