Panzerzug
Ein Panzerzug ist ein Eisenbahnzug, der gegen Beschuss gepanzert und selbst bewaffnet ist. Panzerzüge wurden hauptsächlich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eingesetzt, im Ersten Weltkrieg, im Russischen und Chinesischen Bürgerkrieg und in der Sowjetunion während des Zweiten Weltkriegs. Erste Experimente mit gepanzerten Zügen wurden während des Amerikanischen Bürgerkrieges gemacht.
Im Verlauf des Kapp-Putsches setzte die Reichswehr im März 1920 ihre rund 40 Panzerzüge bei Kämpfen gegen demokratisch gesinnte Arbeitertruppen ein. So wurde der PZ IV vom Übungsplatz Kummersdorf zunächst nach Berlin verlegt, wo er bis Ende des Monats gegen Arbeiterverbände zum Einsatz kam. Anschließend wurde er in das Ruhrgebiet gebracht, wo sich die Reichswehr schwere Kämpfe mit Arbeitertruppen lieferte. Ende 1920 kehrte er nach Kummersdorf zurück und wurde gemäß den Friedensbestimmungen von Versailles wie die anderen Panzerzüge demontiert.[1]
Panzerzug-Typen
- der Panzerzug im Fronteinsatz mit granatsicherer Panzerung, panzerbrechenden und Flugabwehrwaffen
- der Streckenschutzzug (zum Einsatz im eigenen Hinterland) mit kugel- bzw. splittersicherer Panzerung, Maschinengewehren, etwa 100 Mann ausbootbarer Infanterie (die ihrerseits wieder schwere Maschinengewehre und Granatwerfer besitzt) und ablastbaren leichten Panzern zur Verfolgung von Feinden abseits der Gleise
- der Panzerspähzug als Sonderform des Streckenschutzzuges, zusammengesetzt aus mehreren kugelsicher gepanzerten Wagen mit Maschinengewehren (auch zur Fliegerabwehr) als Bewaffnung und eigenem Motor. Die Bezeichnung Spähzug ist irreführend, denn diese Züge handelten nicht als Späher (Aufklärer), sondern bewährten sich im eigenen Hinterland wegen der enormen Deckungsbreite, wenn der Zug in Einzelfahrzeuge aufgelöst wurde.
Front- und Streckenschutzzüge fuhren mit Dampflokomotiven, Spähzüge mit Dieselmotoren. Ein Beispiel für einen Streckenschutzzug ist der Eisenbahn-Panzerzug 21, der – aus polnischen Beutewagen zusammengestellt – in den Jahren 1940 bis 1944 von der deutschen Wehrmacht eingesetzt wurde.
Zweck von Panzerzügen
Panzerzüge sind hauptsächlich defensiv. Sie sichern das eigene Hinterland oder riegeln (im Fronteinsatz) durchgebrochene feindliche Truppen ab.
China
Während der Mandschurei-Krise nutzte die Kwantung-Armee am 27. November 1931 mehrere Panzerzüge als Hauptangriffsmittel gegen die Region Jinzhou, zu deren Verteidigung die chinesischen Kräfte wiederum einen eigenen Panzerzug entgegenschickten. Die beiden Panzerzüge trafen sich und führten ein mehrstündiges, erbittertes Gefecht auf demselben Gleis.[2]
Deutsche Wehrmacht
Die Versuche der deutschen Wehrmacht, beim Überfall auf Polen am 1. September 1939 und beim Angriff auf die Niederlande am 10. Mai 1940 Panzerzüge zum Angriff einzusetzen, scheiterten durchweg. Panzerzüge waren während des Zweiten Weltkrieges in Osteuropa und auf dem Balkan in Erscheinung getreten, wo lange Eisenbahnlinien durch nur dünn bewohntes Gebiet führten und sich als Objekte für Partisanenaktivitäten anboten. Der Schutz der Eisenbahnverbindungen und die Eskortierung von (in Konvois zusammengefassten) Transportzügen wurden ab 1942 die Hauptaufgabe der deutschen Panzerzüge. Durch ihren Einsatz gelang es bis auf einen kurzen Zeitraum im Mai 1944 den sowjetischen Partisanen nicht, die Versorgung der deutschen Front abzuschneiden. Ein weiteres Einsatzgebiet für Panzerzüge war der bewegliche Schutz von Hauptquartieren der deutschen Heeresgruppen.
Erfolgreich wurde ein Panzerzug bei der Schlacht um Breslau eingesetzt. Die Bewaffnung dieses Zuges bestand aus vier Wannen für schwere Panzer, die mit vier 8,8-cm-Flak-, einem 3,7-cm-Flak- und vier 2-cm-Flak-Geschützen sowie zwei MG 42 bestückt waren. Außerdem besaß der Zug eine Funkstelle.
