Pantheismus
Der Ausdruck Pantheismus oder Pantheïsmus (von altgriechisch πᾶν pān „alles“ sowie θεός theós „Gott“)[1] bezeichnet religionsphilosophische Lehren, in denen „Gott“ und Welt (oftmals begriffen als Kosmos) bzw. Gott und Natur gleichgesetzt werden. Das Göttliche wird im Aufbau und in der Struktur des Universums gesehen, es existiert in allen Dingen und beseelt alle Dinge der Welt bzw. ist mit der Welt identisch.[2] „Als All-Einheitslehre behauptet der Pantheismus gegenüber den dualistischen Denkweisen und insbesondere der jüdisch-christlichen Schöpfungstheologie die Immanenz Gottes und die Ununterscheidbarkeit von göttlichem und naturgesetzlichem Wirken.“[3] Somit ist hier kein persönlicher bzw. personifizierter Gott vorhanden. Deshalb wird häufig ein durch geistige Eigenschaften definierter Urgrund als einziges Grundprinzip (Monismus) angenommen.
Der vonseiten der Theologie häufig vorgebrachte Einwand, dass der Pantheismus (deutsch auch „Allgottlehre“) identisch mit dem Atheismus sei, ist nur in dem Sinne gerechtfertigt, dass in der Tat kein von der Welt verschiedener Gott angenommen wird; keineswegs jedoch, dass überhaupt kein Gott bzw. göttliches Prinzip angenommen wird.[4]
Als Sammelname für eine Vielzahl von Erscheinungsformen ist „Pantheismus“ in historischer wie systematischer Hinsicht ein unscharfer Begriff: Je nach Ausprägung berührt sich der Pantheismus mit dem Atheismus und Materialismus (Vorrang des Weltlichen), dem Akosmismus (Lehre von Gott als einziger Wirklichkeit) und der Mystik (spirituelle Vereinigung mit Gott), dem Panentheismus (All-in-Gott-Lehre), dem Panpsychismus (Allbeseeltheitslehre) oder dem Monismus (Einheitslehre).[3]
Besonders schwierig zu unterscheiden vom Pantheismus ist der Kosmotheismus: Während sich das Göttliche für den Pantheisten in der Vielfalt der Welt einmalig und einzigartig ausdrückt, ist die Welt für den Kosmotheisten nur eine Erscheinungsform des göttlichen Seins, neben der es noch andere geben könnte.[4][2]
Der Pantheismus unterscheidet sich vom Panentheismus, der davon ausgeht, dass die Welt in Gott enthalten sei, Gott selbst aber größer als die Welt sei.[5]
Zum Begriff
Der Begriff entstand in der Zeit der Aufklärung und geht auf den britischen Philosophen John Toland zurück, der ihn 1709 als Ausdruck seiner religiösen Überzeugung schuf. Er postulierte, „es gebe kein von der Materie und diesem Weltgebäude unterschiedenes göttliches Wesen, und die Natur selbst, d. h. die Gesamtheit der Dinge, sei der einzige und höchste Gott.“[6] 1720 schrieb er sein Werk Pantheisticon, in dem er Ideen aus der Orphik mit solchen des Hylozoismus kombinierte.
In der zweiten Hälfte des 18. Jh. wurden „Spinozismus“ und „Pantheismus“ oft synonym gebraucht, denn Baruch de Spinoza hatte eine Gleichsetzung von Gott und Natur („Deus sive Natura“, „Gott oder (auch) Natur“) vertreten. In den Pantheismusstreit, der von Friedrich Heinrich Jacobi 1785[7] mit seiner These der Übereinstimmung von Pantheismus und Atheismus ausging, waren als seine Kontrahenten berühmte Aufklärer, wie Moses Mendelssohn, Johann Gottfried Herder und Immanuel Kant, verwickelt.
