Betziesdorf
Betziesdorf ist ein Stadtteil von Kirchhain im mittelhessischen Landkreis Marburg-Biedenkopf.
Betziesdorf Stadt Kirchhain | |
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Höhe: | 220 (200–225) m ü. NHN |
Fläche: | 8,48 km²[1] |
Einwohner: | 738 (30. Jun. 2019)[2] |
Bevölkerungsdichte: | 87 Einwohner/km² |
Eingemeindung: | 1. Februar 1971 |
Postleitzahl: | 35274 |
Vorwahl: | 06427 |
Stadtgebiet von Kirchhain mit Lage der zwölf Ortsteile | |
Geographie
Die nächsten Orte sind Sindersfeld, Anzefahr und Cölbe-Bürgeln. Betziesdorf liegt in der Nähe der Bundesstraße 62. Durch die Gemarkung des Orts fließt die Ohm, an deren Ufer die Hainmühle liegt.
Geschichte
In der Gemarkung des heutigen Orts liegen Funde von karolingischer Keramik, um 700, vor. Vom 13. Dezember 1254 stammt die älteste bekannte Erwähnung unter dem Namen „Bezchindorph“, als das Kloster Haina hier Besitzungen erwarb.[1] Das Marienstift Wetzlar und der Deutsche Orden waren im Ort begütert. Im Jahr 1366 wurde Betziesdorf das erste Mal als Sitz einer Pfarrei erwähnt.
Zum 1. Februar 1971 wurde die bis dahin selbständige Gemeinde Betziesdorf im Zuge der Gebietsreform in Hessen auf freiwilliger Basis als Stadtteil in die Stadt Kirchhain eingegliedert.[3][4] Für Betziesdorf, wie für alle ehemals eigenständigen Stadtteile von Kirchhain, wurde ein Ortsbezirk mit Ortsbeirat und Ortsvorsteher nach der Hessischen Gemeindeordnung gebildet.[5]
Betziesdorfer Hexenprozesse
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts kam es zu einer Reihe von Hexenprozessen gegen Frauen aus Betziesdorf, was dem Dorf eine traurige Berühmtheit bescherte. Am bekanntesten waren die Verfahren gegen Katharina Lips 1671 und 1673 und gegen ihre 17-jährige Enkelin Ännchen Schnabel 1673. Katharina Lips, die Ehefrau des Schulmeisters, war selbst durch fürchterlichste Folter nicht zu brechen und wurde letztlich freigelassen, aber aus der Landgrafschaft Hessen-Kassel verbannt. Ihre Enkelin hingegen konnte die Folter nicht durchstehen und wurde am 18. Mai 1674 durch das Schwert in Marburg hingerichtet. Der letzte der Betziesdorfer Hexenprozesse begann 1682 gegen Anna Katharina Wolff, auch sie Ehefrau des Dorfschullehrers, und endete am 16. Mai 1685 mit ihrer Ausweisung aus Hessen-Kassel.[6]
Territorialgeschichte und Verwaltung im Überblick im Überblick
Die folgende Liste zeigt im Überblick die Territorien, in denen Betziesdorf lag, bzw. die Verwaltungseinheiten, denen es unterstand:[1][7]
- vor 1567: Heiliges Römisches Reich, Landgrafschaft Hessen, Gericht Schönstadt[8]
- ab 1567: Heiliges Römisches Reich, Landgrafschaft Hessen-Marburg, Amt Marburg[9]
- 1604–1648: Heiliges Römisches Reich, strittig zwischen Landgrafschaft Hessen-Darmstadt und Landgrafschaft Hessen-Kassel (Hessenkrieg), Gericht Schönstadt
- ab 1648: Heiliges Römisches Reich, Landgrafschaft Hessen-Kassel, Amt Marburg
- ab 1806: Landgrafschaft Hessen-Kassel, Amt Marburg
