Armengrab
Armengrab ist eine in der Vergangenheit gebräuchliche Bezeichnung für eine einfach gestaltete Begräbnisstätte auf einem Friedhof, häufig ohne Grabkennzeichnung, die zur Bestattung von armen oder mittellosen Verstorbenen diente. Armengräber wurden in der Vergangenheit häufig als Gemeinschaftsgräber ausgeführt. Seit Ende des 20. Jahrhunderts wird aus ethisch-sozialen Gründen der Begriff offiziell nicht mehr verwendet und meistens von einer Sozialbestattung oder einer Bestattung von Amts wegen (Ordnungsamtbestattung) gesprochen.
Viele heute geachtete Künstler starben verarmt und wurden in Armengräbern bestattet. Oft fand in späterer Zeit eine Umbettung der Toten statt und die Gräber werden heute als Ehrengräber gepflegt.
Geschichtliche Entwicklung
Im Römischen Reich wurden die Grabstätten oft hierarchisch angeordnet an Straßen außerhalb der Siedlungen angelegt. In der Regel wurden Brandgräber angelegt, in die je nach gesellschaftlicher Stellung ein Urnengefäß mit entsprechenden Grabbeigaben bestattet wurde. Ab dem 2. Jahrhundert n. Chr. wurden auch Erdbestattungen von begüterten Personen in Sarkophagen vorgenommen. Der armen Bevölkerung blieb diese kostenintensive Bestattungsart lange Zeit verwehrt. Seit dem frühen Mittelalter wurden die Armen in einem einfachen Grab mit geringstmöglichem finanziellem Aufwand, in einem einfachen Sarg oder in Tücher gehüllt und ohne eigenen Grabstein, bestattet. Die Bestattung in Armengräbern wurden von Angehörigen selbst oder von einem beauftragten Totengräber vorgenommen. Sofern die Bestattung in einem Armengrab stattfand, mussten für Leistungen des Offermanns bzw. Organisten sowie für die Totengräber keine Gebühren entrichtet werden.[1]
In vielen Gemeinden wurden außerhalb der Ortschaften sogenannte Armen- und Elendsfriedhöfe eingerichtet, die sich häufig auf den Arealen von ehemaligen Leprosen- und Pestfriedhöfen befanden. Auch Ortsfremde, wie namentlich nicht bekannte Pilger, Selbstmörder, Hingerichtete und Ungetaufte fanden in Armengräbern ihre letzte Ruhestätte. Später begann man auf den Kirchhöfen und ab dem 19. Jahrhundert auf den städtischen Friedhöfen separate Bereiche auf dem Gesamtgelände anzulegen, in dem preiswerte Begräbnisse durchgeführt werden konnten. Die Gräber – oft als Sammelgräber angelegt – waren häufig gar nicht oder nur durch ein schlichtes Holzkreuz gekennzeichnet, die Ruhefrist war auf vielen Friedhöfen für die Armengräber kürzer als für die übrigen Grabstätten.
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts verzichten viele Gemeinden auf die Bestattung in separaten Arealen, um die Würde der Verstorbenen zu achten und deren Angehörige nicht sozial auszugrenzen und zu stigmatisieren. Auf Friedhof I der Jerusalems- und Neuen Kirchengemeinde erinnert dank des Engagements von Joachim Ritzkowsky seit 2002 das «Grab mit vielen Namen» an gestorbene Obdachlose.[2]
Während in der Vergangenheit hauptsächlich Verstorbene, deren Namen man nicht kannte, Selbstmörder, Opfer von Katastrophen und Seuchen auch anonym in Armengräbern bestattet wurden, ist eine anonyme Bestattung heute nicht ausschließlich ein Ausdruck des Fehlens finanzieller Mittel für eine Bestattung, sondern wird auch aus ideologischen Gründen selbstbestimmt als Waldbegräbnis oder Seebestattung gewählt. Vielfach wird eine Sozialbestattung heute in einem Reihengrab oder in einer anonymen oder halbanonymen Grabanlage vorgenommen.
