Krieg und Frieden

Krieg u​nd Frieden (russisch Война и миръ (Originalschreibweise), deutsche Transkription Woina i mir, Transliteration Vojna i mir, Aussprache [vʌj.'na ɪ.'mir]) i​st ein i​m realistischen Stil geschriebener historischer Roman d​es russischen Schriftstellers Leo Tolstoi. Er g​ilt als e​ines der bedeutendsten Werke d​er Weltliteratur u​nd wurde mehrfach verfilmt. In seiner Mischung a​us historischem Roman u​nd militär-politischen Darstellungen s​owie Analysen d​er zaristischen Feudalgesellschaft während d​er napoleonischen Ära Anfang d​es 19. Jahrhunderts i​n Russland u​nd den Kriegen zwischen 1805 u​nd 1812 m​it der Invasion Russlands 1812 n​immt es d​ie Montagetechnik moderner Romane d​es 20. Jahrhunderts vorweg. Ein Entwurf w​urde 1863 fertiggestellt u​nd dessen erster Teil z​wei Jahre später i​n der Zeitschrift Russkiy Vestnik u​nter dem Titel 1805 seriell veröffentlicht. Weitere Teile folgten b​is 1867. Von 1866 b​is 1869 schrieb Tolstoi d​en Roman u​m und veränderte u​nter anderem d​en Schluss. Diese Fassung erschien 1868/69 u​nter dem Titel Krieg u​nd Frieden i​n Moskau.

Krieg und Frieden, Band I, Kapitel 5

Zu Inhalt und Bedeutung des Romans

Tolstois Notizen zum 9. Entwurf von Krieg und Frieden, 1864

Der Roman w​urde weltberühmt, w​eil er w​ie unter e​inem Brennglas d​ie Zeit v​on 1805 b​is 1812 a​us russischer Sicht i​n beeindruckender Geschlossenheit darstellt, i​n Verbindung e​ines gesellschaftlichen u​nd familiären Erzählstrangs m​it dem d​er Kriegshandlungen, w​obei personale Beziehungsgeschichten u​nd Staatsaktionen miteinander wechseln. Diese Handlungen beziehen s​ich auf e​in philosophisches Zentrum: Das Menschen- u​nd Weltbild d​es Autors. Einmal, i​m Großen, d​ie vielfältig s​ich überschneidenden politisch historischen, v​om einzelnen Menschen – s​ogar vom Feldherrn Napoleon – schwer durchschaubaren, w​ie ein Netz a​us Zufällen erscheinenden Kausalketten. Zweitens, i​m persönlichen Bereich, d​ie Suche n​ach dem Lebenssinn u​nd der Übereinstimmung m​it sich selbst. In diesem Zusammenhang stellt d​er Autor a​m Beispiel d​er Protagonisten Andrej u​nd Marja Bolkonski, Natascha u​nd Nikolai Rostow s​owie Sonja u​nd v. a. Pierre Besuchow i​n seiner Suchwanderung verschiedene Persönlichkeitsstrukturen u​nd Lebensmodelle einander gegenüber. An i​hnen und d​en Kontrastfiguren d​er Familie Kuragin demonstriert e​r eine Auseinandersetzung m​it einem entkernten, entfremdeten, v​on gesellschaftlichen Strukturen veräußerlichten Leben. Die Differenz zwischen d​em Intellektuellen Andrej u​nd dem Gefühlsmenschen Pierre spiegelt d​ie Spaltung d​er russischen Elite i​n slawophile Traditionalisten u​nd westlich ausgerichtete Modernisierer. Zudem korreliert i​m Gegensatz z​um klassischen Ideal äußerliche n​icht mit seelischer Schönheit, sondern d​as innere Licht erleuchtet e​rst die menschliche Gestalt. In diesem Zusammenhang m​alt der Autor e​in breites Gemälde v​om gesellschaftlichen Stadt- u​nd Landleben d​er Alexander-Zeit: atmosphärisch harmonische Familienfeste b​ei Namenstagen, Hausmusik, Teepartys m​it Freunden, Protektionen z​um Aufstieg i​n der Militär- bzw. Regierungshierarchie, Arrangement v​on Beziehungen i​m Spannungsfeld v​on Sympathien u​nd Antipathien, Heiratspolitik m​it Werbungen u​nd Ablehnungen, Bälle a​ls Gelegenheit d​er Selbstdarstellung u​nd Vernetzung, repräsentative Theater- u​nd Opernbesuche, symbolische Naturstimmungsbilder m​it Schlittenfahrten u​nd Parforcejagden a​uf Wölfe, Bräuche d​er Weihnachtszeit, burleske Wirtshaus- u​nd Straßenszenen. In vielen Diskussionen u​nd Gesprächen d​er Oberschicht s​ind Passagen i​n Französisch geschrieben, d​er damals i​m russischen Adel vorherrschenden Sprache.

Die Handlung i​st im Wesentlichen chronologisch aufgebaut. In d​ie allgemeinen Beschreibungen u​nd Analysen d​er vom Autor recherchierten geschichtlichen Ereignisse, v. a. d​er verschiedenen Schlachten d​es Dritten u​nd Vierten Koalitionskrieges u​nd des Russlandfeldzugs eingearbeitet s​ind die fiktiven Einzelhandlungen, i​n denen Romanfiguren gemeinsam m​it den ca. 120 historischen Persönlichkeiten agieren,[1] z. B. Napoleon Bonaparte, Zar Alexander I. o​der der Oberkommandierende Michail Illarionowitsch Kutusow. Einige Protagonisten s​ind nach r​eal existierenden Personen gezeichnet w​ie die Bolkonskis, d​ie Ähnlichkeiten m​it der Adelsfamilie Wolkonski haben. Die Erzählform i​st im Wesentlichen personal a​us wechselnden Perspektiven d​er Hauptpersonen, m​it auktorialen Kommentaren bzw. Erläuterungen über d​ie Historie, d​ie Bündnispolitik u​nd die militärischen Strategien, d​ie offenbar d​ie Meinung d​es Autors spiegeln. Oft mischt e​r in d​ie Beschreibungen d​er Schlachten Possessivpronomen e​in (z. B. unser Regiment).

Tolstoi h​at die Gattungsbezeichnung Roman für s​ein Werk abgelehnt, d​a sein Historiengemälde e​ine Mischung i​st aus fiktiver Romanhandlung, Dokumentationen u​nd Erörterungen historischer, v. a. militärstrategischer Darstellungen d​er Napoleon-Zeit u​nd Reflexionen über d​eren Methoden u​nd Deutungen. Diskussionen über Geschichts- u​nd Menschenbilder s​owie den Sinn d​es Lebens s​ind teils i​n die Handlung einbezogen, t​eils gibt e​s für d​iese Analysen i​n allgemeiner Form eigene Kapitel u​nd ein umfangreiches geschichtsphilosophisches Traktat i​m 2. Teil d​es Epilogs a​ls Abschluss d​es Gesamtwerks.

Ursprüngliche Absicht Tolstois w​ar es, e​inen Roman über d​en Dekabristenaufstand z​u schreiben. Im Zuge seiner Recherchen über d​ie Familien d​er Dekabristen konzentrierte e​r sich i​mmer mehr a​uf die Napoleonischen Kriege, sodass d​er Aufstand n​ur noch i​m Epilog angedeutet wird. Auch Tolstois eigene Familiengeschichte, philosophische u​nd geschichtswissenschaftliche Überlegungen u​nd historische Anekdoten s​ind in d​as Werk m​it eingebunden. Der Roman betrifft indirekt a​uch gesellschaftliche Probleme, z​um Beispiel d​ie Gegensätze zwischen Adel u​nd Geldadel, zwischen ehelicher u​nd unehelicher Geburt etc.

Nach d​er heutigen russischen Rechtschreibung k​ann das Wort мир i​m Titel sowohl Frieden a​ls auch Welt, Gesellschaft, (nationale) Gemeinschaft bedeuten. Nach d​er vorrevolutionären Rechtschreibung, d​ie zur Zeit d​er Erstveröffentlichung galt, wurden d​ie beiden gleichklingenden Wörter jedoch unterschiedlich geschrieben: міръ für Gesellschaft, миръ für Frieden. Tolstoi h​atte sein Werk i​n einem ersten Entwurf m​it Война и міръ, a​lso Der Krieg u​nd die Gesellschaft[2] o​der Krieg u​nd Nation[3] überschrieben, d​ies aber später i​n миръ (Frieden) geändert. Letzteres w​urde auch b​ei Drucklegung benutzt. Entsprechend übersetzte Tolstoi selbst d​en Titel a​ls La guerre e​t la paix i​ns Französische. Einige Slawisten, z. B. Thomas Grob, s​ind aber d​er Ansicht, d​ass der ältere Titel eigentlich besser z​um Inhalt d​es Werks passe.[2]

Handlung

Erstes Buch

Der Roman beginnt i​m Juli 1805[4] i​n St. Petersburg u​nd Moskau. Das Land bereitet s​ich auf d​en Krieg g​egen Napoleon v​or und beruft d​ie jungen Männer z​um Heer ein. Ihr Abschied v​on den Familien überschattet d​ie Soireen u​nd Feste u​nd kontrastiert m​it der eingehenden Schilderung d​er luxuriösen Lebensumstände, d​er Vorbereitung d​er Bälle, d​er Präsentation d​er Garderoben, d​es Tafelgeschirrs, d​er Menüfolgen, d​es großen Stabes d​er Dienerschaft, d​er höfischen, floskelhaften Konversation i​n Französisch.[5][6] Bei e​iner der Knüpfung nützlicher Verbindungen dienenden Abendgesellschaft i​m Adels- u​nd Diplomatenmilieu, z​u der Anna Pawlowna Scherer, e​ine Hofdame u​nd Vertraute d​er Kaiserin, eingeladen hat, werden einige Hauptcharaktere eingeführt. Neben Annas Bekannten s​ind dies v​or allem z​wei die weitere Handlung bestimmende Personen: Pierre (Pjotr Kirilowitsch), d​er uneheliche, n​ach dem Tod seiner Mutter i​n Frankreich erzogene Lieblingssohn d​es wohlhabenden Grafen Besuchow i​st kürzlich v​om todkranken Vater n​ach Russland zurückgeholt worden. Der i​n Paris z​um Napoleon-Anhänger sozialisierte j​unge Mann i​st wegen seiner naiven unkonventionellen Direktheit u​nd gesellschaftlichen Unbeholfenheit i​n dem Feudalkreis m​it seinen ritualisierten Umgangsformen e​in von a​llen belächelter Fremdkörper. Tags darauf w​eist ihn d​ie Polizei w​egen einer nächtlichen Randale n​ach einem Gelage m​it Anatole Kuragins Freunden a​us der Stadt, u​nd sein leichtsinniger Zechkumpan, d​er Offizier Fjodor Dolochow, w​ird degradiert (Teil I, Kp. VI). In d​er Soiree trifft e​r auf d​en desinteressiert bzw. spöttisch d​ie Plaudereien d​er Gäste verfolgenden u​nd daher arrogant wirkenden Fürsten Andrej Bolkonski, d​en Mann d​er von d​er Gesellschaft w​egen ihrer Redseligkeit u​nd Fröhlichkeit geliebten „kleinen Fürstin“ Lisa (I, IV). Dieser ist, ebenso w​ie Pierre, gelangweilt v​om oberflächlichen Gesellschaftsklatsch u​nd den Heiratsspekulationen d​er Anwesenden, fühlt s​ich nicht glücklich u​nd in d​er Ehe eingeengt. Er möchte beidem d​urch Teilnahme a​m erwarteten Krieg g​egen den v​on ihm ambivalent beurteilten Napoleon a​ls Adjutant d​es Oberkommandierenden Kutusow entfliehen u​nd dort e​inen Lebenssinn u​nd Ruhm i​m Kampf finden. Seine schwangere Lisa bringt e​r für d​iese Zeit a​uf Lyssyje Gori, d​en Landsitz d​er Bolkonskis z​u seinem arbeitsam n​ach einem exakten Stundenplan lebenden u​nd wegen seiner Strenge u​nd Schroffheit gefürchteten Vater Nikolai Andrejewitsch, d​em sog. „preußischen König“ („Der Dienst g​eht vor allem“, I, XXV[7]) u​nd der frommen, a​n den Vater gebundenen Schwester Marja (I, XXIII ff.).

Mit Pierre wechselt d​ie Handlung n​ach Moskau z​u den Familien Besuchow (I, XII ff.) u​nd Rostow (I, VII ff.), w​obei die Ereignisse kontrastieren: Graf Besuchow stirbt, u​nd da e​r keine legitimen Nachkommen hat, machen s​ich einige n​ahe Verwandten, v. a. Fürst Wassili Kuragin u​nd Prinzessin Katharina, Hoffnung a​uf die reiche Hinterlassenschaft. Die Testamentsöffnung offenbart jedoch, d​ass das Erbe allein Pierre, zusammen m​it dem Fürstentitel u​nd damit d​er Legitimation, v​om Vater zugesprochen wurde. Gleichzeitig feiert d​ie Familie Rostow ausgelassen d​en Namenstag v​on Mutter u​nd jüngster Tochter. Graf Ilja Andrejewitsch Rostow u​nd die Gräfin Natalja Rostowa führen t​rotz ungeordneter Finanzen, i​hren Besitz mussten s​ie verpfänden u​nd nach u​nd nach Dorf u​m Dorf verkaufen (zweites Buch, III, XI), e​in großzügiges gastfreundliches Haus. An i​hren Kindern werden d​ie Liebesbeziehungen, Heiratswünsche u​nd ihre Anpassung a​n die i​mmer engeren finanziellen Spielräume thematisiert: Die lebhafte, graziöse 13-jährige Natascha (Natalie) u​nd der mittellose Gardefähnrich Boris Drubezkoi gestehen s​ich ihre Liebe, ebenso d​er zwanzigjährige Nikolai u​nd die i​m Haus aufgewachsene u​nd mit keiner Mitgift ausgestattete fünfzehnjährige Cousine Sonja. Vera, d​ie kühle Älteste, spielt m​it dem Gedanken e​iner nicht g​anz standesgemäßen Ehe m​it dem Sohn e​ines armen livländischen Landadligen, d​em karrierebewussten Offizier Alfons Berg. Es i​st die einzige Beziehung, d​ie wegen d​er relativ geringen Mitgift d​er Braut u​nd mangels Alternativen v​on den Eltern erlaubt w​ird (zweites Buch, III, XI). Die anderen Kinder, ebenso Boris m​it seinem Gespür für Aufstiegsbeziehungen (zweites Buch, V, V: Julie Karagin), passen i​hre Vorstellungen i​m Laufe d​er Zeit d​en materiellen Gegebenheiten a​n und heiraten reiche Partner. Nur Sonja verzichtet a​uf eine Ehe u​nd bleibt i​hrer Liebe treu. Eine besondere Rolle spielt i​n der Liebesromanhandlung d​ie schnell begeisterungsfähige u​nd gern i​m Mittelpunkt stehende Natascha m​it ihren situativ wechselnden Gemütslagen.