Monotheistische Denker, die an einen persönlichen Gott glaubten, wandten die Zuschreibung Pantheist polemisch gegen Autoren, die den von ihnen vertretenen Unterschied zwischen Gott und der Welt bzw. der Natur nicht hinreichend betonten. Sie bezeichneten alle Schriftsteller und Gelehrten, die von Spinoza beeinflusst waren, abwertend als „Pantheisten“, so etwa Johann Wolfgang von Goethe und zahlreiche Vertreter der Romantik und des Biedermeier. Tatsächlich liefern die Werke genannter Personen aber unabhängig von der in Abwertung dargestellten Verbindung zum Pantheismus deutliche Hinweise auf deren wirkliche pantheistische Weltsicht.
Jean Guitton (1901–1999) schrieb, jeder Atheismus sei eine Form von Pantheismus, da der Gottesbegriff irgendwie in die Welt hinein gelegt werde. Laut Geo Widengren[8] entwickelt sich aus dem Pantheismus der Polytheismus.
Pantheistische Denkweisen
Bereits in der Antike entwickelten die Vorsokratiker eine Naturphilosophie, die auch Seele und Göttliches miteinbezog. Auch Platons Kosmologie der Weltseele kann teilweise pantheistisch gedeutet werden. Der Neuplatoniker Plotin betonte das All-Eine und war damit ein direkter Vorgänger der Pantheisten. Die Stoiker betrachteten den Logos als universelles Vernunftprinzip, das Göttliche, welches auch in jedem Menschen sei. Im Mittelalter gab es, anknüpfend an Plotin, vereinzelt pantheistische Tendenzen, z. B. bei Nicolaus Cusanus. In der frühen Neuzeit betrachtete Giordano Bruno das Göttliche als Teil des ewigen Kosmos, wobei sich Göttlichkeit in allen Dingen offenbare.
Auch aus den ethnischen Religionen nicht-europäischer Kulturen sind pantheistische Vorstellungen bekannt, so etwa die als Kitchi Manitu bezeichnete, den gesamten Kosmos durchdringende Große Kraft der Algonkin-Indianer oder Wakan Tanka, ein sehr ähnliches Konzept der Sioux-Indianer Nordamerikas.[9] Als Schöpfer eines sufischen Pantheismus gilt der im 9. Jahrhundert lebende persische Mystiker Bāyazīd Bistāmī.[10]
Pantheismus in der Gegenwart
Im 20. Jahrhundert gehörten Frank Lloyd Wright, Neale Donald Walsch und Arnold Toynbee zu den Vertretern des Pantheismus. Auch Albert Einstein („Gott würfelt nicht“) stand pantheistischem Denken nahe, verstand er sich selbst doch nicht nur als konfessionslos, sondern bekannte sich explizit auch als Spinozist[11] und zu einer „kosmologischen Religiosität“.[3] Mit dem wachsenden Bewusstsein für Umweltproblematiken im späten 20. Jahrhundert erstarkte der Pantheismus, unter anderem auch als Alternative zu Christentum und reinem Atheismus.[12] Im Jahr 2018 hat sich ein bundesweiter Verein in Deutschland gegründet, die Liga der Pantheisten, der versucht, Pantheisten und Panentheisten im deutschsprachigen Raum eine Stimme zu geben.
Pantheismus und die Freireligiöse Bewegung
Laut Eigendarstellung der Freireligiösen Bewegung gibt es unter den Freireligiösen auch Pantheisten und pantheistische Gottesvorstellungen.[13]
Kritik am Pantheismus
Jacques de La Faye verfasste 1709 eine Streitschrift gegen den Pantheismus Tolands. Auch Gottfried Wilhelm Leibniz kritisierte Toland und seinen „Pantheismus“, da er über die Welt rede wie über Gott.
