Psychologische Kriegsführung
Der Ausdruck psychologische Kriegsführung (englisch: Psychological warfare (PSYWAR))[1] bezeichnet im Militärwesen und in der Kriegsführung alle Methoden und Maßnahmen zur Beeinflussung des Verhaltens und der Einstellungen von gegnerischen Streitkräften sowie Zivilbevölkerungen im Rahmen oder im Vorfeld militärischer Operationen. Dabei wird durch gezielte Falschinformation Einfluss auf die strategischen Erwägungen des Gegners genommen. Unter anderem ist psychologische Kriegsführung Methode von Geheimdiensten, wie sie beispielsweise mit der sogenannten Zersetzung in der Vorwendezeit durch das Ministerium für Staatssicherheit der DDR angewendet wurde.
Begriff
Der Begriff „psychologische Kriegsführung“ gilt als problematisch und anstößig. Der Einsatz von Militärmacht erstreckt sich zunehmend nicht mehr auf die Ebene des lokalen kriegerischen Konfliktes, sondern er globalisiert sich durch die Massenmedien. Häufig operiert man daher mit euphemistischen Begriffen wie „Befriedung“ oder „Stabilisierung“ in Spannungs- oder Konfliktgebieten (z. B. UN-Friedensmissionen) und bemüht sich, die bislang unverhüllte Terminologie entsprechend zu wandeln.
Im NATO-Sprachgebrauch hat sich der Begriff „Psychological Operations“ (PSYOP) durchgesetzt, als Paralleldisziplin zu MEDIAOPS (Media Operations), worunter im zivilen Sprachgebrauch Public Relations/Medienarbeit zu verstehen ist. PSYOPS und MEDIAOPS sind Teilgebiete von INFOOPS (Informational Operations).
Diesen begrifflichen Unterschieden und hierarchischen Zuordnungen entsprechen Entscheidungs- und Befehlswege. Die Bundeswehr hat als spezifische Form bzw. Doktrin der psychologischen Kriegsführung die Operative Information (OPINFO) entwickelt, was die NATO-Terminologie in gewisser Weise zusammenfasst.
Geschichte
Erstmals entwickelt und in vollem Umfang angewandt wurde die psychologische Kriegsführung im Mittelalter in der mongolischen Kriegführung.[2] Im Zuge der militärischen Reformen von Dschingis Khan, dem Anführer des mongolischen Reiches im 13. Jahrhundert n. Chr., wurden weniger subtile Methoden verwendet. Die Mongolen zogen es vor, den Willen des Feindes zu brechen, bevor sie angriffen. Sie forderten von den Siedlungen und Städten völlige Unterwerfung und bedrohten sie mit vollständiger Zerstörung, wenn sie sich weigerten. Wenn sie kämpfen mussten, um die jeweilige Siedlung zu erobern, erfüllten die mongolischen Generäle ihre Drohungen und massakrierten die Überlebenden zur Abschreckung. Geschichten der ziehenden Horde breiteten sich in die nächsten Dörfer aus und schufen eine Aura der Unsicherheit und Angst, die die Möglichkeit zukünftigen Widerstands untergrub.[3]
Im Zweiten Weltkrieg setzten sowohl die Achsenmächte als auch Alliierte auf die psychologische Kriegsführung.
- Dazu gehörte es auf Seiten der USA und Großbritanniens, berühmte deutsche Exilanten wie Thomas Mann per Rundfunk an die deutsche Bevölkerung appellieren zu lassen.
- Von der Sowjetunion aus riefen Mitglieder des Nationalkomitees Freies Deutschland über Lautsprecher an der Front Wehrmachtsangehörige zum „Überlaufen“ bzw. zur freiwilligen Gefangennahme auf.
- Die Jericho-Trompete an dem Sturzkampfflugzeug Junkers Ju 87.
- Nach der Maxime, es sei nicht wichtig, ob etwas wahr sei, es sei nur wichtig, ob etwas wirke, setzte Deutschland Astrologen wie Karl Ernst Krafft ein, worauf die Briten mit Louis de Wohl-Horoskopen und Nostradamus-Deutungen (und -Fälschungen) konterten, die in Form von Flugblättern verteilt wurden. So stellte man etwa die Generäle Erwin Rommel und Bernard Montgomery gegenüber.[4]
- Das Material der Propagandatruppen diente im Nationalsozialismus unter anderem der Erstellung der Deutschen Wochenschau, mit der die Bevölkerung wie auch die Gegner des Regimes propagandistisch beeinflusst werden sollten.
