Crew (Marineoffiziere)
Crew ist die informelle Bezeichnung für einen Jahrgang von Marineoffizieren, die zur selben Zeit in eine deutsche Marine eingetreten sind, das heißt in die Kaiserliche Marine, die Reichsmarine, die Kriegsmarine, die Bundesmarine oder die Deutsche Marine.
Geschichte
Unter dem anglophilen Wilhelm II. orientierte sich die Kaiserliche Marine an der Royal Navy. Clay Blair führt zur Entstehung des Begriffs aus: „Im Normalfall trat der deutsche Marinenachwuchs mit achtzehn in die Marine ein, […] wie die Rekruten in der Kaiserlichen Marine verbrachten alle das erste Jahr auf See als Mannschaftsdienstgrade auf einem Segelschiff mit voller Takelage. Das Eintrittsjahr wurde daher als ‚Crew-Jahr‘ bezeichnet, vergleichbar mit dem ‚Class‘-Jahr in anderen Kriegsmarinen.“ (Clay Blair)[1] Bezeichnet wurden die Einstellungsjahrgänge nur mit der Jahreszahl, die sich auch in den Ehrenranglisten findet, beispielsweise Crew 12.[2] Am 1. Oktober 1910 wurde die erste Crew der Marineschule Mürwik eingezogen und erhielt die Bezeichnung Crew 09.[3] Die Reichsmarine der Weimarer Republik behielt die Benennungssystematik bei.
Reichsmarine und Kriegsmarine
Eine Vergrößerung einer Crew wurde erstmals im Jahre 1932 notwendig, als beim Untergang des Schulschiffes Niobe im Fehmarnbelt ein erheblicher Teil der Offiziersanwärter der Crew 1932 ums Leben kamen, die unter Deck am Unterricht teilnahmen, als das Schiff in einer plötzlichen Bö kenterte. Um die entstandene Lücke zu füllen, wurden zum einen im Herbst weitere Rekruten angenommen, zum anderen wurde es Unteroffizieren ermöglicht, in die höhere Laufbahn einzutreten.[4] Zudem wurden zivile Handelsschiffsoffiziere dazu motiviert, in die Reichsmarine einzutreten. Zu diesen sogenannten HSO, die im Jahr 1933 eintraten, aber aufgrund ihrer Vorkenntnisse unter Verzicht auf eine nautische Grundausbildung auf einem Schulschiff in die Crew 1932 „eingereiht“ wurden, gehörten zum Beispiel Günther Prien, Jost Metzler und Wilhelm Schulz. Die Kadetten und die HSO wurden Anfang 1934 zu einer Crew zusammengeführt, zu Fähnrichen befördert und begannen gemeinsam ihre Ausbildung an der Marineschule Mürwik.[4][5] Mit den größer werdenden Crews der Kriegsmarine wurde es notwendig, auch den Einstellungsmonat zu benennen. Manchmal wurde auch nach Kompanien und Inspektionen unterschieden. Einige Crews gaben sich Beinamen, zum Beispiel die Olympia Crew, Crew 38 Großdeutschland oder die Skagerrak Crew 1942.
„Obgleich nach dem 1. Weltkrieg nur etwa 20% aktiv blieben, ging nur mit wenigen der Kontakt verloren. Dabei war die "Crew 14", wie in der Marine die Offizierjahrgänge heißen, nur die ersten Tage in Mürwick zusammen, dann nie wieder.“
„Dieses englische Wort, das eigentlich Mannschaft, Besatzung bedeutet, ist in der Kriegsmarine die traditionelle Bezeichnung der zu gleichem Zeitpunkt eintretenden Offiziersanwärter. Der Begriff Crew schlingt ein festes inneres Band um sie, so stark, wie es wohl nicht einmal bei den gemeinsamen Altersklassen von Schülern und Studenten der Fall ist.“
In der Reichs- und Kriegsmarine war es üblich, dass alle Mitglieder früherer Crews und auch Crewkameraden die Marine verließen, wenn ein neuer Oberbefehlshaber berufen wurde. Diese Tradition wurde – aufgrund des hohen Bedarfs an Offizieren – aufgegeben, als Karl Dönitz zum Oberbefehlshaber der Kriegsmarine wurde.
