Grosser Rat (Thurgau)
Der Grosse Rat des Kantons Thurgau ist das Parlament des Kantons Thurgau. Er führt rund 20 Sitzungen pro Jahr durch. Diese finden jeweils mittwochs statt; je nach Geschäftslage werden sie halb- oder ganztägig durchgeführt, und zwar in den Monaten April bis September im Rathaus Frauenfeld, in den Monaten Oktober bis März im Rathaus Weinfelden. Der Grosse Rat ist die gesetzgebende und oberste aufsichtsführende Behörde des Kantons. Seine 130 Mitglieder werden nach Proporzverfahren für vier Jahre gewählt, zuletzt am 15. März 2020.
Aufgaben
Die Thurgauer Kantonsverfassung[2] regelt in den Artikeln 34 ff. die Befugnisse des Grossen Rats. Er ist demzufolge die gesetzgebende und oberste Aufsichtsbehörde im Kanton, besteht aus 130 Mitgliedern und wird für vier Jahre gewählt.
Der Grosse Rat wählt aus seiner Mitte jeweils für ein Jahr eine Präsidentin oder einen Präsidenten, eine Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten sowie vier Stimmenzählende. Diese stellen das Büro des Grossen Rats dar. Ebenso wählt der Grosse Rat aus dem fünfköpfigen Regierungsrat die Präsidentin oder den Präsidenten sowie die Vizepräsidentin oder den Vizepräsidenten des Regierungsrates für die Dauer eines Amtsjahres vom 1. Juni bis 31. Mai. Die Inhaberin oder der Inhaber des Regierungsratspräsidentenamtes ist im Jahr darauf nicht wieder wählbar (Art. 38). Des Weiteren wählt der Grosse Rat das Präsidium, die Mitglieder und Ersatzmitglieder der kantonalen Gerichte sowie den Generalstaatsanwalt.
Der Grosse Rat beschliesst Gesetze bzw. deren Änderung oder Aufhebung, wobei es zweimaliger Beratungen bedarf (Art. 36).
Gesetze oder Beschlüsse über Staatsverträge und Konkordate müssen dem Volk zur Abstimmung vorgelegt werden, wenn dies 30 Grossratsmitglieder verlangen. Andererseits kann per Volksbegehren eine fakultative Abstimmung herbeigeführt werden, wenn mindestens 2000 Stimmberechtigte dies innerhalb von drei Monaten fordern (Art. 22).
Die Staatsrechnung und der Budgetentwurf werden vom Grossen Rat verabschiedet (Art. 39).
In Entscheidungen über neue finanzielle Verpflichtungen des Kantons ist der Grosse Rat berechtigt, über Ausgaben einmaliger Natur bis 1 Million Franken bzw. Ausgaben wiederkehrender Art bis Fr. 200'000 frei zu entscheiden. Oberhalb dieser Grenzen besteht die Möglichkeit, vom Grossen Rat gefällte Entscheidungen per fakultativem Referendum einer Volksabstimmung zu unterstellen; 2'000 Stimmberechtigte müssen dies innerhalb von drei Monaten fordern.
Einmalige Neuausgaben von mehr als drei Millionen Franken bzw. neue wiederkehrende Ausgaben von mehr als Fr. 600'000 müssen grundsätzlich per Volksabstimmung abgesegnet werden (Art. 23).
Per Volksinitiative kann zudem eine Verfassungs- oder Gesetzesänderung verlangt werden, die entweder als Anregung oder als ausgearbeiteter Vorschlag an den Grossen Rat gerichtet wird. Einer solchen Initiative müssen innerhalb von sechs Monaten mindestens 4'000 Stimmberechtigte zustimmen (Art. 26).
Im Gegensatz zu vielen anderen Kantonsparlamenten findet im Grossen Rat von Thurgau die Stimmabgabe nicht elektronisch, sondern durch Aufstehen statt. Bei einer namentlichen Abstimmung unter Zuruf des Namens wird die Stimme im Sitzen abgegeben (Art. 32 der Geschäftsordnung des Grossen Rates).[3]
Bei Stimmengleichheit entscheidet in offenen Abstimmungen das Stimmverhalten der Präsidentin oder des Präsidenten; sollte diese oder dieser sich der Stimme enthalten haben, fällt sie oder er den Stichentscheid. Bei geheimen Abstimmungen wird eine Stimmengleichheit als Ablehnung gewertet.
