Mecklenburgisch-Vorpommersch
Das Mecklenburgisch-Vorpommersche (Eigenbezeichnungen Mękelborgsch und Vörpommersch) bildet eine Dialektgruppe des Ostniederdeutschen und wird überwiegend in Mecklenburg-Vorpommern gesprochen. Diese Dialekte sind einander äußerst ähnlich und besitzen gegeneinander keine scharfe Dialektgrenze, sondern fließende Übergänge.
Wie in allen ostniederdeutschen Dialekten fehlt der ursprüngliche sächsische verbale Einheitsplural auf -t; stattdessen lautet der Einheitsplural -(e)n. Daneben kommt seit dem 19. Jahrhundert als Folge des Rückgangs der niederdeutschen Sprache auch der zweiförmige Plural analog zum Standarddeutschen vor.
Mecklenburgisch-Vorpommersch | ||
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Gesprochen in |
Deutschland | |
Linguistische Klassifikation |
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Sprachcodes | ||
ISO 639-2 |
nds (Niederdeutsch) |
Dialektgebiete
Zum Mecklenburgisch-Vorpommerschen gehören folgende Dialektbereiche:
- Mecklenburgisch
- Mecklenburg-Schwerinerisch im Gebiet um Schwerin-Rostock-Wismar-Güstrow
- Mecklenburg-Strelitzisch im Gebiet um Neustrelitz-Neubrandenburg
- Vorpommersch im Gebiet um Stralsund-Greifswald-Anklam
- Westmecklenburgisch – Ostholsteinisch
Das Mecklenburgische geht im Westen fließend in das Holsteinische über. Dieses teilt mit dem Mecklenburgischen einige Eigenheiten, welche sich in Holstein jedoch je nach Region mit den Charakteristika des Nordniedersächsischen abwechseln. Im Gebiet um Ratzeburg, das noch zum mecklenburgischen Dialektraum gezählt wird, existiert ein Dialektübergang, der sich teilweise bis auf das Hamburger Platt (Marsch) auswirkt und Eigenheiten des Mecklenburgischen und Holsteinischen innerhalb einzelner Dialekte tauscht und vermischt. So kennen die Gebiete westlich von Schwerin etwa den Einheitsplural auf -t, die Vierlande in Holstein aber die Diphthongierung und die in M.-V. häufigere Verdrängung des V durch das B, wie etwa in den Worten aven bzw. aben.
Lautliche/Sprachliche Besonderheiten und Schriftsystem
Die Aussprache des Mecklenburgischen und Vorpommerschen wird gemeinhin mit „breit“ bezeichnet. Was heute als direkte Diphthongierung wahrgenommen wird (s. u.), wurde bis zum 20. Jahrhundert eher als breite Aussprache gemeinniederdeutscher Wörter verstanden. Daher finden sich selbst in spezifisch mecklenburgischen Grammatiken noch Hinweise darauf, dass das E zu Ei und das O zu Au tendiere, ohne dass dies in der Schrift besonders kenntlich gemacht wurde. Die „breite“ Aussprache ist gleichbedeutend mit einer offeneren Aussprache der Vokale. Im Folgenden wird vor allem vom Mecklenburgischen die Rede sein, da das Vorpommersche je nach Gebiet dessen Eigenschaften teilt, nicht teilt und/oder Züge des Mark-Brandenburgischen und Ostpommerschen tragen kann. Im Allgemeinen kann das Pommersche als konservativeres Sprachgebiet gelten, welches der mittelniederdeutschen Lautung näher bleibt. Allerdings darf keineswegs die Fehlvorstellung erweckt werden, die Besonderheiten würden nicht oder eingeschränkt für Vorpommern gelten. Sie liegen dort in derselben Stärke vor und finden sich sogar ungemindert in Hinterpommern. Doch ähnlich wie im Holsteinischen ist das Gebiet des Pommerschen durchzogen mit größeren, zusammenhängenden Gebieten mit Ausnahmen.