Heutige Situation
Deutschland
In den vergangenen Jahrzehnten nimmt der Anteil der sogenannten "Armenbestattungen" wieder zu. Dies ist auf den demografischen Wandel, die Streichung des Sterbegeldes aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2004 und auf die gestiegenen Kosten für eine Bestattung zurückzuführen. Mitunter sind die Angehörigen finanziell nicht in der Lage, das Begräbnis aus eigenen Mitteln zu bestreiten. Zwischen 2005 und 2011 hat sich in Deutschland die Anzahl der Leistungsempfänger für Sozialbestattungen von 7.695 auf 19.200 mehr als verdoppelt.[3] Die Angehörigen können – nach dem Nachweis der Bedürftigkeit nach § 74 SGB XII – einen Antrag auf Kostenübernahme einer Sozialbestattung beim zuständigen Sozialamt stellen. Das Sozialamt kann die Kostenübernahme jedoch ablehnen, wenn die Bestattung aus den Sterbegeldansprüchen des Verstorbenen oder aus dem Nachlass bestritten werden kann.[4]
Vom Sozialamt werden die Kosten für ein ortsübliches, einfaches Begräbnis übernommen, das die Würde des Verstorbenen respektiert. Im Allgemeinen werden die Gebühren für den Erwerb oder die Verlängerung des Nutzungsrechts an einer Reihengrabstelle für eine Erd- oder Feuerbestattung, Leistungen des Bestattungsunternehmens, bei Feuerbestattungen Kosten der Einäscherung, die Gebühren für das Öffnen und Schließen des Grabes, Benutzung der Trauerhalle, Kosten für einen einfachen Sarg oder Bestattungsurne, Orgelspiel und gärtnerische Erstanlage der Grabstelle übernommen. Die Kosten für ein Holzkreuz zur namentlichen Kennzeichnung der Grabstelle müssen vom Sozialamt in jedem Fall getragen werden, wohingegen die Kosten für ein Steingrabmal nur dann übernommen werden, wenn die örtliche Friedhofssatzung die Anlage eines derartigen Grabmals vorschreibt. Werden die Kosten einer ortsüblichen Bestattung nicht überschritten, kann auch eine andere Bestattungsform, wie Seebestattung oder in einer nicht namentlich gekennzeichneten Grabstätte, wie einem Bestattungswald vom Sozialamt getragen werden.[5]
Die Kommunen legen in Deutschland selbst die Höhe der vom Sozialamt zu erstattenden Kosten für eine Sozialbestattung fest, die auch innerhalb eines Bundeslandes sehr stark variieren können. Während 2012 in Düsseldorf lediglich 588 € gezahlt wurden, betrug der maximale Erstattungssatz in Köln 1.465 €.[6] In Berlin wurden den Beerdigungsinstituten 2019 bei Sozialbestattungen eine Pauschale von 750 Euro plus Kosten für Friedhof und Krematorium erstattet.[7]
Wenn eine Bestattung von Amts wegen vom Ordnungsamt veranlasst wird, weil beispielsweise ein Verstorbener keine Angehörigen hinterlässt, wird auch von einer Ordnungsamtsbestattung gesprochen.[8]
Im Jahr 2013 wurden in Deutschland 60,61 Millionen Euro von den Kommunen für Sozialbestattungen ausgegeben.[9] 2018 gab es in Berlin rund 1500 Sozialbestattungen, die insgesamt rund zwei Millionen Euro kosteten.[7]
Österreich
Auch in Österreich wird heute anstelle eines Armengrabes von einem Sozialgrab gesprochen. Früher gab es, beispielsweise auf dem Zentralfriedhof in Wien, ein eigenes Gräberfeld, das den Armengräbern vorbehalten war, den so genannten Armenfriedhof. Heute werden derartige Grabstätten auf freiwerdenden Grabstellen im hinteren Teil des Friedhofs mit einer Ruhefrist von 10 Jahren angelegt. Sozialgräber sind auch hier einfache Grabstätten, die durch Holzkreuze zur namentlichen Kennzeichnung charakterisiert sind.[10][11] In einigen Gemeinden Österreichs werden seit 2009 nur noch Feuerbestattungen von Grundsicherungsempfängern vom Sozialamt getragen, außer wenn aus religiösen Gründen eine Feuerbestattung nicht zulässig ist.[12]
Tschechien
Aufgrund der angespannten Haushaltsanlage der Kommunen wurden von Bestattern auch Sozialbestattungen in Tschechien oder in anonymen Urnenfeldern vorgenommen, ohne die Gräber mit einem angemessenen Grabzeichen auszustatten.[13]
Friedhofsanlagen
Früher wurden Arme auf Friedhofsfeldern außerhalb der Ortschaften bestattet. Auf Kirchhöfen fanden sich die Armengräber meist entlang der Friedhofsmauer oder in einem von der Kirche weit entfernten Teil des Friedhofs.
Auch viele der Bestattungen namentlich nicht bekannter Personen wurden in einfachen Gräbern auf zum Teil eigenen Friedhöfen oder eigenen Arealen in großen Friedhofsanlagen durchgeführt. Bekannte Beispiele sind der Wiener Friedhof der Namenlosen, auf dem Menschen bestattet werden, die in der Donau ertrunken sind, der Friedhof Grunewald-Forst in Berlin sowie die Friedhöfe der Heimatlosen an der deutschen Küste auf Sylt, Amrum, Neuwerk, Spiekeroog, Pellworm, Helgoland und Trischen. Ähnlich gestaltete einfache Grabanlagen wurden auch im Zweiten Weltkrieg für Bombenopfer, Soldaten und mitunter auch für Opfer der faschistischen Gewaltherrschaft angelegt. In vielen Städten und Kommunen wurden diese Gräberfelder in der Nachkriegszeit als Ehrengräber weitergeführt und gepflegt.
