Grænlendingar
Grænlendingar (isländisch „Grönländer“) waren skandinavische Siedler, die sich, von Island kommend, ab dem Jahr 986 auf der Insel Grönland niederließen. Die Grænlendingar begannen als erste Europäer mit der Erforschung und zeitweiligen Besiedlung Nordamerikas. Es wird angenommen, dass sie eine eigene Sprache entwickelten, die als Grönlandnordisch bezeichnet wird – nicht zu verwechseln mit der eskimo-aleutischen Grönländischen Sprache.[1] Ihre Siedlungen bestanden rund 500 Jahre, bis sie aus bis heute nicht restlos geklärten Gründen wieder aufgegeben wurden.
Geschichte
Vorgeschichte
Die skandinavische Expansion im frühen Mittelalter hatte ihre Ursachen im Wesentlichen in zwei Besonderheiten der Gesellschaft. Das damals geltende Erbrecht bei den nordischen Völkern begünstigte den erstgeborenen Sohn. Als neues Acker- und Weideland in Skandinavien wegen der verhältnismäßig dichten Besiedlung nicht mehr zu erschließen war, blieb den Nachgeborenen nur die Alternative, eigenen Besitz außerhalb der etablierten Strukturen aufzubauen. Gefördert wurde dies durch den hohen Stellenwert, den persönlicher Wagemut, Risikobereitschaft und körperliche Belastbarkeit in der dortigen Gesellschaft hatten. Mit den Fortschritten im Schiffsbau standen etwa ab dem 8. Jahrhundert auch die geeigneten Hilfsmittel zur Verfügung, Reisen an den Rand der bekannten Welt zu unternehmen und dort Siedlungen zu gründen.
Das Sprungbrett für die Besiedlung Grönlands war die Besiedlung Islands. Im 10. Jahrhundert wohnten auf Island nach heutigen Schätzungen 50.000 bis 60.000 Menschen. Eine stabile Gesellschaftsstruktur hatte sich etabliert, und gutes Land befand sich in rechtlich gesichertem Besitz. Diese gefestigte Landverteilung, mehrjährige Missernten und eine Hungersnot lieferten in den 970er Jahren den Anlass, sich nach neuen Siedlungsräumen umzusehen.
Entdeckung Grönlands
Um das Jahr 900 war der Seefahrer Gunnbjörn Úlfsson auf einer Fahrt von Norwegen nach Island weit vom Kurs abgekommen und mit seinem Schiff auf eine westlich gelegene Küste, wahrscheinlich in der Gegend des heutigen Kap Farvel an der Südspitze Grönlands, zugetrieben worden. Er hatte Eisberge, Schären und eine öde, menschenfeindliche Landschaft gesichtet und ging daher nicht an Land.
Eiríkr inn rauði (Erik der Rote) erlangte durch Heirat den Hof Haukadalr am isländischen Breiðafjörður (Breidafjord; nahe dem heutigen Búðardalur im Nordwesten Islands). Wegen eines tödlich ausgegangenen Streites schickte ihn das Althing für drei Jahre in Verbannung. Die Landnámabók berichtet, dass er im Jahre 982 mit den Geächteten Þorbjörn (Thorbjörn), Eyjólfr (Eyjolf) und Styrr (Styr) von der Halbinsel Snæfellsnes gegen Westen segelte, um Gunnbjörns Land aufzufinden. Er erreichte die grönländische Küste bei „Miðjökull“ (Midjökul; vermutlich das heutige Ammassalik in Ostgrönland), segelte von dort nach Süden und umrundete Kap Farvel, um geeignetes Land für eine Besiedlung zu finden. Auf einer der Südküste vorgelagerten Insel verbrachte er den ersten Winter. Nach der Íslendingabók fand er dort bereits Siedlungsspuren vor, die wahrscheinlich von der Neo-Eskimo-Kultur (Skrælingar) stammten.
Im folgenden Frühjahr segelte Erik weiter nach Norden und fuhr in einen großen Fjord ein, der nach ihm Eiríksfjörðr (Eriksfjord) genannt wurde (heute Tunulliarfikfjord). Am Ende des Fjordes, auf einer geographischen Breite von etwa 61°, gründete er seinen Hof Brattahlíð (Brattahlid) im klimatisch günstigsten Bereich Grönlands. Zunächst baute er eine rechteckige hölzerne Halle. Von dort unternahm er mehrere Erkundungsfahrten, die ihn bis über den Polarkreis in die heutige Diskobucht führten. Im folgenden Jahr segelte er nach Island zurück.
Hier scharte er etwa 700 Personen um sich, die er davon überzeugen konnte, in „Grünland“, wie er das neu entdeckte Land nannte, üppige Weiden und beste Bedingungen für eine Ansiedlung vorzufinden. Der gewählte Name ist beschönigend, aber wahrscheinlich nicht völlig unrealistisch. Denn eine Erwärmung ist in diesem Zeitraum auch anderweitig nachgewiesen und hat die Bezeichnung „Mittelalterliche Warmzeit“.
Die Gruppe segelte mit 25 Schiffen ab, von denen nach der Schilderung im Landnahmebuch nur 14 die grönländische Küste erreichten. Die von den ersten Siedlern am Eriksfjord errichteten Höfe bildeten den Kern der Ostsiedlung.
Besiedlung und Konsolidierung der Gesellschaft
Isländische Quellen lassen darauf schließen, dass in den folgenden 14 Jahren mindestens drei weitere Flotten mit Siedlern Grönland erreichten. Etwa 500 km nördlich der Ostsiedlung entstand die Westsiedlung, die jedoch stets unter weniger günstigen Bedingungen existieren musste. Um das Jahr 1000 waren praktisch alle klimatisch in Frage kommenden Gebiete Grönlands besiedelt. Die Kolonie näherte sich ihrem Bevölkerungsmaximum von 5000 bis 6000 Personen.
Es spricht vieles dafür, dass in der Anfangszeit der Kolonie Erik der Rote eine Führungsstellung innehatte. Im Gegensatz zu Norwegen, Island und den Färöern war Grönland jedoch politisch nie als zusammenhängendes Staatsgebilde organisiert. Eine offizielle Führungspersönlichkeit ist für die Folgezeit nicht nachzuweisen. Aber dem Häuptling in Brattahlid kann auf Grund der zentralen Lage und der Tradition ein besonderer Einfluss zugesprochen werden. Seit dem 14. Jahrhundert stellte Brattahlid den Lögsögumaður, den Gesetzessprecher; allerdings ist nicht sicher, ob er die gleiche Funktion wie in Island ausübte.