Weiterhin benutzen sehr viele moderne (mind. seit 1800) Texte im mecklenburgisch-vorpommerschen Dialekt das W im Wort, ohne dass sich der Lautwert von <v> [/v/] zu <w> [/ʋ/] geändert hätte. Vor allem der sich stark am Hochdeutschen orientierende Fritz Reuter leistete dieser Entwicklung Vorschub, während Philologen wie Karl Nerger diese Entscheidung eher kritisch sahen. Sie ist zum Teil vielleicht damit zu erklären, dass das V im mittelniederdeutschen Anlaut immer als F gesprochen wurde, was sich im Mecklenburger Dialekt zum Teil auf den Inlaut bei Fremdwörtern übertrug. Veninsch (giftig; von frz. venin) spricht man als „feniensch“ aus, David als „Dafiet“. Im Westen hingegen spricht man das V heute im Anlaut von Fremdwörtern wie in der Originalsprache.[1]
Die Mecklenburgische Diphthongierung
In Silben mit tiefer Betonung (für gewöhnlich markiert durch einzelne oder keine Konsonanten am Silbenende, z. B. bok und he) kennt das klassische Niederdeutsche kein langes O (/oː/) oder langes E (/eː/). Stattdessen stehen dort die Diphthonge /oʊ/ und /eɪ/. In Mecklenburg führt die offenere Aussprache dazu, dass der Diphthong-Charakter dieser Laute deutlicher hervortritt. Besonders im Mecklenburgischen werden viele Wörter, welche in anderen niederdeutschen Dialekten mit o (/oʊ/) gesprochen werden, mit au (/ɔʊ/ oder /aʊ/) gesprochen, was sich auch auf die Umlaute überträgt. So wird ö (/øʏ/) zu äu (/œʏ/ oder sogar /ɔɪ/). Diese breiteren Aussprachen treten nicht unabhängig voneinander auf. Hat ein Dialekt ei für mittelniederdeutsch ê, so kennt er ebenfalls au für mittelniederdeutsch ô. Welche Laute diphthongiert werden, hängt von der Sprachgeschichte ab: Wörter, die im Urgermanischen noch auf <au> lauteten, haben auch im Mecklenburgischen ein reines O (z. B. urgerm. *augo und nds. oge, aber urgerm. bōks → meckl. bauk (bok, Buch)). Als Faustregel kann gelten, dass das Mecklenburgische nie <au> hat, wo es im Deutschen steht.
Erweichung des G
Im Urgermanischen war jedes G ein Stimmhafter velarer Frikativ (/ɣ/), der jedoch (das Niederländische und Westfälische ausgenommen) von allen germanischen Dialekten durch den Plosiv (/g/) verdrängt wurde. Durch deutschen Einfluss verbreitete sich dieser Plosiv spätestens im 19. Jahrhundert auch in den niederdeutschen Gebieten.[2] Das Mecklenburgische erhielt sich das frikativische G jedoch lange vor E und I. Noch heute ist das weiche G außerdem in norddeutscher Aussprache zu finden, insbesondere zwischen Vokalen. Mit diesem frikativischen G ist auch zu erklären, dass das G bei der Auslautverhärtung in Norddeutschland zu /x/, also zu ch, und dessen Allophonen wird und nicht zu einem K (vgl. das markante norddeutsche Tach! mit dem standard- und süddeutschen Tak! oder das standard- und norddeutsche lustich mit dem süddeutschen lustik).
Außerdem ersetzte das G vielerorts in Mecklenburg-Vorpommern den älteren Halbvokal (/w/) (gnawen → gnagen), der mit dem Vorrücken des Hochdeutschen verschwand.