Persönlichkeiten, die in einem Armengrab bestattet wurden (Auswahl)
- 1541: Paracelsus in Salzburg, 1552 exhumiert und in der Sebastianskirche bestattet
- 1666: Frans Hals in Haarlem, später exhumiert und in der St.-Bavo Kirche bestattet
- 1669: Rembrandt van Rijn in der Westerkerk, Amsterdam
- 1741: Antonio Vivaldi in Wien
- 1791: Wolfgang Amadeus Mozart in Wien in einem allgemeinen, einfachen Grab; heute Gedenkmal als Ehrengrab
- 1794: Rudolf Erich Raspe in Killarney
- 1829: Albrecht Ludwig Berblinger in Ulm
- 1829: Jean-Baptiste de Lamarck in Paris
- 1849: Andreas Gottschalk in Köln, Friedhof Melaten, 1850 Grabstätte aufgekauft und in ein "ewiges" Grab umgewandelt
- 1854: Elise Lensing in Hamburg, 1899 nach Hamburg-Ohlsdorf umgebettet
- 1856: Max Stirner in Berlin
- 1862: Johann Christoph Winters in Köln, seit 2002 Gedenkmal auf dem Friedhof Melaten
- 1879: Charles De Coster in Ixelles
- 1890: Vincent van Gogh in Auvers-sur-Oise
- 1891: Theo van Gogh in Utrecht, später nach Auvers-sur-Oise überführt
- 1910: Henri Rousseau in Bagneux
- 1922: Hauptmann von Köpenick in Luxemburg
- 1932: Major Taylor in Chicago, 1948 exhumiert und auf dem Mount Glenwood Cemetery in Illinois bestattet
- 1932: Leopold Zborowski in Paris
- 1937: Hugo Berwald in Schwerin
- 1964: Marinus Jacob Kjeldgaard in Paris
- 1999: Inge Brandenburg in München
- 2003: Joachim Ritzkowsky im Berliner „Grab der vielen Namen“[7]
Literatur
- Reiner Sörries: Großes Lexikon der Bestattungs- und Friedhofskultur. Wörterbuch zur Sepulkralkultur. 3 Bände, Hrsg. vom Zentralinstitut für Sepulkralkultur Kassel, Fachhochschul-Verlag, Frankfurt am Main
- Reiner Sörries: Ruhe sanft: Kulturgeschichte des Friedhofs. Butzon & Bercker, 2009, ISBN 978-3-7666-1316-5.
- Dominic Akyel: Die Ökonomisierung der Pietät. Der Wandel des Bestattungsmarkts in Deutschland. Campus, Frankfurt am Main 2013, ISBN 978-3-593-39878-5.
- Ronald Uden: Wohin mit den Toten?: Totenwürde zwischen Entsorgung und Ewigkeit. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006, ISBN 3-579-08009-1.
Weblinks
- Ratgeber zur Sozialbestattung. auf: Aeternitas. (PDF; 2,5 MB)
Einzelnachweise
- Hans Vogts: Die alten Kölner Friedhöfe. In: Rheinische Friedhöfe. Nr. 1. Köln 1932, S. 9.
- Ehre Letzte. Abgerufen am 25. Juli 2020.
- Knapp 20.000 Familien haben nicht genug Geld für Begräbnisse, Rheinische Post, 6. Januar 2020, abgerufen am 7. Januar 2020.
- Ingrid Laux, Bernhard Laux: Abschiednahme - Bestattung - Trauer: Die Zeit des Abschieds würdevoll gestalten. 1. Auflage. Walhalla, 2015, ISBN 978-3-8029-0974-0, S. 133.
- Ratgeber Sozialbestattung. In: Verbraucherinitiative Bestattungskultur. abgerufen am 7. Dezember 2015.
- Kommunen sparen bei Sozialbestattungen. auf: bestattungen.de, 26. September 2012, abgerufen am 11. Dezember 2015.
- Einsamer Tod: in Berlin keine Seltenheit. Abgerufen am 25. Juli 2020.
- Michael Scheidel: Die Angst vor einem Armengrab. (Nicht mehr online verfügbar.) In: Frankfurter Allgemeine. 12. Oktober 2013, archiviert vom Original am 22. Dezember 2015; abgerufen am 13. Dezember 2015.
- Immer mehr Sozialbestattungen: Den Deutschen fehlt das Geld für eine Bestattung. auf: wiwo.de, 8. Februar 2015, abgerufen am 11. Dezember 2015.
- Zentralfriedhof - Armenfriedhof. auf: viennatouristguide.at, abgerufen am 7. Dezember 2015.
- Ingrid Brodnig: Umsonst ist nur der Tod. In: Die Zeit. 2. November 2006, abgerufen am 12. Dezember 2015.
- Kein Grabschmuck für Arme. In: meinbezirk.at. 31. März 2010, abgerufen am 12. Dezember 2015.
- Armenbegräbnisse: Ruhe sanft und billig. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 23. November 2013, abgerufen am 11. Dezember 2015.