Obwohl Erik der Rote der Überlieferung nach kein Christ gewesen ist, wurde die Kolonie bald christianisiert. Allerdings berichten die Íslendingabók und die Grœnlendinga saga (Saga von den Grönländern) übereinstimmend, dass bei der ersten Besiedlung Herjólfr (Herjolf), ein Begleiter Eriks, einen Christen von den Hebriden an Bord hatte.[2] Nach der Saga von den Grönlandern brachte Eriks Sohn Leifr (Leif Eriksson) um das Jahr 1000 das Christentum nach Grönland. Gleiches berichtet auch die Óláfs saga Tryggvasonar (Geschichte von Olaf Tryggvason)[3] in der Heimskringla. Nach diesem Bericht hatte er bereits einen Priester bei sich. Die Grœnlendinga saga erwähnt ihn zwar nicht, aber die Tatsache, dass die Frau Eriks des Roten Þórhildr (Thorhild; nach der Taufe Þjóðhildr – Thjodhild) in einiger Entfernung vom Hof ein Kirchlein bauen ließ, lässt die sehr frühe Anwesenheit eines Priesters als glaubwürdig erscheinen. Es gibt, außer einigen kleinen Amuletten, keine archäologischen Belege für die Ausübung heidnischer Rituale; dagegen sind auf zahlreichen Höfen die Überreste christlicher Kirchen und Kapellen ausgegraben worden, darunter auch die Kirche von Brattahlíð, auf die der Bericht der Grœnlendinga saga über das Kirchlein von Thjodhild genau passt.[4] Diese Kirchen wurden von dem jeweiligen Grundherrn errichtet, und er hatte daher – zunächst – auch Anspruch auf die zu leistenden Abgaben der Kirchengemeinde. Bis zum 11. Jahrhundert unterstand Grönland dem Erzbistum Bremen. Die Grœnlendinga saga berichtet, dass die Kolonie im Jahr 1118 Einarr Sokkason nach Norwegen entsandte, um den König Sigurðr jórsalafari (Sigurd der Jerusalemfahrer) zu veranlassen, Grönland einen eigenen Bischof zuzuteilen. Der erste grönländische Bischof war ab 1126 Arnaldr, dessen mutmaßliche Gebeine unter dem Boden der Kirche von Gardar ausgegraben wurden (andere Vermutungen gehen auf Bischof Jón Smyrill, † 1209). Es folgten mehrere weitere Bischöfe, für deren Versorgung bedeutende Pfründen eingerichtet wurden. Um 1350 besaß die Kirche den größten Hof und etwa zwei Drittel des besten Weidelandes.
Der letzte grönländische Bischof starb 1378. Für ihn wurde zwar ebenfalls ein Nachfolger ernannt, der sich jedoch weigerte, die verhältnismäßig komfortablen Lebensumstände in Norwegen aufzugeben und ins unwirtliche Grönland zu reisen. Er ließ sich dort durch einen Vikar vertreten. Auf den Kirchenzehnt der Grönländer verzichteten er und seine Nachfolger allerdings nicht.
Das Fehlen einer übergeordneten Macht hatte zur Folge, dass sich die lokalen Machthaber in einer endlosen Folge von Konflikten befanden. Um die ständigen Streitereien zu beenden, unterstellte sich die grönländische Kolonie 1261 der norwegischen Krone. Auch König Hákon Hákonarson hatte schon länger auf diesen Schritt hingearbeitet. Die Kolonie erhielt im Gegenzug die Zusage einer regelmäßigen Schiffsverbindung. Dieser Schritt zog aber auch ein norwegisches Handelsmonopol nach sich. 1294 stellte König Eiríkr Magnússon von Norwegen einheimischen Kaufleuten Privilegienbriefe für den Grönlandhandel aus. Allen anderen, namentlich der Hanse, war die Schifffahrt nach Grönland verboten. Offenbar gab es bis zur zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts einen regelmäßigen Handelsverkehr mit ein bis zwei „staatlichen“ Schiffen pro Jahr. Als verhängnisvoll für den Verkehr mit Grönland sollte sich die Kalmarer Union erweisen; denn für das dänische Königshaus war der entlegene Außenposten nur noch von geringem Interesse, der Handelsverkehr versiegte. Inwieweit die Hanse, dem norwegischen Monopol trotzend, die Lücke auffüllte, bedarf noch der näheren Untersuchung.
Untergang
Irgendwann vor 1350 wurde die grönländische Westsiedlung aufgegeben. Ívarr Bárðarson (Ivar Bardarson), ein Priester aus Norwegen, segelte 1350 von der Ost- zur Westsiedlung, traf aber dort keinen lebenden Menschen mehr an. Er vermutete, dass die Skrælingar die Siedlung erobert und alle Einwohner getötet hatten. Daraufhin entsandte König Magnus II. von Schweden und Norwegen 1355 eine schwedisch-norwegische Expedition über die Nordsee nach Westgrönland, um den bedrängten Siedlern zu helfen. Kapitän Paul Knudson erreichte zwar die Westsiedlung, fand aber die inzwischen geflohenen Norweger auch auf dem nordamerikanischen Festland nicht.[5]
Das letzte norwegische Handelsschiff erreichte Grönland im Jahr 1406. Kapitän Þórsteinn Óláfsson (Thorstein Olafsson) hielt sich einige Jahre auf Grönland auf und heiratete 1408 in der Kirche von Hvalsey Sigríðr Bjarnardóttir (Sigrid Björnsdottir). Dieser Bericht in der Nýi Annáll ist der letzte schriftliche Beleg von Personen, die in Grönland waren. Später gibt es noch in den verschiedenen Annálar Berichte über Beobachtungen von Menschen auf Grönland (siehe dazu die übersetzten Quellen). Danach sind keine Kontakte mit dem übrigen Europa quellenmäßig fassbar. Ob sie tatsächlich abgebrochen sind, ist angesichts der archäologischen Befunde zweifelhaft.
1534 will der isländische Bischof Ögmundur von Skálholt noch Menschen und Schafspferche an der Westküste gesehen haben. Im städtischen Archiv von Hamburg befindet sich ein zeitgenössischer Bericht, der von der Fahrt einer Kraweel aus der Hansestadt nach Grönland berichtet. Der Kapitän Gerd Mestemaker erreichte 1541 die Westküste, aber er konnte dort „zu keinem lebenden Menschen kommen“.
1585 passierte der englische Entdecker John Davis auf der Suche nach der Nordwestpassage auch Grönland und trat in der Umgebung des heutigen Nuuk mit den Inuit in Kontakt, fand jedoch keine lebenden Europäer. Die im 16. und 17. Jahrhundert gelegentlich vorbeikommenden Walfänger sahen ebenfalls keine Anzeichen für die Anwesenheit von Nachfahren der Isländerkolonie. In den Jahren 1605 bis 1607 finanzierte der dänisch-norwegische König Christian IV. drei Expeditionen zur Klärung des Schicksals der Kolonisten, die die Siedlungen jedoch nicht wiederfanden.
Für den Untergang der Grænlendingar gibt es verschiedene, teils umstrittene Theorien. Wahrscheinlich ist aus heutiger Sicht eine Kombination verschiedener ungünstiger Faktoren, deren Zusammenwirken die damalige Gesellschaft so destabilisierte, dass ihr Überleben nach dem 15. Jahrhundert nicht mehr gesichert war.