- 1807–1813: Königreich Westphalen, Departement der Werra, Distrikt Marburg, Kanton Rosenthal
- ab 1815: Kurfürstentum Hessen, Amt Marburg[10]
- ab 1821: Kurfürstentum Hessen, Provinz Oberhessen, Kreis Marburg[11]
- ab 1848: Kurfürstentum Hessen, Bezirk Marburg
- ab 1851: Kurfürstentum Hessen, Provinz Oberhessen, Kreis Marburg
- ab 1866: Königreich Preußen, Provinz Hessen-Nassau, Regierungsbezirk Kassel, Kreis Marburg
- ab 1871: Deutsches Reich, Königreich Preußen, Provinz Hessen-Nassau, Regierungsbezirk Kassel, Kreis Marburg
- ab 1918: Deutsches Reich, Freistaat Preußen, Provinz Hessen-Nassau, Regierungsbezirk Kassel, Kreis Marburg
- ab 1944: Deutsches Reich, Freistaat Preußen, Provinz Kurhessen, Landkreis Marburg
- ab 1945: Amerikanische Besatzungszone, Groß-Hessen, Regierungsbezirk Kassel, Landkreis Marburg
- ab 1949: Bundesrepublik Deutschland, Land Hessen, Regierungsbezirk Kassel, Landkreis Marburg
- ab 1974: Bundesrepublik Deutschland, Land Hessen, Regierungsbezirk Kassel, Landkreis Marburg-Biedenkopf
- ab 1981: Bundesrepublik Deutschland, Land Hessen, Regierungsbezirk Gießen, Landkreis Marburg-Biedenkopf
Gerichte seit 1821
Mit Edikt vom 29. Juni 1821 wurden in Kurhessen Verwaltung und Justiz getrennt. Der Kreis Kirchhain war für die Verwaltung und das Landgericht Marburg war als Gericht erster Instanz für Betziesdorf zuständig.[12] Nach der Annexion Kurhessens durch Preußen erfolgte am 1. September 1867 die Umbenennung des bisherigen Landgerichts Marburg in Amtsgericht Marburg.[13][14] Auch mit dem Inkrafttreten des Gerichtsverfassungsgesetzes von 1879 blieb das Amtsgericht unter seinem Namen bestehen.
Bevölkerung
Einwohnerstruktur 2011
Nach den Erhebungen des Zensus 2011 lebten am Stichtag dem 9. Mai 2011 in Betziesdorf 741 Einwohner. Darunter waren 12 (1,6 %) Ausländer. Nach dem Lebensalter waren 132 Einwohner unter 18 Jahren, 318 zwischen 18 und 49, 153 zwischen 50 und 64 und 144 Einwohner waren älter.[15] Die Einwohner lebten in 318 Haushalten. Davon waren 102 Singlehaushalte, 87 Paare ohne Kinder und 99 Paare mit Kindern sowie 24 Alleinerziehende und 3 Wohngemeinschaften. In 66 Haushalten lebten ausschließlich Senioren/-innen und in 219 Haushaltungen lebten keine Senioren/-innen.[15]
Einwohnerzahlen
Quelle: Historisches Ortslexikon[1] | |
• 1577: | 41 (19 landgräfliche) Hausgesesse |
• 1585: | 41 Hausgesessene |
• 1630: | 22 (12 landgräfliche) Hausgesessene. landgräflich: 2 vierspännige, 1 dreispänniger, 2 zweispännige, 4 einspännige Ackerleute, 2 Einläuftige. |
• 1681: | 20 hausgesessene Mannschaften (landgräflicher Anteil) |
• 1746: | 222 Einwohner |
• 1838: | Familien: 36 nutzungsberechtigte, 16 nicht nutzungsberechtigte Ortsbürger, 12 Beisassen. |
Betziesdorf: Einwohnerzahlen von 1834 bis 2019 | ||||
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Jahr | Einwohner | |||
1834 | 391 | |||
1840 | 434 | |||
1846 | 444 | |||
1852 | 468 | |||
