Wechselspannung
Wechselspannung nennt man eine elektrische Spannung, deren Polarität in regelmäßiger Wiederholung wechselt, deren zeitlicher Mittelwert aber gemäß Normung[1][2] null ist. Die Kurvenform der Spannung ist dabei unerheblich und keineswegs an den Sinusverlauf gebunden.
Schreibweise
Das Formelzeichen für die physikalische Größe „elektrische Spannung“ ist das ; bei Verwechslungsgefahr mit Gleich- oder Mischspannung (Begriffe gemäß[1]) wird eine Wechselspannung gekennzeichnet durch die Tilde als Index, also . Keinesfalls ist das Einheitenzeichen V für Volt mit einem Kennzeichen zu versehen.[3][4] Für eine Wechselspannung von 230 V ist
zu schreiben. Wenn die Tilde nicht verwendet werden kann, wird abgeleitet vom angelsächsischen Sprachraum der Index AC (engl. alternating current) verwendet – sowohl bei Strom (engl. current) als auch bei Spannung (engl. voltage), also . Die Anfügung an das Volt als Einheitenzeichen VAC (engl. volts alternating current) ist wie oben nach deutscher Normung nicht zulässig.
Wird die Wechselgröße als zeitabhängiger Augenblickswert dargestellt, verwendet man Kleinbuchstaben,[5] also bei der Spannung oder .
Festlegungen und Abgrenzungen
Definition
Damit eine mit der Zeit veränderliche elektrische Spannung als Wechselspannung bezeichnet werden kann, muss sie gemäß der genannten Normung zwei Kennzeichen erfüllen:
- Sie ist periodisch, und erfüllt also mit der Periodendauer für alle natürliche Zahlen
- .
- Ihr Gleichwert ist null, also gilt für jeden Zeitpunkt
- ,
oder gleichwertig: Die Fläche zwischen Kurve und Nulllinie ist teils positiv und teils negativ und ergänzt sich nach einer Periodendauer zu null.
Beispiele
- Das Rauschen ist ein stochastischer Prozess, der ständig, aber nicht periodisch verläuft; daher ist die Rauschspannung keine Wechselspannung. In der Nachrichtentechnik wird die Rauschspannung teilweise fälschlich mit der Wechselspannung gleichgesetzt bzw. als eine besondere Form der Wechselspannung definiert, wenn die erforderlichen Eigenschaften von Wechselgrößen (z. B. Periodizität) für den betrachteten Vorgang unerheblich oder vernachlässigbar sind.[1]
- Ein einmaliger Schaltvorgang erfüllt ebenfalls nicht das Kennzeichen eines periodischen Vorgangs.
- Ein sich periodisch wiederholender Schaltvorgang, der zwischen einer positiven und einer negativen Spannung umschaltet, erzeugt dann eine Wechselspannung, wenn der Gleichwert der so erzeugten Spannung null ist.
Entstehung und Verwendung
Die Umwandlung mechanischer Energie in elektrische erfolgt am einfachsten mit einem Wechselstromgenerator, beispielsweise einem Fahrraddynamo. Daneben eignet sich Wechselspannung, beziehungsweise Wechselstrom gut für die Energieübertragung, da sie sich durch Transformatoren einfach auf verschiedene Spannungen reduzieren lässt. Daher ist die aus dem Alltag bekannteste Wechselspannung die Netzspannung aus der Steckdose. Um diese auch aus Gleichstromquellen wie Autobatterien oder Photovoltaikanlagen zu erzeugen wird ein Wechselrichter benötigt.
Die Wechselspannung ist über die allgemeine Form des ohmschen Gesetzes mit dem Wechselstrom verknüpft, es gelten also besondere Rechenregeln bei Lastwiderständen, die zum Gleichstromwiderstand auch noch einen Wechselstromwiderstand besitzen, siehe komplexe Wechselstromrechnung.
Außer dieser Anwendung zur Elektrizitätsversorgung wird Wechselspannung auch in der Nachrichtentechnik verwendet. Ein Beispiel hierfür ist das Mikrofon, das eine Wechselspannung erzeugt, die das aufgenommene Schallereignis abbildet. In der elektrischen Signalverarbeitung und Messtechnik tritt sie laufend in vielfältiger Form auf. Wird eine Mischspannung auf eine Wechselspannungskopplung (z. B. vermittels eines Kondensators) geleitet, so wird nur der Wechselspannungsanteil übertragen.
Kenngrößen
- Nennwert (am Beispiel der Netzspannung)
- Der Nennwert einer Spannung, wie er beispielsweise auf Typenschildern angegeben wird, ist ihr Effektivwert. Bedingt durch Verluste in den Zuleitungen des Verteilernetzes ist die tatsächlich zur Verfügung stehende Spannung jedoch lastabhängig. Durch technische Fortschritte wurde die Toleranz der Netzspannung im Laufe der Geschichte mehrfach verringert. Bei den Nennspannungen von 220 V mit zulässigen Abweichungen +20 %/−10 %, 230 V mit ±10 % oder 240 V mit ±5 % handelt es sich daher um dasselbe Versorgungsnetz, dessen Nennspannung geändert wurde, indem die aktuelle Spannung im Toleranzbereich der vertraglich vereinbarten Nennspannung liegt; siehe auch Bemessungsspannung.