- Die um 900 n. Chr. in Alaska entstandene Inuit-Kultur Thule breitete sich ab 1000 an der Eismeerküste nach Osten aus und löste die ältere und rückständige Kultur Dorset II ab. Auch die im hohen Norden Grönlands lebenden Inuit wurden nach 1100 von dieser Entwicklung erfasst oder verdrängt. Die Träger der Thule-Kultur erschlossen darüber hinaus in den folgenden Jahrhunderten auch die bislang unbesiedelten Küsten Grönlands. Etwa ab dem 15. Jahrhundert kann die gesamte arktische Küste als besiedelt gelten. Begegnungen der Grænlendingar mit den Eskimo-Kulturen sind sicher. Belegt sind auch (gelegentliche?) Konflikte, der Umfang und die Art der Beziehungen mit den Inuit sind aber umstritten. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Inuit die im Niedergang befindlichen Siedlungen überrannt und die Einwohner getötet haben. Dies wird zumindest für die Westsiedlung angenommen, gilt allerdings nicht mehr als alleiniger Grund für die Aufgabe der Ostsiedlung.
- Ab dem 15. Jahrhundert verschlechterten sich die klimatischen Bedingungen dramatisch. Zwischen 1400 und 1850 gab es die sogenannte „Kleine Eiszeit“ mit Temperaturen, die in Grönland um etwa 0,5 bis 1 °C niedriger lagen als heute.[6] Es ist nachvollziehbar, dass eine derart starke Temperatursenkung fatale Auswirkungen auf eine bäuerliche Gesellschaft hatte, die sich ohnehin immer im Grenzbereich der klimatischen Existenzmöglichkeiten befand. Häufige Missernten und eine dauernde Hungersnot könnten allmählich zum Aussterben der Kolonie geführt haben. Die Funde von Poul Nørlund auf dem Friedhof von Herjulfsnes sind insoweit aufschlussreich. Die Skelette aus dem späten 14. und frühen 15. Jahrhundert sind deutlich kleiner als die auf dem Friedhof von Brattahlid ausgegrabenen älteren Funde. Die Männer sind selten größer als 1,60 m, die Frauen durchschnittlich nur 1,40 bis 1,50 m. Eine auffällig hohe Zahl von Kinderbegräbnissen deutet auf eine hohe Kindersterblichkeit hin. Die meisten Skelette weisen Defekte, zum Beispiel Rückgratschiefe oder Beckenverengungen auf, rachitische Symptome sind häufig. Der Anthropologe Niels Lynnerup lehnt die Theorie des Aussterbens durch Unterernährung aber ab.[7] Die Anzeichen reichten nicht aus. Der Archäologe Jørgen Meldgaard fand in der Westsiedlung die Reste einer wohlgefüllten Speisekammer und Gerätschaften, die nicht auf eine Unterernährung schließen lassen.[8]
- Der Geograph Jared Diamond vertritt die Auffassung, dass Bodenerosion durch Überweidung, Mangel an Rohstoffen wie Eisen und Holz, Krieg mit den Inuit, eine konservative Grundhaltung der Grænlendingar, die sie davon abgehalten habe, Techniken der Inuit (z. B. Harpunen) zu übernehmen, und der Klimawandel zusammenwirkten. Für Überweidung sprechen zum Beispiel auch Zahnanalysen von Ovicapriden (Schafe/Ziegen)[9] aus der Westsiedlung.[10]
- Der Niedergang der Handelsbeziehungen schnitt die Siedlung von der Versorgung mit lebenswichtigen Rohstoffen, insbesondere Holz und Eisen, ab. Die Grönländer waren nicht in der Lage, diese Lücke mit eigenen Schiffen zu füllen, denn für den Schiffbau fehlte es an geeigneten Materialien. Dem widerspricht der Archäologe Niels Lynnerup: Die Begräbnissitten hätten bis weit ins 15. Jahrhundert denen auf Island geglichen. Und Jette Arneborg weist darauf hin, dass die Kleidermode bis zum Ende der Besiedlung der im übrigen Nordeuropa gefolgt sei, was eine totale Isolierung ausschließe.
- Vorübergehend wurde auch die These vertreten, die Siedler hätten überlebt und sich mit den Inuit vermischt (Fridtjof Nansen). Durch Genanalysen ist diese Theorie aber inzwischen widerlegt worden.
- 1359 wüteten in Bergen und zwischen 1408 und 1414 in Island Pestepidemien. Da sich der Handel mit Grönland ausschließlich über Bergen und Trondheim abwickelte und es einen ständigen Kontakt mit Island gab, schloss der dänisch-norwegische Historiker Ludvig Holberg, dass die Pest auch nach Grönland gelangt sei und so zum Niedergang der Kolonie beigetragen habe. In der Nähe von Narsarsuaq wurde ein Massengrab gefunden; ob dies jedoch als ein schlüssiger Beleg für eine Epidemie gelten kann, ist vorerst noch offen. Jedenfalls dürfte es für eine Pestepidemie an den notwendigen Ausbreitungsbedingungen gefehlt haben.
- Es wurde auch die Meinung vertreten, Piraten, namentlich die Vitalienbrüder, hätten die letzten Siedler ermordet und die Höfe geplündert. Dafür wurden ein Papstbrief von 1448 und andere eher zweifelhafte Quellen angeführt. Es ist historisch belegt, dass die Vitalienbrüder 1429 die reiche und gut verteidigte Stadt Bergen angriffen und ausraubten, ein Raubzug nach Grönland wäre weniger risikoreich, aber auch weniger lohnend gewesen. Schriftliche Aufzeichnungen über ein solches Unternehmen gibt es allerdings nicht. Dieser Ansatz wird heute auch nicht weiterverfolgt.
- Einige Forscher ziehen auch eine (Massen-)Auswanderung nach Amerika in Betracht.[11] Hierfür gibt es bisher keine Belege. Aber die archäologischen Befunde deuten darauf hin, dass es kein besonderes „grönländisches“ Gruppengefühl gab, so dass eine allmähliche Rückwanderung heute als am wahrscheinlichsten gilt.
