Yu Dengyun
Yu Dengyun (chinesisch 于登雲 / 于登云, Pinyin Yú Dēngyún, * November 1961 in Suining, Provinz Hunan) ist ein chinesischer Raumfahrtingenieur. Er ist stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der China Aerospace Science and Technology Corporation und stellvertretender Technischer Direktor des Mondprogramms der Volksrepublik China.[1]
Jugend und Studium
Yu Dengyun wurde im November 1961 in der damaligen Volkskommune Lixiqiao (李熙桥公社, seit 1984 Großgemeinde Lixiqiao) im Kreis Suining der bezirksfreien Stadt Shaoyang im Südosten der Provinz Hunan geboren. Seine Eltern waren einfache Bauern. Im Jahr 1975 brach Yu Dengyun mit 13 Jahren nach der Unterstufe des Gymnasiums die Schule ab und arbeitete stattdessen als Buchhalter für seine Produktionsgruppe (生产队) in der Volkskommune. Nach dem Ende der Kulturrevolution 1976 und der Wiedereinführung der Abiturprüfungen im folgenden Jahr begann er, sich neben der Arbeit mit Hilfe von Schulbüchern wieder mit dem gymnasialen Lehrstoff vertraut zu machen. 1979 bestand er die Aufnahmeprüfung für die Oberstufe am 1. Kreisgymnasium von Suining, wo er 1981 als Jahrgangsbester des gesamten Kreises Abitur machte. Noch im selben Jahr schrieb er sich an der Fakultät für Maschinenbau und Elektrotechnik des damaligen Zentralchinesischen Polytechnikums (华中工学院) in Wuhan ein, der heutigen Universität für Wissenschaft und Technik Zentralchina. Später wechselte Yu Dengyun zur Fakultät für Mechanik, wo er 1985 das Vordiplom erwarb. Anschließend ging er an die Polytechnische Universität Harbin, wo er 1988 an der Fakultät für Raumfahrttechnik (航天学院) mit einer Arbeit auf dem Gebiet der Mechanik fester Körper seinen Abschluss als Diplomingenieur machte.[2]
Akademie für Weltraumtechnologie
Gleich nach seinem Studienabschluss ging Yu Dengyun ans Ministerium für Luft- und Raumfahrtindustrie, das im April jenen Jahres durch Zusammenlegung des Ministeriums für Luftfahrtindustrie mit dem Ministerium für Raumfahrtindustrie entstanden war. Diese Einrichtung war, anders als die Bezeichnung vermuten lässt, kein Ministerium im üblichen Sinn, sondern ein, wenn auch nicht gewinnorientierter, Konzern mit über das ganze Land verteilten Fabriken und Forschungseinrichtungen. Yu Dengyun kam zur Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie und wurde dort zunächst in der damaligen Hauptentwicklungsabteilung (北京空间飞行器总体设计部, auch bekannt als „Forschungsinstitut 501“) eingesetzt,[3][4] wo er sich Anfang 1987 schon einmal beworben hatte.[2]
Yu Dengyun machte in der Entwicklungsabteilung schnell Karriere. 1994 wurde er zum stellvertretenden Laborleiter ernannt und damit beauftragt, beim Shenzhou-Raumschiff den Koppelungsmechanismus am vorderen Ende des Orbitalmoduls zu entwerfen.[2] In dem am 21. September 1992 verabschiedeten bemannten Raumfahrtprogramm der Volksrepublik China war bereits von einem Weltraumlabor und einer Raumstation die Rede. Etwa die Hälfte der damals mit den Vorplanungen befassten Ingenieure wollten jedoch aus Sicherheitsgründen zunächst ein einfaches Raumschiff ohne Orbitalmodul bauen, am Ende setzten sich jedoch diejenigen durch, die das – anders als beim Sojus-Raumschiff – nach der Rückkehr der Mannschaft im Orbit verbleibende Modul zum Üben von Koppelungsmanövern nutzen wollten.