Großbritannien
Die British Army setzte während des Krieges auf der Romney, Hythe and Dymchurch Railway, einer in der Spurweite von 381 Millimetern erbauten Liliputbahn an der südenglischen Küste, den wahrscheinlich kleinsten je gebauten Panzerzug als Streckenschutzzug ein. Er diente dem Schutz des breiten, als möglicher Landungsplatz für eine deutsche Invasion eingeschätzten Küstenstreifens vor der flachen Romney Marsh.[3]
Kanada
Nachdem während dem Zweiten Weltkrieg die Japanischen Streitkräfte im Juni 1942 die Aleuten besetzt hatten, erachtete Kanada den abgelegenen Abschnitt der Canadian-National-Railway-Strecke entlang des Unterlaufs des Skeena River als bedroht. Die kanadische Armee ließ daraufhin auf dem 150 km langen Abschnitt zwischen Prince Rupert und Terrace einen aus sieben Wagen bestehenden Panzerzug patrouillieren. Ab September 1942 wurde er von einer Sektion der ersten Streckendiesellokomotive Nordamerikas, der CNR 9000, gezogen, die im Mai 1942 in der Werkstatt Transcona in Winnipeg eine Panzerung erhalten hatte. Ihr Erscheinungsbild wurde so geändert, dass sie einem gedeckten Güterwagen glich und bei einem Luftangriff nicht als Lokomotive hätte erkannt werden sollen. Der geheime Panzerzug verkehrte unregelmäßig vom Juli 1942 bis September 1943.[4]
Nordkorea
Gegenwärtig ist von der Existenz von Panzerzügen nichts bekannt. Einzig der nordkoreanische Machthaber Kim Jong-il benutzte einen gepanzerten, aber unbewaffneten Zug, um sicher zu reisen. Im September 2021 wurde bekannt, dass Nordkorea erstmals eine Rakete von einem Zug startete.[5]
USA und Sowjetunion
Eine Sonderform waren die von der Strategischen Raketentruppen der Sowjetunion benutzten Eisenbahnraketenkomplexe mit RT-23-Raketen – geschützte Transportzüge für Mittelstrecken- und Interkontinentalraketen mit Startplattform. Auch die USA entwickelte ein solches Projekt, das als Peacekeeper Rail Garrison bezeichnet wurde. Die Züge der USA wurden aber vor ihrer Fertigstellung aufgrund von Abrüstungsverträgen teilweise wieder verschrottet. Im Transportation Technology Center in Pueblo und im National Museum of the Air Force in Dayton (Ohio) ist je ein achtachsiger gedeckter Güterwagen erhalten, indem sich die Rakteten-Abschussrampe befunden hätte.
Vor- und Nachteile der Panzerzüge
Vorteile
Panzerzüge sind schnell und können dank ihrer Größe und Panzerung sicher große Truppen über weite und kurze Entfernungen transportieren. Außerdem benötigen Panzerzüge kein speziell geschultes Personal zum Betrieb, da der Unterschied zwischen der Steuerung von Panzerzügen und anderen Zügen gering ist und daher auf bereits ausgebildete Lokführer zurückgegriffen werden kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Waggons an verschiedene Triebfahrzeuge angekuppelt werden können, wodurch diese von einer speziellen Ressource als Kraftstoff bei der Fortbewegung unabhängig sind. So können Panzerzüge mit einer Diesellok, Elektrolok oder Dampflok angetrieben werden.
Zusätzlich ist es möglich, genau die Anzahl oder Art der Waggons anzukoppeln, die in der jeweiligen Kriegsperiode benötigt werden. Ist die gegnerische Armee im Luftkampf überlegen, können beispielsweise verstärkt Flak- oder Raketenwaggons gekoppelt werden. Wird eine geringe Transportkapazität verlangt, kann der Zug verkürzt werden. Ein weiterer wichtiger Vorteil ist die Möglichkeit, verschiedene Waffensysteme einbauen oder entfernen zu können. Ein Panzerzug kann beispielsweise mit Raketen, Flakgeschützen, Maschinengewehren und leichten Geschützen bestückt werden.
Da sich auf der Eisenbahnstrecke keine Gebäude oder andersartige Fahrzeuge, sondern allenfalls einholbare Züge befinden, hat ein Panzerzug meistens freie Fahrt.