Die Mecklenburgisch-Vorpommersche Erhöhung
Das Meckl.-Vorp. vokalisiert, wie viele nordniederdeutsche Dialekte, das R. Das heißt, dass das eigentlich gerollte R im Auslaut und in Verbindung mit den mit der Zunge gebildeten Konsonanten (N, L, S, z. T. D/T) zu einem vokalischen Laut (Schwa) wird. Vor diesem R wechseln einige Vokale. Diesen Vorgang bezeichnete Karl Nerger als „Erhöhung“, im Gegensatz zur Brechung (vgl. Vokaltrapez). Die Wechsel sind: O→U, E→I, Ö→Ü, A→O. Die letzte Entwicklung, sowie einen Wechsel E→A vor konsonantischem R (/r/), machen fast alle nordniederdeutschen Dialekte mit; Worte wie Jor (mnd. jar, Jahr) und Barg (mnd. berg) sind in ganz Norddeutschland verbreitet. Typisch mecklenburgisch-vorpommersch sind jedoch Worte wie Nurd (Norden), Kirl (Kerl) und hüren (hören). Diese Entwicklung war zumindest im 19. Jahrhundert nicht vollständig durchgeführt, und im Gebiet von Ratzeburg und Lauenburg, die mit dem Rest Mecklenburgs klassischerweise ein Dialektgebiet bildeten, liegt sie nur partiell vor. Bereits ab Ludwigslust kann man zwar eine Umformung von wer (war) zum typisch meckl.-vorp. wir finden, aber z. B. Ber (Bier) macht nur die Diphthongierung mit und wird Beir (sprich wie hd. ‚Bayer‘) statt wie im sonstigen Mecklenburg Bir (wie Hd.). Dieser Zustand mag sich inzwischen gewandelt haben, da die letzte umfassende Erhebung 1876–1880 mit der Erhebung durch Wenker geschah.
Dialekteigene Laute und Buchstaben
Das Mecklenburgische und Vorpommersche, bedingt durch die offenere Aussprache, verfügen über eigene Laute, welche in anderen Dialekten des Niederdeutschen nicht vorkommen. Diese werden, je nach Verlag, dargestellt durch die Buchstaben Œ (Æ) und Ę oder auch durch Ä, Ae und Oe. Ein weiterer Buchstabe, welcher im ganzen sächsischen Raum Verwendung findet, ist Å.
Å
Das Å/å tritt in der Schrift vor allem im Pommerschen auf, wo es zum einen anzeigt, dass ein als O gesprochener Laut vor einem langen R im Wortstamm ein A ist. Vor einem vokalischen R wandelt sich in niederdeutschen Dialekten das lange A als O, auch dort, wo das lange A sonst dem deutschen A entspricht (Jor, Jahr). Es kam in den östlichen Gebieten des heutigen Mecklenburg-Vorpommern nicht selten vor, dass dort ein Å geschrieben wurde. Dass dies im Westen selten geschah, ist mit Konvention zu erklären, da die Grammatik und Aussprache dort z. T. identisch sind.[3]
In ganz Norddeutschland zu finden ist außerdem die Verwendung des Å anstelle des A, da die meisten Dialekte das lange A wie ein skandinavisches Å sprechen [/ɒː/ oder /ɔː/]. Dies vor allem in neuerer Zeit, wo sich im Niederdeutschen eine dialektbezogen-aussprachekonforme Schreibweise gegenüber einer etymologisch-wortstammbildenden durchsetzt. Dort findet sich dann das klassisch als water geschriebene „Wasser“ entsprechend der Aussprache [/ʋɒːtɜ/], orientiert an der hochdeutschen Standardsprache, als Wåder wieder.[4]
Ę
Das Ę/ę bezeichnet ein „tonlanges E“ [/ɛ:/].[5] Es steht zum einen in Wörtern, die durch Lautwandel einen neuen Laut angenommen haben, d. h. von bestimmten altsächsischen Vokalgruppen stammen; etwa Worte, die ein kurzes I in einer offenen Silbe führten. Beispiele sind as. filu und meckl. vęl (viel) oder as. givan und meckl. gęven (geben). Auch der Name Mecklenburgs hat durch dieses Lautgesetz sein Ę erhalten: Mikilinborg → Mękel(e)nborg. Ebenso wurde slawisch Liubice zu Mecklenburgisch Lübęke. Außerdem ist dieses E der Umlaut des kurzen A, wie in Singular grass, Plural gręser. Je nach Autor und Herausgeber wechselt Ę relativ frei mit Ä.