1858 | 442 | |||
1864 | 446 | |||
1871 | 396 | |||
1875 | 387 | |||
1885 | 398 | |||
1895 | 341 | |||
1905 | 417 | |||
1910 | 447 | |||
1925 | 456 | |||
1939 | 550 | |||
1946 | 761 | |||
1950 | 765 | |||
1956 | 696 | |||
1961 | 670 | |||
1967 | 711 | |||
1980 | ? | |||
1990 | ? | |||
2000 | ? | |||
2011 | 741 | |||
2015 | 734 | |||
2019 | 738 | |||
Datenquelle: Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen: Die Bevölkerung der Gemeinden 1834 bis 1967. Wiesbaden: Hessisches Statistisches Landesamt, 1968. Weitere Quellen: LAGIS[1]; Stadt Kirchheim:[16][2]; Zensus 2011[15] |
Historische Religionszugehörigkeit
Quelle: Historisches Ortslexikon[1] | |
• 1861: | 438 lutheranische, ein katholischer, 4 jüdische Einwohner. |
• 1885: | evangelische (= 96,73 %), ein katholischer (= 0,25 %), 12 jüdische (= 3,02 %) Einwohner | 85
• 1961: | 613 evangelische (= 91,49 %), 51 katholische (= 7,61 %) Einwohner |
Erwerbstätigkeit
Quelle: Historisches Ortslexikon[1] | |
• 1746: | Erwerbspersonen: 6 Schmiede (5 nur Eigenbedarf), 1 Wagner, 1 Maurer, 1 Schneider, 3 Leineweber, 2 Wirte, 2 Müller, 1 Tagelöhner, 1 Näherin, 1 Viehhändler (Jude). |
• 1838: | Familien: 28 Ackerbau, 18 Gewerbe, 18 Tagelöhner |
• 1961: | Erwerbspersonen: 144 Land- und Forstwirtschaft, 126 Produzierendes Gewerbe, 44 Handel und Verkehr, 30 Dienstleistungen und Sonstiges. |
Partnerschaften
Der Stadtteil lebt seit 1966 eine Partnerschaft mit Plomelin in der Bretagne (Frankreich), wobei die offizielle Städtepartnerschaft mit der Eingemeindung Betziesdorf auf die Stadt Kirchhain übergegangen ist.[17]
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Bauwerke
Im Ort steht eine spätbarocke Pfarrkirche, die 1789 erbaut wurde. Ihr Vorgängerbau wurde 1216 geweiht und 1516 umgebaut. Die Kirche ist von einer polygonalen Mauer umgeben, die im 15./16. Jahrhundert zu einer Wehranlage ausgebaut worden war. Das 1516 erbaute Portal der alten Kirche wurde in die Wehrmauer versetzt.[18]
Nahe Betziesdorf lag die Hunburg.
Sport
Die Fußballmannschaft des TSV Germania Betziesdorf spielt in der Kreisliga B Marburg.
Söhne und Töchter des Ortes
- Katharina Lips (um 1625–unbekannt), wurde 1673 und 1674 in einem Hexenprozess der Folter unterworfen.
Literatur
- Literatur über Betziesdorf nach Stichwort nach GND In: Hessische Bibliographie
- Suche nach Betziesdorf In: Archivportal-D der Deutschen Digitalen Bibliothek
- Suche nach Betziesdorf In: Deutsche Digitale Bibliothek
Weblinks
- Stadtteil Betziesdorf. In: Webauftritt. Stadt Kirchhain
- Betziesdorf. Ortsgeschichte, Infos. In: www.betziesdorf.de. Private Website
- Betziesdorf, Landkreis Marburg-Biedenkopf. Historisches Ortslexikon für Hessen. In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
Einzelnachweise
- Betziesdorf, Landkreis Marburg-Biedenkopf. Historisches Ortslexikon für Hessen. (Stand: 24. Mai 2018). In: Landesgeschichtliches Informationssystem Hessen (LAGIS).
