Giersch
Gewöhnlicher Giersch (Aegopodium podagraria) ist eine Pflanzenart aus der Gattung Aegopodium in der Familie der Doldenblütler (Apiaceae). Sie ist die einzige in Europa vorkommende Aegopodium-Art. Giersch gilt allgemein als lästiges Unkraut; er wuchert und lässt sich wegen seiner unterirdischen Triebe nur schwer bekämpfen. Andererseits ist Giersch ein wohlschmeckendes Wildgemüse.
Gewöhnlicher Giersch | ||||||||||||
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Gewöhnlicher Giersch (Aegopodium podagraria) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Aegopodium podagraria | ||||||||||||
L. |
Beschreibung
Vegetative Merkmale
Der Giersch wächst als ausdauernde krautige Pflanze und erreicht Wuchshöhen von 30 bis 100 Zentimeter. Da der Giersch aus einem stark wuchernden Rhizom entspringt, können die Ausläufer Kolonien bilden. Der kahle Stängel ist kennzeichnend kantig-gefurcht.[1]
Die wechselständig am Stängel angeordneten Laubblätter sind in Blattstiel und Blattspreite gegliedert. Die Blattspreite ist doppelt dreizählig oder zweifach gefiedert. Die Fiederblätter sind eiförmig-länglich und besitzen einen gesägten Rand. Die Fiedern 1. Ordnung sind oft nur zweispaltig.[1]
Generative Merkmale
Der doppeldoldige Blütenstand ist flach und 12- bis 25-strahlig.[1] Es fehlen sowohl Hüllblätter als auch die Hüllchenblätter.[1] Die unscheinbaren, weißen Blüten sind zwittrig und fünfzählig. Die Blütezeit reicht meist von Juni bis Juli.
Die ungeflügelte kümmelähnliche, zweiteilige Spaltfrucht, auch Doppelachäne genannt, ist bei einer Länge von 3 bis 4 Millimeter eiförmig.
Die Art hat die Chromosomenzahl 2n = 42, 44 oder 22.[2]
Ökologie
Der Giersch ist ein Hemikryptophyt. Mit unterirdischen Ausläufern verbreiten sich einzelne Pflanzen binnen weniger Jahre über große Flächen. Vegetative Vermehrung ist vorherrschend, sie erfolgt durch die weithin und tief kriechenden, weißen, brüchigen, unterirdischen Ausläufer, die eine Mindestlänge von 20 cm und einen Durchmesser von 2 mm erreichen.[3] Er wurzelt bis 50 Zentimeter tief.[2]
Die bodennahen Blätter überdauern in milden Wintern; der Giersch ist damit teilwintergrün.[3] Blütenökologisch handelt es sich um „Nektar führende Scheibenblumen vom Heracleum-Typ“.[3] Spezielle Ausbreitungsmechanismen sind nicht bekannt; es findet aber unbeabsichtigte Ausbreitung durch den Menschen statt.[3]
Der Giersch wird vom Rostpilz Puccinia aegopodii mit Telien befallen.[4] Der Pilz Protomyces macrosporus erzeugt Gallen an Blattstielen und -nerven.[5] Der Blattfloh Trioza flavipennis verursacht ebenfalls Pflanzengallen.[6]
Vorkommen
Der Giersch ist in fast ganz Europa und den gemäßigt-kontinentalen Gebieten des eurasischen Laubwaldgürtels verbreitet. Sein Verbreitungsgebiet umfasst Europa, die Türkei, den Kaukasusraum, Kasachstan, Kirgisistan und Sibirien.[7] In Nordamerika wurde er eingeschleppt. Er liebt stickstoffreiche Böden und tritt häufig in Gärten, schattig-feuchten Gebüschen und Wäldern auf. Er gedeiht auf grundfrischen oder sickerfrischen, nährstoffreichen und basenreichen, lockeren, tiefgründigen, mild bis mäßig sauren, humosen Ton- und Lehmböden.[2] Er ist eine schwache Charakterart des Urtico-Aegopodietum, kommt aber in Mitteleuropa auch in Gesellschaften des Convolvulion, Alno-Ulmion oder feuchter Querco-Fagetea vor.[2]
Er steigt in den Allgäuer Alpen im Tiroler Teil im Höhenbachtal, nahe der Vorderen Schochenalpe, bis 1360 Meter über Meereshöhe auf.[8]
Verwendung
Im Mittelalter, aber auch in neuerer Zeit wurde Giersch als Gemüse wie auch als Heilpflanze angebaut.
