Höhlenbär
Der Höhlenbär (Ursus spelaeus) ist eine ausgestorbene Bärenart der letzten Kaltzeit. Seine Stammform ist vermutlich Ursus deningeri. Die Bezeichnung Höhlenbär verweist auf die Fundorte fossiler Knochen; sie ist jedoch insofern irreführend, als Ursus spelaeus sich nach heutigem Forschungsstand nur während der Winterruhe in Höhlen aufhielt. Aufgrund dieses Umstandes wird der Höhlenbär als sogenanntes „höhlenliebendes“ Tier bezeichnet.
Höhlenbär | ||||||||||||
---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|---|
Höhlenbärskelett in der Schlafstellung in der Sophienhöhle | ||||||||||||
Zeitliches Auftreten | ||||||||||||
Pleistozän | ||||||||||||
400.000 bis etwa 28.000 Jahre | ||||||||||||
Fundorte | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
| ||||||||||||
Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Ursus spelaeus | ||||||||||||
Rosenmüller, 1794 |
Verbreitung und Aussehen
Der Lebensraum des Höhlenbären war Europa, von Nordspanien bis zum Ural. Seine Kopf-Rumpf-Länge betrug bis zu 3,5 m, seine Schulterhöhe zirka 1,70 m. Er war somit deutlich größer als der heutige Braunbär. Die Weibchen des Höhlenbären waren, wie bei heutigen Bärenarten, etwas kleiner als die Männchen (Geschlechtsdimorphismus). Das Gewicht eines männlichen Höhlenbären wird auf 600 bis 1200 kg geschätzt.[1] Damit waren männliche Höhlenbären schwerer als ein Bison oder ein Kaffernbüffel.
Der Höhlenbär hatte kräftige Kiefer, deren Muskeln auf der Oberseite des Kopfes an einem Scheitelkamm ansetzten. Seine großflächigen Zähne und der relativ niedrige Gehalt an Stickstoff-15 im Kollagen der Bärenknochen weisen jedoch darauf hin, dass er sich weitgehend von Pflanzen ernährte.[2] Er war kein typischer Vertreter der Kaltzeiten, weil er infolge seiner Ernährungsgewohnheiten nur bis zur nördlichen Grenze laubtragender Bäume verbreitet war und in einem Tundren- und Kaltsteppenbiotop nicht ausreichend Nahrung gefunden hätte.
Zur Orientierung in der beinahe kompletten Dunkelheit setzte sich der Höhlenbär Duftmarken, indem er sein Fell an den Höhlenwänden rieb. Diese verfärbten Stellen sind auch heute noch beispielsweise in der Hermannshöhle und der Baumannshöhle im Rübetal im Harz zu sehen.
Fundorte und Aussterben
Wie in vielen anderen Höhlen Europas fanden sich auch in der Zoolithenhöhle bei Burggaillenreuth in der Fränkischen Schweiz seit alters her Knochen („Zoolithen“), die Johann Friedrich Esper 1771 näher untersuchte und als Knochen von Bären identifizierte, zunächst als die von Eisbären, die die Sintflut hierher geschwemmt habe. Esper beschrieb 1774 diese Funde in einem großformatigen Buch, dem ersten, das sich dem Thema fossiler Knochen allein widmet.[3] Erst später wurde erkannt, dass es sich nicht um den Eisbären oder Braunbären, sondern um eine größere Bärenart handelt. Die Artbeschreibung in der Nomenklatur von Linné erfolgte 1794 durch den Mediziner Johann Christian Rosenmüller in seiner Dissertation anhand eines gut erhaltenen Schädels aus derselben Höhle.[4] Ob der von Rosenmüller beschriebene Schädel sich heute unter den im Museum für Naturkunde in Berlin aufbewahrten, zur Rosenmüllerschen Sammlung gehörenden Schädeln befindet, ist unklar.[5] Der Höhlenbär ist die erste ausgestorbene Säugetierart, die nach dem Linneischen System beschrieben wurde. Seine Aufstellung als eigene Art war ein Durchbruch für die Säugetierpaläontologie.[6][7][8]
Trotz der massenhaften Ansammlung von Knochen und Zähnen in Höhlen der Frankenalb, der Schwäbischen Alb sowie der Steiermark war der Höhlenbär kein Höhlenbewohner. Die Tiere hielten in den Höhlen lediglich ihre Winterruhe, sodass es auch beim gelegentlichen Tod eines Tiers pro Höhle im Laufe Zehntausender von Jahren der Würmeiszeit zu großen Ansammlungen von Knochen und Zähnen kam. Die sind im basischen Milieu der devonischen, permischen oder jurassischen Kalke in den Karsthöhlen oft bestens erhalten. Da die Knochen der Höhlenbären gelegentlich bis zu 90 Prozent aller in einer Höhle gefundenen Knochen ausmachen, trägt eine Reihe von Höhlen die Namen Bärenhöhle, Bärenloch, Drachenhöhle oder Einhornhöhle.