Œ/Æ
Das Æ/æ und Œ/œ bezeichnen denselben Laut [/ɶː/], welcher der Umlaut des langen A ist und vom Ä zu trennen ist, wenn der Schriftsatz es ermöglicht. Klanglich handelt es sich um ein langes Ä mit starker Beimischung des offenen Ö.[6] Auch dieser Laut wird häufig mit dem Zeichen <Ä> bezeichnet. Im 19. Jahrhundert gingen einige Autoren davon aus, dass dieser Laut nur im Mecklenburgischen vorkomme.
Das Zeichen Œ hat sich in jüngerer Zeit verbreitet, da der Laut selbst aufgrund des Ö-Beiklangs in Verkürzungen mit einem Ö verwechselt werden kann, bzw. auch als solches geschrieben wird. (de Mœl, die Mühle → de Möller, der Müller; jedoch urspr. abgeleitet von malen, mahlen) Die Wörter mit kurzem Ö sind aber jüngeren Ursprungs. (mnd. molarene, Müller) Weiteren Einfluss darauf muss man wohl dem Deutschen zurechnen, welches diese Wörter zumeist mit OE umschreibt, sowie nicht zuletzt der großen Ähnlichkeit von æ und œ im Frakturschriftsatz, in welchem der überwiegende Großteil der bekannten niederdeutschen Literatur veröffentlicht wurde.
Die Verwendung des Œ birgt die Gefahr, dass man fälschlich einen O-Umlaut annimmt, was zu Fehlern bei Konjugation und Deklination führen kann. So ist der Singular von Vœgel/Vægel etwa Vagel und nicht Vogel. Dies ist zudem für die Aussprache wichtig, da die Mecklenburger, insbesondere der mittel-/ostmecklenburgische Dialekt Fritz Reuters, das lange A mit wenig bis ohne Charakter des O spricht. So findet man etwa in dessen Werken ausschließlich die Schreibung mit æ/ae und ä.
Vagel findet z. B. in der Aussprache des niedersächsischen Dialektraumes z. T. die Realisierung als „Voogel“, im mecklenburgischen und pommerschen Raum hingegen eine Aussprache wie „Våågel“ (mit einem Laut wie im englischen water) je nach Gebiet.[6]
Weiter zur Verwirrung trägt bei, dass die deutschen Transkriptionen dieser Wörter für gewöhnlich „oe“ verwenden und die westniederdeutschen Dialekte an der entsprechenden Stelle Ö oder ÖÖ schreiben und auch sprechen. Jedoch ist der Unterschied zwischen Ö und Æ im Osten bedeutungsunterscheidend. (Hög' , Höhe; Hæg'/Hœg' , Freude)
Tabelle zur Übersicht der Umlautbeziehung:
Umlautwort | abgeleitetes oder ableitendes Wort | Anmerkung |
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dæmlig | damelen | Ursprung für das Deutsche „dämlich“ |
kænen | ik kan | können, erste Person Singular |
Slætel | slaten | Schlüssel, geschlossen, Partizip von sluten |
Vægel | Vagel | Plural, Singular |
knækern | Knaken | knöchern, Knochen |
Apokope und Apostroph
Dort, wo früher ein E stand, welches im Nordniederdeutschen häufig stumm wurde (siehe Apokope), wird heute oft ein Apostroph geschrieben, der die Auslautverhärtung verhindert. Wie im Deutschen und Niederländischen werden D, B und W am Ende eines Wortes und am Ende einer Silbe vor einem Konsonanten zu T, P und F. (Dod spricht man wie „doht“.) Ein G wird an diesen Stellen als CH gesprochen. Ein Apostroph macht deutlich, wo früher ein E stand und dass die vorstehenden Buchstaben diesen Wandel nicht durchmachen, da sie quasi noch im Inlaut stehen. Dies ist auch bedeutungsunterscheidend. Eine Orientierungshilfe zur Aussprache kann das Englische geben, wo die Auslautverhärtung nicht stattfindet und das Wort cold (kalt, im niederdeutschen ebenfalls kold) tatsächlich mit D am Ende gesprochen wird.
