Herbst-Drehwurz
Die Herbst-Drehwurz (Spiranthes spiralis), auch Drehähre, Schraubenstendel oder Herbst-Wendelähre genannt, aus der Gattung der Drehwurzen (Spiranthes) ist die am spätesten blühende heimische Orchideenart. Der wissenschaftliche Gattungsname Spiranthes wird von den griechischen Wörtern σπεῖρα speira für alles Gewundene, Windung und ἄνθος anthos für Blume, Blüte gebildet und bezieht sich auf den spiralig gewundenen Blütenstand der Pflanze. Auch der lateinische Artname spiralis weist auf diesen Zusammenhang hin. Die deutsche Bezeichnung Herbst-Drehwurz nimmt zusätzlich Bezug auf die späte Blütezeit.[1] Durch besondere Ansprüche an ihren Standort ist die Herbst-Drehwurz sehr selten geworden.
Herbst-Drehwurz | ||||||||||||
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Herbst-Drehwurz (Spiranthes spiralis) | ||||||||||||
Systematik | ||||||||||||
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Wissenschaftlicher Name | ||||||||||||
Spiranthes spiralis | ||||||||||||
(L.) Chevall. |
Beschreibung
Diese sehr zierlich anmutende, ausdauernde krautige Pflanze erreicht Wuchshöhen zwischen 5 und 30 Zentimetern. Dieser Geophyt besitzt zwei Rüben als Speicherorgane, die auch als Wurzeln das Wasser aufnehmen. Es werden keine zusätzlichen Wurzeln gebildet. Vom Herbst bis zum Einziehen der Pflanze werden in der Regel zwei neue Rüben gebildet, seltener auch nur eine oder drei. Die alten sterben langsam ab. Die Blattrosette formt sich in aller Regel aus dicht am Boden anliegenden drei bis sieben glänzenden Laubblättern, die eine Länge von 1,5 bis 3,5 cm und eine Breite von 1 bis 1,5 cm haben.
Entlang des Blütenstängels befinden sich drei bis fünf scheidige Blätter. Er ist besonders im Bereich der Blütenähre stark behaart und erhält dadurch ein graugrünes Aussehen. Der ährige Blütenstand ist 3 bis 12 cm lang und mehr oder weniger spiralförmig gedreht. Die kleinen Blüten duften. Die drei Blütenhüllblätter des äußeren, die zwei des inneren Perigonkreises und die Lippe sind etwa 5 bis 7 mm lang. Der Rand der Lippe ist gekerbt und erscheint aus der Nähe betrachtet wie ausgefranst.
Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 30.[2]
Der Wachstumszyklus während der Vegetationsperiode weicht bei dieser Art sehr stark von den anderen heimischen Orchideen ab: Zwischen Juli und August beginnt der Blütentrieb zu wachsen. Zu dieser Zeit sind noch keine Laubblätter sichtbar. Während der Blütezeit zwischen Ende August und Anfang Oktober treiben sie direkt neben dem Blütentrieb aus. Sie überdauern den Winter und verwelken bis zum Beginn des Sommers. Der nächste Blütentrieb wächst dann aus der Mitte der nicht mehr vorhandenen Blattrosette.
Ökologie
Der Fruchtansatz der unteren und mittleren Blüten einer Ähre ist fast vollständig; die im oberen Viertel sitzenden Blüten verkümmern meist. Die Herbst-Drehwurz gilt als allogam. Bestäuber sind Hummeln, die die spiralförmigen Blütenstände von unten nach oben besuchen. Die Blüten produzieren einen vanilleähnlichen Duft und Nektar, der am Lippenende gesammelt wird. Die Pollinien werden durch das Klinandrium am Herbfallen gehindert, so dass Autogamie unmöglich ist. Aufgrund eines engen Spaltes zwischen der Lippe und dem Rostellum können bei frisch geöffneten Blüten nur die Pollinien mit Hilfe einer einzigen bootförmigen Klebscheibe entnommen werden. Im fortgeschrittenen Blühstadium ist der Zugang zur Narbe erweitert, so dass die Pollinien vom Rüssel der Hummeln übertragen werden können. Ältere Blüten können nur mit dem Pollen jüngerer Blüten bestäubt werden. Ob Hummeln die einzigen Bestäuber sind, ist unklar.
Verbreitung
Das Verbreitungsgebiet der Art umfasst Europa mit Ausnahme der kälteren Gebiete im Norden, außerdem kommt die Art in Nordafrika, Kaukasien und Nordpersien vor.
Wie viele andere heimische Orchideen, zum Beispiel die Ragwurzen (Ophrys), ist die ursprüngliche Herkunft der Herbst-Drehwurz das Mittelmeergebiet. Erst als der Mensch zwischen 7.000 und 4000 v. Chr. sesshaft wurde und Wälder rodete, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben, entstanden die Lebensräume für diese Orchidee und die Ausbreitung nach Norden begann.