- Effektivwert
- Der Effektivwert (engl. root mean square, RMS) der Spannung entspricht mathematisch der Wurzel aus dem Mittelwert über das Quadrat der Spannungs- bzw. Stromfunktion während einer ganzen Zahl von Perioden. Der Effektivwert entspricht jener Gleichspannung, bei der dieselbe Leistung an einen ohmschen Verbraucher übertragen wird. Bei der Nennung „230 V“ für die im Haushalt übliche Wechselspannung handelt es sich um eine Effektivwertangabe.
- Maximalwert, Spitzenwert, Scheitelwert, Amplitude
- Der Spitzenwert (bei Wechselspannung Scheitelwert genannt[1] und bei sinusförmigem Verlauf Amplitude) ist die höchste (unabhängig von der Polarität) erreichbare Spannungshöhe. Man kann bei gegebenem Effektivwert eines definierten Spannungsverlaufs den Scheitelwert berechnen, bei zufälligen Spannungsverläufen (Audio, Rauschen, …) sind aber nur statistische Angaben möglich.
- Schwingungsbreite, früher Spitze-Spitze-Spannung
- Dieser Spitze-Tal-Wert ist die Differenz zwischen dem positiven und negativen Spitzenwert der Spannungsfunktion. Bei der sinusförmigen Spannung ist sie das Doppelte der Amplitude.
- Gleichrichtwert
- Der Gleichrichtwert ist der Mittelwert der gleichgerichteten Spannung. Dieser lässt sich am einfachsten messen. Viele einfache Messgeräte messen diesen Wert und zeigen ihn mit dem Sinus-Formfaktor 1,11 multipliziert als „Effektivwert“ an. Die Geräte messen daher nur dann richtig, wenn die Kurvenform sinusförmig ist.
- Formfaktor
- Der Formfaktor gibt das Verhältnis des Effektivwertes zum Gleichrichtwert an. Bei sinusförmiger Wechselspannung beträgt er 1,111 (exakt ). Bei statistischen Spannungsverläufen ist der Formfaktor im Gegensatz zum Scheitelfaktor ebenfalls eine eindeutige Zahl, wenn das statistische Verhalten definiert ist (z. B. 1,11 für weißes Rauschen).
- Scheitelfaktor
- Der Scheitelfaktor (engl. crest factor) ist das Verhältnis des Spitzenwertes zum Effektivwert. Mit diesem Faktor kann man die beiden Größen Effektivwert und Spitzenwert umrechnen. Beispielsweise liegt der Scheitelfaktor einer sinusförmigen Wechselspannung bei 1,414 (exakt ). Dies gilt jedoch nur für periodische und genau definierte Spannungsverläufe, bei beliebigen Spannungsverläufen (Messwerte, Rauschen usw.) macht der Scheitelfaktor nur statistische Aussagen über eine verlangte Amplitudenwahrscheinlichkeit (z. B. bei Rauschen mit einer Gauß-Verteilung)
- Frequenz
- Die Frequenz gibt die Anzahl der periodisch auftretenden Schwingungen an bezogen auf die Zeit, in der sie gezählt werden. Prinzipiell ist jede Frequenz möglich; in der technischen Nutzung und Handhabbarkeit sind Wechselspannungen mit eher selten. Bei theoretischen Behandlungen insbesondere sinusförmiger Schwingungen wird auch mit der Kreisfrequenz gerechnet.
Fachliteratur
- Ernst Hörnemann, Heinrich Hübscher: Elektrotechnik Fachbildung Industrieelektronik. 1. Auflage, Westermann Schulbuchverlag GmbH, Braunschweig 1998, ISBN 3-14-221730-4.
- Günter Springer: Fachkunde Elektrotechnik. 18. Auflage, Verlag Europa-Lehrmittel, 1989, ISBN 3-8085-3018-9.
- Horst Stöcker: Taschenbuch der Physik. 4. Auflage, Verlag Harry Deutsch, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-8171-1628-4.
- Wilfried Weißgerber: Elektrotechnik für Ingenieure. 4. Auflage, Verlag Vieweg, 2008, ISBN 978-3834805027.
Einzelnachweise
- DIN 40110-1:1994 Wechselgrößen – Teil 1: Zweileiter-Stromkreise
- DIN 5483-1:1983 Zeitabhängige Größen – Teil 1: Benennung der Zeitabhängigkeit
- DIN 1313:1998 Größen
- Deutsche Übersetzung DIN EN ISO 80000-1: Größen und Einheiten – Teil 1: Allgemeines, Kap. 7.2.1
- DIN 5483-2:1982: Zeitabhängige Größen – Teil 2: Formelzeichen