Aus Einzelknochen verschiedener Individuen zusammengesetzte Höhlenbären-Skelette werden zum Beispiel in der Baumannshöhle bei Rübeland im Harz, der Teufelshöhle bei Pottenstein und der Heinrichshöhle in Hemer ausgestellt. Das Deutsche Höhlenmuseum im westfälischen Iserlohn-Letmathe besitzt das nahezu komplette Skelett eines in der Dechenhöhle gefundenen Jungtiers. In der Drachenhöhle bei Mixnitz (Steiermark) wurden Knochen von zirka 3000 Individuen freigelegt, deren Alter auf 30.000–40.000 Jahre bestimmt wurde. Eines der vollständigsten Skelette ist in der Sophienhöhle in Schlafhaltung in einem Bärenbett ausgestellt.
In welchem Ausmaß Höhlenbären von eiszeitlichen Jägern gejagt wurden, ist noch weitgehend unklar. Den einzigen direkten Beweis bildet eine Projektilspitze im Brustwirbel eines Höhlenbären aus dem Hohlen Fels bei Schelklingen. Der Knochen wurde in archäologischen Siedlungsschichten des Gravettien gefunden (Schicht IIcf), die mit 14C-Daten auf etwa 29.000 BP datiert wurde.[9][10] Auch in der Höhlenmalerei des prähistorischen Menschen in Südfrankreich wurden Höhlenbären mehrfach dargestellt. Wenngleich der forschungsgeschichtliche Begriff Bärenkult heute als archäologisches Konstrukt gilt, konnten dennoch in einigen Höhlen exponiert aufgestellte Bärenschädel gefunden werden (zum Beispiel in der Chauvet-Höhle).
Derzeit stammen jüngste direkte Radiokohlenstoffdaten dieser Bärenart aus der Stajnia-Höhle in Polen und sind zirka 21.000 BP alt, was nach aktueller Kalibrierung etwa 26.100 Kalenderjahren entspricht.[11] Diese Periode fällt mit einer Abkühlung des Klimas innerhalb des Eiszeitalters zusammen (sog. Greenland-Stadial 3), weshalb als Ursache für das Aussterben Klimaänderungen und ein daraus resultierender Wandel der Vegetation – der Lebensgrundlage der Bären – vermutet werden. Ob die Art im südlichen und östlichen Europa länger überlebte, ist derzeit unklar.[12]
Der Höhlenbär starb damit schon vor der eigentlichen Quartären Aussterbewelle am Ende der Weichsel- bzw. Würmeiszeit aus. Auch der Cro-Magnon-Mensch des Jungpaläolithikums als Verursacher einer starken Dezimierung wird diskutiert (Overkill-Hypothese).
Wie Forscher der Universität Zürich im August 2019 mitteilten, ging der Bestand der Höhlenbären in Europa schon vor 40.000 Jahren durch menschliche Einflussnahme stark zurück. Das war die Zeit, als sich der moderne Mensch hier ausbreitete. Zuvor hatte die Bärenart mehr als 400.000 Jahre mit mehreren Klimawechseln unbeschadet überstanden. Für die Studie wurden die Knochenreste von 59 Höhlenbären untersucht.[13][14]
Genetische Analyse
Aus einem 32.000 Jahre alten, in der Chauvet-Höhle entdeckten Brustbein wurde von französischen Forschern mitochondriale DNA gewonnen und mit der mitochondrialen DNA eines Braunbären aus den Pyrenäen verglichen. Den Ergebnissen dieser 2008 publizierten Studie zufolge sind die Höhlenbären eng verwandt mit den Eisbären und den Braunbären; die drei Arten stammen demzufolge von einem gemeinsamen Vorfahren ab.[15] Alle anderen heute lebenden Bärenarten stammen von einem anderen Ast des Bärenstammbaums ab.
Innerhalb der Höhlenbärenlinie lassen sich im Spätpleistozän drei genetisch deutlich verschiedene Formen fassen, die bisweilen als eigenständige Arten betrachtet werden. Die Formen im Westen Europas werden in der Regel mit der nominalen Art Ursus spelaeus gleichgesetzt, während die Höhlenbären Osteuropas als Ursus ingressus bezeichnet werden. Das Grenzgebiet zwischen beiden Formen bildet der Alpenraum. Eine dritte Form ist aus dem Kaukasus bekannt. Die unterscheidet sich genetisch besonders stark von den übrigen Höhlenbären und wird als Ursus deningeri kudarensis bezeichnet. Erst in der jüngeren Vergangenheit wurden auch Höhlenbärenreste aus Nord- und Zentralasien bekannt. Ein Fund aus Nordsibirien wurde durch DNA-Analysen als naher Verwandter des Kaukasischen Höhlenbären identifiziert. Erstaunlicherweise erwiesen sich Höhlenbären aus dem Altaigebirge als enge Verwandte des Westeuropäischen Höhlenbären.[16]
Der Höhlenbär hybridisierte mit dem Braunbären. Abschnitte des Höhlenbärengenoms lassen sich heute noch in der Braunbären-DNA nachweisen. Etwa 0,9 bis 2,4 % des Braunbärengenoms stammen vom Höhlenbären.[17]
Literatur
- Ernst Probst: Der Höhlenbär. Diplomica Verlag, Hamburg 2015, ISBN 978-3-95934-561-3.