In Deutschland liegen die Verbreitungsschwerpunkte auf der Frankenhöhe, im Fränkischen Jura, dem Vorland der Schwäbischen Alb und im Alpenvorland. Wenige Standorte existieren im südlichen Sachsen-Anhalt. Außerhalb dieser Gebiete ist die Pflanze nur noch sehr selten anzutreffen. Im Westen und Nordwesten Deutschlands sind vermutlich alle Standorte erloschen.
In Österreich kommt die Art noch in allen Bundesländern vor, ist aber ebenfalls selten.
In der Schweiz liegen die meisten aktuellen Nachweise am Vierwaldstättersee, im Rheintal bei Chur, im Gebiet des Walensees und im Tessin.
Standorte und Verbreitung in Mitteleuropa
Die Herbst-Drehwurz braucht eher kalkarmen, trockenen humusreichen Lehmboden. Sie besiedelt Trockenrasen, die regelmäßig von Schafen beweidet werden. Offensichtlich ist ihre Entwicklung an die regelmäßige Beweidung durch Schafe gebunden. Wenigstens ist die Art an allen Orten verschwunden, an denen die Weidenutzung durch Schafe eingestellt worden ist. Warum die Entwicklung dieser Orchidee an die Beweidung durch Schafe gekoppelt ist, ist noch nicht geklärt. Gelegentlich kommt die Herbst-Drehwurz auch am Rande von Sumpfwiesen, in Dünentälchen und in lichten Kiefernbeständen vor, sofern auch hier Beweidung durch Schafe stattfindet. Die Herbst-Drehwurz liebt Sommerwärme. In Mitteleuropa ist sie sehr selten, sie kommt jedoch an ihren Standorten meist in lockeren, individuenarmen Beständen vor. Sie steigt in den Mittelgebirgen, im Alpenvorland und in den Alpen meist nur bis etwa 800 m auf. Nach Baumann und Künkele hat die Art in den Alpenländern folgende Höhengrenzen: Deutschland 20–1160 Meter, Frankreich 1–1500 Meter, Schweiz 253–1640 Meter, Liechtenstein 500–800 Meter, Österreich 250–1000 Meter, Italien 4–1320 Meter, Slowenien 50–1000 Meter.[3] In Europa kommt die Art zwischen 1 und 1640 Metern Meereshöhe vor[3], im Mittelmeergebiet nur zwischen 0 und 800 Metern Meereshöhe.[4]
Standort
Die Herbst-Drehwurz wächst auf Magerrasen, Trocken-, Halbtrockenrasen und Heideflächen mit regelmäßiger Beweidung, wodurch die Begleitvegetation niedrig gehalten wird. Sehr selten ist sie auch in lichten Nadelwäldern zu finden.
Typische Begleitpflanzen sind oft die Dornige Hauhechel (Ononis spinosa), Besenheide (Calluna vulgaris) und der Steife Augentrost (Euphrasia stricta).
Die Böden der Biotope sind in der Regel oberflächlich versauert, was auch verschiedene Begleitpflanzen andeuten, z. B. die Besenheide. Selten findet man sie zusammen mit kalkliebenden Pflanzen. Beispielsweise am Rand des Nördlinger Rieses wächst sie zusammen mit der Silberdistel und der Gewöhnlichen Kuhschelle, die beide kalkliebend sind.
Die ökologischen Zeigerwerte nach Landolt & al. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 3+w (feucht aber mäßig wechselnd), Lichtzahl L = 4 (hell), Reaktionszahl R = 3 (schwach sauer bis neutral), Temperaturzahl T = 3+ (unter-montan und ober-kollin), Nährstoffzahl N = 2 (nährstoffarm), Kontinentalitätszahl K = 3 (subozeanisch bis subkontinental).[5]
Nach dem trockenen Sommer 2003 gab es wenig bis keine blühende Pflanzen. Erwartet wurde eine verspätete Blüte im Oktober, aber diese Vermutung bestätigte sich nicht.
Pflanzengesellschaften:
- Verband Mesobromion erecti (Halbtrockenrasen, magere Wiesen und Weiden)
- Verband Violion caninae (Borstgrasrasen tiefer Lagen)
- Verband Molinion caeruleae (Streuwiesen, trockenere Ausprägung)
(Aufschlüsselung siehe Pflanzensoziologische Einheiten nach Oberdorfer)
Naturschutz und Gefährdung
Wie alle in Europa vorkommenden Orchideenarten steht auch die Herbst-Drehwurz unter strengem Schutz europäischer und nationaler Gesetze.
- Rote Liste Deutschland: 3
- Rote Liste Bundesländer: Baden-Württemberg:2, Bayern:3, Hessen:3, Niedersachsen:1, Rheinland-Pfalz:2, Sachsen-Anhalt:1, Thüringen:1.
In den übrigen Bundesländern kommt diese Art nicht oder nicht mehr vor.
Die Herbst-Drehwurz ist abhängig von der regelmäßigen Beweidung ihrer Standorte durch Schafe. Wird diese aufgegeben, verfilzen die Flächen schnell und die konkurrenzschwache Art wird von größeren Pflanzen überwuchert und erhält nicht mehr genug Licht zur Photosynthese. Zunächst bleiben die Blüten aus, nach wenigen Jahren verschwinden auch die Pflanzen. Zu starke oder zur falschen Zeit durchgeführte Beweidungen stellen ebenfalls eine Gefährdung dar. Verweilen die Schafherden zur Blütezeit zu lange auf den Standorten, werden die Blütentriebe entweder abgefressen oder niedergetrampelt. Eine rasch durchziehende Herde hinterlässt aber in der Regel genügend Blütentriebe, deren Samen für den Erhalt der Art sorgen.
