Kriminalgericht Moabit
In dem als Kriminalgericht Moabit bezeichneten Gebäudekomplex im Berliner Bezirk Mitte, Ortsteil Moabit, ist der überwiegende Teil der Berliner Strafgerichtsbarkeit untergebracht. Mit 340 Richtern und 360 Staatsanwälten ist es das größte Strafgericht Europas.[1]
Geschichte
Der ursprüngliche – nicht mehr erhaltene – Baukörper, das „alte“ Kriminalgericht, wurde zwischen 1877 und 1881 nach einem Entwurf von Heinrich Herrmann unter Mitwirkung von August Busse errichtet und kostete rund drei Millionen Mark (kaufkraftbereinigt in heutiger Währung: rund 23,4 Millionen Euro). Es wurde am 15. September 1881 seiner Bestimmung übergeben, um nach endgültiger Fertigstellung ab dem 6. Februar 1882 die umfängliche Nutzung zu ermöglichen.[2] Es befand sich in der Rathenower Straße an der Ecke zur Straße Alt-Moabit. Im Zweiten Weltkrieg zerstört, wurden die Reste 1953 beseitigt.[3]
Der heutige Bau A wurde 1902–1906 als „neues“ Kriminalgericht an der Turmstraße hinter dem Gefängnis errichtet und nimmt ein ganzes Häusergeviert ein. Der Geheime Oberbaurat Paul Thoemer und der Landesbauinspektor Jean Fasquel schufen die Baupläne,[4] Rudolf Mönnich und Carl Vohl leiteten die Bauarbeiten.[5]
In der wilhelminischen Epoche wurde ein monumentaler Bau mit 21 Gerichtssälen für die Berliner Justiz erbaut. Sowohl die Angeklagten wie auch die Besucher des Gebäudes sollten durch eine wuchtige Eingangshalle mit geschwungenen Treppen von der Architektur beeindruckt werden. Die Untersuchungsgefangenen werden allerdings über versteckte Gänge und Treppen zum Gerichtssaal gebracht. Dadurch sollte der Kontakt zu Zeugen verringert und die unfreiwillige Zusammenkunft mit Publikum verhindert werden.[6]
Architektur
Technisch war der neobarocke Bau zu seiner Errichtung im Jahr 1906 hochmodern: Das monumentale Bauensemble der preußischen Bauverwaltung war das erste elektrisch beleuchtete Gebäude Berlins. Es besaß bei seiner Fertigstellung ein eigenes Kraftwerk, Lasten- und Personenaufzüge, Zentralheizung, eine eigene Telefonanlage und eigene Wasserversorgung mit Wasserturm. Hervorzuheben ist auch das einmalige Gänge- und Lüftungssystem, das es ermöglicht, die Angeklagten nichtöffentlich zu den Gerichtssälen zu führen. Der wegen seiner monumentalen Architektur als Zeichen des Wilhelminismus geltende Bau wurde vom leitenden Staatsanwalt im Jahr 2000 als „kaiserlicher Faustschlag ins Gesicht der Moabiter Arbeiterklasse“ kritisiert.[7]
In der Turmstraße, direkt über dem Haupttor im Schild ist die Göttin Justitia als Sandsteinskulptur zu sehen. Eine weitere Justitia wurde am inneren Torbogen der Mittelhalle platziert, Zeigefinger und Mittelfinger der rechten Hand sind zum Schwur erhoben: „Die Wahrheit weist den Eintretenden den Weg“.[5]
Die beiden Türme erreichen eine Höhe von 60 Metern. Die Straßenfront entlang der Turmstraße beträgt 210 Meter. Auf Grund der zunehmenden Aufgaben der Berliner Justiz und der Nähe der JVA wurden seit den 1950er Jahren die weiteren Gebäudeteile B bis E entlang der Wilsnacker Straße in moderner und sachlicher Architektur an das ursprüngliche Gebäude angefügt. Der Gesamtkomplex umfasst im 21. Jahrhundert über zwölf Innenhöfe, darunter den „Galgenhof“, und 17 Treppenhäuser.
Im Hof C des Neuen Kriminalgerichts gibt es die Inschrift „Die Sonne bringt es an den Tag“, eine exakte Deutung findet sich (bisher) nicht. Sie soll auf ein von Adelbert von Chamisso veröffentlichtes Märchen aus der Sammlung der Brüder Grimm 1827 zurückzuführen sein.[5]
- Turmstraße, Kriminalgericht Moabit
- Eingangsportal
- Allegorische Figuren
- Innenbereich
- Deckengewölbe
Einrichtungen
Die Bezeichnung „Kriminalgericht“ bezieht sich nur auf das Gebäude, eine juristische Instanz dieses Namens gibt es nicht. Im Gebäude residieren diejenigen für ganz Berlin zuständigen Strafabteilungen einschließlich der Jugendstrafabteilungen des Amtsgerichtes Tiergarten, die sich nicht im Gebäude Kirchstraße 6 befinden. Weiterhin sind in dem Gebäude die Strafkammern des Landgerichts Berlin und ein Großteil der Staatsanwaltschaft Berlin ansässig. Die gemeinsame Adresse ist Turmstraße 91, 10559 Berlin. Hinter dem ausgedehnten Gebäudekomplex des Gerichts schließt sich die Untersuchungshaftanstalt Moabit mit der Postanschrift Alt-Moabit 12a, 10559 Berlin, an.
