Waleri Abissalowitsch Gergijew
Waleri Abissalowitsch Gergijew (russisch Валерий Абисалович Гергиев, wiss. Transliteration Valerij Abisalovič Gergiev, Betonung: Waléri Abissálowitsch Gérgijew, ossetisch Гергиты Абисалы фырт Валери Gergity Abisaly fyrt Waleri; * 2. Mai 1953 in Moskau) ist ein sowjetischer und russischer Dirigent und Intendant.
Leben
Waleri Gergijew stammt aus einer ossetischen Familie aus der Nordossetischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik, der heutigen Kaukasus-Republik Nordossetien-Alanien. Er wuchs im Kaukasus auf und erhielt erste Klavierstunden in Ordschonikidse. Als begabter Jugendlicher absolvierte er bei Ilja Mussin ein Dirigenten-Studium am Rimski-Korsakow-Konservatorium in Leningrad. Er gewann als Student des Konservatoriums 1977 den Herbert-von-Karajan-Dirigentenwettbewerb in Berlin.
Ab 1977 arbeitete er als Dirigent am Kirow-Theater in Leningrad. Von 1981 bis 1985 war er Leiter des Armenischen Staatsorchesters, 1988 wurde er Künstlerischer Leiter der Kirow-Oper. Seit 1996 ist er Intendant des Mariinski-Theater.
Unter seiner Intendanz entstanden Kontakte zu führenden Opernhäusern der Welt, und das Mariinski-Theater wurde zu einem renommierten Vertreter der russischen Kultur. Gergijews Arbeit konzentrierte sich vor allem auf die Werbung für russische Opern im Ausland. Seine internationalen Erfolge begannen 1989 beim Schleswig-Holstein Musik Festival und mit dem Rotterdamer Philharmonischen Orchester, dessen Chefdirigent er 1995 wurde. Ab 1997 dirigierte er regelmäßig an der Metropolitan Opera in New York. Er gründete Festivals in Finnland, Rotterdam und St. Petersburg.
Mit dem Ensemble des Mariinski-Theaters gastierte er bei großen Festivals, wie 2004 bei den Salzburger Festspielen oder ab 2003 im Festspielhaus Baden-Baden, wo er Richard Wagners Der Ring des Nibelungen aufführte. Im Oktober 2008 gastierte er mit dem Mariinski-Ensemble im Konzerthaus Dortmund, unter anderen mit einer konzertanten Aufführung der Oper Turandot von Puccini. In der Saison 2021/2022 leitet er unter anderem Aufführungen von Modest Mussorgskis politischer Oper Chowanschtschina,[1] Hector Berlioz' Roméo et Juliette[2] sowie Richard Strauss' expressiver Literaturoper Salome.[3][4]
Von 2007 bis 2015 war Gergijew Chefdirigent des London Symphony Orchestra.
Im Herbst 2013 gründete Gergijew zusammen mit der Musikwissenschaftlerin Tatjana Rexroth die Russisch-Deutsche Musikakademie, die den Austausch zwischen Nachwuchstalenten beider Länder intensivieren soll.[5] 2014 fand unter seiner Leitung der erste Auftritt der Akademie mit jungen Musikern des Mariinski-Theaters St. Petersburg, der Universität der Künste Berlin und der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin in St. Petersburg statt.[6]
Durch seine Tätigkeit hat Gergijew russische Opern und auch Protagonisten seines Theaters wie die Sopranistin Anna Netrebko, mit der er 2006 auf der Bühne des Mariinski-Theaters ihre CD The Russian Album einspielte, einem internationalen Publikum näher gebracht.
