Bahnstrecke Hannover–Minden
Die Bahnstrecke Hannover–Minden ist eine der wichtigsten Eisenbahnstrecken Niedersachsens und Deutschlands. Sie verbindet die niedersächsische Landeshauptstadt Hannover über Wunstorf, Stadthagen und Bückeburg mit Minden, Osnabrück, Amsterdam oder dem Ruhrgebiet. Auf dem Abschnitt Seelze–Wunstorf verläuft die Strecke parallel zur Güterumgehungsbahn Hannover.
Geschichte
Bau und Betrieb
Die Eröffnung der Strecke erfolgte am 15. Oktober 1847 durch die Königlich Hannöverschen Staatseisenbahnen, sie erschloss vor allem das Fürstentum Schaumburg-Lippe samt seiner Residenzstadt Bückeburg und stellte eine durchgehende Verbindung von Hannover ins Rheinland her. Am 12. Dezember 1847 wurde die am damaligen Inselbahnhof Wunstorf abzweigende Bahnstrecke Wunstorf–Bremen eröffnet. Auch sie bildete seither in ihrer gesamten Geschichte eine der wichtigsten Eisenbahnstrecken Deutschlands, da sie die Verbindung der bremischen Häfen mit Süddeutschland herstellt. Weitere Verbindungs- und Anschlussstrecken sind bzw. waren die Bahnstrecke Stadthagen–Stolzenau, die Bahnstrecke Nienburg–Minden, die Stammstrecke der Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft als Fortsetzung der Strecke ins Rheinland, die Bahnstrecke Rinteln–Stadthagen, die Mindener Kreisbahnen und die Bad Eilsener Kleinbahn von Bückeburg nach Bad Eilsen und kurzzeitig über den Vorort Meißen nach Minden.
Mit der Neuordnung der Verkehre nach der Wiedervereinigung gehört diese Ost-West Eisenbahnstrecke zu einer der am stärksten belasteten Schienenstrecken der Deutschen Bahn (mehr als 100.000 Züge im Jahr 2005).[3]
Die Strecke ist seit 2012 zwischen Wunstorf und Minden als "überlasteter Schienenweg" eingestuft.[4]
Unfälle
Am 6. September 1923 fuhr nach dem Fehler eines Blockwärters der D 10 von Berlin nach Köln bei Seelze-Lohnde auf den haltenden D 138 von Leipzig nach Amsterdam auf. 18 Menschen starben, 19 wurden verletzt.[5]
Am 4. Januar 1943 übersah der Lokomotivführer des SFR 2304 vor Wunstorf bei starkem Schneegestöber ein „Halt“ zeigendes Signal und fuhr auf den D 8 auf. 25 Menschen starben, 169 weitere wurden verletzt.[6] Zu den Todesopfern zählte der niedersächsische Wirtschafts- und Verkehrsmanager Kurt Finkenwirth.[7]
Am 19. Mai 2016 kollidierte ein ICE zwischen Wunstorf und Haste mit einem Ausbruch an der Flügelschiene eines Versuchsherzstücks, das den dynamischen Belastungen des Eisenbahnbetriebs nicht standgehalten hatte. Es entstanden Sachschäden an Infrastruktur und Fahrzeugen.[8]
Ausbau
Ausbau zur Schnellfahrstrecke
Der erste Bundesverkehrswegeplan (1973) führte die Ausbaustrecke Dortmund–Hannover–Braunschweig als eines von acht geplanten Ausbauvorhaben im Bereich der Schienenwege.[9] Auch im Bundesverkehrswegeplan 1980 war das Vorhaben enthalten.[10]
Im Jahr 1984 wurde in einem 23,5-Kilometer-Abschnitt zwischen Bückeburg und Haste der Betrieb mit fahrplanmäßigen Fahrgeschwindigkeiten von 200 km/h aufgenommen. 1985 folgte ein 13,0-Kilometer-Abschnitt zwischen Hannover und Wunstorf.[11] Damit ist der 6,9 Kilometer lange Abschnitt zwischen Haste und Wunstorf nicht auf 200 km/h ausgelegt.