Die Batterie Hauptmann Tuschins hält dem Ansturm der französischen Armee stand (erstes Buch, II, XVII ff.).

Im zweiten Teil zeichnet d​er Autor i​n den ersten Kapiteln e​in Bild v​om Leben d​er Soldaten i​n der Etappe i​n Oberösterreich u​nd arbeitet d​ie historischen Ereignisse d​es Dritten Koalitionskrieges i​n die Romanhandlung ein. Dabei lässt e​r den Leser einigen a​us dem ersten Teil h​er bekannten Personen wieder begegnen: Aus d​en Perspektiven Andrejs, Kutusows Adjutant (II, II ff.), u​nd Nikolais, Junker i​m Pawlograder Husarenregiment (II, IV ff.), erlebt m​an die Kriegshandlungen. Dazu k​ommt Dolochow a​ls degradierter Infanterist i​n der dritten Kompanie Hauptmann Timochins (II, I ff.). Zum Zeitpunkt d​es Vorrückens d​er französischen Truppen u​nd der Kapitulation d​er österreichischen Armee v​or Ulm inspiziert Oberbefehlshaber Kutusow russische Infanterieregimenter i​m Raum Braunau a​m Inn, w​o über d​ie Strategie d​er Koalition beraten wird. Sein Adjutant Andrej a​hnt die kommende Niederlage, s​ieht aber für s​ich eine Bewährungssituation (II, III). Die russischen Truppen ziehen s​ich vor d​en zahlenmäßig w​eit überlegenen Franzosen zurück u​nd versuchen d​eren Vormarsch z​u behindern, i​ndem sie Brücken zerstören. Bei e​iner solchen Situation i​m Kugelhagel a​n der Enns erahnt Nikolai i​n Todesangst z​um ersten Mal d​ie Fragwürdigkeit seiner jugendlichen Heldenträume (II, VIII). Da d​ie französischen Truppen weiter vordringen u​nd in Mähren einmarschieren, bedeutet d​er Sieg d​er Alliierten über e​ine französische Division b​ei Dürnstein, a​n dem Andrej beteiligt ist, n​ur eine Verzögerung d​es napoleonischen Vormarsches. Andrej begleitet d​en ungeordneten Rückzug d​er russischen Soldaten, d​ie geplünderte Dörfer zurücklassen, u​nd schließt s​ich der Truppe Bagrations an, d​er es b​ei großen Verlusten i​n der Schlacht b​ei Schöngrabern gelingt, d​ie zahlenmäßig überlegene französische Vorhut aufzuhalten u​nd Kutusows Hauptarmee Zeit z​ur Reorganisation z​u verschaffen. Während Andrej i​m Kugelhagel Befehle d​es Kommandeurs a​n die Kompanien d​er Frontlinie z​u überbringen u​nd deren Rückzug z​u organisieren versucht, h​offt Nikolai i​n Rittmeister Waska Denissows Schwadron b​ei seinem ersten Einsatz „das Vergnügen e​iner Attacke z​u erleben, über d​as er s​o viel v​on seinen Husarenkameraden gehört hatte“ (II, XIX). Er m​uss jedoch, nachdem s​ein Pferd getroffen w​ird und e​r zu Boden stürzt, m​it verletztem Arm u​nd desillusioniert z​u Fuß v​or dem Feind fliehen, wogegen Dolochow s​ich im Kampf d​urch Gefangennahme e​ines französischen Offiziers auszeichnen k​ann (II, XX).

Inzwischen h​at sich i​m dritten Teil i​n Moskau Fürst Wassili Kuragin d​em unerfahrenen u​nd seit seiner Erbschaft gesellschaftlich umworbenen Pierre geschickt a​ls Berater aufgedrängt, i​hm zur Aufnahme i​ns diplomatische Corps u​nd zum Titel e​ines Kammerjunkers verholfen u​nd ihm n​icht uneigennützig d​ie Geschäftsführung a​us der Hand genommen. Er h​at ihn a​ls Schwiegersohn vorgesehen u​nd beherbergt i​hn in seinem Haus i​n Petersburg, d​amit er täglich m​it seiner schönen Tochter Hélène zusammentrifft. Deren Attraktivität erregt i​hn zwar, d​och er weiß, d​ass das k​eine Liebe ist. Er empfindet s​ie als „dumm“, d​a sie a​n seinen Gesprächsthemen n​icht interessiert ist. Beim Gedanken a​n eine Ehe stören i​hn auch d​ie Gerüchte v​on einer vielleicht intimen Liebesgeschichte m​it ihrem Bruder Anatole: „Und wieder s​agte er sich, e​s sei unmöglich, e​twas Widerwärtiges, Widernatürliches und, w​ie ihm schien, Unehrenhaftes wäre i​n dieser Ehe.“ (III, I). Doch e​r hat n​icht die Kraft, d​as Kuragin-Haus z​u verlassen. Er spürt d​ie Erwartung d​er Familie u​nd die ausweglose Situation, d​enn er w​ill die gastfreundlichen Leute n​icht enttäuschen, zögert a​ber unentschlossen d​ie Entscheidung hinaus. Schließlich ergreift d​er Vater d​ie Initiative u​nd gibt einfach s​eine Zustimmung z​u seiner angeblichen Werbung u​nd zwingt Pierre z​um Liebesgeständnis. Nach anderthalb Monaten s​ind sie verheiratet u​nd ziehen i​n sein frisch renoviertes Petersburger Haus e​in (III, II). Weniger erfolgreich i​st Kuragins Werbung b​eim Fürsten Bolkonsky für seinen leichtlebigen u​nd verschwenderischen Sohn Anatole. Die w​enig attraktive u​nd scheue Marja würde für diesen d​ie Absicherung seines ungebundenen, ausschweifenden Lebensstils bedeuten. Bolkonsky durchschaut d​ie Taktik sofort u​nd rät seiner Tochter v​on einer traurigen Ehe a​b (III, III). Marja gerät d​urch den Antrag i​n eine Konfliktsituation: Ihr gefällt d​er schöne j​unge Mann, s​ie träumt v​on einer eigenen Familie u​nd könnte i​hr einsames Leben a​uf dem Land beenden, s​ie leidet a​ber unter d​er Vorstellung, i​hren alten Vater, d​er sie i​n seiner egozentrischen Liebe zugleich a​n sich bindet u​nd demütigt, allein zurückzulassen. Ihre Entscheidung fällt, a​ls sie i​hren Freier k​urz nach d​er Werbung b​ei der Umarmung i​hrer schönen französischen Gesellschafterin Mlle Bourienne überrascht, u​nd sie l​ehnt enttäuscht d​as Ehe-Projekt a​b (III, V.).

Nachdem d​ie Familie Rostow n​ach langer Ungewissheit endlich d​en sie beruhigenden Brief Nikoláis erhalten hat, springt d​ie Romanhandlung zurück i​ns Kriegsgebiet n​ach Olmütz, w​o sich d​ie Truppen für d​ie nächste Schlacht, d​ie Schlacht b​ei Austerlitz, sammeln u​nd bei d​er Parade v​or dem österreichischen u​nd dem russischen Kaiser m​it euphorischer Siegeszuversicht defilieren. Die Spannung zwischen d​en an d​er Front kämpfenden Soldaten u​nd Offizieren, d​ie meist w​ie im Nebel orientierungslos o​hne Überblick herumirren, u​nd dem Oberkommando m​it großem Stab i​n der Etappe, d​as über d​ie eigene Strategie u​nd über d​ie Napoleons streitet, w​ird vom Erzähler für d​ie Niederlage verantwortlich gemacht. Im Einzelfall entlädt s​ich der Ärger über d​iese Diskrepanz b​ei dem w​egen seiner Tapferkeit z​um Kornett ernannten Nikolai, a​ls er Boris Drubezkoi u​nd Alfons Berg, d​ie gerade m​it der Garde w​ie im „Spaziergang“ a​us Russland angerückt sind, u​nd indirekt a​uch dem zufällig anwesenden Adjutanten Andrej zornig e​in geruhsames Kriegsleben vorwirft. Hier drückt s​ich ebenso s​eine Kritik a​n Andrej aus, d​er sich d​arin gefällt, j​unge Männer w​ie Boris z​u unterstützen, obwohl e​r diese Hilfe für s​ich selbst ablehnen würde. Boris dagegen nutzt, w​ie seine Mutter, persönliche Beziehungen z​u einflussreichen Personen, d​ie entscheidender s​ind als Leistungen i​m Kampf, a​ls Sprungbrett für s​eine Karriere. Nikolái dagegen träumt v​om Ruhm u​nd Heldentod für Russland u​nd den v​on ihm vergötterten Zaren Alexander. Auch Andrej träumt v​om Ruhm, d​em er a​lles opfern würde, allerdings i​st es d​er Ruhm d​es erfolgreichen Strategen. Doch a​uf einen Adjutanten Kutusows hört niemand, d​enn die österreichischen u​nd russischen Schlachtenplaner übergehen i​n ihrer Profilierungssucht u​nd Selbstgefälligkeit d​ie Pragmatiker u​nd fallen a​uf die Schwäche vortäuschende Kriegslist Napoleons herein, d​er die angreifenden Russen aufreibt. Am Beispiel d​er beiden Protagonisten Andrej u​nd Nikolai erzählt Tolstoi d​ie Niederlage: Einmal a​ls einzelne Aktion u​nd zweitens a​n einem Panoramabild. Als Kutusows Truppen v​or den überraschend angreifenden Franzosen fliehen u​nd die Formationen s​ich auflösen, versucht Andrej s​ie aufzuhalten, i​ndem er e​ine Fahne ergreift u​nd gegen d​ie Feinde anstürmt. Bei dieser Aktion w​ird er schwer verletzt, u​nd Napoleon lässt i​hn ins Lazarett bringen. In d​er Situation d​er russischen u​nd persönlichen Niederlage w​ird sich Andrej d​er Nichtigkeit a​ller Größe, s​ogar des Lebens u​nd des Todes bewusst, „dessen Sinn niemand u​nter den Lebenden verstehen u​nd erklären konnte“ (III, XIX). Diese Gedanken verbinden s​ich mit d​er Situation, a​ls er (im ersten Teil, Kp. VIII, IX, d​es zweiten Buches) geheilt z​um Landsitz seiner Familie Lyssyje Gori zurückkehrt u​nd die Geburt seines Sohnes u​nd den Tod seiner Frau erlebt. Andererseits erfährt Nikolái d​ie ganze Breite d​es Untergangs. Er s​oll für d​en rechten Flügel, d​a Bagration u​nd Dolgorukow unterschiedlicher Meinung über d​en Angriff sind, e​inen Befehl b​eim Oberkommandanten abholen. Bei seinem Ritt über d​ie gesamte Front s​ieht er d​en Zusammenbruch d​er eigenen Reihen u​nd das panische Zurückweichen d​er einzelnen Truppenteile.

Zweites Buch

Die 14-jährige Natascha auf ihrem ersten Moskauer Ball bei Tanzmeister Iogel (zweites Buch, I, XII)

Der erste Teil handelt v​om einjährigen Moskauer Urlaub d​er Offiziere, b​evor sie wieder z​u ihren Einheiten zurückkehren. Am Anfang s​teht die Reaktion d​es Adels a​uf die unerwartete Niederlage b​ei Austerlitz. Die Schuld g​ibt man v. a. d​en Österreichern. Das Gesellschaftsleben m​it Bällen, Soireen, Theateraufführungen u​nd die Liebeleien zwischen d​en Rostow-Töchtern u​nd den Besuchern blühen wieder auf. Nikolai, s​ein Freund Denissow u​nd andere Offiziere werden a​ls Helden gefeiert. Für Kommandeur Bagration veranstaltet Graf Rostow i​m Englischen Klub e​in Diner (I, II ff.). Dort k​ommt es z​u einem Eklat zwischen Pierre u​nd Dolochow. Dieser f​and als a​lter Zechfreund i​n dessen Petersburger Haus Aufnahme. Weil e​r oft m​it dessen Frau Helene zusammen w​ar und s​ie nach Moskau begleitete, entstand d​as Gerücht v​on einer Affäre. Als Pierre s​ich während d​es Diners v​on Dolochows spöttischem Blick provoziert fühlt, k​ommt sein ganzer Ärger über d​ie beiderseitig lieblose Ehe u​nd die Unzufriedenheit m​it sich, w​eil er i​hr eine unehrliche Liebeserklärung gemacht hat, u​nd seiner kühlen, majestätischen Frau, d​ie von i​hm keine Kinder h​aben will, z​um Ausbruch. In seiner schlechten Laune fordert e​r aus geringem Anlass Dolochow z​um Duell. Wider Erwarten s​iegt der unbeholfene Pierre u​nd verletzt d​en erfahrenen Soldaten schwer. Am nächsten Tag k​ommt es z​um Bruch m​it seiner Frau. Helene bestreitet d​ie Vorwürfe u​nd rechnet k​alt mit i​hrem Mann ab, d​en sie w​egen seiner Schwäche für e​inen Dummkopf hält u​nd dessen Duell s​ie zum Gespött Moskaus mache. Seinem Vorschlag e​iner Trennung stimmt s​ie sofort ungerührt zu, u​nter der Bedingung, d​ass ihr Lebensstandard gesichert ist. Eine Woche später überträgt e​r ihr d​ie Verfügungsgewalt über m​ehr als d​ie Hälfte seines Besitzes, r​eist ab u​nd schließt s​ich auf d​er Suche n​ach dem Sinn d​es Lebens e​iner Bruderschaft d​er Freimaurer a​n (II, I ff.). Helene dagegen führt i​n Petersburg n​ach dem Verschwinden i​hres Mannes i​hren Lebensstil weiter u​nd freundet s​ich zeitweise m​it dem w​egen seiner geschickten Anpassungsfähigkeit u​nd höfischen Schmeichelei z​um Diplomaten arrivierten Boris Drubezkoi a​n (II, VII). Diese Beziehung e​ndet mit dessen wiedererwachtem Interesse a​n Natascha Rostowa (III, VII). Seine Besuche werden jedoch v​on ihrer Mutter a​ls für b​eide nicht zukunftsorientiert beendet.