Wurden Panzerzüge bis zum Ersten Weltkrieg als Angriffsmittel auch direkt gegen Feindkräfte genutzt, dienten sie während des Zweiten Weltkriegs, in dem sie zum letzten Mal zum Einsatz kamen, nur noch zur Sicherung rückwärtiger Gebiete und des Eisenbahntransportwesens.
Nachteile
Panzerzüge haben entscheidende Nachteile, weswegen sie seit Ende des Zweiten Weltkrieges militärisch nicht mehr eingesetzt werden. So sind die Panzerzüge vollständig von dem Gleissystem abhängig, welches leicht zerstört werden kann. Diese Abhängigkeit macht sie für den Einsatz heute an der Front ungeeignet. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Zug entgleist, wodurch er nicht mehr vollständig oder im ungünstigsten Fall überhaupt nicht mehr weiterfahren kann und darüber hinaus die jeweilige Strecke blockiert. Wird der Zug beispielsweise wegen einer zu dicken Panzerung zu schwer, besteht die Gefahr, dass das Gleissystem den Zug nicht mehr trägt oder der Zug die Strecke schwer beschädigt. In weit entfernten Gebieten kann das Gleissystem eine andere Spurweite als die im Heimatland aufweisen, wodurch der Zug, wenn es überhaupt möglich ist, nur durch spezielle Vorrichtungen fahren kann.
Trivia
Panzerzüge in Medien
Sehr detailliert wird ein Panzerzug, besonders auch sein Innenleben, in Michail Kalatosows Agitpropfilm Der Nagel im Stiefel (Gwosd w sapoge) von 1931 gezeigt. Weiterhin sind Panzerzüge zum Beispiel in den Spielfilmen Doktor Schiwago, James Bond – 007 – GoldenEye, Der Zug, dem 1999er Film Wild Wild West, Der Tag, der nicht stirbt, im japanischen Animefilm Das Schloss im Himmel und in dem russischen Film Panzerzug nach Stalingrad zu sehen.
Im Spiel Metro Exodus dient ein Panzerzug dem Spieler als Basis.
Im Anime Kabaneri of the Iron Fortress dient ein Panzerzug den Figuren als Transportmittel und als Basis.
Im Strategiespiel Rush for Berlin taucht ein deutscher Panzerzug auf.
In Call of Duty WW II spielt man einen Einsatz, in dem man einen Panzerzug stoppen muss.
In Battlefield 1 bekommt das unterlegene Team in manchen Spielmodi zur Unterstützung einen Panzerzug.
In Wałbrzych vermuteter Panzerzug
Im polnischen Wałbrzych (deutsch: Waldenburg in Schlesien), westlich von Breslau, wurde in den Jahren 2015 bis 2017 unter breiter medialer Aufmerksamkeit nach dem vermeintlichen Gold-Zug von Wałbrzych gesucht, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit wertvollen Gegenständen beladen in einem Stollen verborgen sein soll. Die Suche folgte einer Legende aus den 1970er Jahren und war erfolglos.
Siehe auch
- Trotzkis Zug
- BP-43 sowjetischer Panzerzug im Zweiten Weltkrieg
- Raketenzug: RT-23 und Peacekeeper Rail Garrison
Literatur
- Wolfgang Sawodny: Die Panzerzüge des Deutschen Reiches. 1899–1945. EK-Verlag, Freiburg (Breisgau) 1996, ISBN 3-88255-678-1, (Eisenbahn-Kurier), auch: überarbeitete Neuauflage, ebenda 2006, ISBN 3-88255-678-1.
- Heigl’s Taschenbuch der Tanks. Teil 1. Neu bearbeitet von O. H. Hacker, R. J. Icks, O. Merker und G. P. von Zezschwitz, J. F. Lehmanns Verlag, München 1935, S. 701–716.
- Steven Zaloga: Armored Trains. Osprey Publishing, Oxford 2008, ISBN 978-1-84603-242-4, (New Vanguard 140).
Weblinks
Einzelnachweise
- Kapp-Putsch. Panzerzug in Berlin in: Lok Magazin 5/2020, S. 65.
- James Simpson, The Canine Heroes of the Imperial Japanese Army, veröffentlicht am 6. Februar 2014 (hier: 1. August 2017) auf warisboring.com, zuletzt abgerufen am 1. August 2017.
- About RH&DR: Those early years, abgerufen am 3. Juni 2015.
- R. L. Kennedy: Early Diesels. In: Old Time Trains. Abgerufen am 2. Januar 2022.
- Nordkorea zündet Raketen - Südkorea reagiert sofort, Frankfurter Rundschau vom 17. September 2021, abgerufen am 1. Februar 2022