Methoden
Als Methode der psychologischen Kriegsführung zählt alles, was die Moral der gegnerischen Kräfte stört, vermindert oder zerstört oder deren Wahrnehmung verfälscht. Propaganda und Gaslighting gehören ebenso wie brutale Abschreckungsbeispiele dazu.[5][6] Auch der unmittelbare Einsatz militärischer Mittel kann Elemente psychologischer Kriegsführung enthalten. So können Manöver nahe dem Hoheitsgebiet eines potenziellen Gegners dessen Kampfeswillen schwächen oder Überfälle im Hinterland zur Verunsicherung gegnerischer Truppen führen.
Klassische Methoden bzw. Medien der psychologischen Kriegführung sind auch das Verteilen von Handzetteln, das Verbringen von Flugblättern per Flugzeug, Ballon, Granate oder Rakete, Lautsprecheraufrufe oder Hörfunksender. Dabei nutzt man die Erkenntnisse der modernen Werbepsychologie: Flugblätter wurden etwa im Zweiten Weltkrieg auch im Stil der jeweiligen Landeswährung gefertigt und waren auf den ersten Blick kaum von einem auf der Straße liegenden Geldschein zu unterscheiden.
- Beeinflussung durch Lautsprecher in Afghanistan durch das 9th Psychological Operations (PSYOP) Battalion
- Ein Flugblatt, das von der 8th Air Force im Zweiten Weltkrieg über Deutschland abgeworfen wurde
- Ein US-amerikanischer Blackhawk wirft Flugblätter über dem Irak ab
- Die United States 301st PSYOP Company verschenkt Schulmaterial an eine irakische Schule.
- Amerikanische Soldaten verteilen die Zeitung Baghdad Now
- Flugblatt-Abwurf über Herat (Afghanistan)
Siehe auch
Literatur
- Paul Linebarger: Psychological Warfare. Nachdruck der 2. Ausgabe von 1954. Arno Press, New York NY 1972, ISBN 0-405-04755-X.
- Ellic Howe: Die schwarze Propaganda. Ein Insider-Bericht über die geheimsten Operationen des britischen Geheimdienstes im Zweiten Weltkrieg. C. H. Beck, München 1983, ISBN 3-406-09673-5.
- John R. MacArthur: Die Schlacht der Lügen. Wie die USA den Golfkrieg verkauften (= dtv. 30352). Deutscher Taschenbuchverlag, München 1993, ISBN 3-423-30352-2.
- Anne Morelli: Die Prinzipien der Kriegspropaganda. zu Klampen, Springe am Deister 2004, ISBN 3-934920-43-8.
- Gert Sommer, Albert Fuchs (Hrsg.): Krieg und Frieden. Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Beltz, Weinheim u. a. 2004, ISBN 3-621-27536-3.
- Andreas Elter: Die Kriegsverkäufer. Geschichte der US-Propaganda 1917–2005 (= edition suhrkamp. 2415). Suhrkamp, Frankfurt am Main 2005, ISBN 3-518-12415-3.
- Moritz Rauchhaus, Tobias Roth (Hrsg.): Eine Sammlung amerikanischer, britischer, deutscher, französischer und sowjetischer Feindflugblätter des Zweiten Weltkriegs. Verlag Das Kulturelle Gedächtnis, Berlin 2020, ISBN 978-3-946990-41-3.
Weblinks
Einzelnachweise
- Tyler Wall: US - Psychologische Kriegsführung und Zivile Beeinflussung U.S Psychological Warfare and Civilian Targeting. United States: Vanderbilt University (September 2010), S. 289, Abgerufen am 10. Januar 2018.
- Johannes von Plano Carpini: Kunde von den Mongolen. 1245–1247. Eingeleitet, übersetzt und erläutert von Felicitas Schmieder, Thorbecke, Sigmaringen 1997, ISBN 3-7995-0603-9
- David Nicolle: The Mongol Warlords: Genghis Khan, Kublai Khan, Hulegu, Tamerlane (2004) S, 21.
- Vgl. Ellic Howe: Uranias Kinder. Die seltsame Welt der Astrologen und das Dritte Reich. Beltz Athenäum, Weinheim 1995, ISBN 3-89547-710-9.
- S. C. Chekinov, ; S. A. Bogdanov: The Nature and Content of a New-Generation War (Memento des Originals vom 20. Februar 2015 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (PDF). United States: Military Thought. S. 16, ISSN 0869-5636. Abgerufen am 10. Januar 2018.
- Béla Szunyogh: (1955), Psychological warfare; an introduction to ideological propaganda and the techniques of psychological warfare. United States: William-Frederick Press. S, 13. Abgerufen am 10. Januar 2018.