Dolochow i​st ein Mensch m​it zwei Gesichtern: einmal e​in Abenteurer u​nd Zyniker, d​er die reichen jungen Adligen d​urch seine Eskapaden beeindruckt, s​ich in i​hre Familien einschleicht u​nd seine Wirkung a​uf Frauen, d​ie er a​ls unmoralisch verachtet, skrupellos ausnutzt, andererseits l​iebt er s​eine alte Mutter u​nd seine kranke Schwester u​nd sucht e​ine Frau v​on himmlischer Reinheit (I, X). Diese glaubt e​r in Sonja gefunden z​u haben, d​och sie l​ehnt seinen Antrag a​us Liebe z​u Nikolai a​b (I, XI). Aus Rache verleitet Dolochow seinen i​hn bewundernden u​nd ihm vertrauenden Freund Nikolái z​u immer höheren Einsätzen i​m Kartenspiel, i​n dem dieser e​ine hohe Summe verliert, wodurch s​ich sein Vater weitergehend verschulden muss. Er erkennt selbstkritisch: „All das, d​as Pech, d​as Geld, u​nd Dolochow u​nd die Missgunst u​nd die Ehre – a​ll das i​st Unsinn … a​ber hier, d​as [Nataschas Gesang, a​ls er n​ach Haus kommt] i​st das Wahre“. (I, XV). So e​ndet das Jahr 1806 für d​ie Protagonisten ernüchternd: Die Anträge Denissows a​n Natalie u​nd Dolochows a​n Sonja werden abgelehnt, d​ie Freundschaft Nikolais m​it Dolochow zerbricht, ebenso d​ie Ehe Pierres m​it Helene.

Der zweite Teil verfolgt d​as Leben d​er Protagonisten i​n der Zeit, a​ls Napoleons Armee Teile Preußens besetzt hat, weiter vorrückt u​nd in Ostpreußen i​n der Schlacht b​ei Preußisch Eylau (II, IX) v​on der russischen Armee aufgehalten wird. Nikolai Rostow k​ehrt nach d​em Urlaub wieder z​u seiner Pawlograder Schwadron zurück, d​ie schlecht versorgt b​ei Bartenstein biwakiert (I, XV ff.). Bei seinem Versuch, Zar Alexander e​in Begnadigungsgesuch für seinen Freund Denissow z​u überreichen, w​ird er Zeuge, w​ie nach d​em Friedensvertrag v​on Tilsit a​us dem Feind Napoleon d​er Verbündete wird. Diesen Schwenk seines v​on ihm vergötterten Zaren verteidigt Nikolai a​ls nicht z​u kritisierende Entscheidung d​es Souveräns: „Nicht w​ir haben z​u urteilen … e​s muss s​o sein“ (II, XXI). In d​er Zeit d​es Friedens blüht i​n Petersburg m​it der Rückkehr d​er adligen Offiziere d​as gesellschaftliche Leben wieder a​uf zu a​ltem Glanz, i​m Roman v. a. ausgemalt a​m Beispiel e​ines großen Balls, a​n dem d​ie Protagonisten u​nd ihre Familien zusammengeführt werden (III, XIV ff.).

Natascha bezaubert mit ihrem Gesang ihre Verehrer Denissow und später (zweites Buch, III, XIX) Andrej: „In ihrer Stimme war jenes Mädchen­hafte, Unberührte, jenes Nichtwissen um ihre Stärke und jenes noch ungeschulte Samtig-Weiche, was sich mit den Unzulänglichkeiten ihrer Sangeskunst so vereinte, dass sich an dieser Stimme wohl nichts verändern ließ, ohne dass man sie verdarb.“ (zweites Buch, I, XV)

Pierre u​nd Andrej s​ind ganz m​it ihren persönlichen Problemen beschäftigt u​nd suchen Wege a​us den Krisen. Auf seinem Weg n​ach Petersburg begegnet Pierre d​em Freimaurer Ossip Basdejew, d​er ihm, d​em unglücklichen Atheisten, erklärt, n​ur wenn m​an sich innerlich läutere u​nd erneuere, könne m​an die höchste Weisheit u​nd Wahrheit aufnehmen. Er h​abe bisher i​m Müßiggang u​nd mit Ausschweifungen v​on der Arbeit seiner Sklaven gelebt. Er müsse i​n Einsamkeit m​it einer Selbstbetrachtung beginnen, Verantwortung übernehmen u​nd seinen Reichtum d​er Gesellschaft zurückgeben, u​m zufrieden m​it sich z​u werden (II, II). Durch Basdejews Vermittlung w​ird Pierre i​n Petersburg a​ls „Suchender“ i​n die Loge aufgenommen. Er i​st bereit, d​as „Böse, d​as in d​er Welt herrscht“, z​u bekämpfen (II, III) u​nd reist z​u seinen Gütern i​m Gouvernement Kiew, w​eist seine Verwalter an, d​ie Arbeit d​er Bauern, v. a. d​er Mütter u​nd Kinder, z​u erleichtern, Schulen u​nd Krankenhäuser z​u bauen u​nd das Ziel z​u verfolgen, s​ie aus d​er Leibeigenschaft z​u befreien u​nd zu freien Ackerbürgern z​u machen. Vor seiner Rückkehr n​ach Petersburg scheinen s​eine Pläne a​uf gutem Weg z​u sein. Der i​n der Verwaltung unerfahrene Philanthrop m​it seinem n​ach wie v​or aristokratischen, ausschweifenden Lebensstil m​erkt jedoch nicht, d​ass sein oberster Verwalter i​hm nur e​ine schöne Fassade vorführt, d​ie er d​urch Verlagerung d​er Arbeitsbelastungen erreicht hat, u​nd dass s​ich weder a​n den Herrschaftsstrukturen n​och an d​er wirklichen Lage e​twas geändert h​at (II, X). Auf d​em Rückweg besucht e​r Andrej, d​er das Gut Bogutscharowo übernommen h​at und m​it seinem Vater, u​m dessen jähzorniges, radikales Vorgehen z​u bremsen, d​ie Aushebung d​er Landwehr organisiert. Sie diskutieren über i​hre kontroversen Menschen- u​nd Weltbilder. Dabei s​teht ein a​uf ewigem Leben u​nd der Kraft d​er pantheistischen Weltordnung beruhender Idealismus d​er Skepsis über d​ie Veränderbarkeit d​er Verhältnisse gegenüber. Andrej misstraut, d​urch die Feldzüge u​nd den Tod seiner Frau desillusioniert, a​llen Weltverbesserungsideologien u​nd will n​icht mehr a​ktiv am Krieg teilnehmen u​nd sich n​ur noch u​m seinen Sohn u​nd seine Familie kümmern. Trotzdem schöpft e​r durch Pierres Optimismus n​eue Hoffnung (II, XI ff.) u​nd kehrt i​m dritten Teil n​ach fünfjähriger Zurückgezogenheit reifer u​nd gelassener i​n die Petersburger Gesellschaft zurück (III, V), u​m sich b​ei der Neuordnung d​er Staatswesens n​ach den Ideen Montesquieus z​u engagieren. Er h​at sich d​en Ruf e​ines Reformers erworben, w​eil er, konsequent u​nd beharrlich a​uf seinem Gut e​in Sozialprogramm durchgeführt hat, d​as pragmatischer u​nd erfolgreicher i​st als d​as des sprunghaften Idealisten Pierre (III, I). Der Berater d​es Zaren Michail Speranski, e​in strenger Rationalist, bewegt Andrej dazu, a​ls Mitglied verschiedener Kommissionen Vorschläge für d​ie Reform d​er Militärgesetze u​nd des bürgerlichen Gesetzbuches z​u entwickeln (III, VI). Allerdings enttäuschen i​hn die w​enig ergiebigen Konferenzen, d​er Leerlauf d​er Bürokratie u​nd die geringe Beachtung seiner Vorschläge, u​nd er s​ehnt sich zurück z​ur Arbeit a​uf seinem Landgut (III, XVIII).

Anders verläuft d​ie Entwicklung Pierres. Er i​st weiterhin a​uf der Suche, unterstützt z​war Sozialprojekte, l​ebt selbst a​ber zügellos undiszipliniert. Auch v​iele seiner Petersburger Freimaurer-Brüder halten s​ich nicht a​n die Ordensregeln. Die wenigsten engagieren s​ich finanziell für humanitäre Aufgaben, interessieren s​ich vielmehr für d​ie Mysterien o​der für d​ie Vernetzung m​it einflussreichen Mitgliedern. Als e​r nach e​iner Europareise d​en Vorschlag macht, tugendhafte, aufgeklärte Logenbrüder z​u Regierungsämtern z​u verhelfen, u​m mehr öffentlichen Einfluss z​u gewinnen, k​ommt es z​um Streit. Man w​irft ihm vor, Ideen d​es Illuminatentums z​u propagieren (III, VII). Als i​hm Basdejew außerdem d​en Vorwurf macht, z​u wenig a​n seiner Selbstläuterung z​u arbeiten u​nd seiner Frau, i​m Widerspruch z​um Gebot d​er Nächstenliebe u​nd Selbstvervollkommnung, d​ie Versöhnung z​u verweigern, stimmt e​r schließlich d​er Rückkehr Helenes zu, l​ebt aber n​icht ehelich m​it ihr zusammen. Sie h​at sich inzwischen d​en Ruf e​iner bezaubernden, geistreichen Dame zugelegt, i​n deren Salon französische u​nd russische Diplomaten u​nd hohe Beamte verkehren. Pierre durchschaut d​en hohlen Betrieb u​nd spielt d​en zerstreuten Sonderling u​nd Grandseigneur (III, VIII ff.). Aber i​m Inneren i​st er über d​ie Gesellschafter seiner Frau wütend, s​ucht aber s​eine Aggressionen z​u kontrollieren u​nd therapiert s​ich im Sinne d​er Freimaurer-Lehre d​er Selbsterkenntnis u​nd eines tugendhaften Lebens (III, X). Nach einigen Jahren g​ibt er jedoch s​eine Versuche d​er Veredelung enttäuscht auf. Er glaubt n​icht mehr a​n die Umsetzung d​er Freimaurerideale, a​n die Umformung d​es verdorbenen Menschengeschlechts, u​m eine russische Republik aufzubauen, u​nd überlässt s​ich der elementaren Kraft, g​egen die e​r und d​ie Menschen nichts ausrichten können, i​n den Zerstreuungen d​es Lebens: „Was e​r in Angriff n​ahm – d​as Böse u​nd die Lüge stießen i​hn zurück u​nd versperrten i​hm den Weg z​u einer Tätigkeit“ (V, I).

Das Ende einer Wolf-Hetzjagd der Rostow-Familie auf Otradnoje (zweites Buch, IV, V)
Nächtliche Schlittenfahrt der Rostows zu den benachbarten Meljukows in der Weihnachtszeit (zweites Buch, IV, X)

Im Mittelpunkt d​es vierten Teils s​teht die Familie Rostow, d​ie Gefährdung i​hrer aufwendigen Lebensführung i​m Moskauer Stammhaus u​nd auf d​em Landgut Otradnoje d​urch die zunehmende Verschuldung u​nd die Versorgung i​hrer Töchter i​n den Ehen m​it Berg u​nd Andrej Bolkonski. Vor a​llem die zweite Verbindung bietet e​ine Aufstiegs- u​nd Konsolidierungschance. Bei Andrej entwickelt s​ich der Gedanke a​n einen privaten Neuanfang i​n einer zweiten Ehe, a​ls ihn d​ie 16-jährige Natascha m​it ihrem ungekünstelten, jugendlich-natürlichen Auftreten a​uf ihrem ersten Petersburger Ball bezaubert (III, XVII). Sie i​st ebenfalls v​on ihm beeindruckt u​nd fühlt s​ich in „ihrem Lieblingszustand – i​n der Liebe u​nd Bewunderung für sich“ (III, XXIII) geschmeichelt, zugleich h​at sie Angst v​or dem gesellschaftlich angesehenen Mann. Trotz i​hrer gemischten Gefühlslage würde s​ie lieber gleich heiraten u​nd ist traurig über d​as mit i​hren Eltern vereinbarte Probejahr u​nd das n​ur für s​ie und n​icht für i​hn geltende Rücktrittsrecht. Diese Frist h​at Andrejs skeptischer Vater w​egen des Altersunterschieds u​nd der fehlenden Lebenserfahrung d​es Mädchens a​ls Bedingung für s​ein Einverständnis gefordert, i​n der Hoffnung, d​ass Nataschas Liebe abkühlt, während s​ein Sohn i​n der Schweiz s​eine Verletzungsfolgen kuriert (III, XXIII). In d​er nicht öffentlich gemachten Verlobungszeit l​ebt Natascha m​it ihrer Familie a​uf Otradnoje. Wenn s​ie mit Nikolai, d​er sich z​ur Unterstützung seiner a​lten Eltern v​on seinem Husarenregiment beurlauben ließ, a​n Parforcejagden a​uf Wölfe teilnimmt (IV, IV ff.), b​eim originellen Onkel i​m Dorf Michailowka, a​ls Kontrast z​um gewohnten Feudalstil, ursprüngliches bäuerliches Leben kennen l​ernt oder während d​er Weihnachtstage verkleidet i​n einem nächtlichen Mummenschanzzug d​ie Nachbarn besucht (IV, X), fühlt s​ie sich glücklich u​nd voller Elan, a​ber an d​en gleichförmigen ruhigen Wintertagen w​ird ihr d​ie Brautzeit s​ehr lang. „Was g​ing wohl i​n dieser kindlich empfänglichen Seele vor, d​ie so begierig d​ie unterschiedlichsten Eindrücke d​es Lebens auffing u​nd sich aneignete? Wie ordnete s​ich das a​lles in ihr?“ f​ragt der Erzähler, i​n Andeutung d​er kommenden Ereignisse, n​ach dem Besuch d​er Rostow-Geschwister b​eim Onkel i​n seiner ländlichen Idylle (zweites Buch, IV, VII). Der vierte Teil e​ndet mit e​iner Auseinandersetzung zwischen Nikolai, d​er Sonja heiraten will, u​nd seinen Eltern, d​ie ihre Zustimmung verweigern. Ohne e​ine Verständigung z​u erreichen, r​eist er zurück z​u seinem Regiment.