Arthur Schopenhauer (1788–1860) kritisierte Pantheismus als „Euphemie für Atheismus“: „Ein unpersönlicher Gott ist gar kein Gott, sondern bloß ein missbrauchtes Wort.“[14] Ebenso beschrieb zu Beginn des 21. Jahrhunderts Richard Dawkins Pantheismus als aufgepeppten Atheismus („sexed-up Atheism“).[15]
Während der traditionelle Gottesbegriff im Theismus von einer völligen Unterschiedenheit von Gott und Welt ausgeht, glaubt der Pantheismus, die Welt mit Gott identifizieren zu können. Dagegen halten christliche Theologen daran fest, dass weder die Welt mit Gott noch Gott mit der Welt identifiziert werden könne. Wenn Gott im „Endlichen“ gründe, werde die Transzendenz Gottes – ein nach christlicher Überzeugung wesentliches Kennzeichen – aufgehoben.[16][17]
Für die katholische Kirche entschied das Erste Vatikanische Konzil 1870, dass man Gott „als wirklich und wesentlich von der Welt verschieden verkünden“ müsse („praedicandus est re et essentia a mundo distinctus“, DS 3001).[18]
Im Januar 2010 kritisierte der Vatikan den Pantheismus aufgrund dessen Verneinung einer menschlichen Überlegenheit über die Natur und warf Pantheisten vor, die Erlösung in der Natur und nicht in Gott zu suchen.[19]
Gegen den Pantheismus werden von christlichen Philosophen zudem folgende Kritikpunkte vorgebracht[20]: Wenn alle Dinge „in Gott“ wären, müssten sie – aufgrund der absoluten Notwendigkeit Gottes und seines „Innenlebens“ – ebenfalls notwendig sein. Damit wäre jede Verantwortlichkeit, insbesondere die für Böses, unmöglich. Menschliche Freiheit wäre damit ebenso ausgeschlossen. Wegen der substanziellen Unselbständigkeit der „Dinge“ wäre dann auch ein auf personaler Selbständigkeit beruhendes menschliches Selbstbewusstsein nicht vorfindbar.
Der rechtsextreme Bund für Deutsche Gotterkenntnis
In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen knüpfte die Gruppe der Ludendorffer, die auch heute noch existiert, an ariosophische Grundlagen an. Mit ihrem eigenständigen Konzept „Deutsche Gotterkenntnis“, wonach das „Erbgut des deutschen Volkes“ durch sein „arteigenes Gotterleben“ vorbestimmt sei, verband die Gruppe Rechtsextremismus mit Pantheismus. Das Christentum wurde abgelehnt und als „Propagandalehre für die jüdische Weltherrschaft“ bezeichnet. In den Schriften der Ludendorffer wurden angebliche Weltverschwörungspläne von Juden, Freimaurern und Jesuiten ausgebreitet.[21]
Siehe auch
Literatur
- Burkhard Gladigow: Pantheismus und Naturmystik. In: Rüdiger Bubner u. a. (Hrsg.): Die Trennung von Natur und Geist. Fink, München 1990, ISBN 3-7705-2644-9, S. 119–143.
- Heinrich Scholz: Zur ältesten Begriffsgeschichte von Deismus und Pantheismus. In: Preußisches Jahrbuch. 142 (1910), S. 318–325.
- Bernhard Maier, Christoph Jamme, Erwin H. U. Quapp: Atheismus. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE). Band 25, de Gruyter, Berlin/New York 1995, ISBN 3-11-014712-2, S. 624–641.
- Jean-Claude Wolf: Pantheismus nach der Aufklärung: Religion zwischen Häresie und Poesie. Alber, Freiburg im Breisgau/München 2013, ISBN 978-3-495-48584-2.
Weblinks
- William Mander: Pantheism. In: Edward N. Zalta (Hrsg.): Stanford Encyclopedia of Philosophy. 21. Januar 2020 (englisch).
- Liga der Pantheisten e. V.
- Martin Bollacher: Pantheismus. In: Online Encyclopedia Philosophy of Nature/Online Lexikon Naturphilosophie. Hrsg. von T. Kirchhoff. Universitätsbibliothek Heidelberg, 6. November 2020 (ISSN 2629-8821; doi:10.11588/oepn.2020.0.75960).