Plattdeutsch | Deutsch |
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de Dod | der Tod |
de Dod’ | der Tote |
’n Hus | ein Haus (Nominativ) |
’n Hus’ | einem Hause |
Eine sehr gängige Ausnahme ist Dag (Tag, kurzes A), wo neben dem Plural Dag' auch der Plural Dag üblich ist, wobei sich dieser das lange A der ursprünglichen Zweisilbigkeit (früher Dage) erhält. Zuweilen wird der Unterschied schriftlich kenntlich gemacht. (Dach/Dag oder Dagg/Dag; Dag/Daag eher im Westen üblich)
Ein anderes System war, jedem Laut einem Buchstaben zuzuordnen, sodass der Tod als der Dot geschrieben wurde, der Tote aber als der Dod.
Dativ, Akkusativ und Objektfall
Der Dativ erfährt deutliche Kennzeichnung in Kontraktionen mit Präpositionen, wo noch das Dativ-M des ehemaligen Artikels deme auftritt, bzw. bei sächlichen Substantiven der alte Dativ-Artikel den. Tatsächlich entstand der Dativartikel „den“ über ein Lautgesetz des Mittelniederdeutschen. Dort trat mit der Zeit die Akopierung ein und die E am Ende von Wörtern wurden nicht mehr mitgesprochen. Wörter, welche ein -me am Ende geführt hatten, wurden ohne E dann häufig mit -n statt mit -m gesprochen.[7] Eine Trennung von Dativ und Akkusativ kann, über die Artikel hinaus, dann auch in der Aussprache festgestellt werden. Wie im Deutschen und Niederländischen werden D, B und W am Wortende als T, P und F gesprochen. Als Überbleibsel eines ursprünglichen Dativ-E zeigt sich dann eine fehlende Auslautverhärtung, welche durch einen Apostroph deutlich gemacht wird.[8]
Plattdeutsch | Deutsch | Anmerkung |
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dat Liw | der Körper | sprich Lif/Lihf/Lief (IPA: [liːf]) |
in’n Liw’ | im Körper | sprich Liew |
Ik ga tau’n/taum Pird’. | Ich gehe zum Pferde. | siehe unten |
Ik ga tau dat Pird. | Ich gehe zu dem Pferd. | Hier geschieht eine Auslautverhärtung, da es sich tatsächlich um den Akkusativ handelt, der steht, wo ein vergessener Dativ stehen sollte. |
Ik ga tau einen Pird’. | Ich gehe zu einem Pferde. | |
Ik köp ein Pird. | Ich kaufe ein Pferd. | |
Ik ga tau(r) Fru. | Ich gehe zur Frau. | siehe unten |
Ik ga tau de Fru. | Ich gehe zu der Frau. | |
de Wulf – de Wülw’ | der Wolf – die Wölfe | Singular, Plural |
de Wülwen/Wülben – de Wülw’ | den Wölfen – die Wölfe | Dativ, Akkusativ |
Dabei ist unklar, ob Kontraktionen mit -r und -m dem Altsächsischen und Mittelniederdeutschen entspringen oder hochdeutschen Einflusses sind. Bereits das Altsächsische zeigte eine Vermischung von Akkusativ- und Dativformen, ohne dabei aber einen Einheitsfall aufzubauen. Im Mittelniederdeutschen setzte sich dieser Trend fort. Zudem ist eine Mischung und Verwechslung von N und M zu beobachten, wobei das Schrifttum mit fortschreitender Standardisierung auch vom regional Gesprochenen abwich und schriftlich grammatische Unterscheidungen gemacht wurden, die beim Sprechen nicht hörbar, aber bewusst waren. Weiterhin spricht für einen hochdeutschen Ursprung das Fehlen eines weiblichen Artikels „der“, wobei Ritter in seiner 1832 niedergeschriebenen Grammatik noch als weibliches Akkusativpronomen „de(re)“ verzeichnet. Ungeachtet dessen, welchen Ursprungs diese Formen sind, treten sie allerdings seit mindestens dem 14. Jahrhundert durchgehend in niederdeutschen Texten auf. Wenn diese Kontraktionen als fremd empfunden werden, werden sie durch die Verkürzung des Artikels (Ik ga tau’n Mann/tau Fru.), bzw. durch die Langform ersetzt.