- Neueste Forschung und archäologische Ausgrabungen dänischer Wissenschaftler ergaben, dass die Grænlendingar sich durch Umstellung auf Robbenfang gut auf die Klimaverschlechterung eingestellt hatten. Robben machten bis zu 80 % ihrer Ernährung aus. Die Rinderherden wurden durch genügsamere Ziegen und Schafe ersetzt. Die Aufgabe der Siedlungen sei auf mehrere Faktoren zurückzuführen: Die Auflassung der traditionellen Lebensweise zugunsten jener der Inuit habe die Identität der Siedler geschwächt. Walrosszähne und Robbenfelle waren kaum noch gefragt; daher kamen kaum noch Handelsschiffe mit dringend benötigtem Bauholz und Eisenwerkzeugen auf die Insel. Viele junge und kräftige Bewohner hätten Grönland verlassen, bis die Siedlungen schließlich offenbar geplant aufgegeben worden seien. Der Schwarze Tod und Landflucht habe weite Teile von Island und Norwegen stark entvölkert, so dass ausreichend besseres Siedlungsland für die Aussiedler zur Verfügung gestanden habe.[12]
Siedlungen
In der Literatur unterscheidet man zwei Isländersiedlungen in Grönland – die größere Ostsiedlung (Eystribyggð) um das heutige Qaqortoq und die kleinere Westsiedlung (Vestribyggð) um die heutige Stadt Nuuk – die beide an der grönländischen Westküste liegen. Durch den Golfstrom ist das Klima in diesen Bereichen deutlich günstiger als in allen anderen Gebieten Grönlands. Zwischen den beiden Siedlungen gab es noch einige verstreute Höfe (nahe dem heutigen Ivittuut), die in einigen Publikationen als „Mittelsiedlung“ zusammengefasst werden. Im Gegensatz zu den Inuit, die als Jäger und Fischer unmittelbaren Zugang zum offenen Meer benötigten, siedelten die Landwirtschaft treibenden Grænlendingar in den geschützten Bereichen am Ende der langen Fjorde. Dort waren die klimatischen Bedingungen für die Land- und Weidewirtschaft günstiger. Die Gesamtzahl der Isländer in Grönland betrug nach heutigen Schätzungen maximal 5000 bis 6000 Personen, die meisten davon lebten in der Ostsiedlung. Bislang sind die Überreste von rund 300 Höfen, 16 Gemeindekirchen (dazu mehrere Kapellen), einem Benediktinerinnenkloster St. Olaf bei Unartok und einem Mönchskloster am Tasermiut-Fjord bekannt.
Die Ausgrabungen in Brattahlid, aber insbesondere die eines Gehöftes bei Narsaq in den 1950er und 60er Jahren, geben eine gute Vorstellung vom Aussehen der Ansiedlungen. Der typische Grænlendingarhof bestand aus einer Gruppe von Gebäuden auf einem größeren Areal. Er umfasste Stallungen für Schafe, Ziegen, Rinder und – zumindest in der Frühzeit der Siedlungen – auch Schweine und Islandpferde. Daneben gab es eine Reihe von Scheunen, Vorratshäusern und Wirtschaftsgebäuden, aus deren Beifunden man schließen kann, dass dort überwiegend Textilproduktion und Milchwirtschaft betrieben wurden. Das Hauptgebäude war ein Konglomerat von ineinandergehenden Räumen mit einem zentralen Bau in der Art eines Langhauses, das auf einem Fundament aus Feldsteinen abwechselnd aus Torfsoden und Steinlagen aufgeführt wurde. Die Bauweise wurde möglicherweise von den Inuit übernommen, denn sie war bereits den Eskimos der Saqqaq-Kultur (2400–900 v. Chr.) bekannt. Der einfache Dachstuhl bestand aus Treibholz (bei einigen Höfen auch aus Walknochen) und war mit Grassoden bedeckt. Ein praktisches und kunstvoll ausgeführtes Wasserzu- und -ableitungssystem aus abgedeckten Kanälen be- und entwässerte die Häuser. Die Stallungen wurden ebenfalls aus Steinen und Grassoden gebaut. Zum Kuhstall gehörten immer zwei miteinander verbundene Räume, der Viehstall selbst mit den Einständen und eine größere Futterkammer. Der aus Feldstein errichteten ca. 1,5 m dicken Außenmauer war zur Kälteisolierung ein mehrere Meter dicker Wall aus Grassoden und Erde vorgelagert. Erstaunlich sind vereinzelt eingebaute Steinblöcke von bis zu 10 Tonnen Gewicht. Die bedeutenderen Höfe hatten eine Kirche oder Kapelle und ein Badehaus, ähnlich einer Sauna. Viele Höfe hatten auch entfernt liegende „Saeters“, Hütten, die nur in den Sommermonaten zur Heuernte auf abseits gelegenen Weiden benutzt wurden, ein System ähnlich dem der Maiensäße in den Alpen.
Ostsiedlung
Der überlieferte Name ist insoweit missverständlich, als diese Siedlung an der grönländischen Westküste liegt. Er erklärt sich jedoch daraus, dass deren Lage am Ende des sich nach Osten ausdehnenden Eriksfjordes eine längere Fahrt von der Küste in Richtung Osten erforderlich machte. Der Fjord ist umgeben von sanften Hügeln und geprägt von zahlreichen kleinen und kleinsten Inseln. In den geschützten Lagen im Fjordinnern entfaltet sich eine im Sommer üppig blühende subarktische Vegetation. Das Klima ist auch heute noch das mildeste in Grönland.
Die Ostsiedlung ist die älteste Grænlendingarsiedlung, umfasste 192 Höfe und liegt in geschützter Lage am Ende des rund 100 km langen Eriksfjordes. Sie geht direkt auf eine Gründung Eriks des Roten zurück. Fruchtbare Böden und reiche Weidegründe ermöglichten Viehwirtschaft. Der norwegische Geistliche Ívarr Bárðason berichtete um die Mitte des 14. Jahrhunderts, dass in günstigen Jahren sogar Äpfel reif geworden sein sollen.
Zur Ostsiedlung gehören die größten und reichsten Höfe Grönlands.
Brattahlíð (Qassiarsuk)
Eriks Hof Brattahlíð (Brattahlid) war der bedeutendste der Ostsiedlung; er wurde in den 1930er Jahren ausgegraben. Ein ausgedehnter Komplex mit mehreren ineinander übergehenden Wohngebäuden enthielt eine rund 25 m lange Halle, die als zentraler Wohn- und Versammlungsraum diente. Zwei Stallgebäude beherbergten den beachtlichen Viehbestand von insgesamt 50 Kühen. Die Maße der Boxen und die Knochenfunde lassen darauf schließen, dass die Rinder mit einer Schulterhöhe von etwa 1,20 m wesentlich kleiner waren als die heutigen. Erhalten sind auch die Grundmauern mehrerer Vorratshäuser und Wirtschaftsgebäude sowie einer Schmiede.
Auf dem Areal, etwas abgesetzt vom Hauptkomplex, befand sich die von einem Erdwall umgebene Kirche von Brattahlíð, von der heute nur noch spärliche Reste erhalten sind (eine Rekonstruktion wurde auf dem Gelände vor einigen Jahren errichtet) und die heute als die von Thjodhild erbaute Kirche gilt. Rund um die Kirche hat man einen Friedhof mit 144 Skeletten ausgegraben, 24 davon Kinder, 65 Männer, 39 Frauen und 16 Erwachsene, deren Geschlecht nicht bestimmt werden konnte. Etwa die Hälfte der Männer – nicht wenige über 1,80 m groß – hatten ein Alter zwischen 40 und 60 Jahren erreicht. Viele davon zeigten deutliche Spuren von Arthritis und stark abgenutzte Zähne. Auf dem Friedhof gibt es ein Massengrab mit den Überresten von 13 Personen. Diese Skelette, sowie einige andere auch, weisen Spuren von Schwert- und Axtschlägen auf, was auf nicht seltene kriegerische Auseinandersetzungen schließen lässt.
