Zugfestigkeit
Die Zugfestigkeit (insbesondere in Bezug auf Textilien und Papier auch Reißfestigkeit) ist einer von mehreren Festigkeitskennwerten eines Werkstoffs: die maximale mechanische Zugspannung, die der Werkstoff aushält. Sie wird zumeist aus den Ergebnissen des Zugversuchs errechnet als maximal erreichte Zugkraft bezogen auf den ursprünglichen Querschnitt der genormten Zugprobe:
Duktile Werkstoffe wie Stahl dehnen sich im Zugversuch nach Überschreiten der Zugfestigkeit noch weiter, der Probenstab schnürt dann ein. Spröde Werkstoffe wie Gusseisen dagegen brechen nahezu ohne Einschnürung.
Als Formelzeichen der Zugfestigkeit werden verwendet: [1], [2], , , [3], oder [4].
Die Dimension der Zugfestigkeit ist Kraft pro Fläche. Häufig verwendete Maßeinheiten sind N/mm² oder MPa (Megapascal). Im Spannungs-Dehnungs-Diagramm kann die Zugfestigkeit direkt abgelesen werden als Y-Achsen-Wert am höchsten Punkt der Kurve.
Nominelle und wahre Zugfestigkeit
Oft wird unterschieden zwischen der „nominellen“ Spannung („Ingenieur-Spannung“) und der „wahren“ Spannung .
Die aus dem Spannungs-Dehnungs-Diagramm abgelesenen (nominellen) Spannungswerte (Zugfestigkeit, Streckgrenze) entsprechen nicht der wahren Spannung im Werkstoff. Dies liegt daran, dass bei der Berechnung der nominellen Spannung die Zugkraft auf den Ausgangsquerschnitt bezogen wird.
Bei der Zugprobe ist der wirkliche Querschnitt jedoch aufgrund von Querkontraktion bzw. Einschnürung geringer als der Ausgangsquerschnitt; diese Verformung (Verlängerung und Einschnürung) ist bei einer elastisch-plastischen Verformung, d. h. bei Proben aus duktilen Werkstoffen, nach dem Test sicht- und messbar. Die wahre Zugfestigkeit entspricht also nicht der nominellen Spannung in der Probe im Augenblick des Bruchs, sondern ist höher.
Da reale Belastungen zumeist angreifende Kräfte sind, die eine absolute Größe besitzen und nicht Querschnittsflächen-bezogen sind, ist bei der Dimensionierung von Bauteilen jedoch normalerweise die nominelle Zugfestigkeit maßgebend.
Für die Dimensionierung in der Technik wird vielmehr die Streckgrenze herangezogen. Die Zugfestigkeit spielt eine Rolle beispielsweise in der Fertigung beim Verformen oder Zerspanen. Spröde Werkstoffe wiederum werden zwar nach der Zugfestigkeit dimensioniert, allerdings gibt es bei diesen Werkstoffen auch keine relevante Einschnürung und daher keinen Unterschied zwischen nomineller und wahrer Spannung. Kurz: technisch hat ein Bauteil bei Erreichen der Zugfestigkeit längst versagt, mit oder ohne Einschnürung.
Das Maximum der wahren Spannung entsteht im Einschnürbereich der Probe. Hier erhöht sich die Verformung und allenfalls die Verfestigung bis zum Bruch.
Im instrumentierten Zugversuch wird der Probenquerschnitt kontinuierlich gemessen und die Kraft auf den wahren Querschnitt bezogen. So untersuchte Proben zeigen einen kontinuierlichen Anstieg der wahren Spannung bis zum Bruch (blaue Kurve in der Abb.). Der auf diese Weise ermittelte Wert ist jedoch nur von theoretischer Bedeutung.
Zugfestigkeit als Namensbestandteil
Die Zugfestigkeit wurde in der Vergangenheit häufig für die Charakterisierung von Werkstoffen verwendet. Ein Beispiel hierfür ist die Bezeichnung von Baustählen. So wurde der Stahl 52 (St52, heute S355) nach seiner Zugfestigkeit von 52 kp/mm² (510 N/mm²) bezeichnet.
Aufgrund der Harmonisierung der europäischen und internationalen Normen werden heute viele Stähle nach der Streckgrenze bezeichnet, die aus konstruktiver Sicht ein besserer Kennwert für die Belastbarkeit eines Werkstoffs ist.
Beispielwerte
Werkstoff | Zugfestigkeit in N/mm² bzw. MPa |
---|---|
Glas | 7–70 |
Blei | 10 bis 15[5] |
Zinn | 15[6] |
Porzellan | 45[7] |
Polystyrol | 45 bis 64[8] |
Magnesiumlegierungen | 150 bis 350[9] |
Aluminiumlegierungen | meist 200 bis 450; selten bis 640[10] |
Gusseisen mit Lamellengraphit | 100 bis 350[11] |
menschliches Haar | 200 |
Titanlegierungen | 290 bis 1200[12] |
Baustahl | 310 bis 690[13] |
Legierter Stahl | 1100 bis 1300[14] |
Dyneema | 3000[15] |
Kohlenstoffnanoröhren | bis 63.000[16][17] |
Einzelnachweise
- Wolfgang Seidel: Werkstofftechnik. Werkstoffe – Eigenschaften – Prüfung – Anwendung. Carl Hanser Verlag, München 2008, ISBN 978-3-446-40789-3, S. 16.
- Siegfried Röbert (Hrsg.): Systematische Baustofflehre. Band 1, VEB Verlag für Bauwesen, Berlin 1972, S. 39.
- Dubbel – Taschenbuch für den Maschinenbau, 12. Auflage, Teil 1, S. 513
- Normenausschuss im Bauwesen im DIN: DIN 1045-1. Tragwerke aus Beton, Stahlbeton und Spannbeton – Teil 1: Bemessung und Konstruktion. Beuth Verlag, 2008, S. 18.
- Bargel: Werkstoffkunde, 11. Auflage, S. 352.
- Bargel: Werkstoffkunde, 11. Auflage, S. 348.
- Bargel: Werkstoffkunde, 11. Auflage, S. 364
- Bargel: Werkstoffkunde, 11. Auflage, S. 430
- Jan Bohlen, Sebastian Meyer, Björn Wiese, Bérengère J. C. Luthringer-Feyerabend, Regine Willumeit-Römer: Alloying and Processing Effects on the Microstructure, Mechanical Properties, and Degradation Behavior of Extruded Magnesium Alloys Containing Calcium, Cerium, or Silver. In: Materials. Band 13, Nr. 2, 15. Januar 2020, S. 391, doi:10.3390/ma13020391.
- Ostermann: Anwendungstechnologie Aluminium, 3. Auflage, S. 768.
- Haberhauer: Maschinenelelemente 17. Auflage, S. 627.
- Bargel: Werkstoffkunde, 11. Auflage, S. 343.
- Haberhauer: Maschinenelelemente 17. Auflage, S. 625.
- Holzmann: Festigkeitslehre, 10. Auflage, S. 69.
- https://www.swiss-composite.ch/pdf/t-dyneema.pdf
- Min-Feng Yu: Tensile Loading of Ropes of Single Wall Carbon Nanotubes and their Mechanical Properties. 2000.
- Min-Feng Yu: Strength and Breaking Mechanism of Multiwalled Carbon Nanotubes Under Tensile Load. 2000.