Das in neuerer Zeit stumme Dativ-E jedoch ist zweifelsfrei niederdeutschen Ursprungs.[7] Ebenso, dass in Kontraktionen ein ’n als Dativindikator für de und dat steht.
Außerdem wird der Akkusativ bei der Verkürzung des Objektpronomens em, ursprünglich Dativpronomen, zu ’n, ursprünglich von en, deutlich.
- Slaten hew ik em nich. – Geschlossen habe ich ihn nicht.
- Ik will’n sluten. – Ich will ihn schließen
Ungenaue Mengenangaben
Eine dem Mecklenburgisch-Vorpommersche eigene Bildung ist die ungenaue Mengenangabe, die mit dem unbestimmten Artikel Singular und einer Form der Nachsilbe -ere/-erne gebildet wird, wobei das darauffolgende Zahlwort durch den Artikel zum Substantiv wird.
- ein Jårer’ Söss – an die sechs Jahre (dat Jår, das Jahr)
- ’n Mannere Fif – um die fünf Männer (de Mann)
- ’n Litere Tein – ca. zehn Liter
- ein Dalerne Acht – etwa acht Taler (de Daler)
Sonstige Besonderheiten
Ebenso wird im Inlaut häufiger B [/b/] verwandt, wo in anderen Dialekten ein V [/v/] steht.[9][10][11][12][13][14] So finden sich to (zu), töven (warten), Aven (Ofen) und grön (grün) in Mecklenburg als tau, täuben, Aben (auch Awen) und gräun. In Rostock, Grenzen zu anderen Dialekten und in vielen Pommerschen Gebieten werden die Wörter ebenfalls mit O gebildet.[15]
Das S [/s/] vor Konsonanten wird im Strelitzschen und Teilen Vorpommerns zu SCH [/ʃ/] verändert, gleich dem Deutschen. Snacken, Strand und Spiker werden zwar häufig mit S geschrieben, in vielen, wenn nicht allen, ostniederdeutschen Dialekten spricht man sie jedoch als schnacken, Schtrand und Schpiker aus. Mit der Auflösung der ostniederdeutschen Gebiete in Pommern und Ostpreußen immigrierten viele Sprecher östlicher Dialekte nach Mecklenburg, sodass auch im Meckl.-Schwerinerischen die Veränderung von S zu SCH nun manchmal auftritt.