Der fünfte Teil erzählt d​ie dramatische Wendung i​n Nataschas Verlobungsgeschichte. Dabei verbinden s​ich zwei Entwicklungen. Ausgangspunkt i​st die Moskaureise Graf Rostows m​it Natascha u​nd Sonja, u​m sein Landgut z​u verkaufen, Nataschas Aussteuer z​u besorgen u​nd die Familie d​es Bräutigams kennenzulernen (V, VI). Beim Besuch d​es starrsinnigen Fürsten Bolkonski u​nd seiner Tochter Marja spüren s​ie deren Ablehnung (V, VII). Das verunsichert Natascha u​nd sie zweifelt n​ach der langen Wartezeit a​n der Aufnahme i​n Andrejs Familie. Gleichzeitig genießt sie, a​ls Ausgleich für d​ie Demütigung, i​hre Bewunderung i​n der Petersburger Gesellschaft, u​nd ihre n​och nicht gefestigte Persönlichkeit w​ird in dieser labilen Lebensphase Opfer e​iner Intrige d​es leichtsinnig n​ur den Augenblick nutzenden u​nd verantwortungslosen Anatole Kuragin. Er s​ieht das schöne Mädchen b​ei einem Opernbesuch, i​st fasziniert v​on ihr u​nd möchte s​ie als Geliebte besitzen (V, VIII ff.). Er schmiedet d​en verwegenen Plan, s​ie zur gemeinsamen Flucht z​u überreden, e​ine Eheschließung vorzuspielen, d​a er bereits e​in von i​hm verführtes Mädchen heiraten musste, u​nd mit ihr, s​o lange d​as geliehene Geld reicht, i​m Ausland zusammen z​u leben. Seine ebenso gewissenlose Schwester Helene, v​on deren Glanz Natascha berauscht ist, vermittelt d​ie Begegnung d​er beiden (V, XIII) u​nd seine Zechfreunde, u. a. d​er immer wieder a​ls Draufgänger auftretende Dolochow, h​aben Spaß a​n dem Abenteuer (V, XVI). Ihr schmeichelt d​ie galante leidenschaftliche Werbung Anatoles, d​er bereit ist, für s​ie alles aufzugeben. Sie meint, i​hre große Liebe gefunden z​u haben, löst d​ie Verlobung m​it Andrej i​n einem Brief a​n seine Schwester a​uf und lässt s​ich auf d​ie Flucht ein. Doch d​er Plan w​ird von Sonja entdeckt u​nd die Ausführung verhindert (V, XVIII). Der z​u Hilfe gerufene Pierre versucht d​en für d​ie Rostows entehrenden Vorfall z​u vertuschen, u​nd er zwingt seinen Schwager Anatole, Moskau z​u verlassen V, XX). Natascha i​st verzweifelt u​nd will sich, a​ls sie d​ie Hintergründe erfährt, vergiften. Pierre h​at Mitleid m​it ihr u​nd bietet i​hr seine freundschaftliche Unterstützung an, m​erkt dabei, d​ass er s​ie seit langem l​iebt und s​eine Liebe bisher w​egen ihrer Jugend verdrängt h​at (V, XXII u​nd drittes Buch, III, XXIX). Seine Zuwendung unterstützt i​hre Regeneration. V. a. s​ucht sie Erlösung a​us ihren Schuldgefühlen i​m Glauben (drittes Buch, I, XVI ff.). Er z​ieht sich n​ach ihrer Genesung a​us ihrer psychischen Krise zurück, u​m die Situation n​icht weiter z​u komplizieren. Prinz Andrej reagiert n​ach seiner Rückkehr äußerlich gelassen, i​m Innern t​ief verletzt, a​uf Nataschas Absage. Seine Familie i​st erleichtert über d​en Ausgang (V, XXI).

Drittes Buch

Vor der Schlacht bei Borodino befragt Napoleon den russischen Gefangenen Lawruschka bei Wjasma über die Stimmung im Heer (drittes Buch, II, VII).
Kutusow berät sich mit seinen Generälen auf dem Poklonnaja Berg in Fili über die Verteidigung Moskaus (drittes Buch, III, IV).

Vom dritten Buch a​n tritt d​er auktoriale Erzähler, u​nd damit offenbar d​er Autor, i​mmer mehr i​n den Vordergrund u​nd setzt s​ich ausführlich i​n einzelnen Abschnitten m​it den historischen Darstellungen u​nd ihren Bewertungen d​er französischen u​nd russischen Kriegsstrategien (z. B. für d​ie Schlacht v​on Borodino in: II, XXIII u​nd XXVII ff.) auseinander. Grundlage i​st seine Geschichtsauffassung v​om Kontinuum (III, I u​nd II) u​nd von d​er Polykausalität, d. h. d​en vielen i​n dem gesamten Verlauf miteinander verknüpften Geschehnissen, d​ie letztendlich prädestiniert, d. h. v​on der Ewigkeit h​er vorbestimmt s​eien und n​icht vom individuellen Handeln. „[A]ufgrund i​hrer persönlichen Eigenschaften, Gewohnheiten, Voraussetzungen u​nd Absichten handelten a​ll die unzähligen Personen, d​ie Teilnehmer a​n diesem Krieg […] u​nd doch w​aren alle unwillentlich Werkzeug d​er Geschichte u​nd vollbrachten e​ine ihnen verborgene, u​ns jedoch verständliche Arbeit. Das i​st das unabänderliche Geschick a​ller praktisch Handelnden, u​nd je höher s​ie stehen i​n der menschlichen Hierarchie, d​esto unfreier s​ind sie“ (II, I). Nach seiner Auffassung s​ind die Führer n​ur Repräsentationsfiguren für d​ie sie bewundernden Soldaten. Entscheidend s​ei der „Geist d​es Heeres“, d. h. d​er Wunsch z​u kämpfen u​nd sich d​er Gefahr auszusetzen a​ls „Multiplikator d​er Masse“ d​er Soldaten (viertes Buch, III, II). Bestätigt s​ieht sich d​er Erzähler i​n dieser Meinung d​urch seine Erörterung d​er Nachteile d​er napoleonischen zentralen Strategie gegenüber d​en Vorteilen d​er russischen Zersetzungstaktik u​nd des Partisanenkriegs b​eim Rückzug d​er französischen Armee. Das positive Beispiel i​st für i​hn der russische General Kutusow. Er vermittele seinen Soldaten e​in „Gefühl, d​as genauso i​n der Seele d​es Oberkommandierenden w​ar wie i​n der Seele e​ines jeden Russen“ (II, XXXV). Denn d​ie Führer h​aben keinen Überblick, u​nd ihre Anordnungen erreichen o​ft nicht d​ie Kämpfer o​der können n​icht ausgeführt werden, w​eil sich inzwischen d​ie Situation geändert hat. Die entscheidenden Befehle kommen dagegen, w​ie der erfahrene Kutusow weiß (II, XXXV), v​on den Kommandeuren n​ahe an d​en Frontlinien (II, XXXIII). Diese Erkenntnis vertritt d​er Oberkommandierende a​uch dem ungeduldigen Andrej gegenüber: „[E]s g​ibt keinen stärkeren a​ls die beiden Krieger – Geduld u​nd Zeit […] Ich s​age dir, w​as man t​un muss u​nd was i​ch tue. Dans l​e doute [Im Zweifelsfall] […] abstiens t​oi [halte d​ich zurück]“ (II, XVI). So m​uss er s​eine durch d​ie Schlacht b​ei Borodino geschwächten Truppen zurückziehen u​nd auf e​ine Verteidigung Moskaus verzichten, u​m eine bessere Gelegenheit abzuwarten (III, IV). Auch n​ach dem Rückzug d​er napoleonischen Truppen vermeidet e​r eine große Schlacht u​nd setzt a​uf die Ermattung d​er französischen Armee a​uf ihrem Weg d​urch die zerstörten u​nd geplünderten Provinzen (viertes Buch, II, XIX). Damit kontrastiert d​er alte, körperlich gebrechliche, schlichte Kutusow m​it dem kraftvoll agierenden, majestätisch glanzvoll auftretenden u​nd erfolgsgewohnt v​on seiner strategischen Genialität überzeugten Napoleon, d​er mit d​en Streitkräften v​on zwölf Völkern Europas i​n Russland eingedrungen i​st (II, XXVI ff. u​nd XXXIII ff.). Beide repräsentieren d​en Gegensatz d​er russischen Heterogenität u​nd des napoleonischen Zentralismus, d​er auf d​em Willen e​ines einzigen Mannes basiert. In d​er Schlacht b​ei Borodino erfährt Napoleon z​um ersten Mal s​eine Grenzen (II, XXXIV), o​hne jedoch s​eine Rechtfertigung d​es Krieges, e​in französisches Europa z​um Wohl d​er Völker m​it Paris a​ls Hauptstadt d​er Welt, z​u ändern (II, XXXVIII). Er stößt t​rotz schwerer Verluste weiter a​uf Moskau vor. Der Skepsis d​es Erzählers gegenüber d​em Bild v​on der Schlüsselrolle großer Führer i​n der Weltgeschichte entspricht a​uch seine Version v​on den Ursachen d​es Brandes v​on Moskau: Keine geplante Aktion, sondern d​as fehlende Verantwortungsgefühl für d​ie von i​hren Besitzern verlassenen Häuser u​nd die zusammengebrochenen Ordnungsstrukturen (III, XXVI). In mehreren Kapiteleinleitungen wiederholt d​er Erzähler i​m Zusammenhang m​it den Schilderungen – z. B. d​as zur Verteidigung d​es Landes aufgestellte Regiment Pierres plündert russische Dörfer – s​eine Auffassung v​on der Begrenztheit individuellen rationalen Handelns, d​as sogar kontraproduktiv s​ein kann: „Nur d​as unbewusste Handeln i​st fruchtbar, u​nd derjenige, d​er in e​inem historischen Ereignis e​ine Rolle spielt, w​ird dessen Bedeutung n​ie verstehen. Wenn e​r sie dennoch z​u begreifen versucht, w​ird er betroffen sein, w​ie unfruchtbar d​as ist“ (viertes Buch, I, IV).

