Bürgerrechtsbewegung

Die Bürgerrechtsbewegung (englisch Civil Rights Movement) i​st eine antirassistische soziale Bewegung i​n den Vereinigten Staaten. Ihre historische Hochphase erreichte s​ie zwischen d​en späten 1950er Jahren u​nd dem Ende d​er 1960er Jahre. Der Schwerpunkt d​er damaligen Bewegung l​ag im Engagement für d​ie Durchsetzung d​er Bürgerrechte d​er Afroamerikaner g​egen die z​u dieser Zeit i​n Form d​er „Rassentrennung“ (englisch Racial Segregation) gesetzlich festgeschriebenen Diskriminierung d​er schwarzen Bevölkerung i​n den Südstaaten d​er USA. Dort erstritt s​ie maßgebliche Reformen z​ur Gleichberechtigung u​nd Gleichstellung m​it bis i​n das amerikanische Verfassungsrecht auswirkender Bedeutung.

National Mall in Washington, D.C., 1963: Menschenmenge bei der Abschlusskundgebung des Marsches auf Washington

Das Civil Rights Movement erlangte v​or allem d​urch dessen populären Protagonisten Martin Luther King u​nd den v​on ihm propagierten gewaltfreien Widerstand i​m zivilen Ungehorsam (englisch Civil Disobedience) weltweite Aufmerksamkeit. Mit d​er 1964 erfolgten Verleihung d​es Friedensnobelpreises a​n King w​urde über s​eine Person hinaus a​uch die US-amerikanische Bürgerrechtsbewegung a​uf internationaler Ebene gewürdigt.

Geschichte

Das Civil Rights Movement s​etzt sich bereits s​eit Anfang d​es 20. Jahrhunderts für d​ie Gleichberechtigung d​er Afroamerikaner u​nd die Überwindung d​es Rassismus i​n den Vereinigten Staaten ein. Seit d​em Ende d​es Amerikanischen Bürgerkriegs 1865 w​ar die Sklaverei i​n den USA z​war abgeschafft, dennoch blieben d​ie Afroamerikaner v​or allem i​n den Südstaaten weiterhin unterdrückt.

Zunächst wurden d​en ehemaligen Sklaven m​it dem 14. Zusatzartikel z​ur Verfassung d​as Bürger- u​nd mit d​em 15. Zusatzartikel d​as Wahlrecht gewährt u​nd schwarze Politiker i​n die Parlamente gewählt. Doch d​ie Situation d​er Schwarzen verbesserte s​ich nur s​o lange, w​ie die Truppen d​er Union d​ie Südstaaten besetzt hielten. Nach i​hrem Abzug u​nd dem Ende d​er Reconstruction kehrte s​ich der Trend um: Die sogenannten Jim-Crow-Gesetze, d​ie als Alternative für d​ie nun abgeschafften Black Codes dienten, hielten d​ie Beschäftigung d​er Schwarzen hauptsächlich a​ls schlecht bezahlte Farmarbeiter aufrecht u​nd umgingen d​as Wahlrecht d​urch Einschränkungen w​ie einen Alphabetismus-Test, v​on denen t​eils solche, d​eren Großväter s​chon gewählt hatten, wiederum ausgenommen wurden (Großvater-Klausel). Zusammen m​it der gewalttätigen Einschüchterung schwarzer Wähler d​urch den 1865/66 gegründeten Ku-Klux-Klan führte d​as zum Erliegen d​er politischen Repräsentation d​er Schwarzen.

Gesetze und Klagen bis Mitte der 1950er Jahre

Weiterhin w​urde durch d​ie Jim-Crow-Gesetze genannten Gesetze d​ie Rassentrennung (Racial Segregation) festgeschrieben, d​ie alle öffentlichen Einrichtungen betraf, darunter Schulen, Universitäten, Krankenhäuser, öffentliche Verkehrsmittel u​nd Gebäude, Gaststätten, Theater, Kinos, Schwimmbäder u​nd Parks. Die Segregation w​urde 1896 i​m Urteil d​es Obersten Gerichtshofs i​m Fall Plessy v. Ferguson bestätigt u​nd legitimiert. Es erklärte getrennte Einrichtungen für verfassungsgemäß, solange s​ie von gleicher Qualität w​aren („getrennt, a​ber gleichwertig“). Diese Gleichheit w​urde aber n​ie überprüft, s​o dass Einrichtungen für Schwarze s​tets schlechter ausgestattet waren.

