Ohrenschmalz
Ohrenschmalz (medizinischer Fachausdruck Zerumen oder Cerumen; von altgriechisch κήρωμα kēroma „Wachssalbe“)[1] ist eine gelb-bräunliche, fettige und bittere Absonderung der Ohrenschmalzdrüsen (Glandulae ceruminosae, modifizierte Schweißdrüsen; apokrine, tubuläre Knäueldrüsen) des äußeren Gehörgangs.
Funktion
Das Ohrenschmalz existiert bei allen Säugetieren. Es befeuchtet die Haut im Gehörgang und dient der Entfernung von Staub, Schmutz, abgestorbenen Hautzellen und Fremdmaterialien aus dem Ohr. Es enthält außerdem Lysozym und andere Stoffe, die Bakterien bekämpfen sowie Insekten davon abhalten sollen, in den Gehörgang vorzudringen. Fehlt dieser Schutz, zum Beispiel durch häufiges Waschen oder Schwimmen, kann dies zu starken Ohrenschmerzen führen.
Analytik und Inhaltsstoffe
Zur Bestimmung der Inhaltsstoffe kommen chromatographische Trennungen durch Säulenchromatographie oder Gaschromatographie und anschließende Massenspektrometrie zur Anwendung. Dabei wurden neben Kohlenwasserstoffen, Squalen, Wachsestern, Triglyceriden, Cholesterin, Cholesterinestern, freien Fettsäuren und Hydroxysäuren weitere lipophile Komponenten festgestellt. Ca. 1000 Substanzen konnten bisher identifiziert werden.[2] Forschungsthemen zum Ohrenschmalz waren 2011 auch antimikrobielle Substanzen auf Peptidbasis.[3] Auch für forensische Untersuchungen auf lipophile Arzneimittel kann Ohrenschmalz eingesetzt werden.[4] 2019 erstellte eine brasilianische Arbeitsgruppe durch Headspace-Gaschromatographie in Kopplung mit Massenspektrometrie Cerumenogramme, die eine sichere Unterscheidung zwischen Krebspatienten und gesunden Studienteilnehmern ermöglichten.[5]
Merkmale
Das Ohrenschmalz ist neben der Galle eines der beiden stark bitter schmeckenden Sekrete des Menschen. Es existiert, genetisch bedingt, beim Menschen in trockener Form (Triglyceride mit hohem Anteil gesättigter Fettsäurereste) und feuchter Form (Triglyceride mit hohem Anteil ungesättigter Fettsäurereste):
Der feuchte Typ ist gelblich, hellbraun oder dunkelbraun und ölig-klebrig. Dieser Typ ist genetisch dominant über die trockene Variante (Farbe weißlich). Die trockene Variante kommt in Europa und Afrika mit unter 3 Prozent sehr selten vor, hingegen ist sie mit 80 bis 95 Prozent in Ostasien am weitesten verbreitet. Eine mittelhäufige Verbreitung besteht in Süd-, Zentral- und Kleinasien sowie auf den pazifischen Inseln, bei den Ureinwohnern Nordamerikas und den Inuit. Die Zusammensetzung wird über das Gen ABCC11 gesteuert.[6] Vermutete Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Varianten und dem Auftreten von Brustkrebs waren 2009 und 2011 Gegenstand von Forschungen.[7][8]
Verstopfungsgefahr des Gehörgangs
Klassifikation nach ICD-10 | |
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H61.2 | Zeruminalpfropf |
ICD-10 online (WHO-Version 2019) |
Das Cerumen kann den Gehörgang, unter anderem bei Überproduktion, völlig verschließen (Ohrenschmalzpfropf, Ceruminalpfropf, Cerumen obturans) und plötzliche Schwerhörigkeit bewirken.[9] Der Pfropf muss vom Hausarzt oder Hals-Nasen-Ohren-Arzt mittels eines Ohrlöffels oder per Absaugung entfernt oder notfalls mit warmem Wasser herausgespült werden. Ist dies nicht möglich, weil der Pfropf zu fest sitzt, kann ein Arzt mit einigen Tropfen Wasserstoffperoxid in einer Konzentration von 3 % den Pfropf anlösen,[10][11] um ihn dann anschließend ausspülen zu können.[12][13]
Schädliche Wattestäbchen
Trotz Warnhinweisen werden handelsübliche Wattestäbchen nach wie vor von vielen Menschen zur vermeintlichen Entfernung des Ohrenschmalzes aus den Gehörgängen eingesetzt. Dabei wird das Schmalz jedoch tiefer in das Ohr gedrückt und kann dort zu einem Ohrschmalzpfropf verhärten, der unter Umständen Druck auf das Trommelfell ausübt und zu Schwerhörigkeit führen kann.[14] Man geht davon aus, dass die Bewegungen des Stäbchens ein angenehmes Gefühl verursachen, weil sie den Vagusnerv stimulieren und dadurch dieses Fehlverhalten verstärkt wird. Zur Gehörgangsreinigung reicht es stattdessen, die Ohren mit klarem Wasser, z. B. beim Duschen oder mit einer Ohrenspritze, auszuspülen. Ein bereits fest gewordener Pfropf muss von einem Arzt entfernt werden.