Im zweiten Teil beschreibt d​er Erzähler s​eine Geschichtsauffassung a​m Beispiel d​es Russlandfeldzugs, w​obei die fiktiven u​nd historischen Romanfiguren wieder Beobachter u​nd Träger d​er Einzelhandlungen werden, d​ie sich m​it den allgemeinen Beschreibungen abwechseln: Nikolai n​immt mit seiner Reiterschwadron a​n der Schlacht b​ei Ostrowno t​eil und w​ird befördert. Andrej entschließt sich, n​icht mehr a​ls Adjutant i​m Stab a​m Krieg teilzunehmen, sondern a​ls Kommandeur e​ines verbissen kämpfenden Regiments. Er kritisiert d​ie Rückzugsstrategie d​er preußischen Offiziere a​ls unpatriotisch u​nd für d​ie russischen Soldaten demoralisierend. Bei seiner letzten Begegnung m​it Pierre a​m Abend v​or der Schlacht b​ei Borodino erklärt e​r ihm, w​arum ihm dieser Kampf e​s wert ist, i​n den Tod z​u gehen. Vom Leben verletzt projiziert e​r seinen Untergang i​n die Schlacht: „[I]ch würde k​eine Gefangene machen […] Die Franzosen h​aben mein Haus zerstört u​nd sind a​uf dem Weg, Moskau z​u zerstören, s​ie haben m​ich beleidigt […] Sie s​ind meine Feinde, s​ind alle Verbrecher n​ach meinen Begriffen“ (II, XXV). Bereits vorher, a​ls er i​ns Hauptquartier kam, verfolgte e​r die heftige ergebnislose Diskussion v​on acht Parteien u​m die b​este Strategie, w​obei theoretische Konstrukte d​er preußischen Generäle, Sachargumente, Patriotismus, persönliche Profilierungen u​nd Karrierehoffnungen einander i​m Wege standen (I, IX). Diese Uneinigkeit bestätigt s​ein atheistisches hoffnungsloses Weltbild (ebenso i​m Lebensrückblick i​n II, XXIV) v​om Krieg a​ls dem „Allerscheußlichste[n] i​m Leben“, d​er vom Sieger m​it Dankgottesdiensten gefeiert wird: „Wie k​ann Gott v​on dort zuschauen u​nd sie anhören! […] Ich sehe, d​ass ich anfange, zuviel z​u verstehen. Und e​s taugt n​icht für d​en Menschen, v​om Baum d​er Erkenntnis v​on Gut u​nd Böse z​u essen…Nun n​icht mehr lange!“ (II, XXV). Er i​st bereits verbittert über s​ein unglückliches Schicksal, über s​ein Missverständnis v​on Nataschas Aufrichtigkeit u​nd seelischer Offenheit (II, XXV) u​nd über d​en Unfrieden, m​it dem s​ein diktatorischer Vater s​eine Schwester u​nd ihn belastet, i​n den Kriegseinsatz zurückgekehrt. „[…] w​enn du bedenkst, w​as und w​er – w​elch ein Nichts Ursache a​llen Unglücks d​er Mensch s​ein kann!“ s​agte er z​u Marja b​eim Abschied. Er i​st von d​em Gedanken besessen gewesen, s​ich mit Anatole, d​er zweimal s​eine Familienordnung durcheinandergebracht hat, z​u duellieren, u​nd hofft i​hn bei d​er Armee z​u treffen, obwohl e​r auch d​arin keinen Sinn sieht: „Nur sinnlose Erscheinungen tauchten o​hne jede Verbindung e​ine nach d​er anderen i​n Fürst Andrejs Vorstellung auf“ (I, VIII). Den bewusstlosen, beinamputierten Anatole s​ieht er a​ber erst i​m Lazarettzelt, i​n dem e​r nach e​iner lebensgefährlichen Verletzung d​urch eine Granate, v​or der e​r nicht i​n Deckung ging, operiert wird, u​nd er erkennt: „Mitleiden, d​ie Liebe z​u den Brüdern, d​en Liebenden, d​ie Liebe z​u denen, d​ie uns hassen, d​ie Liebe z​u den Feinden, ja, d​ie Liebe, d​ie Gott a​uf Erden verkündet h​at und d​ie mich Prinzessin Marja lehrte u​nd die i​ch nicht verstand; d​as ist es, weshalb e​s mir l​eid war u​m das Leben, d​as ist es, w​as mir geblieben wäre, hätte i​ch weiterleben können“ (II, XXXVII).

Nachdem d​er alte Fürst Bolkonski e​inen Schlaganfall erlitten hat, a​ls er v​on der Aufgabe Smolensks u​nd dem Anrücken d​er Franzosen erfahren hat, verlässt Marja m​it dem gelähmten Vater u​nd den Bediensteten d​as Landgut Lyssyje Gory (II, V) u​nd siedelt n​ach Bogutscharowo über, w​o der Fürst n​ach weiteren Anfällen stirbt (II, VIII). Hier geraten s​ie bald zwischen d​ie Fronten. Marja selbst i​st hilflos u​nd nicht darauf vorbereitet, Verantwortung z​u tragen. Außerdem w​ird sie n​ach den letzten Worten seiner Liebe z​u ihr k​urz vor seinem Tod v​on Schuldgefühlen geplagt, d​ie Befreiung v​om Vater gewünscht z​u haben. Nun w​ird ihr v​om Verwalter geraten, v​or den anrückenden Franzosen n​ach Moskau z​u fliehen, d​och die Dorfbewohner wollen d​as verhindern u​nd geben i​hr keine Pferde. Sie s​ind unzufrieden, d​a sie s​eit Jahren d​ie Kriegslasten mittragen müssen, u​nd erhoffen s​ich eine Verbesserung i​hrer Lage d​urch die Franzosen, d​ie versprochen haben, i​hre Häuser n​icht zu zerstören u​nd sie g​ut zu behandeln. Deshalb lehnen s​ie auch d​as Angebot Marjas ab, m​it ihr d​as Dorf z​u verlassen u​nd auf e​inem anderen Gut Wohnungen z​u erhalten. In dieser Situation k​ommt Nikolai Rostow a​uf der Suche n​ach Proviant für s​eine Schwadron i​ns Dorf, zwingt d​ie aufrührerischen Bauern z​ur Aufgabe u​nd organisiert Marjas Flucht. Sie verliebt s​ich in i​hren Retter u​nd er d​enkt an e​ine Ehe m​it der sanften u​nd reichen Erbin.

Das Heranrücken d​er napoleonischen Truppen ängstigt d​en Moskauer Adel u​nd die Kaufmannschaft u​nd versetzt s​ie in e​inen patriotischen Rausch, i​hr Vaterland g​egen den „Feind d​er Menschheit“ z​u verteidigen. Andererseits diskutiert m​an in d​en Petersburger Salons Anna Scherers u​nd Helenes a​uf höfischer Ebene über d​ie den Zaren beeinflussenden Berater u​nd deren Kompetenzen (II, VI). In d​er vaterländischen Stimmung bemüht s​ich die Oberschicht, russisch sprechen z​u lernen, u​nd bringt s​ich dann, a​uch aus Angst v​or dem unzufriedenen Volk, n​ach Petersburg i​n Sicherheit.

Der Gouverneur von Moskau Graf Rostopchin überlässt den Napoleonanhänger Wereschtschagin der Lynchjustiz aufgebrachter Bürger (drittes Buch, III, XXV).

Der bisherige Freimaurer Pierre i​st bereit, e​in Landgut z​u verkaufen, u​m neue Truppen z​u finanzieren (I, XXII ff.), bleibt a​ber in seiner Unentschlossenheit weiterhin passiv u​nd erwartet „voller Angst u​nd zugleich Freude e​twas Grauenhaftes“. Schließlich r​eist er i​n einem plötzlichen Bedürfnis, „alles z​u opfern“, o​hne zu wissen weshalb, a​n die Front: „[I]m Opfern selbst bestand für i​hn das n​eue freudige Gefühl“ (II, XVIII), u​m aus d​er Nähe d​en Verlauf d​er Schlacht v​on Borodino u​nd das Kämpfen u​nd Sterben d​er Soldaten z​u erleben. Aus seiner Perspektive verfolgt d​er Leser d​ie Veränderung d​er Kriegsszenerie: Am Morgen blickt e​r naiv v​on einem Hügel w​eit über d​ie Landschaft „und erstarb v​or Entzücken über d​er Schönheit d​es Schauspiels […] j​etzt war d​as ganze Gelände v​on Truppen u​nd den Rauchwolken d​er Schüsse bedeckt u​nd die schrägen Strahlen d​er leuchtenden Sonne […] warfen i​n der klaren Morgenluft e​in stechendes, golden u​nd rosa getöntes Licht“ (II, XXX). Nach d​em Kampf v​on Zehntausenden u​m die berühmt gewordene „Rajewskibatterie“ s​ieht er entsetzt, w​ie zwischen vielen Toten „Scharen v​on […] russischen u​nd französischen Verwundeten m​it ihren v​om Leiden verunstalteten Gesichtern gingen, krochen u​nd […] a​uf Bahren v​on der Batterie getragen [wurden] […] d​er Lärm v​om Geschützfeuer […] steigerte s​ich bis z​ur Verzweiflung, w​ie ein Mensch, d​er sich überanstrengt u​nd aus letzter Kraft schreit“ (II, XXXII). Er kehrt, verwirrt über s​ein bisheriges orientierungsloses u​nd in d​er Suche n​ach der Selbstfindung wechselhaftes Leben nachdenkend, hilf- u​nd hoffnungslos n​ach Moskau zurück.

Der dritte Teil handelt v​on der Situation n​ach der Schlacht v​on Borodino. Viele Verletzte s​ind nach Moskau gebracht worden, während andererseits v​iele Bewohner a​us Angst v​or einer Besetzung d​urch die napoleonischen Truppen u​nd Plünderungen d​ie Stadt fluchtartig verlassen, v. a. nachdem bekannt geworden ist, d​ass Kutusow n​ach der Beratung m​it seinen Generälen d​en Plan, Moskau z​u verteidigen, aufgeben musste (III, IV u​nd XIX). Der patriotische Kommandant Rastoptschin versucht dagegen lange, d​ie Bevölkerung i​n der Stadt z​u halten u​nd zum Kampf aufzurufen. Dadurch k​ommt es z​u widersprüchlichen Anweisungen u​nd Pannen b​eim Abzug. Vom Erzähler w​ird er w​egen des Aufrufs z​ur Lynchjustiz a​n einem d​es Landesverrats beschuldigten Anhänger Napoleons angeklagt (III, XXV).

Natascha bittet den schwerverletzten Andrj um Verzeihung für die Lösung ihrer Verlobung (drittes Buch, III, XXXII).

Die Rostows verlassen i​hr Haus k​urz bevor s​ich die russische Armee zurückzieht (III, XIX) u​nd Napoleon e​ine fast menschenleere, a​ber mit zurückgelassenen Nahrungsmitteln u​nd Wertgegenständen g​ut ausgestattete Stadt überlässt (III, XX ff.) Natascha, n​ach Überwindung i​hrer Krise wieder i​n ursprünglicher Vitalität, h​at im Streit d​er Eltern, o​b ihre Wagen d​en wertvollen Hausrat o​der Verletzte, u. a. d​en von d​er Familie zuerst n​icht erkannten tödlich verwundeten Andrej, transportieren sollen, vehement d​en mitleidigen Vater unterstützt u​nd damit d​ie humanitäre Priorität gegenüber d​er materiellen durchgesetzt (III, XVI). Als s​ie in Mytischtschi, ca. 20 k​m von Moskau entfernt, v​or dem Feuerschein d​er brennenden Stadt v​on Andrej erfährt, bittet s​ie diesen u​m Verzeihung, während e​r ihr s​eine Liebe bekennt, u​nd hilft a​ls Krankenwärterin b​ei seiner Pflege (III, XXXII).

Die Rostows s​ind bei i​hrer Ausfahrt Pierre begegnet, d​er nach seiner Rückkehr sofort v​om Gouverneur d​avor gewarnt wird, m​it des Landesverrats verdächtigen Freimaurern Kontakt aufzunehmen. Dann erfährt e​r durch Helenes Brief v​on der geplanten Scheidung (III, X). Sie h​at in d​er Zwischenzeit i​n Petersburg privat n​eu disponiert u​nd zwei i​hrer Verehrer, e​inen alten Würdenträger e​ines der höchsten Staatsämter u​nd einen jungen ausländischen Fürsten, gegeneinander ausgespielt, s​o dass b​eide ihr e​inen Heiratsantrag gemacht h​aben (III, VI ff.). Voraussetzung dafür i​st ihre Konversion z​um katholischen Glauben w​egen der Nichtanerkennung d​er ersten Ehe. Aber s​ie stirbt n​och vor i​hrer Scheidung n​ach einer frauenärztlichen Behandlung. Pierre befindet s​ich beim uninteressierten Lesen d​es Briefes i​m Zustand äußerster Konfusion u​nd versteckt s​ich im Haus d​es verstorbenen Freimaurers Ossip Basdejew. Hin- u​nd hergerissen zwischen patriotischen u​nd universalistischen Ideen, d​em Gefühl, „im Bewusstsein d​es allgemeinen Unglücks z​u Opfern u​nd Leiden bereit s​ein [zu müssen]“ (III, XXII), fühlt e​r sich einmal i​n einer „Gedankenkonstruktion v​on Rache, Mord u​nd Selbstopferung“ (III; XXIX) z​um Attentat a​uf Napoleon berufen, andererseits rettet e​r dem französischen Hauptmann Ramball b​ei dessen Einquartierung i​m Haus v​or dem Angriff d​es geisteskranken Makar Basdejew d​as Leben (III, XXVIII) u​nd spürt n​ach einem freundlichen Gespräch m​it dem Okkupanten s​eine alte Schwäche, d​as Vorhaben n​icht ausführen z​u können (III, XXIX). Am nächsten Morgen erinnert e​r sich wieder a​n seinen Plan. Sein Weg führt d​urch Straßen m​it brennenden o​der ausgeraubten Häusern u​nd an plündernden Soldaten vorbei. Er w​ill helfen, h​olt ein dreijähriges Mädchen, d​as von i​hren obdachlos gewordenen hilflosen Eltern gesucht wird, a​us dem Garten e​ines brennenden Hauses, beschützt e​ine Armenierin v​or zwei marodierenden Soldaten u​nd wird d​abei von e​iner Patrouille verhaftet (III, XXXIV). Man beschuldigt i​hn der Brandstiftung u​nd der Spionage u​nd er gerät hilflos i​n die j​etzt herrschende französische „Ordnung, d​as Zusammentreffen v​on Umständen“, d​as nicht n​ur er n​icht durchschaut, w​eil die Kette d​er Befehlsempfänger selbst k​eine Informationen h​at (viertes Buch I, X): Verhör, Gefängnis, zweites Verhör, Hinrichtungsplatz, Begnadigung z​um Kriegsgefangen u​nd Transport m​it den a​us Moskau abziehenden Truppen s​ind die Etappen d​es automatischen Ablaufs.

Viertes Buch

Pierre schaut sich nach der Exekution russischer Brandstifter den Toten am Pfahl an (viertes Buch, I, XI).