Bundeswehr
In der Bundeswehr wurde der Crewgedanke beibehalten. Als querschnittliche Verbindung eines Einstellungsjahrgangs ergänzt er die Dienstgradgruppe der Marineoffiziere.[2] Über Jahrzehnte wurden die meisten Crews zum 1. April oder zum 1. Oktober einberufen, seit 1972 zum 1. Juli.[A 1] Ausnahme bildet hier die Crew VI/89, die zum 1. Juni 1989 eingezogen wurde. Wie in der Kriegsmarine werden sie mit der römischen Monatszahl und der arabischen Jahreszahl bezeichnet; so ist die Crew IV/64 im April 1964 (zur Allgemeinen Grundausbildung) eingerückt. Seit dem Jahr 2000 werden die Jahre vierstellig angegeben: Crew VII/2000, Crew I/2001 (Offizieranwärter des Militärfachlichen Dienstes), Crew VIII/2001 (Reserveoffizieranwärter). Die Zuordnung von Seiteneinsteigern und ehemaligen Unteroffizieren ist gängig, in Hinblick auf das Dienstalter aber oft nicht einfach.
In der Bundesmarine durchliefen ungediente Offizieranwärter (und Umsteiger der Handelsmarine) die Grundausbildung (Bundeswehr) zunächst im Marineausbildungsbataillon 3 in Glückstadt. Die Zeit- und Reserveoffizieranwärter der Crew VII/73 durchliefen die Grundausbildung an der Marineunteroffizierschule in Plön. Ab Crew VII/74 fand diese Grundausbildung auch an der Marineschule Mürwik statt. Heute sind in einer Crew mit Einstellungsdatum Juli (VII, Offizieranwärter des Truppendienstes) etwa 220–300 Offizieranwärter beiderlei Geschlechts, einschließlich etwa 10 % ausländische Offizieranwärter (so z. B. jedes Jahr 2–3 Offizieranwärter aus Frankreich). In der Grundausbildung, auf SSS Gorch Fock, an der Marineschule Mürwik und an den Universitäten der Bundeswehr bleibt die Crew großenteils zusammen. Naturgemäß gehen die angehenden Sanitätsoffiziere teilweise andere Wege. Die Seefahrerausbildung erfolgte bis 1990 auch auf dem Schulschiff Deutschland, seither im Einsatzausbildungsverband (EAV).
In der Regel erreichen zehn Offiziere einer Crew den Dienstgrad Kapitän zur See; noch weniger werden Flaggoffizier.
Zusammenhalt
Die Zugehörigkeit zu einer Crew ist kein Verwaltungsakt; man kann aber aus einer Crew nicht „austreten“.[A 2] Über den Tod hinaus bleibt sie ein Personenmerkmal.
„Ist man einmal Mitglied einer Crew geworden, so ist damit eine lebenslange Bindung entstanden, die man nicht zerreißt und welche die Familien mit umfasst.“
Die meisten Crews haben ein mehr oder weniger originelles Wappen mit einem Wahlspruch, zum Beispiel den Großen Wagen und Semper recta via („Immer auf dem richtigen/rechten Kurs“, Crew X/67). Getreu der (überlebten) Devise „Erst siegen, dann heiraten!“[9] ersetzte die „Westindien-Crew“ X/37 Palmwedel und Machete durch Schwert und Ehering.[10]
Die familiäre Kameradschaft wird mit Anschriftenverzeichnissen, Crewtreffen, Rundbriefen und Homepages, zum Teil auch mit Zeitschriften und Jahrbüchern gepflegt. Allgemeine Meldungen erscheinen im internen (gelben) Teil des Marineforums. Die Witwen verstorbener Kameraden gehören zur Crew.
„Bolzen“
Ein alter Brauch ist der sogenannte Crewbolzen, ein Scherz der Fähnriche am Ende des Offizierlehrgangs an der Marineschule Mürwik. Legendär ist das Kinderfest der Crew IV/65. Auf eine gar nicht ernst gemeinte Anzeige im Flensburger Tageblatt kamen hunderte Familien nach Mürwik. Völlig überrascht und unvorbereitet, machte man aus der Not eine Tugend. Das Marinemusikkorps wurde alarmiert. Flensburgs Bäckereien und Getränkemärkte halfen großzügig. Marinehubschrauber machten Rundflüge über der Flensburger Förde.
Nach ihrem Besuch fand eine Heereseinheit ihre Kübelwagen nicht wieder – sie waren im Wald hinter der Schule vergraben. Nicht ohne Reiz waren die Stripperin im Fähnrichskostüm beim Abschlussball (Crew X/69) und der Paradeelefant für den Kommandeur (Crew VII/88).[11] Zur allgemeinen Enttäuschung hatte die Crew VII/98 die MSM ohne Bolzen verlassen – bis im Frühling 2000 ihre Krokusse auf der Admiralswiese blühten.
