Kreditmarkt
Der Kreditmarkt (englisch credit market) ist derjenige Teilmarkt des Finanzmarktes, auf dem die Kreditnehmer auf die Kreditgeber treffen.
Allgemeines
Marktteilnehmer sind die Kreditgeber, die das Kreditangebot repräsentieren und Kreditnehmer, welche die Kreditnachfrage bilden. Handelsobjekte sind Kredite aller Art, Marktpreis ist der Kreditzins, Marktvolumen ist das Kreditvolumen. Zweck des Kreditmarktes ist die Finanzierung des Umsatzbedarfs der Volkswirtschaft, die Deckung der Liquidität anderer Wirtschaftssubjekte (Unternehmen, Privathaushalte, Staat nebst Untergliederungen), Konsum- und Investitionsfinanzierung, Vorfinanzierung oder Zwischenfinanzierung.[1] Nicht zum Kreditmarkt, sondern zum Kapitalmarkt, gehört der Rentenmarkt, auf dem in Anleihen verbriefte Kredite gehandelt werden.
Unterschieden werden kann zwischen dem nationalen Kreditmarkt eines Staates und dem internationalen Kreditverkehr, der grenzüberschreitend stattfindet. Zu unterscheiden ist ferner zwischen dem organisierten Kreditmarkt des Bankensystems und dem so genannten unorganisierten freien Kreditmarkt. Zu letzterem gehören Privatkredite zwischen Privatpersonen, Pfandleiher, Kreditvermittlung und Kredithaie.[2]
Marktstrukturen
Allgemein
Sämtliche klassischen volkswirtschaftlichen Produktionsfaktoren werden auf Faktormärkten gehandelt, und zwar die Arbeit auf dem Arbeitsmarkt, der Boden auf dem Immobilienmarkt, Geld auf dem Geldmarkt und das Kapital auf dem Kapitalmarkt:
Während Arbeits- und Bodenangebot stark von Natureinflüssen abhängen (Witterung, Bodenbeschaffenheit), wird das Geld-, Kapital- und Kreditangebot ausschließlich von wirtschaftlichen Erwägungen beeinflusst.[3] Ein Marktsegment des Kreditmarkts bildet der Kredithandel, der meist zwischen Kreditinstituten stattfindet. Nach der Loanable-funds-Theorie wird der Marktzins durch Kreditangebot und Kreditnachfrage bestimmt.[4]
Besonderheiten
Auf dem Kreditmarkt werden Kredite sowohl als Blankokredite als auch besichert gewährt. Diese Unterscheidung hängt von der Kreditwürdigkeit der Kreditnachfrager oder marktüblichen Gepflogenheiten (Immobilienfinanzierung wird stets mit Grundpfandrechten besichert) ab. Zudem sind die Kreditlaufzeiten wesentlicher Bestandteil des Handelsobjekts, die in kurzfristig, mittelfristig und langfristig unterteilt werden.
Funktionen von Kreditmärkten
Man unterscheidet zwischen Mengentransformation, Fristentransformation, Losgrößentransformation und Risikotransformation.
- Mengentransformation
Die Mengentransformation umfasst die Ansammlung der in einer Volkswirtschaft gebildeten Ersparnisse und deren Verteilung zu den Kreditnachfragern in gewünschter Größenordnung.[5] Viele kleine Sparguthaben dienen hierbei als Refinanzierung auch für Groß- oder Millionenkredite.
- Fristentransformation
Die Fristentransformation ermöglicht den Ausgleich der Fristen zwischen Kreditgebern und -nehmern. Dabei handelt es sich um die Frist, während der ein Kredit durch einen Kreditnehmer in Anspruch genommen werden darf und um die Frist, für die ein Sparer seine Spareinlagen zur Verfügung stellt. Diese Fristen weichen in der Regel voneinander ab und werden durch die Fristentransformation für den Kreditmarkt nachfragegerecht gestaltet.
