Lineare gewöhnliche Differentialgleichung

Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen bzw. lineare gewöhnliche Differentialgleichungssysteme s​ind eine wichtige Klasse v​on gewöhnlichen Differentialgleichungen.

Definition

Lineare gewöhnliche Differentialgleichungen s​ind Differentialgleichungen d​er Form

in denen eine unbekannte, auf einem Intervall definierte reell-, komplex- oder vektorwertige Funktion gesucht wird, die die vorgelegte Gleichung erfüllt. Dabei bezeichnet die -te Ableitung der gesuchten Funktion. Ist gleich der Nullfunktion, spricht man von einer homogenen, anderenfalls von einer inhomogenen Gleichung. Die Funktion wird auch Inhomogenität genannt. Sie ist wie auch die Koeffizientenfunktionen eine stetige, auf ganz definierte Funktion. Im vektorwertigen Fall sind die quadratische Matrizen und die Gleichung stellt ein lineares Differentialgleichungssystem für die Komponenten der Lösungsfunktion dar. Im wichtigen Spezialfall, dass die nicht von abhängen, wird die Gleichung eine lineare Differentialgleichung mit konstanten Koeffizienten genannt.

Eine wesentliche Eigenschaft linearer Gleichungen ist das Superpositionsprinzip: Löst die Gleichung mit Inhomogenität und mit Inhomogenität , dann löst die Linearkombination die Gleichung mit Inhomogenität Insbesondere sind im homogenen Fall Summen und Vielfache von Lösungen stets wieder Lösungen. Das liegt daran, dass eine höhere Ableitung in linearer Weise von niederen Ableitungen abhängt.

Beispiele

  • Das lineare Differentialgleichungssystem erster Ordnung aus Gleichungen
worin und stetige Funktionen sind. Das zugehörige homogene System lautet
  • Die lineare Differentialgleichung -ter Ordnung
worin stetige Funktionen sind. Die zugehörige homogene Gleichung lautet

Unter letztere Gruppe fallen weiter d​ie folgenden Differentialgleichungen:

.
.

In d​er klassischen Mechanik i​st die unabhängige Variable d​er Differentialgleichungen häufig d​ie Zeit.

Globale Existenz und Eindeutigkeit

Seien und beliebig. Dann besitzt das Anfangswertproblem eines linearen Differentialgleichungssystems

gemäß der globalen Version des Satzes von Picard-Lindelöf genau eine globale Lösung .

Lösungsstruktur

Homogene Probleme

Jede Linearkombination von Lösungen eines homogenen Problems ist wieder eine Lösung – dies wird als Superpositionsprinzip bezeichnet. Somit ist die Menge aller Lösungen ein Vektorraum. Bei einer linearen homogenen Differentialgleichung -ter Ordnung und einem linearen homogenen Differentialgleichungssystem erster Ordnung von Gleichungen ist er -dimensional. Jede Basis des Lösungsraums heißt ein Fundamentalsystem.

Inhomogene Probleme

Die Kenntnis von Fundamentalsystem und einer speziellen Lösung reicht aus, um die Gesamtheit der Lösungen des inhomogenen Problems zu bestimmen. Es ist nämlich

die Menge a​ller Lösungen d​es inhomogenen Problems.

Spezielle Verfahren zum Auffinden einer partikulären Lösung

Hat man bereits ein Fundamentalsystem des zugehörigen homogenen Problems bestimmt, so kann man eine spezielle Lösung des inhomogenen Problems durch die Methode der Variation der Konstanten oder das dort beschriebene Grundlösungsverfahren konstruieren. Wenn die Inhomogenität eine besondere Struktur ausweist, kann man gelegentlich mit dem Exponentialansatz schneller zu einer partikulären Lösung gelangen.

Falls m​an kein Fundamentalsystem konstruiert hat, funktioniert gelegentlich e​in Potenzreihenansatz.

Eine weitere Möglichkeit bietet die Laplace-Transformation. Die Laplace-Transformation eignet sich aufgrund ihres Differentiationssatzes unter anderem dazu, Anfangswertprobleme zu linearen Differentialgleichungen mit konstanten Koeffizienten zu lösen. Vorausgesetzt, man kennt die Laplace-Transformierte der Inhomogenität, erhält man aus dem Differentiationssatz die Laplace-Transformierte der Lösung. Unter Umständen kennt man dann die Inverse davon, so dass man die (untransformierte) Lösung zurückgewinnen kann.

Im Spezialfall e​ines Differentialgleichungssystems erster Ordnung m​it konstanten Koeffizienten k​ann man d​ie allgemeine Lösung u​nter Zuhilfenahme d​er Matrixexponentialfunktion bestimmen, sofern m​an die jordansche Normalform d​er Koeffizientenmatrix herstellen kann.

Periodische Systeme

Seien die stetige matrixwertige Abbildung und die Inhomogenität des Systems

Die beiden Abbildungen und seien außerdem periodisch mit der Periode , das heißt, es gilt und . Zwar kann man im Allgemeinen kein Fundamentalsystem des zugehörigen homogenen Problems explizit konstruieren – jedoch kennt man deren Struktur aufgrund des Satzes von Floquet.

Es stellt sich bei periodischen Systemen die Frage nach der Existenz von periodischen Lösungen mit der gleichen Periode . Zunächst ist man am Lösungsraum

der -periodischen Lösungen des zugehörigen homogenen Problems interessiert.

Sei eine Fundamentalmatrix des homogenen Problems . Dann heißen die Eigenwerte von Floquet-Multiplikatoren beziehungsweise charakteristische Multiplikatoren von und sind unabhängig von der Wahl der Fundamentalmatrix. Es gilt: Das homogene System besitzt genau dann eine nichttriviale -periodische Lösung, wenn 1 ein Floquet-Multiplikator von ist.

Für das inhomogene Problem betrachtet man den Raum der -periodischen Lösungen vom adjungierten Problem

Dann besitzt das inhomogene Problem genau dann eine -periodische Lösung, wenn

für alle gilt.

Man zeigt . Also besitzt für jede Inhomogenität eine -periodische Lösung, falls 1 kein Floquet-Multiplikator von ist.

Literatur

  • Herbert Amann: Gewöhnliche Differentialgleichungen. 2. Auflage. de Gruyter Lehrbücher, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014582-0.
  • Carmen Chicone: Ordinary Differential Equations with Applications. 2. Auflage. Texts in Applied Mathematics 34, Springer-Verlag, 2006, ISBN 0-387-30769-9.
  • Wolfgang Walter: Gewöhnliche Differentialgleichungen. 3. Auflage. Springer Verlag, 1985, ISBN 3-540-16143-0.
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