Im Januar 2013 designierte der Münchner Stadtrat Gergijew zum Nachfolger des im Juli 2014 verstorbenen Lorin Maazel als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker. Sein Amtsantritt war am 17. September 2015;[7] 2018 wurde sein Vertrag bis 2025 verlängert.[8] Am 25. Juli 2019 hatte er sein Bayreuther Debüt in der Neuinszenierung des Tannhäusers durch Tobias Kratzer.[9]
Putin-Nähe
Parteinahme im Kaukasuskrieg (2008)
Im Kaukasuskrieg zwischen Russland und Georgien ergriff Gergijew Partei für Russland. Als die russische Armee Südossetien besetzte, spielte Gergijew, der selbst Ossete ist, am 21. August 2008 in den Ruinen der Stadt Zchinwali Schostakowitschs Leningrader Symphonie,[10] die im Herbst 1941 im belagerten Leningrad komponiert wurde. „Wir sind hier, damit die Welt die Wahrheit erfährt. Wir sind verpflichtet, jener zu gedenken, die durch die georgische Aggression eines tragischen Todes gestorben sind“, sagte Gergijew anlässlich dieses Gedenkkonzertes.[11]
Wahlwerbung für Putin (2012)
2012, vor der Präsidentschaftswahl am 4. März 2012, erschien im russischen Fernsehen Gergijews Werbeclip für die Wiederwahl Wladimir Putins. Über seinen „Freund“ Putin sagte Gergijew in einem 3sat-Interview: „Das Wort ‚Demokrat‘ ist heute weit gefasst. Wenn Sie Putin mit Jelzin vergleichen, ist er ein wirklicher Demokrat […] Ein anderer Freund von mir, Michail Gorbatschow […] wollte zu schnell zu viele Veränderungen wie die komplette Freiheit.“[12]
Befürwortung der Annexion der Krim (2014)
Am 11. März 2014 unterzeichnete Gergijew den offenen Brief[13] von russischen Kulturschaffenden, in dem die Annexion der Krim befürwortet wird.[14] In dem Brief werden die „gemeinsame Geschichte“ und „die gemeinsamen Wurzeln, unserer Kultur und ihrer geistigen Ursprünge, unserer Grundwerte“ und „Sprache“ als verbindendes Element beider Staaten hervorgehoben und der Wunsch nach einer „stabilen Zukunft“ ausgesprochen. Die Unterzeichner des Briefes wurden von russischen und ukrainischen Künstlern stark kritisiert. Das Kultusministerium der Ukraine erstellte daraufhin eine „schwarze Liste“, auf der die Künstler genannt sind, die durch die Unterstützung von Putins Position als Gefahr für die „nationale Sicherheit“ der Ukraine eingestuft werden.[15] Gergijew wurde auch in Deutschland für seine Unterschrift heftig kritisiert, und seine vertraglich bereits bestehende Position als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker schien gefährdet.[16][17] Gergijew reagierte auf die Kritik mit einem offenen Brief.[18]
Aufkündigung von Engagements nach dem russischen Überfall auf die Ukraine (2022)
Da sich Gergijew nicht vom russischen Überfall auf die Ukraine 2022 distanzierte, trennten sich seit Februar 2022 zahlreiche europäische Häuser von ihm. Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter forderte Gergijew am 25. Februar 2022 auf, sich bis zum Ablauf des 28. Februar eindeutig zu distanzieren, ansonsten drohe die Kündigung. Reiter verwies dabei auf die Städtepartnerschaft von München und Kiew.[19] Am 1. März 2022 erklärte Reiter, dass man sich mit sofortiger Wirkung von Gergijew getrennt habe und es somit keine Konzerte des städtischen Orchesters unter seiner Leitung mehr geben werde.[20]
Auch das Festspielhaus Baden-Baden forderte Gergijew zu einer klaren Stellungnahme gegen den Krieg auf.[19] Da daraufhin keine Reaktion erfolgte, stellt das Festspielhaus am 1. März die Zusammenarbeit mit Waleri Gergijew bis auf weiteres ein.[21] Am 25. Februar 2022 kündigte das Rotterdams Philharmonisch Orkest an, die vereinbarten Konzerte mit Gergijew zu streichen. Außerdem wurde das Gergiev Festival in Rotterdam im September 2022 abgesagt.[22] Am 27. Februar 2022 verkündete sein bisheriger Manager Marcus Felsner, Gergijew nicht mehr zu vertreten. Einen Tag später entschieden die Verantwortlichen des Lucerne Festivals, die beiden Konzerte am 21. und 22. August 2022, welche Gergijew hätte dirigieren sollen, abzusagen.[23] Gergijew trat als Musikdirektor des Verbier Festival Orchesters zurück, nachdem das Verbier Festival ihn dazu aufgefordert hatte.[24] Die Mailänder Scala strich ihn als Dirigenten eines für den 5. März 2022 dort angesetzten Konzertes,[25] die Bayerische Staatsoper von Vorstellungen im Rahmen der Münchner Opernfestspiele im Juli 2022.[26]
Gergijews ehemaliger Manager Marcus Felsner erklärte Gergijews Weigerung, sich von dem russischen Überfall zu distanzieren, mit der Sorge um seine Stellung am Sankt Petersburger Mariinski-Theater.[27]
Filme
- Valery Gergiev. Macher und Magier. Deutschland/3sat 2015, 40 min. Buch und Regie: Reinhold Jaretzky, Produktion: Zauberbergfilm Berlin.
Preise und Auszeichnungen
- 1993: Staatspreis der Russischen Föderation
- 1995/96: Premio Abbiati
- 1996: Volkskünstler Russlands
- 2000: Orden des Heiligen Mesrop Maschtoz (Armenien)
- 2001: Großes Kreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschlands
- 2001: Großoffizier des Verdienstordens der Italienischen Republik
- 2003: Verdienstorden für das Vaterland, III Klasse
- 2005: Ritter des Ordens vom Niederländischen Löwen[29]
- 2005: Orden der Aufgehenden Sonne (Japan)[30]
- 2006: Komtur des Ordens des Löwen von Finnland
- 2006: Polar Music Prize
- 2006: Herbert-von-Karajan-Musikpreis
- 2010: Festspielpreis der Dresdner Musikfestspiele für sein Engagement für den künstlerischen Nachwuchs.