Neubaustrecke Bielefeld–Hannover
Eine Neubaustrecke von Bielefeld nach Hannover soll als Schnellfahrstrecke beide Orte in 31 Minuten miteinander verbinden. Bisher braucht ein ICE 49 Minuten. Sie ist zur Umsetzung des Deutschlandtakts im Rahmen des Bundesverkehrswegeplans 2030 notwendig.[12][13]
Ausbau des Engpasses Wunstorf – Minden
Zwischen Wunstorf und Minden ist die Achse noch nicht viergleisig ausgebaut.
Geschichte
Nach dem Abschluss des Ausbaus der Strecke Minden – Hamm war bereits in den 1920er-Jahren der Weiterbau beabsichtigt. Erst mit der Wiedervereinigung rückte die Strecke erneut in den Fokus. Im Bundesschienenwegeausbaugesetz vom 15. November 1993 war die Strecke als neue Maßnahme im vordringlichen Bedarf erwähnt.[14] Im Bundesverkehrswegeplan 2003 war der Ausbau wieder genannt. Im 2007 veröffentlichten Investitionsrahmenplan bis 2010 für die Verkehrsinfrastruktur des Bundes[15] war ein Ausbau nicht enthalten. In der im November 2010 veröffentlichten Bedarfsplanüberprüfung[16] wurde der Ausbau aufgrund eines Nutzen-Kosten-Verhältnisses von unter 1 zurückgestellt. Unter diesen Voraussetzungen war eine Förderfähigkeit des Streckenausbaues nicht gegeben. Der Verkehr sollte sich stattdessen auf den Strecken Löhne–Hildesheim–Braunschweig entwickeln. Gegen diese Entscheidung gab es eine Resolution des Regionalrates des Bezirksregierung Detmold, die eine Berücksichtigung des Streckenausbaues im Bundesverkehrswegeplan 2030 erwartete.[17]
2010 schätzte der Bund die Baukosten laut Bundesverkehrswegeplan 2003 für den viergleisigen Ausbau in Höhe von rund 900 Millionen Euro ein.[18]
Im Referentenentwurf des Bundesverkehrswegeplans 2030 war eine zweigleisige Neubaustrecke zwischen Letter und Lindhorst, von dort eine Erweiterung um zwei weitere Gleise bis Echtorf und eine Neubaustrecke zwischen Echtorf und Porta Westfalica inklusive eines Tunnels durch den Jakobsberg enthalten.[19] Zwischen Porta Westfalica und Letter sollten die neuen Gleise für 230 km/h ausgelegt sein, der Abschnitt Porta-Westfalica - Löhne für maximal 180 km/h. Die Zeitersparnis hierdurch sollte 10 Minuten[20] betragen.
2014 wurde der Streckenabschnitt von der Deutschen Bahn zum überlasteten Schienenweg erklärt.[21]
Planung
Ein viergleisiger Ausbau der Strecke wie auf der westlich anschließenden Bahnstrecke Hamm–Minden ist weiterhin geplant. Jedoch ist noch umstritten, ob die bestehende Trasse durchgehend ausgebaut werden soll oder ob Wunstorf mit einer Neubaustrecke von Seelze bis Haste umfahren werden soll, westlich von Haste soll die bestehende Strecke ausgebaut werden. Im Dritten Gesetz zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes vom 23. Dez. 2016 ist der Ausbau als Nr. 13 im vordringlichen Bedarf enthalten, jedoch nicht als Engpassbeseitigung ausgewiesen. Dabei wird angemerkt: „Ohne Querung Seelze-Süd und ohne Tunnel Jakobsberg unter der Maßgabe, dass die für einen Deutschlandtakt erforderliche Fahrzeitverkürzung von voraussichtlich acht Minuten erreicht wird.“
Die Region Hannover hat in ihrem Regionalen Raumordnungsprogramm festgelegt, den Abschnitt Seelze – Wunstorf zur Verbesserung des Gesamtangebotes im S-Bahn-Betrieb auszubauen. Die Finanzierung ist aber ungeklärt.