Die Bestandsentwicklung in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist abnehmend.
Um auf diese in Mitteleuropa vom Aussterben bedrohte Art hinzuweisen, wurde sie im Jahr 2001 vom Arbeitskreis Heimische Orchideen (AHO) in Deutschland zur Orchidee des Jahres erklärt.
Systematik
Carl von Linné beschrieb 1753 diese Art als Ophrys spiralis (Basionym). Zur damaligen Zeit wurden die Orchideen mit spornlosen Blüten zur Gattung Ragwurzen (Ophrys) gestellt. Neben dem gültigen Namen Spiranthes spiralis (L.) Chevall. 1827 gibt es noch folgende Synonyme:
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Hybride
Es wurde eine Hybride mit der Sommer-Drehwurz (Spiranthes aestivalis) beschrieben.
- Spiranthes × zahlbruckneri H.Fleischm.
Durch die unterschiedlichen Biotope dieser Arten ist die Hybride sehr selten. Es soll Nachweise aus Österreich und Frankreich geben.
Weitere Bilder
- Wuchsort am Rand des Nördlinger Rieses, im Mittelgrund ein Fruchtstand der Gewöhnlichen Kuhschelle
- Zur Verdeutlichung der Größe der Pflanze
- Austreibende Blattrosette
- Spiranthes spiralis (links)
Illustration in:
Otto Wilhelm Thomé: Flora von Deutschland, Österreich und der Schweiz, Gera (1885)
Literatur
Standardliteratur über Orchideen
- Karl-Peter Buttler: Orchideen, die wildwachsenden Arten Europas. Mosaik Verlag, 1986, ISBN 3-570-04403-3.
- Helmut Baumann, Siegfried Künkele: Die wildwachsenden Orchideen Europas. Franckh, 1982, ISBN 3-440-05068-8.
- Robert L. Dressler: Die Orchideen – Biologie und Systematik der Orchidaceae. 1996.
- Hans Sundermann: Europäische und mediterrane Orchideen. 2. Auflage. Brücke-Verlag, 1975, ISBN 3-87105-010-5.
- J. G. Williams: Orchideen Europas mit Nordafrika und Kleinasien. BLV Verlag, ISBN 3-405-11901-4.
- Oskar Sebald, Siegmund Seybold, Georg Philippi, Arno Wörz (Hrsg.): Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs. Band 8: Spezieller Teil (Spermatophyta, Unterklassen Commelinidae Teil 2, Arecidae, Liliidae Teil 2): Juncaceae bis Orchidaceae. Eugen Ulmer, Stuttgart 1998, ISBN 3-8001-3359-8.
- Dietmar Aichele, Heinz-Werner Schwegler: Die Blütenpflanzen Mitteleuropas, Franckh-Kosmos-Verlag, 2. überarbeitete Auflage 1994, 2000, Band 5, ISBN 3-440-08048-X
Belege
- Adolf Riechelmann: Die Orchideen der Fränkischen Schweiz. Palm & Enke, Erlangen 2011, ISBN 978-3-7896-1701-0, S. 272 ff.
- Erich Oberdorfer: Pflanzensoziologische Exkursionsflora für Deutschland und angrenzende Gebiete. 8. Auflage. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 2001, ISBN 3-8001-3131-5. Seite 274.
- Helmut Baumann, Siegfried Künkele: Orchidaceae. In: Oskar Sebald u. a.: Die Farn- und Blütenpflanzen Baden-Württembergs. 1. Auflage Band 8, Seite 331. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart 1998. ISBN 3-8001-3359-8
- Helmut Baumann, Siegfried Künkele und Richard Lorenz: Orchideen Europas mit angrenzenden Gebieten. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 2006. ISBN 978-3-8001-4162-3. Seite 301.
- Spiranthes spiralis (L.) Chevall. In: Info Flora, dem nationalen Daten- und Informationszentrum der Schweizer Flora. Abgerufen am 6. April 2021.
Siehe auch
Weblinks
- Spiranthes spiralis. FloraWeb.de
- Herbst-Drehwurz. In: BiolFlor, der Datenbank biologisch-ökologischer Merkmale der Flora von Deutschland.
- Steckbrief und Verbreitungskarte für Bayern. In: Botanischer Informationsknoten Bayerns.
- Thomas Meyer: Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei Flora-de: Flora von Deutschland (alter Name der Webseite: Blumen in Schwaben)
Verbreitungskarten
Regionale Links
- Die Orchideen der Rhön: Herbstdrehwurz, Spiranthes spiralis
- AHO Bayern
- Die Orchideen Deutschlands: Spiranthes spiralis
- AGEO Schweiz: Spiranthes spiralis
- Die Orchideen der Südsteiermark: Spiranthes spiralis