Garðar
Garðar (Gardar, heute Igaliku) liegt auf einer fruchtbaren Ebene zwischen dem Eriksfjord und dem Einarfjord und war der Bischofssitz von Grönland. Das – noch vor Brattahlid – größte landwirtschaftliche Anwesen stand im Eigentum der Kirche. Die St. Magnus (nach anderen Quellen St. Nikolaus) geweihte Kathedrale von Garðar, von der nicht viel mehr als die Grundmauern erhalten sind, war im Endausbau zu Beginn des 13. Jahrhunderts 27 m lang und im Kreuzchor einschließlich der Seitenkapellen 16 m breit. Sie hatte Fenster aus grünlichem Glas und einen Glockenturm mit Bronzeglocken, beides besonders wertvolle Importwaren.
Südlich der Kirche und mit einem Fliesenweg verbunden, schloss sich als Wohnsitz des Bischofs ein großer Gebäudekomplex mit mehreren Räumen und einer Halle von 16,75 × 7,75 m an. Zum Hof gehörten ein Brunnen und zwei große Ställe – der größere davon 60 m lang – die 100 Kühen Platz boten sowie mehrere Vorratshäuser und Wirtschaftsgebäude. Dazu zählte auch eine Schmiede, in der Spuren von Raseneisenerz gefunden wurden. Mit dem Anwesen verbunden war ein Hafen mit Bootsschuppen unmittelbar am Einarsfjord. Im Ganzen umfasst die Anlage rund 40 größere und kleinere Gebäude und beweist allein damit schon die herausragende Stellung, die Gardar in der wikingischen Gesellschaft Grönlands einnahm.
Hvalsey (Qaqortukulooq)
Die Kirche von Hvalsey ist das heute am besten erhaltene Bauwerk der Grænlendingar. Der einfache, rechteckige Kirchenraum wurde um 1300 an einem sanft abfallenden Hang unweit des Fjordufers errichtet. Er ist, wie bei alten Kirchen üblich, ost-west-orientiert. Die etwa 1,5 m dicken Mauern sind aus weitgehend unbearbeiteten Natursteinen kunstvoll aufgeschichtet. Möglicherweise wurde auch Lehm als Mörtel verwendet. Es gibt Hinweise darauf, dass die Außenwände ursprünglich weiß gekalkt waren. Die Kirche hat eine niedrige Türöffnung mit einem darüber liegenden rechteckigen Fenster in der Westfassade und ein größeres Fenster mit romanischem Rundbogen in der Ostfassade. Eine weitere Tür und zwei Schlitzfenster befinden sich in der Südwand. Die Fensternischen erweitern sich trichterförmig nach innen – eine Bauweise, die auch von frühen Kirchen auf den britischen Inseln bekannt ist. Die Giebel sind etwa 5 m hoch. Im Kircheninnern sind, außer einigen Mauernischen, keinerlei Schmuckelemente zu erkennen. Der frühere Lehmboden ist heute mit einer Grasnarbe bedeckt. Das nicht mehr erhaltene Dach war ursprünglich aus Holz und Grassoden errichtet. Das Erscheinungsbild entspricht dem von Kirchen auf den Färöern, Orkney- und Shetlandinseln. Da die Kirchenbauten in Island und Norwegen gewöhnlich aus Holz errichtet wurden, könnte dies ein Hinweis auf regelmäßige Kontakte der Kolonie zu den Britischen Inseln sein. Die Kirche war der Schauplatz der letzten überlieferten Begebenheit in Grönland. Am 14. September 1408 fand dort eine prachtvolle Hochzeit statt. Die Gäste kamen 1408 aus Island und fuhren 1410 wieder zurück.
Von den umgebenden Höfen sind nur noch spärliche Reste von Wohngebäuden, Stallungen, Lager- und Vorratshäusern erhalten; teilweise sind sie noch nicht archäologisch untersucht.
Westsiedlung
Die Westsiedlung liegt etwa 500 km nördlich der Ostsiedlung in der Umgebung der heutigen Hauptstadt Nuuk in einer klimatisch weniger günstigen Lage. Sie war kleiner und bescheidener ausgestattet und umfasste rund 90 Gehöfte nahe der heutigen Siedlung Kapisillit.
Hof unter dem Sand
In den Jahren 1991 bis 1996 erforschte das „Danish Polar Center“ in Zusammenarbeit mit der Universität von Alberta den „Hof unter dem Sand“ (Gården under sandet oder Farm beneath the sand) in der Westsiedlung, der zwischen 1000 und 1400 n. Chr. bewohnt war. Die Grabungsergebnisse lieferten wichtige Erkenntnisse über die Architektur und Bauweise eines Wohngebäudes der Wikinger sowie das Nahrungsangebot der Bewohner.
Das Grabungsfeld liegt auf einer Anhöhe am Ende des Lysufjords, etwa 80 Kilometer östlich von Nuuk. Das rechteckige 12 × 5 m messende Wohngebäude war ganz aus Torfsoden erbaut, die im Winkel von ca. 45° übereinander geschichtet waren und Wände von 1,9 m Dicke bildeten. Das Dach bestand aus hölzernen Sparren (wahrscheinlich Schwemmholz) und war mit Flechtwerk und darauf ruhenden langen Torfstücken gedeckt. In der Mitte des Hauses lag eine lange Feuerstelle (Langeldr) mit Sitzflächen in den beiden Seitengängen. Eine Kochzone mit separater Feuerstelle (Maleldr) befand sich an der Nordseite.[13]
Wie aus den ausgegrabenen Abfällen zu schließen ist, umfasste die Nahrung der Bewohner sowohl Wildtiere (Fische, Vögel und Säugetiere) als auch domestizierte Tiere. Der hauptsächliche Nahrungsfisch war der Seesaibling (Salvelinus alpinus), gefolgt vom Kabeljau (Gadus morhua) und der Lodde (Mallotus villosus). Die aufgefundenen und identifizierten Vogelknochen stammen vorwiegend von Schneehühnern (Lagopus muta) und zu einem geringeren Anteil von Stockenten (Anas platyrhynchos) und Eiderenten (Somateria mollissima). Bedeutende Nahrungstiere aus der Mammal-Fauna waren Robben und Rentiere. Die ausgegrabenen Überreste der Zuchttiere stammen – zu etwa gleichen Teilen – hauptsächlich von Schafen und Ziegen sowie von einem Pferd.[14] Knochen von Hausrindern (Bos taurus) wurden ebenfalls gefunden. Anhand der Zähne ließ sich ermitteln, dass die Kühe ein verhältnismäßig hohes Alter erreichten, also eher zur Milcherzeugung als zur Fleischmast dienten. Die erhobenen Vergleichsmaße belegen, dass die domestizierten Tiere von eher kleinem und kräftigem Wuchs waren.[15]
Erdproben bewiesen, dass die Wikinger zur Kultivierung des Areals Brandrodung betrieben und die ursprünglich dort wachsenden Birkenbüsche abbrannten, um Weideflächen anzulegen.[16]
Zusammenfassend lassen die bisherigen Grabungsergebnisse den Schluss zu, dass die Lebensbedingungen deutlich ungünstiger waren als in der Ostsiedlung.