Im dritten Gutachterentwurf des Deutschlandtakts ist ein „Überwerfungsbauwerk Seelze“ unterstellt. Dafür sind, zum Preisstand von 2015, Investitionen von 165 Millionen Euro vorgesehen. Weitere 209 Millionen Euro sind für eine eingleisige Verbindungskurve vorgesehen, die bei Hannover-Burg die Strecke mit der Strecke Richtung Hamburg verbinden soll.[22][23]
Ebenfalls im Deutschlandtakt unterstellt ist ein Bahnsteig am Gleis 4 im Bahnhof Haste, für zwei Millionen Euro.[22]
Verkehrsangebot
Auf der gesamten durchgehend elektrifizierten Strecke verkehren Intercity-Express-, Intercity-, Regional-Express-Züge und S-Bahnen. Daneben besteht ein dichter Güterverkehr. Zwischen Minden und Hannover fahren jeweils stündlich RE-Züge (Braunschweig – Bielefeld bzw. Rheine) als Triebwagen des Eisenbahnverkehrsunternehmens Westfalenbahn und S-Bahnen der Linie S1 (Haste–Hannover–Minden). Im Abschnitt Wunstorf–Hannover wird der S-Bahnverkehr durch die Linie S2 Haste–Hannover–Nienburg verdichtet. Diese Strecke wird außerdem von RE-Zügen der Linie Hannover – Bremen – Norddeich Mole befahren.
Zwischen Haste und Hannover gilt der Tarif des Großraum-Verkehrs Hannover (GVH), der Landkreis Schaumburg ist über einen speziellen Zeitkartentarif mit dem GVH verbunden.
Die Strecke ist im Bereich Hannover-Nordstadt–Seelze sechsgleisig, zwischen Hannover Hbf und Hannover-Nordstadt durch getrennte S-Bahn-Gleise viergleisig, zwischen Seelze und Wunstorf durch Mitnutzung der Güterumgehungsbahn viergleisig ausgebaut, im Bereich Wunstorf–Minden zweigleisig. Der Güterverkehr muss deshalb in diesem Bereich immer wieder in die Ausweichgleise fahren, um schnellere Reisezüge passieren zu lassen.
Literatur
- Matthias Blazek: Die Grafschaft Schaumburg 1647–1977. ibidem, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-8382-0257-0, S. 54–63. (Die Geschichte der Bahnstrecke Hannover–Minden)
Einzelnachweise
- DB Netze - Infrastrukturregister
- Eisenbahnatlas Deutschland. 9. Auflage. Schweers+Wall, Aachen 2014, ISBN 978-3-89494-145-1.
- Resolution des Regionalrates des Regierungsbezirks Detmold zur Aufnahme der Schienenausbaustrecke Minden–Haste / Ausbau- bzw. Neubaustrecke Haste–Seelze in das Zielnetz 2025 des Bundesministers für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. In: Mindener Tageblatt. 29. März 2011, abgerufen am 11. April 2011 (PDF; 54 KiB).
- fahrweg.dbnetze.com: Schienennetz-Benutzungsbedingungen der DB Netz AG 2017 (Memento vom 28. August 2017 im Internet Archive; PDF; 1,01 MB)
- Hans Joachim Ritzau: Eisenbahn-Katastrophen in Deutschland. Splitter deutscher Geschichte. Band 1, Landsberg-Pürgen 1979, ISBN 3-921304-38-6, S. 92.
- Hans Joachim Ritzau: Eisenbahn-Katastrophen in Deutschland. Splitter deutscher Geschichte. Band 1, Landsberg-Pürgen 1979, S. 93.