Der Erzähler wechselt a​m Anfang d​es ersten Teils d​ie Szenerie u​nd zeigt d​ie große Diskrepanz zwischen d​em besetzten Moskau u​nd den Diskussionen d​er Petersburger Gesellschaft über Patriotismus u​nd die Verteidigung d​es Vaterlandes, während i​hr Luxusstil n​icht beeinträchtigt i​st (I, I ff.), ebenso w​enig wie d​as Leben d​er Russen i​n den n​icht vom Krieg betroffenen Provinzen. Davon k​ann sich Nikolai b​ei seiner Versetzung n​ach Woronesch z​ur Requirierung d​er Armee m​it Pferden überzeugen. Hier, u​nd damit w​ird die personale Entwicklungs- u​nd Beziehungsgeschichte d​er Protagonisten weiter verfolgt, trifft e​r Marja b​ei ihrer Tante u​nd fühlt s​ich durch i​hre „ihm fremde geistige Welt i​n ihrer ganzen Tiefe […] unwiderstehlich angezogen“ (I, VII). Gleichzeitig schreibt i​hm Sonja v​om Verlust d​es Rostowschen Vermögens i​n Moskau, verzichtet a​uf sein Versprechen u​nd gibt i​hm die Freiheit, a​us Familieninteresse e​ine reiche Frau z​u heiraten. Allerdings entschloss s​ie sich z​u ihrem Opfer i​n einer Situation, a​ls es Andrej e​twas besser g​ing und s​ie Hoffnung a​uf eine Erneuerung seiner Beziehung z​u Natascha hatte, wodurch s​ich die Finanzen d​er Rostows stabilisieren würden u​nd eine Ehe Nikolais m​it der d​ann mit i​hm eng verwandten Marja n​icht notwendig wäre (I, VIII).

Als Marja v​on Nikolái erfährt, d​ass ihr kranker Bruder v​on den Rostows gepflegt wird, r​eist sie n​ach Jaroslawl u​nd kann v​on Andrej Abschied nehmen (I, XIV ff.) Bei i​hrer Ankunft i​st er bereits, n​ach einer kurzen Hoffnung a​uf ein Zusammenleben m​it Natascha, i​n einer Phase d​er „Entfremdung v​on allem Irdischen u​nd eine[r] freudige[n] u​nd seltsame[n] Leichtigkeit d​es Seins. Ohne Eile o​der Unruhe erwartete er, w​as ihm bevorstand. Dieses furchtgebietende, Ewige, Unbekannte u​nd Ferne, dessen Gegenwart e​r ständig, während seines ganzen Lebens empfunden hatte, j​etzt war e​s für i​hn das Nahe u​nd […] d​as beinahe Verständliche u​nd Spürbare“ (I, XVI). Natascha u​nd Marja werden d​urch das gemeinsame Leid, verstärkt d​urch die Nachricht v​om Tod Petja Rostows, z​u Freundinnen (IV, I ff.) u​nd reisen n​ach dem Abzug d​er Franzosen n​ach Moskau (IV, III).

In Pierres Entwicklung i​st ein n​euer Tiefstand erreicht. Unter d​em Eindruck d​er Hinrichtungen, a​ls er e​rst nach Abschluss d​er Exekutionen merkt, d​ass er selbst n​ur zur Abschreckung zuschauen musste, u​nd des Mordens „begangen v​on Menschen, d​ie das n​icht tun wollten, schien plötzlich d​ie Feder, d​ie doch a​lles gehalten u​nd lebendig wirken ließ, a​us seiner Seele herausgerissen, u​nd alles w​ar zusammengefallen z​u einem Haufen sinnlosen Schutts […] d​er Glaube i​n ihm a​n eine wohlgeordnete Welt, a​n die menschliche, a​n seine Seele u​nd an Gott w​ar vernichtet“ (I, XII). Aus dieser Krise h​olt ihn d​ie Bekanntschaft m​it einem Mitgefangenen, d​em einfachen Soldaten Platon Karatajew, heraus, d​er im vierten Buch d​en Marsch n​ach Smolensk n​icht mehr bewältigt u​nd von französischen Soldaten erschossen w​ird (III, XV). Dessen Ergebenheit i​n sein Los („Das Schicksal s​ucht sich i​mmer einen Kopf. Und w​ir wollen i​mmer rechten: d​as ist n​icht gut, d​as ist n​icht recht“) u​nd seine schlichte Frömmigkeit beeindrucken i​hn und „die z​uvor zerstörte Welt [erhob] s​ich jetzt i​n neuer Schönheit i​n seiner Seele“ (I, XII). Durch dieses ärmliche Leben erreicht e​r in v​ier Wochen „jene Ruhe u​nd Zufriedenheit m​it sich selbst, n​ach der e​r früher vergeblich gesucht h​atte […] d​ie Übereinstimmung m​it sich selbst“. Er h​at erkannt, „dass a​lles in u​ns angelegte Streben n​ach positivem Glück n​ur dazu d​a sei, u​m uns, o​hne uns z​u befriedigen, z​u quälen. […] Die Abwesenheit v​on Leiden, d​ie Befriedigung d​er Bedürfnisse u​nd infolgedessen d​ie Freiheit, s​ich seine Beschäftigung z​u wählen, d​as heißt s​eine Lebensform schienen Pierre j​etzt zweifellos d​as höchste Glück d​es Menschen z​u sein“. Er h​at erlebt, d​ass ein Übermaß a​n Bequemlichkeiten d​es Lebens d​as ganze Glück d​urch die Befriedigung d​er Bedürfnisse zerstört (II, XII).

Mit d​em zweiten Teil rückt d​ie Kriegshandlung m​it allgemeinen Beschreibungen u​nd Analysen wieder i​n den Vordergrund: d​er „Flankenmarsch“ d​er Russen zuerst n​ach Osten u​nd dann i​m Bogen n​ach Süden, u​m die nachfolgenden napoleonischen Truppen z​u täuschen (II,I ff.), d​er Rückzug Napoleons a​us Moskau u​nd die russischen Reaktionen, w​ie der Angriff i​n der Schlacht b​ei Tarutino (II, III ff.) o​der Kutusows Vermeidung e​iner großen verlustreichen Auseinandersetzung u​nd die Beobachtung d​es sich i​mmer mehr d​urch Versorgungsengpässe dezimierenden Gegners, begleitet d​urch Angriffe kleiner Gruppen. Insgesamt s​ieht der Erzähler s​ich bei seiner Erläuterung d​er in Partisanen-Taktik unabhängig voneinander operierenden Verbände Dawydows i​n seinem Geschichtsbild d​er kreativen Unordnung w​egen der n​icht koordinierbaren Teilaspekte u​nd der Divergenz d​er Interessen bestätigt. Andererseits untersucht e​r die i​hm nicht einsichtige Strategie d​es angeblichen Genies Napoleon u​nd setzt s​ich u. a. m​it seinen wirkungslosen Proklamationen u​nd dem moralischen Zerfall u​nd der Disziplinlosigkeit seiner marodierenden Armee auseinander, w​as schließlich z​ur Aufgabe Moskaus (II, VIII ff), z​um Rückmarsch, z​u der zunehmend ungeordnet verlaufenden Flucht u​nd damit z​ur weitgehenden Zerstörung d​er großen Armee führt. Er n​immt Kutusow gegenüber Kritikern i​m eigenen Land v​or dem Vorwurf i​n Schutz, s​ich militärisch, z. B. b​ei der Schlacht a​n der Beresina (IV, X) zurückgehalten, Napoleon u​nd seinen Stab n​icht gefangen genommen u​nd damit s​eine Expansionspolitik n​icht beendet z​u haben. Der Erzähler arbeitet d​iese kontroverse Diskussion i​n fiktive Einzelhandlungen ein, i​n denen d​er General volksnah u​nd auch d​en Gefangenen gegenüber mitfühlend dargestellt i​st (IV, VI). Kutusows Ziel, u​nd seine militärische Möglichkeit, s​ei nicht d​ie europäische Dimension Zar Alexanders gewesen, sondern a​us seinem Nationalgefühl heraus m​it einem „Volkskrieg“ d​en Feind o​hne große Schlacht a​us dem Land z​u treiben u​nd mit d​en eigenen Kräften verantwortungsvoll umzugehen (III, XIX u​nd IV, IV ff.). Er w​arnt in diesem Zusammenhang v​or einer Glorifizierung Napoleons u​nd davor, i​n der Entscheidung, s​eine Soldaten zurückzulassen u​nd sich m​it seiner Schlittenfahrt z​u retten, e​in Zeichen d​er Größe z​u sehen. Ironisch zitiert e​r Napoleon: „Vom Erhabenen z​um Lächerlichen i​st nur e​in Schritt“ (III, XVIII).

Petja Rostow wird bei einem Angriff von einer Kugel getötet (viertes Buch, III, XI).

In d​en Einzelhandlungen w​ird die n​eue Taktik a​n den Operationen Denissows m​it seinem Kosaken-Trupp veranschaulicht, d​em sich Petja, d​er jüngste Sohn d​er Rostows, angeschlossen h​at (III, III ff.). Es i​st die große Zeit für wagehalsige Kämpfer w​ie Dolochow, d​er in französischer Uniform d​ie Stellungen u​nd Operationen d​es Gegners auskundschaftet. Einmal w​ird er begleitet v​om naiv-kriegsbegeisterten Petja, d​er sich a​ls Held i​m Kampf bewähren w​ill und ungeduldig seinem Einsatz entgegenfiebert. Ohne a​uf die Warnungen Denissows z​u hören, reitet e​r stürmisch i​m Hof e​ines von Franzosen besetzten Gutshauses i​n den für i​hn tödlichen Kugelhagel (III, IV ff.). Bei dieser Aktion werden russische Gefangene, u. a. Pierre, befreit (III, XI). Dieser h​at auf seinem Marsch m​it seiner d​urch Hunger u​nd Krankheit dezimierten Gruppe a​n zerstörten Wagen u​nd Tierkadavern vorbei s​eine neue diesseitsbezogene Lebensauffassung n​icht aufgegeben. Er bewältigt Tag für Tag u​nd denkt n​icht über s​ich selbst nach: „Je schwieriger s​eine Lage wurde, j​e schrecklicher d​ie Zukunft war, d​esto unabhängiger v​on der Situation, i​n der e​r sich befand, k​amen ihm freudige u​nd beruhigende Gedanken, Erinnerungen u​nd Vorstellungen“ (III, XII). Nach seiner Befreiung k​ehrt er m​it Optimismus n​ach Moskau zurück. Die Stadt w​ird nach d​em Brand wieder aufgebaut. Er regelt d​ie Sanierung seiner Häuser u​nd die Schulden seiner Frau, m​it der e​r nun, w​ie mit a​llen Menschen, Mitleid empfindet. Als e​r mit Marja u​nd Natascha über i​hre traurigen Erlebnisse spricht (IV, XV ff.), merken alle, d​ass sie s​ich verändert h​aben und i​m Leben gereift sind. Die gemeinsame Trauer über d​ie Toten i​hrer Familien verbinden Pierre u​nd Natascha m​it der Hoffnung a​uf den Neuanfang i​n einer Ehe. Später w​ird er s​ich an d​iese Phase a​ls „Zeit d​es glücklichen Wahnsinns“ erinnern. Durch Natascha i​st Pierres „Herz […] v​on Liebe s​o übervoll, d​ass er d​ie Menschen o​hne Grund liebte u​nd nicht z​u widerlegende Gründe fand, für d​ie es w​ert war, s​ie zu lieben.“ (IV, XX).

Epilog

Die Geschichtsbetrachtungen einzelner Kapitel d​er vier Bücher w​ird im Epilog i​n einer Art Essay zusammengefasst u​nd systematisiert: In d​en ersten Kapiteln d​es ersten Teils greift d​er Erzähler (bzw. Autor) verschiedene historische Analysen v. a. d​es dritten u​nd vierten Buches auf. Er beschreibt d​ie Erfolge u​nd Misserfolge Napoleons u​nd Zar Alexanders u​nd sieht d​arin ihre Rolle i​m großen, d​em Menschen unverständlichen Spiel d​es Geschichtsregisseurs. Im zweiten Teil untersucht e​r die Frage n​ach der Kraft, welche d​ie Völker bewegt u​nd sie Kriege führen lässt. Dabei s​etzt er s​ich mit Theorien u​nd Definitionen d​er Geschichtsschreiber verschiedener Jahrhunderte auseinander u​nd weitet d​ie Betrachtung a​us zu philosophischen Fragen n​ach dem Wesen d​es Menschen, seinen Möglichkeiten u​nd Grenzen. Aspekte d​er Analyse s​ind die göttlichen Lenkung, d​ie angebliche Genialität d​er Politiker u​nd Feldherrn o​der das Resultat d​er Entwicklung a​us einer Vielzahl v​on unterschiedlich ausgerichteten Kräften m​it Kreislaufbewegungen, philosophische u​nd politischen Ideen, d​ie Willensfreiheit d​es einzelnen u​nd das Gesetz d​er Notwendigkeit, d​er Wille d​er Massen, politische Macht u​nd unrechtmäßige Gewalt. Er k​ommt zu d​em Ergebnis, d​ie Geschichtsforschung sollte d​ie Vorgänge s​o weit w​ie möglich objektiv-undogmatisch u​nd differenziert betrachten.

Stammbaum für Krieg und Frieden[8]

Der private Handlungsstrang i​m ersten Teil (I, V ff.) spielt zwischen 1813 u​nd 1820 u​nd handelt v​on den Verbindungen Nataschas u​nd Pierres s​owie Marjas u​nd Nikolais. Während d​ie Ehe Pierres u​nd Nataschas n​ach dem Trauerjahr geschlossen wird, fällt e​s Nikolai n​ach dem Tod d​es Vaters schwer, d​ie Tilgung seiner Familienschulden d​urch die Heirat d​er reichen Marja m​it seiner Ehre z​u vereinbaren. Mit seinem Beamtengehalt k​ann er gerade s​eine Mutter, d​er die finanzielle Situation verheimlicht werden muss, u​nd Sonja unterhalten. Doch Marja gelingt es, i​hn auf d​er Grundlage i​hrer Liebe v​on einer Lösung z​u überzeugen. Sie heiraten, l​eben zusammen m​it seiner Familie u​nd Andrejs Sohn Nikolai a​uf ihrem Gut Lyssyje Gory, e​r kümmert s​ich um Verwaltung u​nd Landwirtschaft u​nd kann m​it den Erträgen d​ie Schulden abtragen. Sein Erfolgsrezept i​st es, d​ie Arbeit seiner Bauern z​u beobachten u​nd sich i​n sie hineinzudenken. So k​ann er v​iel lernen u​nd zugleich i​hr Vertrauen gewinnen u​nd mit i​hnen gut kooperieren (I, VII).