Parteien – Wahlergebnisse seit 1920
Der Grosse Rat bildet seit 1831 (Annahme der Regenerationsverfassung) die Legislative des Kantons Thurgau und wird seither direkt durch das Volk gewählt.[4] Die in den folgenden Jahrzehnten dominanten Freisinnigen organisierten sich jedoch erst nach Wahlniederlagen gegen Demokraten 1890 in der Freisinnig-Demokratischen Partei. Vertreter der bereits zuvor politisch organisierten katholischen Minderheit gründeten 1906 formell die Katholisch-Konservative Partei (ab 1912 Katholische Volkspartei, seit 1971 Christlichdemokratische Volkspartei).[5] Ab 1920 trat der Thurgauische Bauernverband als neue politische Kraft auf, die im Nationalrat mit anderen Bauernparteien eine Fraktion bildete (siehe Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei), aber die Gründung einer eigenen Kantonalpartei vermied und auf kantonaler Ebene mit der FDP verbündet blieb.[4] Teilweise gab es gemeinsame Wahllisten. Erst 1986, nach der Gründung einer kantonalen SVP-Sektion durch die Bauernvertreter, wurde die Fraktionsgemeinschaft mit den Freisinnigen aufgelöst.
1920 wurde erstmals das Proporzwahlverfahren angewandt.
Nachfolgend sind die Sitzverteilungen der Parteien jeweils nach den Grossratswahlen von 1950 bis 2020 dargestellt.[6][7][8][9][10][11][12][13][14][15][16]
Wahlbetrug bei den Grossratswahlen vom 15. März 2020
Nachdem die Grünliberale Partei im Wahlkreis Frauenfeld eine Diskrepanz zwischen den gezählten Wahlzetteln und den Laufzettel-Vermerken festgestellt hatte, reichte sie einen Rekurs gegen das Wahlresultat ein. Die Staatskanzlei liess die Wahlzettel nachzählen und erstattete Strafanzeige wegen Wahlmanipulation.[17] Aufgrund der Ermittlungen wurde ein Grossratssitz vorerst nicht vergeben. Die Generalstaatsanwaltschaft liess im Juni 2020 verlautbaren, dass zwischen 86 und 99 Wahlzettel der GLP vernichtet und durch SVP-Wahlzettel ersetzt worden waren. Der Grosse Rat anerkannte einstimmig die Korrektur des Wahlresultats.[18] Gegenüber dem vorläufigen Wahlresultat verlor somit die SVP einen Sitz an die GLP.[18] Im Juli 2021 verurteilte das Bezirksgericht Frauenfeld den Frauenfelder Ex-Stadtschreiber wegen Wahlbetrug. Gegen das Urteil kann noch Berufung eingelegt werden.[19]
Mitglieder
Mitgliederübersicht
Die jeweils aktuelle Mitgliederübersicht ist im offiziellen Internetauftritt des Grossen Rates ersichtlich.[20]
Wählbarkeit
Artikel 29 der Kantonsverfassung schreibt vor, dass niemand seiner unmittelbaren Aufsichtsbehörde angehören darf. Zudem dürfen Mitglieder des Regierungsrates, des Obergerichtes, des Verwaltungsgerichtes, des Zwangsmassnahmengerichtes und der Rekurskommission nicht dem Grossen Rat angehören.
Artikel 4 des Gesetzes über Stimm- und Wahlrecht schreibt vor, dass eine vom Volk gewählte Person ein Amt nur ausüben kann, wenn diese im Amtsgebiet ihren Wohnsitz hat.
Anzahl und Verteilung auf die Wahlkreise
Die Wahlkreise sind deckungsgleich mit den Bezirken des Kantons Thurgau. Die Zahl der Bezirke lag bei der Grossratswahl im Jahre 2008 noch bei acht. Durch die per 1. Januar 2011 gültige Verwaltungsreform wurde die Zahl der Bezirke ab 2012 auf fünf reduziert.