Bedeutende Autoren
Aus Mecklenburg:
- Belletristik
- John Brinckman
- Fritz Reuter
- Rudolf Tarnow
- Johann Lauremberg (spätes Mittelniederdeutsch/frühes Neuniederdeutsch)
- Karl Eggers
- Sprachforschung und Volkskunde
- Richard Wossidlo, sammelte für sein bis heute als Standardwerk geltendes Mecklenburgisches Wörterbuch
- Karl Nerger, Verfasser einer preisgekrönten Abhandlung über das Mecklenburgische (Formen- und Lautlehre)
- Julius Wiggers, Autor einer Grammatik (Formen- und Lautlehren)
- J. G. C. Ritter, Autor einer Grammatik (Formen- und Lautlehren)
- Johann Jakob Nathanael Mussaeus, von dem einige Märchen in den Büchern der Gebrüder Grimm stammen, Autor einer der vier Grammatiken (Formen- und Lautlehren)
Aus Vorpommern:
- Alwine Wuthenow
- Ernst Moritz Arndt
- Heinrich Bandlow
- Philipp Otto Runge, der den Grimms das bekannte Vom Fischer und seiner Frau aufschrieb
- Martha Müller-Grählert
Sprachpflege
Zur Pflege der mecklenburgisch-vorpommerschen Variationen des Niederdeutschen engagieren sich folgende Sprachgesellschaften:
- Fritz Reuter Gesellschaft mit Sitz in Neubrandenburg
- Johannes Gillhoff Gesellschaft mit Sitz in Ludwigslust-Glaisin
- John Brinckman Gesellschaft mit Sitz in Jürgenstorf[16]
Literatur
- Klaas Hinrich Ehlers: Mecklenburgisch-Vorpommersch, Mittelpommersch, Brandenburgisch. In: Joachim Herrgen, Jürgen Erich Schmidt: Sprache und Raum. Ein internationales Handbuch der Sprachvariation. Band 4: Deutsch (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Band 30.4). De Gruyter Mouton, Berlin/Boston 2019, ISBN 978-3-11-018003-9, S. 590–615.
Einzelnachweise
- https://plattmakers.de/de/2101/veniensch
- Agathe Lasch: Mittelniederdeutsche Grammatik. Verlag Max Niemeyer. Halle an der Saale. 1914
- Ernst Moritz Arndt: Mährchen und Jugenderinnerungen. 1. Ausgabe. Realschulbuchhandlung Berlin. 1818.
- Behrend Böckmann: Geschichten tau dei Stadtgeschicht von Güstrow. BS-Verlag, Rostock 2011, ISBN 978-3-86785-163-3.
- Albert Schwarz: Vollständiges Wörterbuch zu Fritz Reuters Werken. Mit einem Nachwort: die Sprache Fritz Reuters. Separatabdruck aus Fritz Reuters sämtlichen Werken herausgegeben von Hermann Jahnke und Albert Schwarz. A. Weichert, Berlin 1900, S. 30.
- Albert Schwarz: Vollständiges Wörterbuch zu Fritz Reuters Werken : mit einem Nachwort: die Sprache Fritz Reuters ; Separatabdruck aus Fritz Reuters sämtlichen Werken herausgegeben von Hermann Jahnke und Albert Schwarz. A. Weichert, Berlin 1900, S. 9.
- Agathe Lasch: Mittelniederdeutsche Grammatik. Verlag Max Niemeyer, Halle an der Saale 1914.
- J. Ritter: Grammatik der mecklenburgisch-plattdeutschen Mundart. Stillersche Hofbuchhandlung, 1832.
- vgl. Rudolf Tarnow: Lütt bäten Hoeg un Brüderie. 3. Auflage. Hinstorff, Rostock 2003, ISBN 3-356-00995-8.
- Karl Bartsch: Sagen, Märchen und Gebräuche aus Meklenburg. Wien 1879.
- Felix Stillfried: Ut Sloß un Kathen. Liebeskind-Verlad 1890.
- J.G.C. Ritter: Grammatik der mecklenburgisch-plattdeutschen Mundart. Stillersche Hofbuchhandlung, Rostock/Schwerin 1832.
- Albert Schwarz: Vollständiges Wörterbuch zu Fritz Reuters Werken : mit einem Nachwort: die Sprache Fritz Reuters ; Separatabdruck aus Fritz Reuters sämtlichen Werken herausgegeben von Hermann Jahnke und Albert Schwarz. A. Weichert, Berlin 1900.
- Karl Nerger: Grammatik des mecklenburgischen Dialektes älterer und neuerer Zeit : Laut- und Flexionslehre. F.A. Brockhaus, Leipzig 1869.
- vgl. John Brinckman: Kasper-Ohm un ick. Carl Hinstorff Verlag, Rostock.
- Dem Plattdeutschen verschrieben: Jahrestagung dreier Literaturgesellschaften in Ludwigslust, Schweriner Volkszeitung, 2. April 2017