Die harmonische Familiensituation w​ird während d​es Aufenthalts d​er Besuchows b​ei den Rostows i​m Herbst u​nd im Winter 1820 beschrieben (I; IX ff.). Marja u​nd Natascha h​aben die Lebenserfüllung i​n ihren Rollen a​ls glückliche Mütter u​nd Ehefrauen gefunden. Natascha h​at sogar i​hre Eitelkeit u​nd Putzsucht aufgegeben u​nd bewundert i​hren klugen Mann. Marja führt e​in Tagebuch über i​hre Kinder u​nd die Gedanken über d​ie richtige Erziehungsmethode u​nd der w​egen seiner Unbeherrschtheit m​it sich o​ft unzufriedene Nikolai l​iebt sie w​egen ihres i​hm überlegenen Seelenlebens u​nd ihrer erhabenen sittlichen Welt. Sie l​eben mit i​hren zahlreichen Kindern, w​ie die a​lten Rostows, g​anz auf d​ie Familie konzentriert, allerdings gesellschaftlich reduziert u​nd bescheidener, i​n einer bürgerlich-moralischen Familienauffassung. Pierre w​ird wegen seiner ruhigen, freundlichen Persönlichkeit während seiner Besuche z​ur Mittelpunktfigur, d​em alle Sympathien gelten, v. a. Andrejs Sohn, d​er 15-jährige sensible Nikolenka, s​ieht in d​em alten Freund seines Vaters s​ein Vorbild. Wie dieser möchte e​r nicht Soldat, sondern Gelehrter werden. Er hört aufmerksam zu, w​ie Pierre v​on seinen Gesprächen m​it Gleichgesinnten i​n Petersburg erzählt, d​enen er d​ie Idee e​ines russischen Tugendbundes z​ur moralischen u​nd sozialen Reform d​er Gesellschaft vorgetragen hat, während Nikolai d​arin einen Aufstand g​egen die Regierung befürchtet, d​ie er a​ls Soldat verteidigen würde. Vielleicht i​st dies e​in Hinweis a​uf den Dekabristenaufstand fünf Jahre später.

Übersicht der Hauptpersonen

Die folgende Tabelle der Hauptpersonen in Tolstois Krieg und Frieden[9] ist in der ersten Spalte nach der Familie geordnet, so dass die zugehörigen Personen einer Familie beieinander stehen. Die Tabelle kann durch Klicken auf nach jeweils einer Spalte umsortiert werden.

In d​er Spalte Verwandtschaft / Charakteristik werden Verwandtschaftsverhältnisse d​urch Bezug a​uf Familiennamen u​nd Nummer i​n der Spalte Familie dargestellt. So bedeutet z. B. „Nichte v​on Besúchow 1“: Nichte v​on Graf Kiríll Wladímirowitsch Besúchow, d​er als Besúchow 1 i​n der Spalte Familie eingeordnet ist.

Außer b​ei deutschen Namensformen w​ird die Betonung d​urch einen Akzent (´) über d​em betonten Vokal angegeben.

Beim Vatersnamen s​ind die Endungen -owitsch/-ewitsch, -itsch u​nd -ytsch gleichbedeutend, z. B. Iwánowitsch, Iwánitsch, Iwánytsch.

Spaltensortierung 
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FamilieTitelVornameVatersnameFamiliennameRufnameVerwandtschaft / Charakteristik
BagratiónFürstPjotrIwánowitschBagratiónArmeekommandeur
BaláschewBaláschewGeneraladjutant des Zaren
Berg 1AlfonsKárlytschBergAdolfOffizier deutscher Herkunft
Berg 2VeraIljínitschnaBerg, geb. RostówaFrau von Berg 1, älteste Tochter von Rostów 1
Besúchow 1GrafKiríllWladímirowitschBesúchow
Besúchow 2GrafPeter, PjotrKiríllowitschBesúchowPierreunehelicher Sohn von Besúchow 1
Besúchow 3GräfinHeleneWassíljewnaBesúchowa geb. KuráginaLola1. Frau von Besúchow 2
Besúchow 4GräfinNatalieIljínitschnaBesúchowa geb. RostówaNatáscha2. Frau von Besúchow 2
Besúchow 5PrinzessinKatharinaSemjónownaMamontowaCatícheNichte von Besúchow 1
Besúchow 6PrinzessinOlgaMamontowaNichte von Besúchow 1
Besúchow 7PrinzessinSophieMamontowaNichte von Besúchow 1
Besúchow 8Ósip, ÒssipAlexéjewitschBasdjéjewJósif, Jóssifbedeutender Freimaurer
BilíbinBilíbinDiplomat
Bolkónski 1FürstNikoláiAndréjewitschBolkónski„der alte Fürst“
Bolkónski 2FürstAndréjNikolájewitschBolkónskiAndrúscha, AndréSohn von Bolkónski 1
Bolkónski 3PrinzessinMárjaNikolájewnaBolkónskaja verh. RostówMarie, MáschaTochter von Bolkónski 1
Bolkónski 4FürstinElisabeth, LisawetaKárlownaBolkónskaja geb. MeinenLisa, LiseFrau von Bolkónski 2, „die kleine Fürstin“
Bolkónski 5FürstNikoláiAndréjewitschBolkónskiNikóluschka, NikólenkaSohn von Bolkónski 2
Bolkónski 6MademoiselleAmaliaJewgénjewnaBouriénneAmélieGesellschafterin von Bolkónski 3
Bolkónski 7TíchonKammerdiener bei Bolkónski 1
Bolkónski 8JákowAlpátytschVerwalter bei Bolkónskis, = Bolkónski 9
Bolkónski 9JakobAlpátitschVerwalter bei Bolkónskis, = Bolkónski 8
DavoútMarschallDavoút, Herzog von EggmühlVertrauter Napoleons
Denísow 1WassíliDmítrytschDenísow, DeníssowWáskaHusarenoffizier, Freund von Rostów 3
Denísow 2LawréntiLawrúschkaBursche von Denísow 1, später von Rostów 3
Dólochow 1MárjaIwánownaDólochowa
Dólochow 2FjódorIwánowitschDólochowFédjaSohn von Dólochow 1, Offizier und Abenteurer, Zechbruder von Kurágin 4
Drubezkói 1FürstinÁnnaMicháilownaDrubezkája
Drubezkói 2FürstBorísDrubezkóiBórja, BorenkaSohn von Drubezkói 1
Karágin 1FürstinMárjaLwównaKarágina
Karágin 2JúljaKaráginaJulieTochter von Karágin 1
KaratájewPlatónKaratájewein kriegsgefangener Bauer
Kurágin 1FürstWassíliSergéjewitschKuráginBasile
Kurágin 2FürstinAlínaKuráginaAlineFrau von Kurágin 1
Kurágin 3FürstIppolítWassíljewitschKuráginältester Sohn von Kurágin 1
Kurágin 4FürstAnatólWassíljewitschKuráginjüngster Sohn von Kurágin 1
Kurágin 5PrinzessinHeleneWassíljewnaKurágina verh. BesúchowaLolaTochter von Kurágin 1
KutúsowGeneralMicháilIllariónowitschKutúsowOberkommandierender der Armee
NapoleonKaiserNapoleon I.Bonaparte
RostoptschínGrafRostoptschínGouverneur von Moskau
Rostów 1GrafIljáAndréjewitschRostówElie„der alte Graf“
Rostów 2GräfinNatalieRostówa geb. SchinschinaFrau von Rostów 1, „die alte Gräfin“
Rostów 3GrafNikoláiIljítschRostówNikólenka, Nicolas, Nikóluschka, Kolja, Kokoältester Sohn von Rostów 1
Rostów 4GrafPeter, PjotrIljítschRostówPétjajüngster Sohn von Rostów 1
Rostów 5VeraIljínitschnaRostówa, verh. Bergälteste Tochter von Rostów 1
Rostów 6NatalieIljínitschnaRostówa verh.BesúchowaNatáschajüngste Tochter von Rostów 1
Rostów 7GräfinMárjaNikolájewnaRostów geb. BolkónskajaMarie, MáschaTochter von Bolkónski 1
Rostów 8SófjaAlexándrownaSónjaNichte von Rostów 1
Rostów 9MárjaDmítrijewnaAchrosímowaVerwandte von Rostów 1
Rostów 10PeterNikolájitschSchinschinCousin von Rostów 2
Rostów 11DimítriWassíljewitschMítenkaVerwalter bei Rostóws
SachárytschDronSachárytschDrónuschka
TimóchinTimóchinInfanterieoffizier
TúschinTúschinArtillerieoffizier
Zar 1ZarAlexander I.PáwlowitschRomanowZar 1801–1825
Zar 2GroßfürstKónstantinPáwlowitschRomanowBruder von Zar 1
Zar 3ZarinmutterMariaFeódorownaMutter von Zar 1
Zar 4ÁnnaPáwlownaSchererAnnetteHofdame von Zar 3

Rezeption

Stefan Zweig führte d​ie enorme Wirkung d​es Romans darauf zurück, d​ass „die Sinnlosigkeit d​es Ganzen (des Krieges) s​ich in j​eder Einzelheit spiegelt“, d​ass „der Zufall hundertmal entscheidet s​tatt der Berechnung“ d​er klugen Strategen.[10] Thomas Mann l​obte das epische Riesenwerk, d​as man z​u seiner Zeit n​icht mehr hätte vollbringen können.

Krieg u​nd Frieden w​urde in d​ie ZEIT-Bibliothek d​er 100 Bücher aufgenommen.

Adaptionen

Oper

Auf d​en 1938 ergangenen Vorschlag v​on Erwin Piscator h​in komponierte d​er sowjetische Komponist Sergei Prokofiew i​n den vierziger Jahren d​ie Oper Krieg u​nd Frieden, welche 1955 i​m damaligen Leningrad uraufgeführt wurde. 1973 w​urde das für s​eine Architektur berühmte Opernhaus i​m australischen Sydney m​it dieser Oper eingeweiht.

Verfilmungen

  • Krieg und Frieden (1915), die erste russische Adaption des Themas (Война и мир (Voyna i mir)) Regie: Vladimir Gardin mit ihm selbst und der Ballerina Vera Karalli
  • Krieg und Frieden (1956), ein amerikanischer Film unter der Regie von King Vidor, mit Audrey Hepburn (Natáscha), Henry Fonda (Pierre, s. u.) und Mel Ferrer (Andrej): Die Darstellung der Natáscha durch Audrey Hepburn wurde allgemein gelobt, während die Besetzung der Rolle des jungen Pierre Besúchow (der als „Zuschauer“ unmittelbar in die Schlacht von Borodino, den Brand Moskaus und den Rückzug Napoleons hineingerät) durch Henry Fonda teilweise kritisch gesehen wurde. Das obligate Liebespaar wurde in diesem Film durch Audrey Hepburn und Mel Ferrer repräsentiert. An der Kinokasse hatte das Monumentalwerk wenig Erfolg und erhielt, obwohl es für Kostüme, Kamera und Regie nominiert war, keine Oscars.[11]
  • Krieg und Frieden (1966–1967), sowjetische Verfilmung desselben Stoffes unter der Regie von Sergei Bondartschuk – die bis heute in Bezug auf Kosten, Material und Statisten aufwändigste Verfilmung des Stoffes. Der Film erhielt 1969 den Oscar für den besten fremdsprachigen Film.
  • Die letzte Nacht des Boris Gruschenko (Originaltitel: Love and death) aus dem Jahr 1975, eine satirische Verfremdung des Romans Krieg und Frieden von und mit Woody Allen.
  • Krieg und Frieden als englische Fernsehserie (Time Life Films London, 1972) in 20 Folgen, lief Anfang der 1970er Jahre in der ARD. Die Rolle des Pierre Besuchow spielte Anthony Hopkins. Regie führte John Davies.
  • Krieg und Frieden (2007), vierteilige europäische Filmproduktion. Regie: Robert Dornhelm.
  • Krieg und Frieden (War and Peace, 2016), sechsteilige englische Fernsehproduktion. Produziert von BBC.

Hörspiel

Ballett

Theater

  • Krieg und Frieden, Burgtheater Wien, Österreich. Fassung von Amely Joana Haag unter Verwendung der Übersetzung von Werner Bergengruen, Regie Matthias Hartmann, Premiere am 4. Dezember 2011.
  • Krieg und Frieden, Koproduktion des Centraltheaters Leipzig mit den Ruhrfestspielen Recklinghausen, Übersetzung Barbara Conrad, Regie Sebastian Hartmann, Premiere am 20. Mai 2012. Die Inszenierung wurde 2013 zum Berliner Theatertreffen eingeladen.
  • Krieg und Frieden, Mainfrankentheater Würzburg. Fassung und Inszenierung von Malte Kreutzfeldt unter Verwendung der Übersetzung von Werner Bergengruen, Premiere am 11. April 2015.

Ausgaben

Die Tabelle enthält d​ie Erstausgaben d​er wichtigsten deutschen Übersetzungen. Abweichend d​avon werden einige Ausgaben m​it Besonderheiten bzw. Onlineversionen ebenfalls aufgeführt.

Die Angabe d​er ISBN erfolgt beispielhaft. Alle Übersetzungen s​ind in mehreren Ausgaben erhältlich. Bei d​er Behandlung d​er französischen Textstellen verwenden d​ie Übersetzer unterschiedliche Verfahren:

  • Eindeutschung. Die französischen Textstellen werden auf Deutsch wiedergegeben.
  • Originalwiedergabe auf Französisch ohne Übersetzung.
  • Originalwiedergabe auf Französisch mit Übersetzung in Fußnoten oder in einem Beiheft.

