Bismarckturm
Als Bismarckturm bezeichnet man Bismarckdenkmäler, die in Form eines Turms errichtet wurden. Die überwiegende Mehrheit dieser Türme wurde zwischen Otto von Bismarcks Tod 1898 und seinem 100. Geburtstag im Jahr 1915 errichtet; vereinzelt auch davor und danach. Einige Bismarcktürme wurden nicht als solche geplant und gebaut, sondern erst später umgewidmet.[1]
Entstehung
Beginn der Bismarck-Verehrung ab den späten 1860er Jahren
Zahlreiche, meist private Initiativen, verfolgten ab der Reichsgründung 1871 das Ziel, Bismarcktürme zu errichten. Im Jahre 1885 feierte Otto von Bismarck den 70. Geburtstag. Nach seiner Entlassung 1890 als Reichskanzler setzte im Deutschen Kaiserreich eine beispiellose Bismarck-Verehrung ein, die sich nach dem Tod des Altkanzlers 1898 noch verstärkte.
Der erste Turm zu Ehren Bismarcks wurde ab 1863 geplant und 1869 fertiggestellt. Ein privater Bauherr errichtete ihn in Ober Johnsdorf in Niederschlesien.[2] Bis 1898 wurden vereinzelt weitere Türme errichtet, die später als Bismarckturm bezeichnet wurden; es ist jedoch nicht erwiesen, dass diese von Anbeginn an Bismarck gewidmet waren.
Hintergrund der Bismarckturmbewegung: Konzept der Feuerkette
An Fahrt gewann Bismarcktturmbewegung erst nach Bismarcks Tod am 30. Juli 1898, als die Deutsche Studentenschaft sich für eine Kette von in einheitlicher Architektur gestalteten, als „Bismarcksäulen“ bezeichnete Bismarckdenkmale einsetzte. Auf der Spitze dieser Säulen sollte eine Feuerschale angebracht werden, die an bestimmten Tagen zu Ehren des ehemaligen Reichskanzlers – gleich einem Netzwerk in ganz Deutschland – brennen sollten, um so eine Feuerkette durch das ganze Reich zu erzeugen:[3]
„Von der Spitze der Säulen sollen aus ehernen Feuerbehältern Flammen weithin durch die Nacht leuchten, von Berg zu Berg sollen die Feuer mächtiger Scheiterhaufen grüßen, deutschen Dank sollen sie künden, das Höchste, Reinste, Edelste, was in uns wohnt, sollen sie offenbaren, heiße innige Liebe Vaterlandsliebe, deutsche Treue bis in den Tod.“[1]
Der erste dieser Türme entstand bereits im Frühjahr 1899 in Rudolstadt.[1] Die meisten Türme sollten jedoch nach einem Einheitsmodell entstehen. Im April 1899 gewann der Architekt Wilhelm Kreis einen Wettbewerb der Deutschen Studentenschaft durch seinen grundlegenden Musterentwurf „Götterdämmerung“ in Form einer wuchtigen, innen besteigbaren Feuersäule. Dieser Musterentwurf wurde bis 1911 mit individuellen Unterschieden 47 mal ausgeführt und kommt damit einem Typenbau nahe.[3][1] Die meisten Türme folgten jedoch aufgrund lokaler Präferenzen einem davon unabhängigen individuellen Entwurf.
Auf 167 der insgesamt 240 errichteten Bismarcktürme wurden tatsächlich Befeuerungsvorrichtungen für unterschiedliche Brennstoffe angebracht. Da man sich nicht auf einen gemeinsamen Tag der Befeuerung einigen konnte (Bismarcks Geburtstag am 1. April lag in den Semesterferien) und zudem aufgrund sehr ungleicher geographischer Verteilung große Lücken im Netzwerk klafften, setzte sich die Feuerketten-Idee nicht durch.[1]
Weitere Entwicklung im Deutschen Kaiserreich
Das nationalkonservative bürgerliche Lager griff später das Konzept der Bismarcktürme auf. Die als Trutzburgen angelegten Bauten symbolisierten keinen optimistischen Blick in die Zukunft angesichts der erreichten Einheit und der kolonialen Erfolge mehr, sondern die Abwehrhaltung des Bürgertums vor den nachdrängenden sozialen Schichten, die das politische System des Kaiserreiches radikal in Frage stellten. Sie war Ausdruck einer aggressiven nationalen Bewegung, von der die Sozialdemokratie ausgeschlossen war.[4] So lehnte die sozialdemokratische Zeitung Freie Presse die Erhebung Bismarcks zum Nationalgötzen ab.[5] Sie war insofern eine partielle Volksbewegung, da sie sich klar von den Initiativen für Kaiserdenkmäler unterschied, welche mehr aus der traditionellen Elite der preußischen Verwaltungsbeamten bestand. Die Bismarckdenkmäler wurden hingegen von kleinbürgerlichen Angestellten, Handwerkern, kleinen Fabrikanten und kleineren Beamten gestiftet. Sie praktizierte neoheidnische Rituale und war somit Teil der völkisch-nationalen Festivalkultur.[4]
Finanziert wurden die Bismarcksäulen meist durch Spenden (vor allem aus dem Bürgertum). Als Baumaterial sollte jeweils Gestein der näheren Umgebung (zum Beispiel Granit oder Sandstein) verwendet werden. Von den ursprünglich geplanten 410 Bismarcktürmen wurden nur 240 verwirklicht, zahlreiche davon auch im Ausland[1] einschließlich Übersee (Frankreich, Tschechien, Polen, Russland, Österreich, Kamerun, Tansania, Chile, Dänemark und Papua-Neuguinea). Häufig scheiterten Projekte an der Finanzierung oder lokalen politischen Widerständen sowie am 1914 einsetzenden Ersten Weltkrieg. Zu Bismarcks 100. Geburtstag im April 1915 wurden noch ca. 10 Bismarcktürme errichtet; danach wurden (mit Ausnahme des Bismarckturms Concepción in Chile) keine neuen Projekte mehr umgesetzt.