1995 wurde Yu Dengyun außer der Reihe zum Wissenschaftsrat im Rang eines Professors (研究员) befördert – neben ihrer Funktion als Hersteller von Raumflugkörpern fungiert die Chinesische Akademie für Weltraumtechnologie auch als reguläre Unterrichtseinrichtung mit der Berechtigung zur Verleihung von akademischen Graden. Im Juli 1998 wurde Yu Dengyun von der Kommission für Wissenschaft, Technik und Industrie für Landesverteidigung zum Leiter der Expertenkommission bestimmt, die bei den für eine Finanzierung aus dem Programm 863 vorgeschlagenen Raumfahrtprojekten über die Machbarkeit und Förderwürdigkeit zu entscheiden hat. Gleichzeitig war er aber auch bei der Firma noch als Entwickler tätig, so zum Beispiel ab April 2001 bei dem Satellitenbus Dong Fang Hong 4. Bald stieg er jedoch in die Firmenleitung auf, wurde erst Assistent des Direktors, dann stellvertretender Direktor der Akademie. Schließlich wurde er am 4. Februar 2004 vom Vorstand der Hangtian Dong Fang Hong Satelliten GmbH, einer Tochterfirma der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie, die unter anderem für die Herstellung der DFH-Busse zuständig ist, zum Geschäftsführer ernannt.[5]
Nach seiner Berufung zur Nationalen Raumfahrtbehörde (siehe unten) wechselte Yu Dengyun im März 2008 in die Kommission für Wissenschaft und Technik (科学技术委员会) bei der China Aerospace Science and Technology Corporation, dem Mutterkonzern der Akademie für Weltraumtechnologie.[6] Sein Amt als Geschäftsführer der Dong Fang Hong GmbH übernahm Ge Yujun (葛玉君, * 1966).[7] Die Kommission für Wissenschaft und Technik entspricht bei den im Technologiebereich tätigen Staatsbetrieben Chinas dem Aufsichtsrat. Sie hat beim internen „Beweisführungsverfahren“ (论证) der Firma über Machbarkeit, Finanzierbarkeit und Zukunftspotential von aus den Abteilungen vorgeschlagenen Projekten zu entscheiden, bevor weitere Vorstudien genehmigt werden – die wieder begutachtet werden – und schließlich – im Falle der CASC – bei der Nationalen Behörde für Wissenschaft, Technik und Industrie in der Landesverteidigung bzw. der Abteilung für Waffenentwicklung der Zentralen Militärkommission Förderanträge gestellt werden. In dieser Eigenschaft betreute Yu Dengyun unter anderem ab 2012 die Entwicklung des hochauflösenden Erdbeobachtungssatelliten Gaofen 4, der von der Chinesischen Akademie für Weltraumtechnologie auf der Basis eines Satellitenbusses der Shanghaier Akademie für Raumfahrttechnologie, einer anderen Tochterfirma von CASC, gebaut wurde.[8][9] Stand 2020 ist Yu im Aufsichtsrat des Konzerns für die derzeit in Planung begriffenen Tiefraummissionen zuständig, also die Mission zu dem erdnahen Asteroiden (469219) Kamoʻoalewa und dem Hauptgürtelkometen 311P/PANSTARRS, die Probenrückführmission zum Mars und die Erkundung des äußeren Sonnensystems.[10]
Mondprogramm
Im Jahr 2008 wurde Yu Dengyun von der Nationalen Raumfahrtbehörde Chinas zum stellvertretenden Technischen Direktor des Mondprogramms der Volksrepublik China am Zentrum für Monderkundungs- und Raumfahrt-Projekte ernannt. Ein Jahr vorher, am 24. Oktober 2007, war der auf dem DFH-3-Bus basierende Mondorbiter Chang’e-1 gestartet. Nun ging es darum, die weiteren Schritte des Mondprogramms umzusetzen, mit dem zweiten Orbiter Chang’e-2 2010, der Landung von Chang’e-3 auf dem Mond 2013 und der Testmission Chang’e 5-T1 2014 für eine Rückkehrsonde. Am 3. Januar 2019 gelang der Nationalen Raumfahrtbehörde mit Chang’e-4 das erste Mal in der Geschichte der Menschheit eine Landung auf der Rückseite des Mondes.[10] Dafür wurde Yu Dengyun am 11. Juni 2020 von der International Astronautical Federation zusammen mit Wu Weiren, dem Technischen Direktor des Mondprogramms, sowie Sun Zezhou, dem Chefkonstrukteur der Sonde, der World Space Award verliehen.[1][11]