Das nördliche Jagdgebiet (Norðrsetur)
Eine wesentliche Rolle für die Nahrungsversorgung und für die Beschaffung von Exportgütern spielte das nördliche Jagdgebiet. Es dürfte auf einer geographischen Breite von 70° im Bereich der heutigen Diskobucht gelegen haben. Nördlich des Polarkreises sind zwar keine dauerhaften Ansiedlungen der Wikinger bekannt, Schriftquellen belegen jedoch jährlich stattfindende Jagdexpeditionen in den Sommermonaten. Diese Unternehmungen dienten der unverzichtbaren Versorgung mit Fleisch als Nahrungsergänzung, aber auch der Beschaffung von Walrosselfenbein, Narwalzähnen, Robben- und Eisbärfellen, Eiderdaunen, Moschusochsenhörnern und Karibugeweihen. Norðrsetur war mit geruderten Booten in 30 Tagen von der Westsiedlung und in 50 Tagen von der Ostsiedlung aus erreichbar.
In diesem Gebiet dürfte es auch (regelmäßige?) Begegnungen mit den Inuit der Thule-Kultur gegeben haben. Bereits ab 2500 v. Chr. sind Siedlungen und Jagdplätze der Eskimo-Kulturen an der Diskobucht (Sermermiut) nachgewiesen.
Auch für gelegentliche Expeditionen noch weiter nördlich gibt es eindeutige Beweise. 1824 wurden auf der Insel Kingittorsuaq auf einer Breite von 73° drei Steinmale entdeckt. In eines davon war ein zwölf Zentimeter langer Runenstein aus dem frühen 14. Jahrhundert eingesetzt, der das Datum 25. April (das Jahr ist nicht angegeben) und die drei Mitglieder einer solchen Jagdexpedition benennt.
Lebensweise, Handel, Wirtschaft und Nahrungsversorgung
Die Lebensbedingungen müssen ähnlich wie die in Island gewesen sein. Von den 24 Kinderskeletten bei der Thjodhilds-Kirche in Brattahlid waren 15 von Säuglingen, ein Kind war drei Jahre alt, eines sieben Jahre und vier waren elf bis zwölf Jahre alt geworden. Die Kindersterblichkeit auf Island lag 1850 in einer ähnlichen Größenordnung, auch wenn man berücksichtigt, dass wohl nicht alle toten Neugeborenen an der Kirche begraben wurden.[17] Die geringe Zahl verstorbener älterer Kinder deutet auf gute Lebensverhältnisse hin. Auch scheinen keine ansteckenden Krankheiten in größerem Umfang gewütet zu haben. Von den 53 Männern außerhalb des Gemeinschaftsgrabes haben immerhin 23 ein Alter zwischen 30 und 50 Jahren erreicht. Von den 39 Frauen waren es nur drei, und nur eine wurde noch älter. Dazu kommen noch einige aus einer Gruppe, deren Alter über 20 nicht näher bestimmt werden konnte. Die Durchschnittsgröße der Männer betrug 171 cm – nicht wenige maßen 184–185 cm –, die der Frauen 156 cm; das ist mehr als der Durchschnitt in Dänemark um 1900. Alle hatten gute Zähne, wenn auch signifikant stark abgenutzt, und es gab keine Karies. Die häufigste Krankheit, die an den Skeletten festgestellt werden konnte, war eine schwere Gicht im Rücken und in den Hüften. Einige waren so krumm und steif in den Gelenken, dass man sie nicht für ein Begräbnis hinlegen konnte. Die Gicht war aber zur Wikingerzeit in Skandinavien weit verbreitet. Andere Krankheiten können heute nicht mehr festgestellt werden. Auch die Sitte des Begräbnisplatzes war von Norwegen und Island übernommen worden: Im Norden überwiegen die weiblichen, im Süden der Kirche die männlichen Skelette. Je größer der Abstand von der Kirche, desto oberflächlicher die Bestattung, woraus sich entnehmen lässt, dass die Entfernung des Grabes von der Kirche vom sozialen Status des Toten abhing.
- Aufbau der Siedlung Qaqortoq
- Aufbau der Siedlung Igaliku
- Schwimmer für ein Fischernetz
- Fragmente von Haushaltsgerätschaften (Einritzungen als Eigentümerzeichen)
- Grab- und Runensteine
Die grönländische Wirtschaft beruhte vor allem auf drei Standbeinen: Viehhaltung, Jagd und Tierfang, die in unterschiedlichen Anteilen Nahrung und Handelsgüter lieferten. Die Höfe waren wegen der für die Viehzucht benötigten großen Weideflächen weit voneinander getrennt und faktisch autark.
Das norwegische Lehrwerk Konungs skuggsjá (Königsspiegel) berichtet im 13. Jahrhundert, dass die grönländischen Bauern sich vorwiegend von Fleisch, Milch (Skyr, ein Sauermilchprodukt ähnlich unserem Quark), Butter und Käse ernährten. Der Archäologe Thomas McGovern von der City University of New York hat anhand von Abfallhaufen die Ernährung der skandinavischen Grönlandbewohner untersucht. Er stellte fest, dass die fleischliche Nahrung durchschnittlich aus 20 Prozent Rindfleisch, 20 Prozent Ziegen- und Schafsfleisch, 45 Prozent Robbenfleisch, 10 Prozent Karibu- und 5 Prozent sonstigem Fleisch bestand, wobei der Anteil an Karibu- und Robbenfleisch in der ärmeren Westsiedlung erheblich höher war als in der Ostsiedlung.[18] Offensichtlich betrieben die Einwohner auch regelmäßig Fischfang; denn in den Siedlungen wurden Schwimmer und Gewichte von Fischernetzen gefunden.
Funde von Handmühlen in einigen Höfen der Ostsiedlung lassen vermuten, dass in begünstigten Lagen in geringem Umfang auch Getreide angebaut wurde. Hauptsächlich dürfte es aber importiert worden sein. Der Königsspiegel berichtet dazu, dass nur die mächtigsten Bonden (mit Höfen in bester Lage) etwas Korn zum eigenen Gebrauch angebaut hätten. Die meisten Bewohner wüssten gar nicht, was ein Brot sei, und hätten noch nie eines gesehen.
Ein wesentlicher Vitaminlieferant war der „Kvan“ (Engelwurz), der von den Siedlern nach Grönland gebracht wurde und dort heute noch in Gärten zu finden ist. Stängel und Wurzeln können als Salat oder Gemüse zubereitet werden.
Als problematisch sollte sich der beständige Mangel an Holz erweisen. In Grönland wuchsen um die Jahrtausendwende lediglich kleine Zwergbirken und -weiden, die nur eingeschränkt als Bauholz nutzbar waren. Das mit dem Golfstrom angeschwemmte Treibholz war von minderer Qualität. Daher war Bauholz ein wichtiges (und teures) Importgut.