- Losgrößentransformation
Die Losgrößentransformation ermöglicht durch eine Zusammenführung von mehreren Kreditgebern eine Übereinstimmung der durch die Kreditnehmer nachgefragten Beträge, die ein einzelner Kreditgeber nicht zur Verfügung stellen könnte.[6]
- Risikotransformation
Eine Risikotransformation findet auf Kreditmärkten statt, wenn Finanzintermediäre zwischen die Marktteilnehmer mit unterschiedlicher Risikoeinstellung treten und das Ausfallrisiko verändern. Durch die Risikotransformation erhalten die Sparer die Möglichkeit, ihr Kreditrisiko abzusichern oder zu verteilen. Unsichere Zahlungsströme können so in sichere Zahlungsströme umgewandelt werden. So können beispielsweise Risiken durch schwankende Wechselkurse umgewandelt werden.[7]
Kreditangebot
- Anbieter
Anbieter von Krediten sind insbesondere Kreditinstitute mit ihrem Kreditgeschäft, Zentralbanken, Beteiligungsgesellschaften oder auch natürliche Personen beim Privatkredit und Kredithaie. Zentralbanken wie die Europäische Zentralbank halten so genannte „Ständige Fazilitäten“ (englisch standing facility) vor, worunter im Eurosystem die Einlagefazilität und die Spitzenrefinanzierungsfazilität fallen.[8] Diese Fazilitäten stehen den Geschäftsbanken dauerhaft als Kreditangebot zur Verfügung und können bei Bedarf genutzt werden. Die ständigen Fazilitäten dienen dazu, Übernachtliquidität bereitzustellen oder zu absorbieren. Die ständigen Fazilitäten werden im Eurosystem dezentral von den nationalen Zentralbanken verwaltet.[9] Im Interbankenhandel werden zu dem Interbankenzins meist kurzfristige Kredite gewährt, so dass Kreditinstitute auf dem Kreditmarkt sowohl als Kreditanbieter als auch als Kreditnachfrager auftreten.
- Aktive Giralgeldschöpfung
Das bestehende Kreditangebot kann durch aktive Giralgeldschöpfung von den Geschäftsbanken,[10] also durch zusätzliche Geldmenge an Buchgeld, über die bestehende Geldmenge hinaus erhöht werden.[11] Limitierende Faktoren sind dabei der Mindestreservesatz und die Bargeldquote . Ausgangspunkt ist die Überschussreserve , die entsteht, wenn ein Kreditinstitut eine Sichteinlage von Nichtbanken erhält und davon Mindestreserven bei der Zentralbank hinterlegen muss und die Bargeldquote zu berücksichtigen hat:
Sichteinlage von Nichtbanken - Mindestreserve - Bargeldquote = Überschussreserve
Diese Überschussreserve kann als Kredit ausgeliehen werden. Unterstellt man, dass aus diesem Kredit wieder ein Teil zu Sichteinlagen wird, handelt es sich um einen multiplen Prozess der Giralgeldschöpfung in Form einer unendlichen Reihe:
- .
Das maximale Geldschöpfungsvolumen ergibt sich dabei aus der ersten verfügbaren Überschussreserve und den limitierenden Faktoren (Mindestreserve und Bargeldquote zusammengefasst):
- .
Beträgt beispielsweise die Mindestreserve 10 % und die Bargeldquote 30 %, so führt eine ursprüngliche Sichteinlage von 100.000 Euro zu einer multiplen Giralgeldschöpfung von rund 243.000 Euro, um die das Kreditangebot erweitert werden kann. Die Vervielfachung des Kreditangebots durch aktive Giralgeldschöpfung wird mit dem Geldschöpfungsmultiplikator erklärt.
- Angebotsstörungen
Eine Angebotslücke ist die Kreditklemme, ein Angebotsüberhang oder eine Nachfragelücke führen zur Senkung des Zinsniveaus. Ein länger vorherrschender Geldüberhang kann sogar zu Negativzinsen führen.
Kreditnachfrage
Als Kreditnachfrager können alle Wirtschaftssubjekte auftreten, auch diejenigen, die als Kreditinstitute funktional meist als Kreditanbieter fungieren (Refinanzierung). Typische Kreditnachfrager auf dem Kreditmarkt sind Unternehmen (Unternehmensfinanzierung), Privathaushalte (Konsumkredite, kurzfristige Liquiditätsdeckung) oder der Staat nebst Untergliederungen (Staatsfinanzierung, Kassenkredite).
Ein Nachfrageüberhang kann zu Zinssteigerungen führen, die Nachfragelücke bewirkt eine Senkung des Zinsniveaus.