- Waldemar R. Röhrbein: Finkenwirth, Kurt. In: Dirk Böttcher, Klaus Mlynek, Waldemar R. Röhrbein, Hugo Thielen: Hannoversches Biographisches Lexikon. Von den Anfängen bis in die Gegenwart. Schlütersche, Hannover 2002, ISBN 3-87706-706-9, S. 117. (online über Google-Bücher)
- Zwischenbericht. (PDF) GefährlichesEreignisimEisenbahnbetrieb. In: eisenbahn-unterfalluntersuchung.de. Bundesstelle für Eisenbahnunfalluntersuchung, 13. Mai 2020, S. 2, abgerufen am 30. Mai 2020.
- Rüdiger Block: Auf neuen Wegen. Die Neubaustrecken der Deutschen Bundesbahn. In: Eisenbahn-Kurier Special: Hochgeschwindigkeitsverkehr. Nr. 21, 1991, ohne ISSN, S. 30–35.
- Christian Woelker: Bundesverkehrswegeplan '80: Die Schiene holt auf. In: Wolfgang Vaerst, Peter Koch (Hrsg.): Jahrbuch des Eisenbahnwesens, Band 31, Hestra-Verlag, Darmstadt 1980, ISBN 3-7771-0160-5, S. 30–36.
- Rüdiger Block: ICE-Rennbahn: Die Neubaustrecken. In: Eisenbahn-Kurier Special: Hochgeschwindigkeitsverkehr. Nr. 21, 1991, ohne ISSN, S. 36–45.
- Neubaustrecke Bielefeld – Hannover und Schnellfahrstrecke Bielefeld – Hamm. Abgerufen am 7. Oktober 2019.
- Von Bielefeld nach Hannover in 31 Minuten? Abgerufen am 7. November 2019.
- Gesetz über den Ausbau der Schienenwege des Bundes (Bundesschienenwegeausbaugesetz) (PDF-Version) abgerufen am 6. Januar 2011.
- bmvi.de: Investitionsrahmenplan bis 2010 für die Verkehrsinfrastruktur des Bundes (IRP) (Memento vom 18. Dezember 2015 im Internet Archive; PDF; 499 KB)
- bmvbs.de: Ergebnisse der Überprüfung der Bedarfspläne für die Bundesschienenwege und die Bundesfernstraßen (Memento vom 21. November 2010 im Internet Archive; PDF; 3,67 MB)
- Kampeter unterstützt Trassen-Resolution. In: Mindener Tagblatt. 4. April 2011, abgerufen am 11. April 2011.
- Positionspapier der IHK Ostwestfalen-Lippe: „Anschluss halten im Schienenverkehr“ (Memento vom 24. Dezember 2013 im Internet Archive) (PDF; 746 KiB)
- init.pro.contentstream.de: Referentenentwurf des Bundesverkehrswegeplans 2030 (Memento vom 16. März 2016 im Internet Archive; PDF; 6,79 MB), S. 169f
- Milliarden-Tunnel für die Bahn durchs Wesergebirge geplant. auf: nw.de, 19. März 2016.
- Sachstand ÜLS-Strecken. DB Netze, abgerufen am 19. November 2020.
- Marten Maier: Infrastrukturliste Bewertung: Maßnahmen des Planfalls „Deutschlandtakt“, laufende Nummer 44 des Unterabschnitts 2, Vorhaben des Potentiellen Bedarfs des Bedarfsplans der Bundesschienenwege. (PDF) In: bmvi.de. SMA und Partner, 17. August 2021, S. 29 f., abgerufen am 19. August 2021 („2-00“, „Entwurf“).
- Deutschlandtakt: Bewertung Infrastrukturmaßnahmen für den 3. Gutachterentwurf. (PDF) In: downloads.ctfassets.net. Intraplan Consult, TTS TRIMODE Transport Solutions, 17. August 2021, S. 2, abgerufen am 19. August 2021 („Entwurf, Stand: 17.08.2021“).