Einzelnachweise
- Wilhelm Gemoll: Griechisch-deutsches Schul- und Handwörterbuch. München/Wien 1965.
- Hintergrundinformationen zur Reihe „religiöse Orientierungen“ der GEFAP e. V. 2003. (pdf; 30 kB) Gesellschaft zur Erforschung und Förderung angewandten Philosophierens e. V. – GEFAP, Hamburg, 14. April 2006, S. 1, abgerufen am 13. August 2014.
- Martin Bollacher: Pantheismus. In: Online Encyclopedia Philosophy of Nature/Online Lexikon Naturphilosophie. Hrsg. von T. Kirchhoff. Universitätsbibliothek Heidelberg, 6. November 2020, abgerufen am 17. November 2020 (ISSN 2629-8821; doi:10.11588/oepn.2020.0.75960).
- Meyers Großes Konversations-Lexikon, Bd. 15, 1905–1909, S. 366 f.
- John Culp: Panentheism. In: The Stanford Encyclopedia of Philosophy. Metaphysics Research Lab, Stanford University, 17. Juni 2020, abgerufen am 8. November 2020.
- J. Toland: Adeisidaemon, … Annexae sunt ejusdem Origines Judaicae. Den Haag 1709, S. 117: „nullum dari Numen a materia & compage mundi hujus distinctum, ipsamque naturam, sive rerum Universitatem, unicum esse & supremum Deum“. Hier zitiert nach W. Schröder: Pantheismus. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 7, S. 59–63, hier S. 59.
- Über die Lehre des Spinoza in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn. Breslau 1785 (2., erweiterte Auflage 1789, 3., abermals erweiterte Auflage. 1819)
- Religionsphänomenologie. de Gruyter, Berlin 1969, S. 113.
- Nils Olav Breivik: Høygud og Kulturbringer. Til Werner Müllers förståelse av de sentrale skogsindianeres religioner. In: Religionsvidenskabeligt Tidsskrift. Nr. 12, 1988, S. 3–24, insbesondere 5–6.
- Max Meyerhof: Persisch Türkische Mystik. Orient-Buchhandlung Heinz Lafaire, Hannover 1921, S. 25 f.
- Gott würfelt nicht. (rtf) (Nicht mehr online verfügbar.) In: SWR2 Wissen. Januar 2011, ehemals im Original; abgerufen am 17. November 2020. (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven)
- Paul Harrison: Elements of Pantheism. 1999.
- Unsere Weltanschauung. In: freireligioese-mannheim.de. Abgerufen am 17. November 2020.
- Parerga und Paralipomena, 1. Teilband (S. 131 im Diogenes-Taschenbuch)
- The God Delusion. Houghton Mifflin, Boston 2006.
- Peter Knauer: Der Glaube kommt vom Hören. Ökumenische Fundamentaltheologie. Styria, Graz/Wien/Köln 1978, S. 49 f.
- Karl Rahner, Herbert Vorgrimler: Kleines theologisches Wörterbuch. Herder, Freiburg/Br. 1961, S. 275 f.
- Josef Neuner, Heinrich Roos: Der Glaube der Kirche in den Urkunden der Lehrverkündigung. Pustet, Regensburg 1965, S. 127.
- Papst Benedikt XVI.: Botschaft zur Feier des Weltfriedenstages 1. Januar 2010, Willst du den Frieden fördern, so bewahre die Schöpfung zur Feier des Weltfriedenstages 2010. In: vatican.va. 8. Dezember 2009, abgerufen am 17. November 2020 (Abs. 13).
- Vgl. Maximilian Rast in: Walter Brugger (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch Verlag Herder, Freiburg 1992, ISBN 3-451-20410-X, S. 283 f.
- Helmut Reinalter: Verschwörungstheorien: Theorie, Geschichte, Wirkung. Studienverlag, Innsbruck 2002, ISBN 978-3-7065-5781-8, S. 117 f.