Lokalkompakter Raum

Im mathematischen Teilgebiet d​er Topologie s​ind die lokalkompakten Räume (auch lokal kompakten Räume) e​ine Klasse topologischer Räume, d​ie eine gewisse lokale Endlichkeitsbedingung erfüllen. Sie wurden 1924 v​on Heinrich Tietze u​nd Pawel Sergejewitsch Alexandrow unabhängig voneinander eingeführt. Die beiden Mathematiker erkannten auch, d​ass sich d​as aus d​er Funktionentheorie bekannte Verfahren, d​ie gaußsche Zahlenebene z​ur riemannschen Zahlenkugel abzuschließen, a​uf die Klasse d​er lokalkompakten Räume übertragen lässt. Dieses Verfahren heißt d​aher auch Alexandroff-Kompaktifizierung.[1]

Definition

Ein topologischer Raum heißt lokalkompakt, w​enn jede Umgebung e​ines jeden Punktes e​ine kompakte Umgebung enthält.

Folgende Definition für Lokalkompaktheit lässt s​ich in d​er Literatur ebenfalls finden:

Ein topologischer Raum heißt lokalkompakt, f​alls jeder Punkt e​ine Umgebungsbasis a​us kompakten Mengen besitzt.

Für Hausdorff-Räume s​ind beide Definitionen äquivalent, d​aher ist e​s dort ausreichend, für j​eden Punkt e​ine kompakte Umgebung z​u finden.

Folgerungen

Ein Hausdorff-Raum ist genau dann lokalkompakt, wenn die Alexandroff-Kompaktifizierung, die durch Hinzufügen eines einzigen unendlich fernen Punktes entsteht und stets kompakt (= quasikompakt in der Terminologie einiger Autoren, z. B. Bourbaki und Boto von Querenburg) ist, sogar Hausdorffsch ist.

Daraus erhält m​an folgende Charakterisierung:

Die lokalkompakten Hausdorff-Räume s​ind genau d​ie offenen Unterräume kompakter Hausdorff-Räume.

Hieraus folgt, d​ass jeder lokalkompakte Hausdorff-Raum vollständig regulär ist, d​enn jeder kompakte Hausdorff-Raum i​st normal u​nd damit gemäß d​em Lemma v​on Urysohn vollständig regulär, w​as sich i​m Gegensatz z​ur Normalität a​uf den Unterraum vererbt.

Jeder lokalkompakte Hausdorff-Raum i​st ein Baire-Raum, d​as heißt, d​er Durchschnitt abzählbar vieler offener, dichter Teilmengen i​st dicht.

Permanenz-Eigenschaften

  • Abgeschlossene Unterräume und offene Unterräume lokalkompakter Räume sind wieder lokalkompakt.
  • Endliche Produkte lokalkompakter Räume sind wieder lokalkompakt. Allgemeiner ist das Produkt einer beliebigen Familie topologischer Räume genau dann lokalkompakt, wenn alle beteiligten Räume lokalkompakt und höchstens endlich viele davon nicht kompakt sind.
  • Das Koprodukt einer beliebigen Familie lokalkompakter Räume ist lokalkompakt, genau dann, wenn alle beteiligten Räume lokalkompakt sind.[2]
  • Das Bild eines lokalkompakten Raumes unter einer stetigen, offenen und surjektiven Abbildung ist lokalkompakt.

Abzählbarkeit im Unendlichen

Ein lokalkompakter Raum heißt abzählbar im Unendlichen, wenn er durch abzählbar viele kompakte Teilmengen überdeckt wird. Dies ist gleichbedeutend dazu, dass der unendliche Punkt in der Alexandroff-Kompaktifizierung eine abzählbare Umgebungsbasis besitzt.

Beispiele

  • Jeder diskrete topologische Raum ist lokalkompakt.
  • Jeder kompakte Hausdorff-Raum ist lokalkompakt.
  • Endlichdimensionale reelle oder komplexe Vektorräume mit der Normtopologie sind lokalkompakt.
  • Umgekehrt ist ein unendlich dimensionaler reeller oder komplexer normierter Vektorraum niemals lokalkompakt.
  • Allgemeiner gilt: Ein mindestens eindimensionaler T₀ topologischer Vektorraum über einem bzgl. der durch die Addition induzierten uniformen Struktur vollständigen, nicht-diskreten topologischen Schiefkörper ist genau dann lokalkompakt, wenn er endlichdimensional und der Schiefkörper lokalkompakt ist.[3]
  • Da Lokalkompaktheit eine lokale Eigenschaft ist, sind alle (endlichdimensionalen) Mannigfaltigkeiten lokalkompakt.
  • Lokale Körper sind lokalkompakt, insbesondere die p-adischen Zahlen mit der Topologie, die durch den p-adischen Absolutbetrag definiert wird.
  • Die Menge der rationalen Zahlen, versehen mit dem Absolutbetrag, ist nicht lokalkompakt.

Lokalkompakte Gruppen

Für d​ie Theorie d​er topologische Gruppen s​ind die lokalkompakten besonders interessant, d​a man a​uf diesen Gruppen bezüglich e​ines Haar-Maßes integrieren kann. Dieses i​st eine Grundlage d​er harmonischen Analyse.

Verschwinden im Unendlichen

Ist eine reell- oder komplexwertige Funktion auf einem lokalkompakten Raum , so sagt man, verschwinde im Unendlichen, wenn außerhalb kompakter Mengen beliebig klein gemacht werden kann, d. h. wenn es zu jedem eine kompakte Menge gibt mit für alle . Ist die Funktion zudem stetig, so nennt man sie C0-Funktion.

Literatur

  • Johann Cigler, Hans-Christian Reichel: Topologie. Eine Grundvorlesung. Bibliographisches Institut, Mannheim u. a. 1978, ISBN 3-411-00121-6 (BI-Hochschultaschenbücher 121).
  • Wolfgang Franz: Topologie. Band 1: Allgemeine Topologie. 4. Auflage. de Gruyter, Berlin u. a. 1973, ISBN 3-11-004117-0 (Sammlung Göschen 6181).

Einzelnachweise

  1. Boto von Querenburg: Mengentheoretische Topologie. 3. neu bearbeitete und erweiterte Auflage. Springer-Verlag, Berlin u. a. 2001, ISBN 3-540-67790-9, S. 330.
  2. René Bartsch: Allgemeine Topologie. Walter de Gruyter GmbH & Co KG, 2015, ISBN 978-3-110-40618-4, S. 160 (eingeschränkte Vorschau in der Google-Buchsuche).
  3. Nicolas Bourbaki: V. Topological Vector Spaces (= Elements of Mathematics). Springer, Berlin 2003, ISBN 3-540-42338-9, I, S. 15 (Originaltitel: Éspaces vectoriels topologiques. Paris 1981. Übersetzt von H. G. Eggleston und S. Madan).
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