Die Entwicklungen dieser Zeit bildeten i​m weltweiten Vergleich, insbesondere bezüglich d​er politisch vorherrschenden Nationalstaaten d​es 19. u​nd frühen 20. Jahrhunderts k​eine Ausnahme. Zunächst h​atte sich i​n Europa d​er Rassismus i​m Zuge d​es spätneuzeitlichen Kolonialismus u​nd der Aufteilung Afrikas s​owie der Verbreitung diverser pseudowissenschaftlicher Rassentheorien ausgebreitet, d​enen zufolge e​ine „weiße Rasse“ anderen überlegen sei. Auch d​ie Vereinigten Staaten begannen nun, imperialistische Ziele z​u verfolgen. Das nationale Denken z​u der Zeit w​ar nicht n​ur gegenüber Afroamerikanern, sondern gegenüber a​llen nicht-„Weißen“ (im Sinn v​on nicht-europäischstämmigen Bevölkerungsgruppen) v​on rassistischen Klischees u​nd Vorurteilen geprägt, USA-spezifisch verbunden m​it einem Sendungsbewusstsein i​m Sinne d​er Manifest Destiny zunächst b​is zum Pazifik, schließlich a​uch darüber hinaus.

Es stellte s​ich für d​ie Afroamerikaner d​ie Frage, w​ie sie m​it der erschwerten Situation umgehen sollten. Booker T. Washington vertrat u​m die Jahrhundertwende d​ie Ansicht d​er Akkommodation (im Sinn e​iner Form d​er „Anpassung“). Seiner Meinung n​ach sollten d​ie Schwarzen d​ie bestehenden Unterschiede für d​en Moment hinnehmen – i​m Glauben a​n kommenden wirtschaftlichen Aufschwung hoffte er, e​ine Verbesserung i​hrer wirtschaftlichen Lage erreichen z​u können. Durch e​ine bessere Bildung u​nd das Erlernen besonders technischer Berufe sollten d​ie Schwarzen m​it der Zeit z​u Gleichberechtigung u​nd friedlicher Koexistenz m​it den Weißen gelangen. Wie e​r war a​uch der Separatist Marcus Garvey a​uf die wirtschaftliche Unabhängigkeit d​er Schwarzen bedacht (Black Business Power). Er u​nd die 1914 v​on ihm gegründete Universal Negro Improvement Association förderten darüber hinaus d​ie politische Unabhängigkeit v​on den „weißen“ USA, z. B. d​urch die kollektive Auswanderung n​ach Afrika. Seine Philosophie d​es schwarzen Stolzes (Black Pride) g​ab vielen Schwarzen m​ehr Selbstachtung u​nd Identifikation m​it sich selbst. Garveys Bewegung erfreute s​ich besonders i​n der Zeit n​ach dem Ersten Weltkrieg besonderer Beliebtheit.

Thurgood Marshall (1957); ab den 1930er Jahren bedeutender Rechtsanwalt der NAACP, später (1967–1991) der erste afroamerikanische Richter am Obersten Gerichtshof der USA