Kreditmarkttheorie
Nach der Kreditmarkttheorie von Karl Brunner und Allan Meltzer wird der Marktzins auf dem Kreditmarkt durch das Kreditangebot der Banken und die Kreditnachfrage der Nichtbanken bestimmt.[12] Das gewinnmaximale Kreditangebot der Kreditinstitute liegt dort, wo die Grenzkosten der Kreditbeschaffung über die Zentralbank gleich dem Marktzins für Kredite sind. Wird der Leitzins erhöht, sinkt das optimale Kreditangebot, weil sich die Refinanzierungskosten für Zentralbankgeld erhöhen und umgekehrt.[13] Steigt der Kreditzins, sind die Anbieter bereit, ihr Kreditangebot zu erhöhen, während die Kreditnachfrage wegen sich erhöhendem Zinsaufwand sinkt.
Marktgleichgewicht
Der Kreditmarkt befindet sich im Marktgleichgewicht, wenn das gesamtwirtschaftliche Kreditangebot der gesamtwirtschaftlichen Kreditnachfrage entspricht:[14]
- .
Das langfristige Marktgleichgewicht ist hergestellt, wenn sich die Kapitalintensität (Kapitalausstattung pro Kopf) nicht mehr verändert.[15] Befindet sich der Kreditmarkt im Gleichgewicht, so gelangen Ersparnis und Investitionen beim Gleichgewichtszinssatz zum Ausgleich. Ein niedriger Kreditmarktzins (Negativzins, Niedrigzinsniveau) kann Kreditnachfrager zur Kreditaufnahme anregen und damit zur Erhöhung des Zinsniveaus beitragen und umgekehrt.
Unvollkommener Kreditmarkt
Kreditmärkte sind unvollkommene Märkte.[16] Das liegt bereits an den erheblich wirkenden Präferenzen (persönliche: unterschiedliche Bonitäten der Kreditnehmer, sachliche: Kreditsicherheiten oder Blankokredit, örtliche: Hausbank). Die Markttransparenz ist gering, es gibt keinen einheitlichen Kreditzins, die Homogenität des Handelsobjekts „Kredit“ ist durch die höchst unterschiedlichen Kreditbedingungen gering.
Einzelnachweise
- Xaver Florentz/Enrique Kassner, Geld und Kredit, 1975, S. 121 f.
- Carl Rosch, Kreditinflation und Wirtschaftskrisen unter besonderer Berücksichtigung der Konjunkturentwicklung Deutschlands vor dem Krieg, 1927, S. 3.
- Wolfgang Heller, Theoretische Volkswirtschaftslehre, 1927, S. 144.
- Dennis Holme Robertson, Industrial Fluctuation and the Natural Rate of Interest, in: The Economic Journal, Vol. 44, 1934, S. 652.
- Werner Ehrlicher, Kompendium der Volkswirtschaftslehre, 5. Auflage, 1975, S. 386.
- Armin Varmaz, Rentabilität im Bankensektor Identifizierung, Quantifizierung und Operationalisierung werttreibender Faktoren, 1. Auflage, 2006, S. 20 ff.
- Anja Benker, Vor- und Nachteile einer kapitalmarktorientierten Unternehmensführung, 2008, S. 8 ff.
- Dietmar Dorn/Rainer Fischbach/Volker Letzner, Volkswirtschaftslehre 2: Volkswirtschaftstheorie und -politik, 2010, S. 153 f.
- Leitlinien der EZB, Ausgabe 2012, Kapitel 3, 1.3.2.
- auch die Zentralbanken wirken bei der Giralgeldschöpfung durch ihre Fazilitäten mit
- Heinz-Josef Bontrup, Volkswirtschaftslehre: Grundlagen der Mikro- und Makroökonomie, 2004, S. 462 f.
- Karl Brunner/Allan Meltzer, Liquidity Traps for Money, Bank Credit, and Interest Rates, in: Journal of Political Economy vol. 76, 1968, S. 127 f.
- Wolfgang Cezanne, Allgemeine Volkswirtschaftslehre, 2005, S. 414.
- Dietmar Wellisch, Finanzwissenschaft III: Staatsverschuldung, 2014, S. 18.
- Dietmar Wellisch, Finanzwissenschaft III: Staatsverschuldung, 2014, S. 19.
- Alfred Stobbe, Mikroökonomik, 1983, S. 314 f.