Ein weiteres wichtiges Importgut waren eiserne Geräte und Waffen. In Grönland waren zur Zeit der Wikinger keine Erzlagerstätten bekannt. Die ohnehin nicht sehr ergiebige Verhüttung von Raseneisenerz stieß durch den Mangel an geeigneten Brennstoffen (Holzkohle) schnell an ihre Grenzen, so dass die Siedlungen nahezu ausschließlich auf Importe angewiesen waren. Wie dramatisch der Eisenmangel war, zeigt ein Beispiel: Bei Grabungen in der Westsiedlung in den 1930er Jahren fand man eine Streitaxt. Sie war bis ins kleinste Detail einer eisernen Axt nachgebildet, jedoch aus Walknochen gefertigt.[19]
Neben dem Trocknen war die Pökelung die einzige Möglichkeit der Konservierung von Fleisch. Dafür wurde Salz benötigt, das ebenfalls importiert werden musste.
Die Siedlung hatte aber auch eine Reihe von Exportgütern, die im übrigen Europa sehr begehrt waren:
Die grönländischen Schafe produzierten wegen der besonderen klimatischen Bedingungen eine sehr fetthaltige Wolle. Die daraus hergestellten Stoffe und Kleidungsstücke waren wegen ihrer wasserabweisenden Eigenschaften sehr gefragt. Die Kleidungsstücke, die in Herjolfsnæs ausgegraben wurden, entsprechen denen, die auf innereuropäischen Kalkmalereien aus der gleichen Zeit zu finden sind, und waren von höherer Qualität als die von Funden im übrigen Skandinavien aus dieser Zeit.[20]
Ein sehr begehrtes Exportgut waren die weißen Gerfalken Grönlands, die auf verzweigten Handelswegen bis in die arabischen Länder gelangten. Noch höher bezahlt wurde der Narwalstoßzahn, von dem man an europäischen Königs- und Fürstenhöfen glaubte, er könne Gift neutralisieren. Man nahm an, das schneckenartig gewundene und spitze Horn stamme von dem sagenhaften Einhorn.
Walrosselfenbein war für kunstvolle Schnitzereien an Königs- und Fürstenhöfen ebenfalls hochbegehrt; der Wert verfiel jedoch, als im späten Mittelalter die Araber Elefantenstoßzähne aus Afrika liefern konnten. Aus Walrosshäuten stellte man belastungsfähige und haltbare Schiffstaue her.
Kontakte zu den Inuit
Sowohl archäologische Funde als auch Schriftzeugnisse (der Nordmannen) belegen, dass es Begegnungen zwischen den Eskimo-Kulturen und Skandinaviern gegeben hat. Ob diese Begegnungen regelmäßige Handelsbeziehungen oder nur gelegentliche – womöglich kriegerische – Kontakte waren, ist umstritten. Mündliche Überlieferungen der Inuit (erst im 18. und 19. Jahrhundert schriftlich fixiert) berichten mehrfach von kriegerischen Auseinandersetzungen. In archäologischen Stätten der Inuit wurden mehrfach Relikte der Skandinavier, vor allem Gegenstände aus Eisen, entdeckt. Ob diese durch friedlichen Tausch oder Raub erlangt worden waren, ist unbekannt.
Die Eirikssaga (Eiríks saga rauða) berichtet von einem Gefecht, das der Isländer Karlsefni mit den Skrælingar austrug und bei dem zwei von Karlsefnis Männern und vier Inuit getötet wurden. In den isländischen Gottskálks Annálar ist für 1379 vermerkt, dass Skrælingar bei den Grænlendingar geheert, 18 Mann getötet und zwei Knechte versklavt hätten. Ob und inwieweit die Inuit zum Untergang der Grænlendingar-Kultur beigetragen haben, ist umstritten.
Entdeckungsgeschichte und Forschungen
Der erste greifbare Hinweis auf isländische Siedlungen in Grönland – neben den bekannten Schriftzeugnissen – dürfte die Entdeckung des englischen Kapitäns John Davis sein, der 1586 in der Ostsiedlung einen Grabstein mit einem christlichen Kreuz fand. Weitere Grab- und Skelettfunde durch Walfänger folgten.
Allerdings war die Erinnerung an die „blonden Männer“ in Grönland nie erloschen. Im 16. und 17. Jahrhundert gab es einige halbherzige Versuche, mit der Kolonie in Verbindung zu treten, insbesondere, um die, wie man annahm, vom Glauben abgefallenen Grænlendingar „in den Schoß der Kirche“ zurückzubringen. In Dänemark und Norwegen kursierte die Geschichte, dass die Grænlendingar mangels Getreide keine Hostien mehr backen konnten und nun angeblich das Tuch verehrten, mit dem die letzte Hostie bedeckt gewesen war. Diese Versuche scheiterten vornehmlich daran, dass die Siedlungen, in falscher Interpretation des Namens Eystribyggð, an der grönländischen Ostküste gesucht wurden.
Als der von den Lofoten stammende Pfarrer Hans Egede davon hörte, machte er sich auf, um die angeblich vom Glauben abgefallenen christlichen Siedler zu missionieren. Als er im Sommer 1721 in Godthaab, dem heutigen Nuuk, ankerte, fand er zwar einige Überreste der Westsiedlung, ohne sie als solche zu identifizieren, jedoch keinen lebenden Europäer. Er blieb dennoch in Grönland und begann stattdessen mit der Missionierung der Inuit. Aber erst mit den Reisen von Gustav Frederik Holm nach Julianehåb 1880 und den Untersuchungen von Daniel Bruhns an der gleichen Stelle 1903 begannen die systematischen archäologischen Untersuchungen.[21] Holm war es auch, der mit seiner Entdeckung Ammassaliks an der Ostküste auf seiner Frauenbootexpedition 1884 endgültig nachwies, dass Eystribyggð nicht dort zu finden war.[22]
1921 entsandte die dänische Regierung eine archäologische Expedition unter der Führung von Poul Nørlund nach Grönland. Er grub am Hof Herjulfsnes einen Friedhof aus und fand ausgezeichnet erhaltene Kleidungsstücke, die heute zum Bestand des Nationalmuseums in Kopenhagen gehören (Rekonstruktionen im Museum von Nuuk). Ihm verdankt man auch die ersten wissenschaftlichen Grabungen in Brattahlid und Gardar sowie in Sandness in der Westsiedlung.
Ab 1940 führte Leif Verbaek umfangreiche Grabungen bei Vatnahverfi in der Ostsiedlung durch.
Im Rahmen der „Nordischen Archäologischen Expedition“ in den 1970er Jahren fanden verschiedene, miteinander vernetzte Forschungen zur Geschichte Grönlands – sowohl der Grænlendingar als auch der Eskimo-Kulturen – statt.
Literaturquellen
- Quellen
- Landnahmebuch (Landnámabók), Buch der Besiedlung Islands, ursprünglich aus dem 11. Jahrhundert, älteste erhaltene Version aus dem 13. Jahrhundert, in englischer Übersetzung hier: . Deutsch: Das Besiedlungsbuch in: Islands Besiedlung und älteste Geschichte. Übs. von Walter Baetke. Düsseldorf 1967.
- Erikssaga (Eiríks saga rauða), in der frühesten Version überliefert im Hauksbók aus dem 14. Jahrhundert, in einer englischen Übersetzung des Gutenberg-Projektes hier: . Deutsch: Grönländer Geschichten. In: Grönländer und Färinger Geschichten. Übs. von Felix Niedner. Düsseldorf 1965.