- Gernot Rabeder, Doris Nagel, Martina Pacher: Der Höhlenbär. Jan Thorbecke Verlag, Stuttgart 2000, ISBN 3-7995-9085-4.
Weblinks
Einzelnachweise
- Ernst Probst: Der Höhlenbär Diplomica Verlag, 15. Juni 2015; S. 101
- Yuichi I. Naito et al.: Evidence for herbivorous cave bears (Ursus spelaeus) in Goyet Cave, Belgium: implications for palaeodietary reconstruction of fossil bears using amino acid δ15N approaches. Journal of Quaternary Science, August 2016, DOI: 10.1002/jqs.2883
- Johann Friedrich Esper: Ausführliche Nachrichten von neuentdeckten Zoolithen unbekannter vierfüßiger Tiere. Georg Wolfgang Knorrs Seel. Erben, Nürnberg 1774. (Faksimileausgabe: Guido Pressler, Wiesbaden 1978; Einführung: Armin Geus)
- Johann Christian Rosenmüller: Quaedam de ossibus fossilibus animalis cujusdam, historiam ejus et cognitionem accurationem illustrantis (deutsche, vom Verfasser selbst herrührende Übersetzung). Dissertation. Leipzig 1795.
- Stephan Kempe, Doris Döppes: Cave bear, cave lion and cave hyena skulls from the public collection at the Humboldt Museum in Berlin. In: Acta Carsologica. 38/2–3, 2009, S. 253–264.
- Stephan Kempe, Wilfried Rosendahl, Doris Döppes: The making of the cave bear – Die wissenschaftliche Entdeckung des Ursus spelaeus. In: Festschrift G. Rabeder Mitt. Komm. Quartärforsch. Österr. Akad. Wiss. 14, 2005, S. 57–73.
- Stephan Kempe, Wilfried Rosendahl, Doris Döppes: The scientific discovery of „Ursus spelaeus“. In: Neue Forschungen zum Höhlenbären in Europa, 11. Internationales Höhlenbär-Symposium, 29. September – 2. Oktober 2005, Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e. V., Abhandlungen. Band 45, 2005, S. 199–214.
- Wilfried Rosendahl, Stephan Kempe: Ursus spelaeus ROSENMÜLLER 1794 and not ROSENMÜLLER & HEINROTH – Johann Christian Rosenmüller, his life and the Ursus spelaeus. In: Neue Forschungen zum Höhlenbären in Europa, 11. Internationales Höhlenbär-Symposium, 29. September – 2. Oktober 2005, Naturhistorische Gesellschaft Nürnberg e. V., Abhandlungen. Band 45, 2005, S. 191–198.
- Susanne C. Münzel, Nicholas J. Conard: Cave Bear Hunting in the Hohle Fels, a Cave Site in the Ach Valley, Swabian Jura. In: Revue de Paléobiologie. 23(2), 2004, S. 877–885.
- Foto und Bericht des Befundes vom Hohlen Fels
- Mateusz Baca et al.: Retreat and extinction of the Late Pleistocene cave bear (Ursus spelaeus sensu lato). In: The Science of Nature. Band 103, Artikel Nr. 92, 2016, doi:10.1007/s00114-016-1414-8.
- Martina Pacher, Anthony J. Stuart: Extinction chronology and palaeobiology of the cave bear (Ursus spelaeus). In: Boreas. Volume 38 Issue 2, 2009, S. 189–206. doi:10.1111/j.1502-3885.2008.00071.x
- Nadja Podbregar: Warum starb der Höhlenbär aus? In: wissenschaft.de. 15. August 2019, abgerufen am 18. August 2019.
- Joscha Gretzinger u. a.: Large-scale mitogenomic analysis of the phylogeography of the Late Pleistocene cave bear. In: Scientific Reports. 9, 2019, doi:10.1038/s41598-019-47073-z.
- Céline Bon u. a.: Deciphering the complete mitochondrial genome and phylogeny of the extinct cave bear in the Paleolithic painted cave of Chauvet. In: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA. (PNAS), 2008. doi:10.1073/pnas.0806143105
- M. Knapp, N. Rohland, J. Weinstock, G. Baryshnikov, A. Sher, D. Nagel, G. Rabeder, R. Pinhasi, H. A. Schmidt, M. Hofreiter: First DNA sequences from Asian cave bear fossils reveal deep divergences and complex phylogeographic patterns. In: Molecular ecology. vol. 18, Mar. 2009, S. 1225–1238.
- Axel Barlow at al.: Partial genomic survival of cave bears in living brown bears, Nature Ecology & Evolution (2018), doi: 10.1038/s41559-018-0654-8