Die Verteilung der Mandate auf die Bezirke erfolgt durch den Regierungsrat. Massgebend ist dabei die Wohnbevölkerung gemäss kantonaler Statistik am Ende des dritten Kalenderjahres der laufenden Amtsperiode (Art. 36 Gesetz über Stimm- und Wahlrecht).
Die vormalige Verteilung auf die alten acht Bezirke gestaltete sich wie folgt:
Bezirk | Anzahl Vertreter |
---|---|
Arbon | 21 |
Bischofszell | 17 |
Diessenhofen | 4 |
Frauenfeld | 25 |
Kreuzlingen | 18 |
Münchwilen | 21 |
Steckborn | 10 |
Weinfelden | 14 |
Seit 2012 gilt für die Grossratswahlen die Mandatsverteilung auf die fünf Bezirke, bei den Gesamterneuerungswahlen 2020 galt folgende Zuordnung:
Bezirk | Anzahl Vertreter |
---|---|
Arbon | 27 |
Frauenfeld | 32 |
Kreuzlingen | 23 |
Münchwilen | 22 |
Weinfelden | 26 |
Vergütung
Die Entschädigung der Abgeordneten wird per Erlass geregelt. Aktuell gilt der Erlass vom 9. April 2008.[21]
Abgeordnete erhalten danach für Sitzungen des Grossen Rats, der Fraktionen, des Ratsbüros, die einen halben Tag in Anspruch nehmen, Fr. 150 ganztägige Sitzungen werden mit Fr. 250 abgegolten. Für Kommissionssitzungen gilt ein Halbtagessatz von Fr. 200 und ein Ganztagessatz von Fr. 300 Mitglieder, die Sitzungen leiten, erhalten das doppelte Sitzungsgeld.
Zusätzlich erhält der Präsident des Grossen Rates eine pauschale Jahresentschädigung von Fr. 12'000 der Vizepräsident Fr. 1'500.
Die Fraktionen erhalten zudem jährlich Fr. 5'000 zusätzlich pro Mitglied Fr. 300. Findet eine kantonale Abstimmung statt, erhält jede Fraktion zusätzlich eine Entschädigung von Fr. 5'000.
Als Ausgleich erhalten Mitglieder, die keiner Fraktion angehören, jährlich pauschal Fr. 500.
Amtsbezeichnung
Die Amtsbezeichnung für die einzelnen Mitglieder des Grossen Rates lautet Kantonsrätin bzw. Kantonsrat.
Einzelnachweise
- Grossratswahlen 2020: GP und glp gewinnen in fast allen Thurgauer Gemeinden an Parteistärke. Staatskanzlei Kanton Thurgau, abgerufen am 12. Juli 2020.
- Verfassung des Kantons Thurgau
- Geschäftsordnung des Grossen Rates
- André Salathé: Thurgau: Staat und Politik im 19. und 20. Jahrhundert. Historisches Lexikon der Schweiz, 22. Mai 2017, abgerufen am 11. März 2021.
- 8'301 Katholische Kantonalparteien im Thurgau (1906-2006) (1925-2006). Staatsarchiv Thurgau, abgerufen am 11. März 2021.
- Kanton Thurgau: nationale und kantonale Wahlen seit 2006. Staatskanzlei Kanton Thurgau, abgerufen am 4. Mai 2021.
- Thurgauer Chronik 1920. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1923. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1926. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1929. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1932. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1935. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1938. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1941. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1944. Abgerufen am 12. März 2021.
- Thurgauer Chronik 1947. Abgerufen am 12. März 2021.
- Verdacht auf Manipulation: Staatskanzlei reicht Strafanzeige ein. SRG SSR, 1. April 2020, abgerufen am 12. Juli 2020.
- Thurgauer Grosser Rat korrigiert Wahlbetrug. TOP Online, 1. Juli 2020, abgerufen am 12. Juli 2020.
- Verurteilt wegen Wahlfälschung - Frauenfelder Ex-Stadtschreiber schuldig gesprochen. SRG SSR, 7. Juli 2021, abgerufen am 7. Juli 2021.
- Mitgliederverzeichnis Grosser Rat Thurgau auf parlament.tg.ch
- https://www.rechtsbuch.tg.ch/app/de/texts_of_law/171.11/versions/1738 (PDF; 76 kB)