Neben der Landung mit Unterstützung des vorher in einem Halo-Orbit um den Lagrange-Punkt L2 geparkten Relaissatelliten Elsternbrücke, also dem unmittelbaren ingenieurtechnischen Aspekt, machten Lander und Rover von Chang’e-4 auch wissenschaftliche Entdeckungen, die für die Planung weiterer Missionen von Bedeutung sind. Yu Dengyun hatte 2012 zusammen mit mehreren Kollegen ein Konzept für eine bemannte Mondstation aus über Tunnel miteinander verbundenen Modulen vorgestellt,[12] der Beginn der konkreten Planungen für eine derartige Basis in China.[13] Im Januar 2020 waren die Planungen dann soweit fortgeschritten, dass man in einem nächsten Schritt die endgültige Mondbasis aus Strahlenschutzgründen, aber auch aus Gründen der Wärmespeicherung unter die Oberfläche verlegen wollte.[14][15] Nach einer Auswertung der Daten des Bodenradars von Jadehase 2 musste man jedoch feststellen, dass es an der Landestelle von Chang’e-4 bis in eine Tiefe von mindestens 40 m nur lockeren Sand und Geröll gibt, dass also zumindest dieser Ort nicht für eine langfristige Ansiedlung geeignet ist. Außerdem ergaben Messungen mit einem Thermometer auf dem Lander, dass die Nächte im Von-Kármán-Krater mit bis zu −196 °C kälter sind als die bislang angenommenen −180 °C.[10]
Weblinks
Einzelnachweise
- 嫦娥四号任务团队优秀代表首获国际宇航联合会世界航天最高奖. In: tech.sina.com.cn. 11. Juni 2020, abgerufen am 10. August 2020 (chinesisch).
- 黄荣华: 校友于登云受到习总书记会见. In: snyzedu.com. 25. Februar 2019, abgerufen am 11. August 2020 (chinesisch).
- 中国航天系统的机构组成名录. In: spaceflightfans.cn. Abgerufen am 18. März 2020 (chinesisch).
- 组织机构. In: cast.cn. Abgerufen am 27. Dezember 2019 (chinesisch).
- 陈兆根: 东方红公司调整领导班子于登云任总经理 谋划新发展. In: spacechina.com. 4. Februar 2004, abgerufen am 12. August 2020 (chinesisch).
- 姚天宇: 航天科技集团深度参与第65届国际宇航大会 表现抢眼. In: spacechina.com. 10. Oktober 2014, abgerufen am 12. August 2020 (chinesisch).
- 个人简介 葛玉君. In: vip.stock.finance.sina.com.cn. 13. August 2020, abgerufen am 13. August 2020 (chinesisch).
- 我国首颗地球静止轨道高分辨率对地观测卫星如何诞生? In: cnsa.gov.cn. 4. Januar 2016, abgerufen am 12. August 2020 (chinesisch).
- Gunter Dirk Krebs: Gaofen 4 (GF 4). In: space.skyrocket.de. Abgerufen am 12. August 2020 (englisch).
- 倪伟: 专访于登云:获世界航天奖是因“到了人类没去过的地方”. In: news.sina.cn. 24. Juni 2020, abgerufen am 11. August 2020 (chinesisch).
- 2020 IAF Award Recipients. In: iafastro.org. Abgerufen am 10. August 2020 (englisch).
- 于登云 et al.: 月球基地结构形式设想. In: .yhxb.org.cn. 30. Juli 2012, abgerufen am 11. August 2021 (chinesisch).
- 吴伟仁, 于登云, 王赤 et al.: 月球极区探测的主要科学与技术问题研究. In: jdse.bit.edu.cn. 20. März 2020, abgerufen am 11. August 2021 (chinesisch).
- 周雁: 陈善广:人因工程助力太空“一带一路”. In: cmse.gov.cn. 2. Januar 2020, abgerufen am 11. August 2021 (chinesisch).
- 谢和平 et al.: 月球恒温层地下空间利用探索构想. In: jsuese.scu.edu.cn. 18. Dezember 2019, abgerufen am 12. August 2021 (chinesisch).