- Grönlandsaga (Grænlendinga saga), in der frühesten Version überliefert in der isländischen Flateyjarbók aus dem späten 14. Jahrhundert. Deutsch: Grönländer Geschichten. In: Grönländer und Färinger Geschichten. Übs. von Felix Niedner. Düsseldorf 1965.
- Königsspiegel (Konungs skuggsjá), lat. Speculum regale, in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts im Umkreis des norwegischen Königs Håkon entstanden. Deutsch: Der Königsspiegel. Konungsskuggsjá. Übs. Rudolf Meissner. Halle/Saale 1944.
- Ívarr Bárðason: Grønland annáll (13. Jahrhundert). In: Carl Christian Rafn: Grønlands historiske Mindesmærker. 3 Bände 1838–1845. Fotografischer Neudruck 1976.
- Gustav Storm: Islandske Annaler indtil 1578. Christiania 1888. Neudruck Oslo 1977, ISBN 82-7061-192-1.
- Sekundärliteratur
- Poul Nørlund: Wikingersiedlungen in Grönland – Ihre Entstehung und ihr Schicksal. Curt-Kabitzsch-Verlag, Leipzig 1937.
- Die Wikinger. Time-Life-Bücher, Amsterdam, ISBN 90-5390-521-9.
- Geschichte der Seefahrt – Die Wikinger. Time-Life-Bücher, Amsterdam, ISBN 3-86047-033-7.
- Paul Herrmann: 7 vorbei und 8 verweht – Das Abenteuer der frühen Entdeckungen. Hoffmann und Campe, Hamburg 1952, ISBN 3-499-16646-1.
- Grethe Authén Blom: Grønlandshandel. In: Kulturhistorisk Leksikon for Nordisk Middelalder. Kopenhagen 1960, Gd. 5, Sp. 519–523.
- Christen Leif Vebæk: Kolonisation af Grønland. In: Kulturhistorisk Leksikon for Nordisk Middelalder. Kopenhagen 1963, Gd. 8, Sp. 650–658.
- Knud J. Krogh: Erik den Rødes Grønland. Nationalmuseet, Kopenhagen 1967.
- Bertil Almgren u. a.: Die Wikinger – Geschichte, Kultur und Entdeckungen. Heyer, Essen 1968.
- Rudolf Pörtner: Die Wikinger Saga. Droemersche Verlagsanstalt, München 1974, ISBN 3-426-00337-6.
- Harald Steinert: Tausend Jahre Neue Welt. DVA, Stuttgart 1982, ISBN 3-421-06113-0.
- S. E. Albrethsen: Grönland. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 13, Berlin 1999, S. 63–71.
- Jette Arneborg: Nordboliv i Grønland. In: Else Roesdahl (Hrsg.): Dagligliv i Danmarks middelalder. Aarhus Universitetsforlag, 2004, ISBN 87-7934-106-3.
- Niels Lynnerup: Life and Death in Norse Greenland. In: Vikings – the North Atlantic Saga. Washington 2000, ISBN 1-56098-995-5.
- Kirsten A. Seaver: “Pygmies” of the Far North. In: Journal of World History 19, Heft 1, 2008, S. 63–87.
- Eli Kintisch: The lost Norse. Archaeologists have a new answer to the mystery of Gereenland’s Norse, who thrived for centuries and then vanished. In: Science, Vol. 354, No. 6313 (11. November 2016), S. 696–701 (Online).
Einzelnachweise
- eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche
- Saga von den Grönländern. Kap. 2; Landnahmebuch 2. Buch Kap 14.
- Kap. 86 und 96: Er erhielt danach von König Olav einen Missionsauftrag für Grönland.
- Es handelt sich um die signifikante Eigenart, dass alle späteren Eigenkirchen sehr dicht an das Hauptgebäude des Hofes gebaut wurden, diese aber, genau wie in der Saga beschrieben, wegen des fortdauernden Heidentums Eriks des Roten sehr weit vom Haupthaus weg errichtet wurde.
- Erich Rackwitz: Fremde Pfade – unbekannte Meere. Urania-Verlag, Leipzig/Jena/Berlin 1980, S. 67–70.
- D. Dahl-Jensen, K. Mosegaard, N. Gundestrup et al.: Past Temperatures Directly from the Greenland Ice Sheet. In: Science 282, Nr. 5387, 1998, S. 268–271, doi:10.1126/science.282.5387.268
- Niels Lynnerup: The Greenland Norse: A Biological-Anthropological Study, 1989
- J. P. H.Hansen, Jørgen Meldgaard und Jørgen Nordqvist: Qilakitsoq. De grønlandske mumier fra 1400-tallet. 1985.
- Schaf, Ziege
- Ingrid Mainland: Pastures lost? A dental microwear study of ovicaprine diet and management in Norse Greenland. In: Journal of Archaeological Science 33, 2006, S. 238–252.
- Z. B. Paul Herrmann.
- Günther Stockinger: Als die Tranfunzeln erloschen. Knochenanalysen zeigen, wie sich die Wikinger auf Grönland im Mittelalter an die Abkühlung anpassten: Aus Rinderzüchtern wurden Robbenjäger. Warum gaben sie ihre Kolonie auf? In: Der Spiegel 2, 2013, S. 104f.
- Mogens Skaaning Høegsberg: Continuity and Change: The Dwellings of the Greenland Norse. In: Journal of the North Atlantic, Volume 2: Norse Greenland Selected Papers from the Hvalsey Conference 2008, S. 82–101
- Mikkel-Holger S. Sinding, Jette Arneborg et al.: Ancient DNA unravels the truth behind the controversial GUS Greenlandic Norse fur samples: the bison was a horse, and the muskox and bears were goats. In: Journal of Archaeological Science, Volume 53, Januar 2015, S. 297–303.
- Inge Bødker Enghoff: Hunting, Fishing and Animal Husbandry at the Farm Beneath the Sand, Western Greenland: An Archaeozoological Analysis of a Norse Farm in the Western Settlement. Danish Polar Center, Kopenhagen 2003, ISBN 978-8790369590.
- Martin B. Hebsgaard, M. Thomas P. Gilbert, Jette Arneborg et al.: The Farm Beneath the Sand – an archaeological case study on ancient ‘dirt’ DNA. In: Antiquity 83 (320) vom Juni 2009, S. 1–15.
- Krogh S. 38
- T. H. McGovern: Bones, Buildings, and Boundaries: Paleoeconomic Approaches to Norse Greenland. In: C. D. Morris and J. Rackham (Hrsg.): Norse and Later Settlement and Subsistence in the North Atlantic. Glasgow University Press, 1992, S. 157–186.
- Paul Nørlund: Wikingersiedlungen in Grönland. Ihre Entstehung und ihr Schicksal. Ernst Käbitzsch Leipzig 1937, S. 52, Abb. 41.
- Krogh S. 71.
- Krogh S. 52.
- Heike Braukmüller: Grönland – gestern und heute. Grönlands Weg der Dekolonisation. Weener, Ems 1990, ISBN 3-88761-043-1, S. 201.