Traditionelle Heilpflanze
Der Trivialname Podagrakraut oder Zipperleinskraut weist darauf hin, dass Giersch als ein Mittel gegen Gicht galt. Er soll auch gegen Rheuma und Arthritis, krampflösend, entgiftend und blutreinigend wirken. Da keine Belege für die genannten Indikationen gefunden wurden, wird der Giersch in neuen Arzneibüchern nicht mehr aufgeführt.[9]
Ernährung
Roh erinnert Giersch in Geruch und Geschmack ein wenig an Petersilie gemischt mit dem harzigen Aroma einer Mango, gekocht hingegen an Spinat. Da Giersch im Gegensatz zu den meisten Gemüsesorten über viele Monate zur Verfügung steht und nur geringe Ansprüche an Boden, Wasser und Lichtversorgung stellt, sicherte er beispielsweise während der Weltkriege vielen Menschen die Vitaminzufuhr.
Die jungen, grünen Blätter enthalten (je 100 g) etwa: 200 mg Vitamin C, 5 mg Carotin, 130 mg Calcium, 5 mg Magnesium, 3 mg Eisen und 2 mg Kupfer.[10]
Giersch kann als Salat oder Gemüse zubereitet werden. Als Salat eignen sich vor allem die jungen, kaum entfalteten Blätter. Rohe Blätter können auch in Aufstriche und Suppen gegeben werden. Nach der Blüte wird der Geschmack kräftiger und eine leicht abführende Wirkung kann eintreten. Durch das Entfernen der Blüten kann dies teilweise verhindert werden. Ältere Blätter eignen sich als Tee oder zum Kochen bzw. Dünsten. Die bitteren Stiele sind zäh und sollten entfernt werden.
Beim Sammeln ist eine Verwechslung mit ungenießbaren und giftigen Arten, wie Gefleckter Schierling oder Breitblättriger Merk, zu vermeiden. Giersch lässt sich gut am dreikantigen Blattstiel erkennen, wobei eine Kante abgerundet und die gegenüberliegende Seite konkav eingezogen ist.
Meerschweinchen und Kaninchen fressen den Giersch sehr gerne.
Bekämpfung
„Im Kampf gegen den Giersch zeigt sich die Vergeblichkeit des menschlichen Tuns.“[11] Auch wenn die Wurzeln gehackt werden, regeneriert sich die Pflanze meist schnell. Herkömmliche, für Haus- und Kleingärten zugelassene Herbizide sind gegen Giersch weitgehend wirkungslos, da sie nicht das gesamte Wurzelwerk vernichten.[12] Auch Glyphosat vernichtet Giersch nicht vollständig. Nach etwa zwei Jahren Abdeckung sind die Pflanzen abgestorben – nicht jedoch die Samen. Giersch kann durch jahrelange regelmäßige Entfernung der Blätter so geschwächt werden, bis er abstirbt. Kartoffeln können den Giersch unterdrücken, da sie schneller wachsen und ihm Licht und Nährstoffe nehmen.
Im Handel sind Wachstumsregulatoren auf der Basis von Maleinsäurehydrazid und Pelargonsäure, die speziell zur Bekämpfung von Giersch angeboten werden.[13][14]
Namenskunde
Der botanische Gattungsname Aegopodium leitet sich ab von griechisch αἰγοπόδης aigopódēs „ziegenfüßig“ (von αἴξ aix [Gen. αἰγός aigós] „Ziege“ und πούς pous [Gen. ποδός podós] „Fuß“), und bezieht sich auf die Gestalt der Blätter, die an einen Ziegenfuß erinnern. Das Artepitheton podagraria weist darauf hin, dass diese Pflanzenart seit Jahrhunderten in der Volksmedizin zur Linderung der Schmerzen bei Rheumatismus und Gicht (Podagra) Verwendung fand.