- 2013: Held der Arbeit der Russischen Föderation
- 2013: Echo Klassik für die Operneinspielung des Jahres (Oper des 19. Jahrhunderts) für Wagners Die Walküre
- 2014: Bei der Olympia-Eröffnungsfeier in Sotschi trug er als einer von acht Trägern am 7. Februar 2014 die Olympische Fahne
- 2017: Orden der Heiligen Kyrill und Methodius (Bulgarien)[31]
- 2019: Großoffizier des Ordens des Sterns von Italien
Literatur
- Walerij Gergijew im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar)
Weblinks
- Waleri Abissalowitsch Gergijew in der Internet Movie Database (englisch)
- Website von Waleri Gergijew
Einzelnachweise
- Khovanshchina (Mariinsky II) im Internet Archive Server
- Berlioz. Roméo et Juliette St Petersburg, Concert Hall im Internet Archive Server
- Salome St Petersburg, Mariinsky II im Internet Archive Server
- Saisonprogramm im Internet Archive Server
- Stardirigent Gergijew begeistert mit Mariinskij-Ensemble in Berlin. Russia Beyond the Headlines, 31. Oktober 2014, abgerufen am 4. November 2014.
- Russisch-Deutsche Musikakademie. Gazprom, abgerufen am 4. November 2014.
- Georg Etscheit: Rastlos: Waleri Gergijew in München. In: Mittelbayerische Zeitung. 15. Mai 2015, abgerufen am 8. Juli 2015.
- Detlef Esslinger: Der Rauswurf von Gergiev ist ein trauriger Akt. 1. März 2022, abgerufen am 2. März 2022.
- Tannhäuser 2019. Bayreuther Festspiele, abgerufen am 28. Juli 2019.
- Kriegsmusik. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 22. August 2008, abgerufen am 23. Januar 2013.
- Knut Mellenthin: Südosseten und Abchasen demonstrieren für ihre Unabhängigkeit. In: Junge Welt. 23. August 2008, abgerufen am 23. Januar 2013.
- Hannah Friedrich: Künstler für Putin. Stardirigent Gergijew unterstützt Putins Wiederwahl. 3sat, 2. März 2012, abgerufen am 23. Januar 2013.
- afp/BaM: Auch Stars wie Valery Gergiev schwören Putin Treue. In: Welt Online. 12. März 2014, abgerufen am 28. September 2015.
- Christine Lemke-Matwey: Dirigent Valery Gergiev. Putins Liebling. In: Die Zeit. Nr. 20/2014.
- Ukraine erklärt 14 russische Künstler zu Gefahr für Sicherheit. In: Süddeutsche Zeitung. 8. August 2015, abgerufen am 3. August 2020.
- Markus Thiel: Pro-Putin Brief: Philharmoniker-Dirigent in Kritik. In: Münchner Merkur. 23. Juli 2015, abgerufen am 28. September 2015.
- Falscher Strahlemax. In: Die Zeit. Nr. 1/2014.
- Manuel Brug: Der Chef schreibt einen Brief. In: Welt Online. 20. Mai 2014, abgerufen am 28. September 2015.
- Moritz M. Steinbacher: Münchens OB Reiter droht Chefdirigent Gergiev mit Kündigung. In: Webseite des Bayerischen Rundfunks. 25. Februar 2022, abgerufen am 26. Februar 2022.
- muenchen.de: München zeigt sich solidarisch mit der Ukraine. Abgerufen am 1. März 2022.
- Festspielhaus Baden-Baden aktuell. Festspielhaus Baden-Baden, 1. März 2022, abgerufen am 2. März 2022.
- Abfindung für Putin-nahen Dirigenten Valery Gergiev? ndr.de, 3. März 2022.
- Valery Gergiev — Lucerne Festival lädt Star-Dirigenten aus — wegen Putin-Nähe In: srf.ch. 28. Februar 2022, abgerufen am 28. Februar 2022.
- Verbier Festival Orchester: Gergiev tritt zurück. In: Musik-Heute.de, 28. Februar 2022.
- Ukraine: Die Scala entzieht Valery Gergiev das Dirigat. 28. Februar 2022, abgerufen am 1. März 2022.
- Robert Braunmüller: Gergiev und Netrebko: Klärung der Verhältnisse. In: Abendzeitung München. 1. März 2022, abgerufen am 2. März 2022.
- Keine Distanzierung von Putin: Valery Gergiev muss gehen. In: NDR Kultur. 1. März 2022.
- Chartquellen: DE AT
- Королева Нидерландов подарила Гергиеву Орден Нидерландского льва. Abgerufen am 12. Juni 2020.
- Валерий Гергиев удостоен ордена Восходящего солнца. Abgerufen am 12. Juni 2020.
- Президент Болгарии наградил Гергиева орденом Святых Кирилла и Мефодия. Abgerufen am 12. Juni 2020.