- Haushaltsplan 2020. In: Webauftritt. Stadt Kirchhain, S. 3, abgerufen im November 2020.
- Gemeindegebietsreform: Zusammenschlüssen und Eingliederungen von Gemeinden vom 20. Januar 1971. In: Der Hessische Minister des Inneren (Hrsg.): Staatsanzeiger für das Land Hessen. 1971 Nr. 6, S. 248, Punkt 328, Abs. 54 (Online beim Informationssystem des Hessischen Landtags [PDF; 6,2 MB]).
- Statistisches Bundesamt (Hrsg.): Historisches Gemeindeverzeichnis für die Bundesrepublik Deutschland. Namens-, Grenz- und Schlüsselnummernänderungen bei Gemeinden, Kreisen und Regierungsbezirken vom 27.5.1970 bis 31.12.1982. W. Kohlhammer, Stuttgart/Mainz 1983, ISBN 3-17-003263-1, S. 402.
- Hauptsatzung. (PDF; 193 kB) § 6. In: Webauftritt. Stadt Kirchhain, abgerufen im November 2020.
- betziesdorf.de: Historisches Ortslexikon von den Anfängen bis zum Jahre 2004
- Michael Rademacher: Land Hessen. Online-Material zur Dissertation. In: treemagic.org. 2006 .
- Georg Landau: Beschreibung des kurfürstenthums Hessen. T. Fischer, Kassel 1842, S. 370 (online bei HathiTrust’s digital library).
- Die Zugehörigkeit des Amtes Marburg anhand von Karten aus dem Geschichtlicher Atlas von Hessen: Hessen-Marburg 1567–1604., Hessen-Kassel und Hessen-Darmstadt 1604–1638. und Hessen-Darmstadt 1567–1866.
- Kur-Hessischer Staats- und Adress-Kalender: 1818. Verlag d. Waisenhauses, Kassel 1818, S. 100 f. (online bei Google Books).
- Trennung von Justiz (Landgericht Marburg) und Verwaltung: Verordnung vom 30sten August 1821, die neue Gebiets-Eintheilung betreffend, Anlage: Übersicht der neuen Abtheilung des Kurfürstenthums Hessen nach Provinzen, Kreisen und Gerichtsbezirken. Sammlung von Gesetzen etc. für die kurhessischen Staaten. Jahr 1821 – Nr. XV. – August. (kurhess GS 1821) S. 73 f.
- Neueste Kunde von Meklenburg/ Kur-Hessen, Hessen-Darmstadt und den freien Städten, aus den besten Quellen bearbeitet. im Verlage des G. H. G. privil. Landes-Industrie-Comptouts, Weimar 1823, S. 158 ff. (online bei HathiTrust’s digital library).
- Verordnung über die Gerichtsverfassung in vormaligen Kurfürstentum Hessen und den vormals Königlich Bayerischen Gebietstheilen mit Ausschluß der Enklave Kaulsdorf vom 19. Juni 1867. (PrGS 1867, S. 1085–1094)
- Verfügung vom 7. August 1867, betreffend die Einrichtung der nach der Allerhöchsten Verordnung vom 19. Juni d. J. in dem vormaligen Kurfürstentum Hessen und den vormals Königlich Bayerischen Gebietstheilen mit Ausschluß der Enklave Kaulsdorf, zu bildenden Gerichte (Pr. JMBl. S. 221–224 )
- Ausgewählte Daten über Bevölkerung und Haushalte am 9. Mai 2011 in den hessischen Gemeinden und Gemeindeteilen. (PDF; 1,8 MB) In: Zensus 2011. Hessisches Statistisches Landesamt, S. 28 und 68 .
- Einwohnerzahlen von 30. Juni 2015. Webauftritt Stadt Kirchhain. (Memento vom 23. Dezember 2015 im Internet Archive)
- Webseite der Stadt Kirchhain (Memento vom 3. Mai 2014 im Internet Archive)
- Michael Losse: Die Lahn – Burgen und Schlösser, S. 64