Das Wehrgeschichtliche Ausbildungszentrum der Marineschule Mürwik führt eine Bolzenakte.
Admirale nach Crew (Bundeswehr)
(Aktive Admirale sind blau markiert)
Literatur
- Jörg Hillmann: „Das rote Schloß am Meer.“ Die Marineschule Mürwik seit ihrer Gründung. Fotografien von Reinhard Scheiblich. Convent-Verlag, Hamburg 2002, ISBN 3-934613-26-8.
- Karl Hinrich Peter: Seeoffizieranwärter. Ihre Ausbildung von 1848 bis heute. 1969 (pkgodzik.de [PDF; 2,6 MB; abgerufen am 20. August 2017] Mit einigen Nachträgen von 1973. Nach dem ursprünglichen Manuskript für das Internet aufbereitet und herausgegeben von Peter Godzik im Jahr 2009.).
- Dirk Richhardt: Auswahl und Ausbildung junger Offiziere 1930–1945. Zur sozialen Genese des deutschen Offizierkorps. Marburg 2002 (uni-marburg.de [PDF; 2,2 MB; abgerufen am 20. August 2017] Marburg, Universität, Dissertation, 2003).
- Thomas Eugen Scheerer: Die Marineoffiziere der Kaiserlichen Marine. Sozialisation und Konflikte (= Kleine Schriftenreihe zur Militär- und Marinegeschichte. Band 2). Winkler, Bochum 2002, ISBN 3-930083-88-4 (Zugleich: Hamburg, Universität, Dissertation, 1994).
- Jens-Peter Voss (Red.): Crew VII/73 - Eine kleine Chronik der ersten 30 Jahre. Hrsg.: Crew VII/73. 1. Auflage. Eigenverlag, Rom 2003, ISBN 3-8330-0481-9.
Anmerkungen
- Die Einstellungstermine waren mit Schuljahresbeginn bzw. -ende und hohem Nachwuchsbedarf begründet. Nach den Kurzschuljahren 1966/67 wurde ab 1968 nur noch zum 1. Oktober einberufen, mit der vorgesehenen Gründung der Universitäten der Bundeswehr ab 1972 zum 1. Juli.
- Bei den Crews, die sich organisiert haben, ist ein Austritt aus dieser Organisation durchaus möglich und wird auch praktiziert.
Einzelnachweise
- Die Jäger. 1939–1942 (= Der U-Boot-Krieg. Band 1). Heyne, München 1998, ISBN 3-453-12345-X, S. 72.
- Hubertus von Puttkamer: Vorwort zu Hillmann: „Das rote Schloß am Meer“. 2002.
- 100 Jahre Marineschule: Geschichte der Schule. sh:z, 11. August 2010; abgerufen am 27. August 2016
- Fritz Brustat-Naval: Ali Cremer: U 333 (= Ullstein. Nr. 33074, Zeitgeschichte). Ungekürzte Ausgabe. Ullstein, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-548-33074-6, S. 27–29.
- Wilhelm Schulz: Über dem nassen Abgrund. Als Kommandant und Flottillenchef im U-Boot-Krieg. E. S. Mittler und Sohn, Berlin u. a. 1994, ISBN 3-8132-0422-7, S. 62–63.
- Friedrich Ruge: In vier Marinen 1. Auflage. Bernard & Graefe, München 1979, ISBN 3-7637-5219-6.
- Heinz Schaeffer: U 977. Geheimfahrt nach Südamerika. Ungekürzte Taschenbuchausgabe, 5. Auflage. Heyne, München 1979, ISBN 3-453-00561-9, S. 80.
- Eric Charles Rust: Naval Officers Under Hitler: The Story of Crew 34. Praeger Publishers Inc., Westport 1991, ISBN 978-1-68247-232-3 (englisch, Gebundene Ausgabe).
- Nach dem bis 1945 geltenden Recht bedurften Beamte und Offiziere der Heiratserlaubnis des Vorgesetzten.
- Crewabzeichen auf deutschen U-Booten. Forum Marinearchiv, abgerufen am 24. Januar 2016 (private Website).
- Holger Ohlsen: Crew-Bolzen: Wenn der Knalleffekt zündet. In: shz.de. 13. Oktober 2010, abgerufen am 24. Januar 2016.