Weimarer Republik und Nationalsozialismus
In der Weimarer Republik wurde der Bismarckkult vor allem von der antirepublikanischen Rechten zelebriert. Neue Bismarcktürme wurden nicht mehr errichtet; es wurden lediglich sehr wenige, bereits vor dem Ersten Weltkrieg begonnene Bauten zu Ende geführt. Der letzte offiziell eingeweihte Bismarckturm war 1934 der Bismarckturm Delecke nahe Möhnesee.
Während des Nationalsozialismus wurden die Bismarcktürme gelegentlich als Kultstätten und für Aufmärsche benutzt.[6] Allerdings reaktivierte das Regime den Bismarckkult nicht, aus Angst vor Konkurrenz zum Führerkult.[3]
An einigen Bismarcktürmen, wie in Hannover und Dresden, fand die Bücherverbrennung der Nationalsozialisten statt.[7][8]
Heutige Verbreitung und Nutzung
Von den ursprünglich ca. 240 Bismarcktürmen und -säulen stehen auf den heutigen Gebieten von Deutschland, Frankreich, Tschechien, Polen, Russland, Österreich, Kamerun, Tansania und Chile noch 173 Bauwerke. Weitere 66 dieser Bauwerke, u. a. auf dem heutigen Gebiet von Dänemark und Papua-Neuguinea, existieren nicht mehr. In Deutschland sind noch 146 von ehemals 184 Türmen erhalten.
Entsprechend der nach dem Zweiten Weltkrieg verblassenden Verehrung Bismarcks haben die Türme heute ihre Bedeutung als Personendenkmal weitgehend verloren; sie dienen stattdessen als touristische Landmarken oder kulturhistorische Denkmäler.[3]
Siehe auch
Weblinks
- Informationsportal Bismarcktürme – Informationsportal von Jörg Bielefeld zu Bismarcktürmen und Bismarcksäulen.
- Der Turmbau zu Bismarck auf SPIEGEL Online.
- Turm und Drang
Literatur
- Jörg Bielefeld, Alfred Büllesbach: Bismarcktürme: Architektur – Geschichte – Landschaftserlebnis. Morisel, 2014, ISBN 978-3-943915-08-2 (180 S.).
- Christoph Moeskes: Turm und Drang. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. 31. Januar 2021, S. 48.
- Henning K. Müller: „Erinnerung an den Gründer des Deutschen Reiches ausgelöscht.“ Der Bismarckturm in Schiffdorferdamm und sein Ende vor 50 Jahren. In: Jahrbuch der Männer vom Morgenstern. Band 95. Bremerhaven 2017, ISBN 978-3-931771-95-9, S. 73–110.
- Sieglinde Seele, Günter Kloss: Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen. Eine Bestandsaufnahme. Michael Imhof, Petersberg 1997, ISBN 3-932526-10-4.
- Sieglinde Seele: Lexikon der Bismarck-Denkmäler. Türme, Standbilder, Büsten, Gedenksteine und andere Ehrungen. Eine Bestandsaufnahme in Wort und Bild. Michael Imhof, Petersberg 2005, ISBN 3-86568-019-4.
Einzelnachweise
- Marc von Lüpke: Bismarck-Türme: Personenkult um Reichsgründer. In: Der Spiegel. 22. Dezember 2014, abgerufen am 18. Mai 2021.
- Der älteste Bismarckturm von 1869 Der Bismarckturm in Ober-Johnsdorf. In: Das Bismarckturm-Infoportal mit Infos über alle 240 Türme. Jörg Bielefeld, abgerufen am 18. Mai 2021.
- Thomas Gräfe: Bismarcktürme und Bismarcksäulen, 31. Januar 2009.
- Lutz Engelskirchen: Denkmal im politischen Raum Das Kaiser Wilhelm Denkmal am Deutschen Eck in seinem Jahrhundert, Dissertation 2013, S. 56, S. 159, S. 215, S. 254, S. 272. S. 305.
- Bismarckturm auf denkmal-wuppertal.de, 12. Oktober 2012.
- Bismarckturm, DFG-VK zitiert aus Thomas Deuster: Der Bismarckturm und Waldpark Marienhöhe, stmv - S. Toeche-Mittler Verlag, Darmstadt 2006.
- Gedenktort Bücherverbrennung an der Geibelbastion auf zukunft-heisst-erinnern.de.
- Dresden. Aufarbeitung der Geschichte, Humanistischer Pressedienst, 11. Mai 2012.