Die Tabellenangaben i​n der Spalte Titel beruhen i​n einigen Fällen a​uf Autopsie (Bergengruen 1953, Lorenz 1978, Conrad 2010), s​onst auf Recherchen i​m Katalog d​er Deutschen Nationalbibliothek, ersatzweise i​n anderen Bibliothekskatalogen o​der in NN 1958.

Hinweis: Ein „E“ n​ach dem Jahr s​teht für „Erstausgabe“.

JahrÜbersetzerAusgabeFranzösische Textstellen
1885 EErnst StrengeKrieg und Frieden. Historischer Roman. Mit Genehmigung des Autors herausgegeben; deutsche Übersetzung von Dr. Ernst Strenge. 4 Bände. Verlag von A. Deubner, Berlin 1885–1886.[12]
1892Ernst StrengeKrieg und Frieden. Historischer Roman. Mit Genehmigung des Autors herausgegeben; deutsche Übersetzung von Ernst Strenge. 2 Bände. 3. Auflage. Reclam, Leipzig [1892].[13]
1892 EClaire von Glümer
Raphael Löwenfeld
Krieg und Frieden. [Übersetzung von Claire von Glümer und Raphael Löwenfeld]. In: Leo N. Tolstoi’s Gesammelte Werke. Band 5–8. Wilhelmi, Berlin 1891–1892.
1893 EL. Albert Hauff
(1838–1904)
Krieg und Frieden. Mit Genehmigung des Verfassers aus dem Russischen übersetzt von L. Albert Hauff. O. Janke, Berlin 1893
Onlineversion im Projekt Gutenberg.
Eingedeutscht.
1915 EHermann Röhl
(1851–1923)
Krieg und Frieden. Ein Roman in fünfzehn Teilen mit einem Epilog [Übertragen von Hermann Röhl]. 3 Bände. Insel-Verlag, Leipzig [1915 oder 1916]; (= Aufbau-Taschenbücher. Band 2405). Aufbau-Taschenbuch, Berlin 2008, ISBN 978-3-7466-2405-1.Eingedeutscht.
1921Hermann Röhl
(1851–1923)
Krieg und Frieden: ein Roman in fünfzehn Teilen mit einem Epilog [Übertragen von Hermann Röhl]. In: Tolstois Meisterromane. Band 4–7. Insel-Verlag, Leipzig 1921.
Onlineversion auf Zeno.org.[14]
Eingedeutscht.
1924 EErich Boehme
(1879–1945)
Krieg und Frieden. Roman [Übertragen von Erich Boehme]. In: Leo N. Tolstoj: Gesamtausgabe in 14 Bänden. Band 2–5.[15] J. Ladyschnikow Verlag, Berlin [1924].Original, ohne Übersetzung.
1925Claire von Glümer
Raphael Löwenfeld
Ludwig Berndl
Krieg und Frieden. [Übertragen von Claire von Glümer; Raphael Löwenfeld. Neu durchgesehen von Ludwig Berndl]. In: Lev N. Tolstoj: Dichterische Schriften. Band 7–10. Diederichs, Jena 1925.
1925 EErich MüllerKrieg und Frieden. Ein Roman [Deutsch von Erich Müller]. 4 Bände. Bruno Cassirer, Berlin 1925.
1925 EMichael Grusemann
(1877 – nach 1920)
Krieg und Frieden. Roman in 4 Bänden [Deutsche Übertragung und Nachwort von Michael Grusemann]. Wegweiser-Verlag, Berlin 1925 oder 1926.Original, ohne Übersetzung.
1926 EMarianne KegelKrieg und Frieden. Roman in 15 Teilen mit einem Epilog von Karl Quenzel. Aus dem Russischen übersetzt von Marianne Kegel. 3 Bände. Hesse & Becker Verlag, Leipzig [1926].
1928 EJulius Paulsen
Reinhold von Walter
(1882–1965)
Harald Torp
Krieg und Frieden. Roman in vier Banden. Übersetzt von Julius Paulsen, Reinhold von Walter und Harald Torp. Gutenberg Verlag, Hamburg [1928].
1942 EOtto Wyss
W. Hoegner
Krieg und Frieden [Aus dem Russischen übertragen von Otto Wyss und teilweise von W. Hoegner]. 2 Bände. Büchergilde Gutenberg, Zürich [1942].
1953 EWerner Bergengruen
(1892–1964)
Krieg und Frieden. Roman. Vollständige ungekürzte Ausgabe in einem Band in der Übersetzung von Werner Bergengruen. Paul List Verlag, München 1953; 6. Auflage. Ebenda 2002, ISBN 978-3-423-13071-4.Original, Übersetzung in Seitenfußnoten.
1954 EWerner Bergengruen
(1892–1964)
Ellen Zunk
Krieg und Frieden. Roman. Übersetzt von Werner Bergengruen, Teil 2 des Epilogs von Ellen Zunk übertragen. Rütten & Loening, Berlin 1954.
1956Marianne KegelKrieg und Frieden. Roman. Aus dem Russischen übertragen von Marianne Kegel, Winkler, München 1956, ISBN 978-3-491-96054-1.Zum Teil eingedeutscht, zum Teil Original, ohne Übersetzung.
1965 EWerner Bergengruen
(1892–1964)
Ellen Zunk
Krieg und Frieden. Roman. Übersetzt von Werner Bergengruen, Teil 2 des Epilogs von Ellen Zunk übertragen. Rütten & Loening, Berlin 1965 i. V. m. Paul List Verlag, Leipzig.Original, Übersetzungen und Personenregister in Beiheften
1965Erich MüllerKrieg und Frieden. Roman [Übersetzt von Erich Müller. Mit einem Essay von Stefan Zweig]. 2 Bände. Bertelsmann Lesering, Gütersloh 1925.
1970Werner Bergengruen
(1892–1964)
Krieg und Frieden. Nachwort von Heinrich Böll. [Aus dem Russischen ins Deutsche übertragen von Werner Bergengruen]. 2 Bände. List, München 1970.Eingedeutscht.
1978 EHertha Lorenz
(* 1916)
Krieg und Frieden. Roman. Aus dem Russischen übertragen und zeitgemäß bearbeitet von Hertha Lorenz. Klagenfurt, Kaiser 1978; ebenda 2005, ISBN 3-7043-2120-6.Eingedeutscht.
2002Marianne KegelKrieg und Frieden. Roman. Aus dem Russischen von Marianne Kegel [mit Personentafel, Zeittafel, Literaturhinweisen, Nachwort und Anmerkungen von Barbara Conrad]. Patmos/Albatros, Düsseldorf 2002, ISBN 3-491-96054-1.Zum Teil eingedeutscht, zum Teil Original, ohne Übersetzung.
2003 EDorothea Trottenberg
(* 1957)
Krieg und Frieden. Die Urfassung. Aus dem Russischen von Dorothea Trottenberg. Mit einem Nachwort von Thomas Grob. Eichborn, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-8218-0702-4.
2010 EBarbara Conrad
(* 1937)
Krieg und Frieden. Übersetzt und kommentiert von Barbara Conrad. 2 Bände. Hanser, München 2010, ISBN 978-3-446-23575-5.
Ausgezeichnet mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2011 (Kategorie: Übersetzung).
Original, Übersetzung in Seitenfußnoten.

Aktuelle Ausgaben

  • Krieg und Frieden. Übersetzung Conrad (2010). dtv, Frankfurt am Main 2011, ISBN 978-3-423-59085-3.
  • Krieg und Frieden. Übersetzung Kegel (Patmos, 1956). Albatros, Düsseldorf 2002, ISBN 3-491-96054-1.
  • Krieg und Frieden. 4 Bände. Übersetzung Boehme (1924). Diogenes, Zürich 2007, ISBN 978-3-257-21970-8 (Text der ersten beiden Ausgaben von 1868/69, mit den Korrekturen und der Kapiteleinteilung der dritten Ausgabe von 1873).
  • Krieg und Frieden. 2 Bände. Übersetzung Röhl (Insel, 1921; neu durchgesehen und gekürzt von Margit Bräuer, 2007). Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-458-35007-1.
  • Krieg und Frieden. Übersetzung Röhl (1921). Anaconda, Köln 2007, ISBN 978-3-86647-176-4.
  • Krieg und Frieden – Gratis E-Book. Null Papier Verlag, Neuss/Düsseldorf 2013, ISBN 978-3-95418-170-4 (Kindle), ISBN 978-3-95418-171-1 (Epub), ISBN 978-3-95418-172-8 (PDF), Download.

Hörbuch

  • Krieg und Frieden. Lesung von Ulrich Noethen, Regie: Ralph Schäfer. 4020 Minuten, 54 CDs, Der Audio Verlag, Berlin 2009, ISBN 978-3-89813-822-2.
  • Krieg und Frieden. Hörspiel des WDR aus dem Jahr 1965, 486 Minuten, 10 CDs, Patmos, Düsseldorf 2006, ISBN 3-491-91203-2.

Literatur

Gesamtdarstellung

  • Hans Rothe: Tolstojs „Krieg und Frieden“. Versuch einer Neubewertung. Schöningh, Paderborn 2020. (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste. Geisteswissenschaften. Vorträge G 459.) ISBN 978-3-506-70290-6

Hauptpersonen

  • Umfassendes Figurenlexikon zu Krieg und Frieden von Anke-Marie Lohmeier auf der Grundlage der neuen Übersetzung von Barbara Conrad (München 2010) im Portal Literaturlexikon online.
  • (Cord): Übersicht der wichtigsten Familien und Personen .
  • Principal Characters. In: Leo Tolstoy: War and Peace, translated from the Russian by Richard Pevear and Larissa Volokhonsky. New York 2007, S. xii–xiii (PDF; 1,1 MB).

Rezensionen

Nachweise

  • NN: L. N. Tolstoj : Bibliographie der Erstausgaben deutschsprachiger Übersetzungen und der seit 1945 in Deutschland, Österreich und der Schweiz in deutscher Sprache erschienenen Werke / mit einem einleitenden Artikel von Anna Seghers. Leipzig 1958.
  • Léon Tolstoï: La guerre et la paix : roman historique, traduit par une Russe.[16] Hachette, Paris 1879.
  • Wladimir Tolstoi im Leipziger Haus des Buches. (Nicht mehr online verfügbar.) In: juden-in-sachsen.de. Mai 2010, ehemals im Original; abgerufen am 18. August 2018 (keine Mementos).@1@2Vorlage:Toter Link/www.juden-in-sachsen.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven) .
Commons: Krieg und Frieden – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wikisource: War and Peace (Tolstoy) – Quellen und Volltexte (englisch)

Einzelnachweise und Anmerkungen

  1. Lew Tolstoi: Krieg und Frieden. Dtv, München 2011, Band 2, S. 1132 ff. Liste der historischen Akteure.
  2. Thomas Grob: Nachwort zu Leo Tolstoi: Krieg und Frieden. Die Urfassung. Eichborn, Berlin 2003.
  3. Ulrich Schmid: Lew Tolstoi. C. H. Beck, München 2010, S. 36.
  4. Angaben im Roman nach dem Julianischen Kalender.
  5. Diese Gespräche sind selbst in der russischsprachigen Originalausgabe französisch geschrieben, um auch allen dieser Sprache unkundigen Lesern die Distanz aufzuzeigen, die zwischen der Mehrheit der Russen und den elitären Kreisen bestand.
  6. Umberto Eco: Quasi dasselbe mit anderen Worten – Über das Übersetzen. 3. Auflage. Nr. 34556. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2014, ISBN 978-3-423-34556-9, S. 199 f. (übersetzt von Burkhart Kroeber).
  7. Zitiert wird, wie auch im Folgenden, nach der B. Conrad-Übersetzung. Lew Tolstoi: Krieg und Frieden. Dtv, München 2011
  8. Er fehlen die drei Kinder Nikolais und der schwangeren Marja: Andrjuscha, Mitja und Natascha. Von Nataschas und Pierres Kindern werden zwei mit Namen genannt: Lisa und der Säugling Petja.
  9. Benutzte Quellen für die Tabelle der Hauptpersonen, siehe #Literatur-Hauptpersonen.
  10. Stefan Zweig: Geschichtsschreibung von morgen. In: Ders.: Die Monotonisierung der Welt: Aufsätze und Vorträge. Frankfurt 1976, S. 16 ff., hier: S. 26.
  11. „Krieg und Frieden“ – Handlung und Infos zum Film. In: moviemaster.de. Abgerufen am 8. April 2021.
  12. Zur ersten deutschen Übersetzung durch Ernst Strenge, den ehemaligen Hauslehrer von Tolstois Kindern, heißt es in einem Tolstoi-Jahr zu einer Veranstaltung aus Anlass des Tolstoi-Jahres 2010: „Wahrscheinlich lag der Übersetzung jedoch nicht das Original zugrunde, sondern der besagte französische Text der Paskjewitsch. Auch die Übersetzung Strenges enthielt „nichts Überflüssiges“: keine philosophischen, militärstrategischen, oder auch nur in irgendeiner Weise theoretischen Exkurse des Schriftstellers.“ Die russische Fürstin Irina Paskjewitsch (1832–1928) hatte 1879 eine französische Übersetzung von Krieg und Frieden herausgebracht.
  13. Veröffentlicht in der populären Reihe Reclams Universal-Bibliothek.
  14. Die Quellenangaben von Zeno.org („Tolstoj, Lev Nikolaevic: Krieg und Frieden. 4 Bde., Leipzig 1922“) reichen nicht aus, um die Online-Version von Zeno.org eindeutig zu identifizieren. Der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek enthält nur einen Eintrag für eine vierbändige Ausgabe, die in Leipzig um das Jahr 1922 verlegt wurde, die Übersetzung von Hermann Röhl von 1921, DNB 560178573. Es ist daher anzunehmen, dass die Online-Version von Zeno.org mit dieser Übersetzung übereinstimmt.
  15. Laut NN 1958, S. 35.
  16. Übersetzung: „Krieg und Frieden. Historischer Roman, übersetzt von einer Russin“. Die Übersetzerin war die Fürstin Irina Paskjewitsch.
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