Trivialnamen für den Giersch sind Dreiblatt, Geißfuß, Ziegenkraut, Schettele, Zaungiersch, Baumtropf. Weil die Blätter dem Hollerbusch (Holunder) ähneln, wird er auch Wiesenholler genannt. Regional sind folgende Bezeichnungen gebräuchlich: Ackerholler (Kärnten), Erdholler oder Wilder Holler (Steiermark, Nordbaden), Angelken (Norddithmarschen), Bomkraut (hochdeutsch Baumkraut; von den starken Verwurzlungen), Oberschwäbische Alb, Baumtropfe (Aargau, Bern, Zürich), Baumtröpfli (Aargau, Bern, Zürich), Cheeßeln [(ch wie in ich) Uslar, Ostfalen], Dreifuss (Daun, Eifel), Kleine wilde Engelwurz, Fearkenfaite (in der Bedeutung von „Ferkelfüsse“) (Iserlohn), Gäse (Grafschaft Mark), Gese (Grafschaft Mark), Garta (Iborig, St. Gallen), Geersch (Pommern), Geerseln (Unterweser), Geesche (Braunschweig), Geesel (Unterweser), Geeske (Ostfriesland), Geesekohl (Hümmling), Geisfüssel, Geisfuss, Gere (Berg), Gerhardskraut, Gerisch (Mark Brandenburg), Gersse, Gerzel (Altmark), Gesch (Mecklenburg), Geseln (Göttingen), Gezeln (Göttingen), Geszenkielm (Marsburg), Gierisch (Schlesien), Giers (Mecklenburg), Gierts (Mecklenburg), Giersa, Gierschke, Giersick, Giersig (Schlesien), Giesseln (Unterweser), Girsch (Ulm), Girschke, Gösch (Lübeck, Mecklenburg), Griessbart (Schlesien), Gurisch (Leipzig), Gysch, Härsch (Ostfriesland), Hasenschätteln (Memmingen), Hasenscherteln (Augsburg), Heerke (Unterweser), Heersch (Dithmarschen, Oldenburg), Herske (Ostfriesland), Hinfuss (Ulm), Hinlauf, Hirs (Mecklenburg), Jesche (Fallersleben), Jessel, Jorisquek (Hamburg), Jörsquek (Holstein), Jörs (Holstein, Lübeck), Jösk (Mecklenburg), Jürs (Mecklenburg), Kaninchenfutter oder Karnickelfutter (Erfurter Umgebung), Krafues (Kärnten), Krahhaxen (Steiermark), Maienkraut (Bern), Negenstärke, Nebensterke, Podagramskraut, Rutzitzke (Niederlausitz), Schnäggachrut (St. Gallen), Strenzel, Wasserkraut (Kärnten), Wetscherlewetsch, Witscherlenwertsch (Ulm), Wuchchrut (Appenzell, Oberrheintal), Wuttscherch (Oberlausitz), Wilde Angelika (Ulm), Ziegenkraut (Leipzig), Zipperleinskraut, Zipperlikraut (Bern).[15]
Trivia
Der Lyriker und Leipziger Buchpreisträger von 2015 Jan Wagner widmete in den Regentonnenvariationen dem Giersch ein Gedicht.[16]
Literatur
- Heinz Ellenberg: Vegetation Mitteleuropas und der Alpen, UTB, Stuttgart 2010, ISBN 3-8001-3430-6
- Manfred A. Fischer, Karl Oswald, Wolfgang Adler: Exkursionsflora für Österreich, Liechtenstein und Südtirol. 3., verbesserte Auflage. Land Oberösterreich, Biologiezentrum der Oberösterreichischen Landesmuseen, Linz 2008, ISBN 978-3-85474-187-9.