Siehe auch
Literatur
- Astrid Viciano: Klebrige Europäer, staubige Indianer: Japanische Forscher widmen sich der internationalen Analyse von Ohrenschmalz. In: Die Zeit, Nr. 6/2006.
Weblinks
Einzelnachweise
- Pschyrembel. Medizinisches Wörterbuch. 257. Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 1993, ISBN 3-933203-04-X, S. 245.
- K. Stránský, I. Valterová, E. Kofroňová u. a.: Non-polar lipid components of human cerumen. In: Lipids. Band 46, Nr. 8, 2011, S. 781–788. PMID 21547555, doi:10.1007/s11745-011-3564-y.
- M. Schwaab, A. Gurr, A. Neumann, S. Dazert, A. Minovi: Human antimicrobial proteins in ear wax. In: European journal of clinical microbiology & infectious diseases. In: Eur J Clin Microbiol Infect Dis. Band 30, Nr. 8, August 2011, S. 997–1004. PMID 21298458, doi:10.1007/s10096-011-1185-2.
- E. Shokry, J. G. Marques, P. C. Ragazzo, N. Z. Pereira, N. R. A. Filho: Earwax as an alternative specimen for forensic analysis. In: Forensic Toxicol. 35(2), 2017, S. 348–358. PMID 28912899.
- Barbosa JMG, Pereira NZ, David LC, de Oliveira CG, Soares MFG, Avelino MAG, de Oliveira AE, Shokry E, Filho NRA: Cerumenogram: a new frontier in cancer diagnosis in humans., Sci Rep. 2019 Aug 13;9(1):11722, PMID 31409861
- Koh-ichiro Yoshiura, Akira Kinoshita1, Takafumi Ishida u. a.: A SNP in the ABCC11 gene is the determinant of human earwax type. In: Nature Genetics. Nr. 38, 2006, (Letter) S. 324–330, doi:10.1038/ng1733.
- T. Lang, C. Justenhoven, S. Winter, C. Baisch, U. Hamann, V. Harth, Y. D. Ko, S. Rabstein, A. Spickenheuer, B. Pesch, T. Brüning, M. Schwab, H. Brauch: The earwax-associated SNP c.538G>A (G180R) in ABCC11 is not associated with breast cancer risk in Europeans. In: Breast Cancer Res Treat. 129(3), Okt 2011, S. 993–999. PMID 21655989
- Y. Toyoda, A. Sakurai, Y. Mitani, M. Nakashima, K. Yoshiura, H. Nakagawa, Y. Sakai, I. Ota, A. Lezhava, Y. Hayashizaki, N. Niikawa, T. Ishikawa: Earwax, osmidrosis, and breast cancer: why does one SNP (538G>A) in the human ABC transporter ABCC11 gene determine earwax type? In: FASEB J. 23(6), Jun 2009, S. 2001–2013. PMID 19383836
- Esther Schimanski: Geschichte der Tympanoplastik. Dissertation. Ruhr-Universität, Bochum 2005.
- Wolfgang Vahle: Wie soll man die Ohren reinigen? Auf: hno-vahle.de vom 13. November 2011; Kommentar: Vahle - Antworten 11. August 2013. abgerufen am 3. Mai 2014.
- P. L. Wilson, R. J. Roeser: Cerumen management: professional issues and techniques. In: Journal of the American Academy of Audiology. Band 8, Nr. 6, Dezember 1997, S. 421–430. PMID 9433688
- A. J. Clegg, E. Loveman, E. Gospodarevskaya u. a.: The safety and effectiveness of different methods of earwax removal: a systematic review and economic evaluation. In: Health Technology Assessment. Band 1, Nr. 28, Juni 2010, S. 1–192, doi:10.3310/hta14280.
- J. G. Fraser: The efficacy of wax solvents: in vitro studies and a clinical trial. In: The Journal of Laryngology and Otology. Band 84, Nr. 10, Oktober 1970, S. 1055–1064. PMID 5476901, doi:10.1017/s0022215100072856.
- Wattestäbchen zur Ohrreinigung? auf aerztekammer-bw.de