In dem einst für 900 Beschäftigte errichteten Gebäudekomplex (ohne die Gebäude in der Kirchstraße 6) arbeiten heute rund 2000 Personen, darunter gut 240 Richter, 80 Rechtspfleger und 300 Staatsanwälte. Es sind rund 1300 Untersuchungshäftlinge aus 80 Nationen untergebracht, und es kommen täglich 2000 Besucher, Zeugen und „Prozessbeteiligte“.
In Moabit gehen im Jahr etwa 60.000 neue Strafverfahren ein, hinzu kommen rund 100.000 Vorgänge von „sonstigem Geschäftsanfall“ wie Strafbefehle und Vollstreckungen, und etwa 24.000 Bußgeldsachen.[8] Im Keller werden auf 2500 Quadratmetern in 30 Räumen die Asservate verwahrt. Etwa 20.000 Verwahrstücke kommen jährlich hinzu und etwa 19.000 Asservate verlassen pro Jahr in der wöchentlichen Auktion die Räume, nachdem sich ihr Zweck erfüllt hat.
Die Einrichtung gilt als unterfinanziert, ihre Ausstattung als veraltet.[1]
Prozesse (Auswahl)
Zu den bekanntesten im Kriminalgericht Moabit verhandelten Fällen gehören:
- der Prozess des Hauptmanns von Köpenick,
- der Caro-Petschek-Prozess, einer der aufwändigsten Strafprozesse während der Weimarer Zeit
- der Prozess des Kaufhauserpressers Arno Funke alias Dagobert,
- die Prozesse der Attentate auf die Diskothek La Belle und
- auf das Restaurant Mykonos sowie
- der Prozess gegen Mitglieder des Zentralkomitees der SED, insbesondere dessen Generalsekretär Erich Honecker und den früheren DDR-Minister für Staatssicherheit Erich Mielke.
Literatur
- Herrmann: Das Criminalgerichts-Etablissement zu Berlin im Stadttheile Moabit. In: Zeitschrift für Bauwesen. Jg. 35 (1885), Sp. 15–28, 521–536, Tafeln 19–25, 62–65. Digitalisat im Bestand der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.
- Carl Vohl: Das neue Kriminalgericht in Berlin-Moabit. In: Zeitschrift für Bauwesen. Jg. 58 (1908), Sp. 329–360, 547–574, Tafeln 38–44. Digitalisat im Bestand der Zentral- und Landesbibliothek Berlin.
- Alois Wosnitzka (Hrsg.): Das Neue Kriminalgericht in Moabit. Festschrift zum 100. Geburtstag am 17. April 2006. Berlin, 2006. (184 S. mit 34 S/W-Abbildungen)
- Die Strafkolonie von Moabit. In: Die Zeit, Nr. 37/2000
- Die im Bau begriffenen Gerichtsbauten in Berlin und in den Vororten (Schluss der mehrteiligen Serie). In: Zentralblatt der Bauverwaltung, 14. Oktober 1903.
Weblinks
- Eintrag in der Berliner Landesdenkmalliste mit weiteren Informationen
- Allgemeine Informationen über das Amtsgericht Tiergarten
- Allgemeine Informationen über das Landgericht
- Recht sprechen am Rande des Nervenzusammenbruchs. Reportage bei: Spiegel TV
- Originale Zeitungsberichte 1885–2006 (Memento vom 9. Januar 2010 im Internet Archive)
Einzelnachweise
- Sven Böll: Unser schwacher Staat. In: Der Spiegel. Nr. 28, 2017, S. 42–44 (online).
- Das neue Criminalgericht in Berlin-Moabit. In: Anzeiger zum Centralblatt der Bauverwaltung, 18. Februar 1882, S. 56 und 57, abgerufen am 8. Dezember 2012.
- Kathrin Chod, Herbert Schwenk, Hainer Weisspflug: Kriminalgericht Moabit. In: Hans-Jürgen Mende, Kurt Wernicke (Hrsg.): Berliner Bezirkslexikon, Mitte. Luisenstädtischer Bildungsverein. Haude und Spener / Edition Luisenstadt, Berlin 2003, ISBN 3-89542-111-1 (luise-berlin.de – Stand 7. Oktober 2009).
- Zur Geschichte des Amtsgerichts Tiergarten. berlin.de; abgerufen am 6. Februar 2018.
- Alois Wosnitza (Hrsg.): Das Neue Kriminalgericht in Moabit. Festschrift zum 100. Geburtstag. Berliner Wissenschafts-Verlag, 2006, ISBN 978-3-8305-1176-2.
- Die im Bau begriffenen Gerichtsbauten in Berlin und den Vororten mit Lageplänen (Grundrissskizzen), Ansichtszeichnungen und kurzen Texten. In: Zentralblatt der Bauverwaltung, 29. August 1903, S. 429 ff.
- Die Strafkolonie von Moabit. In: Die Zeit, Nr. 37/2000
- Berliner Woche, 24. Februar 2010, S. 8.