- Elisabeth Mayer: Wildfrüchte, Wildgemüse, Wildkräuter. Stocker, 2001, ISBN 3-7020-0835-7, Seite 38–40.
- Giersch. FloraWeb.de (Abschnitt Beschreibung)
- Eckehart J. Jäger (Hrsg.): Rothmaler Exkursionsflora von Deutschland. Springer Spektrum, 21. Auflage, 2016, ISBN 978-3662497074.
Einzelnachweise
- Giersch. FloraWeb.de
- Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. 8. Auflage. Stuttgart, Verlag Eugen Ulmer, 2001. Seite 711–712. ISBN 3-8001-3131-5
- Ruprecht Düll, Herfried Kutzelnigg: Taschenlexikon der Pflanzen Deutschlands und angrenzender Länder. Die häufigsten mitteleuropäischen Arten im Porträt. 7., korrigierte und erweiterte Auflage. Quelle & Meyer, Wiebelsheim 2011, ISBN 978-3-494-01424-1.
- Peter Zwetko: Die Rostpilze Österreichs. Supplement und Wirt-Parasit-Verzeichnis zur 2. Auflage des Catalogus Florae Austriae, III. Teil, Heft 1, Uredinales. (PDF; 1,8 MB).
- Hermann Roß: Praktikum der Gallenkunde "Cecidologie". Springer-Verlag, 2013 - 314 Seiten; Seite 29. Online
- Trioza flavipennis auf Psyl'list, abgerufen am 29. Januar 2015.
- Aegopodium im Germplasm Resources Information Network (GRIN), USDA, ARS, National Genetic Resources Program. National Germplasm Resources Laboratory, Beltsville, Maryland. Abgerufen am 8. Mai 2018.
- Erhard Dörr, Wolfgang Lippert: Flora des Allgäus und seiner Umgebung. Band 2, IHW, Eching 2004, ISBN 3-930167-61-1, S. 274.
- Ingrid und Peter Schönfelder: Das neue Handbuch der Heilpflanzen, Franckh-Kosmos Verlagsgesellschaft, 2011, ISBN 3-440-09387-5
- Waldemar Ternes, Alfred Täufel, Lieselotte Tunger, Martin Zobel (Hrsg.): Lebensmittel-Lexikon. 4., umfassend überarbeitete Auflage. Behr, Hamburg 2005, ISBN 3-89947-165-2, S. 701 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
- Susanne Wiborg: Unkraut gewinnt. Die Zeit, 9. Juni 2005, abgerufen am 4. Juli 2015.
- Folkert Siemens: Giersch erfolgreich bekämpfen. In: Mein schöner Garten. Burda Senator Verlag GmbH, 8. April 2009, abgerufen am 18. April 2013.
- Finalsan® Konzentrat GierschFrei. (Nicht mehr online verfügbar.) In: neudorff.de. Archiviert vom Original am 17. Juni 2015; abgerufen am 4. Juni 2015. Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- Pflanzenschutzmittel Wirkstoff Maleinsäurehydrazid. In: proplanta.de. Abgerufen am 4. Juni 2015.
- Carl Jessen: Die deutschen Volksnamen der Pflanzen, Verlag von Philipp Cohen Hannover 1882, Seite 11 f.
- Jan Wagner liest Giersch. Kulturzeitvideo auf zdf.de, 27. Oktober 2017, (verfügbar bis 3. April 2024).
Weblinks
- Giersch. FloraWeb.de
- Steckbrief und Verbreitungskarte für Bayern. In: Botanischer Informationsknoten Bayerns.
- Giersch. In: BiolFlor, der Datenbank biologisch-ökologischer Merkmale der Flora von Deutschland.
- Aegopodium podagraria L. In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora. Abgerufen am 6. Januar 2016.
- Verbreitung in den Niederlanden (niederl.)
- Fotos vom Zaun-Giersch oder Gicht-Giersch.
- Karte zur weltweiten Verbreitung nach Eric Hultén