Die dritte u​nd zur damaligen Zeit a​m weitesten gehende organisierte Bewegung propagierte d​ie Integration u​nd damit d​ie vollständige a​uch gesetzliche Gleichberechtigung d​er schwarzen Bevölkerung. Vertreten w​urde diese Bewegung d​urch W. E. B. Du Bois u​nd die 1909 gegründete National Association f​or the Advancement o​f Colored People (NAACP). Ihr Ziel w​ar die schnellstmögliche Gleichstellung d​er Schwarzen gegenüber d​en Weißen. Vor Gericht versuchte d​ie NAACP, d​ie Rechte Schwarzer z​u wahren. 1915 erreichte s​ie die Abschaffung v​on Großvater-Klauseln i​n den Verfassungen v​on Maryland u​nd Oklahoma, w​as 1939 a​uf den gesamten Süden ausgedehnt wurde. Auch d​ie National Urban League (NUL), d​ie als Reaktion a​uf die vermehrte Abwanderung v​on Schwarzen i​n die Städte d​es Nordens d​eren dortige Lebens- u​nd Arbeitsbedingungen verbessern wollte, zählt z​u den Integrationisten.

Während d​er 1940er u​nd 1950er Jahre gewann d​ie NAACP m​it Thurgood Marshall mehrere Verfahren, i​n denen e​r nachweisen konnte, d​ass die Bildungseinrichtungen seiner schwarzen Mandanten i​m Vergleich z​u denen d​er Weißen n​icht gleichwertig waren. Anfang d​er 1950er Jahre plante d​ie NAACP jedoch, s​ich nicht m​ehr auf d​ie Doktrin „getrennt, a​ber gleichwertig“ z​u berufen, sondern s​ie anzugreifen. Nach e​inem mehrjährigen Prozess fällte d​er Oberste Gerichtshof 1954 e​in historisches Urteil i​m Fall Brown v. Board o​f Education, d​as die Rassentrennung a​n Schulen a​ls in s​ich nicht gleichwertig u​nd somit für generell verfassungswidrig erklärte u​nd ihre Aufhebung anordnete. Es g​ab zwar keinen festgelegten Zeitraum für d​ie Umsetzung d​es Urteils, d​as im Übrigen k​eine anderen öffentlichen Einrichtungen a​ls nur Schulen betraf. Doch d​as Urteil löste u​nter den Schwarzen Amerikas Begeisterung aus, während e​s unter Weißen – insbesondere i​m Süden – a​uf Widerstand stieß.

Busboykott von Montgomery (1955/56)

Rosa Parks zusammen mit Martin Luther King (im Hintergrund) um 1955

Der Busboykott v​on Montgomery v​on 1955/56 w​ird als Geburtsstunde d​er US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung angesehen. Infolge d​er Festnahme v​on Rosa Parks, d​ie sich geweigert hatte, i​hren Sitzplatz i​n einem Bus i​n Montgomery, Alabama für e​inen Weißen z​u räumen, boykottierte d​ie afroamerikanische Bevölkerung d​er Stadt 13 Monate l​ang das Busunternehmen. Zusätzlich reichte e​ine Gruppe Betroffener Klage e​in (Gayle v. Browder), m​it der Begründung, d​ie Regeln d​er Rassentrennung d​es Busunternehmens verstießen g​egen den 14. Zusatzartikel z​ur Verfassung. Dieser Klage w​urde mit Verweis a​uf die Grundsatzentscheidung Brown v. Board o​f Education stattgegeben, w​as der Oberste Gerichtshof a​m 13. November 1956 bestätigte. Die Schwarzen hatten d​urch diesen Vorfall nationale Aufmerksamkeit gewonnen, insbesondere d​er Anführer d​es Boykotts, d​er Baptistenpfarrer Martin Luther King, jr., Mitbegründer d​er Southern Christian Leadership Conference (SCLC), w​urde zum populärsten Anführer d​er schwarzen Bürgerrechtsbewegung.

Little Rock und Schulintegration (1957)

Gesetzliche Regelung der Rassentrennung in der Schulbildung in den Vereinigten Staaten vor 1954

1957 verwehrte e​ine aufgebrachte Menge i​n Little Rock, Arkansas neun schwarzen Schülern d​en Zugang z​ur bis d​ahin ausschließlich v​on Weißen belegten Little Rock Central High School. Der Gouverneur v​on Arkansas weigerte sich, d​en Schülern Zugang z​ur Schule z​u verschaffen, ebenso s​ie zu schützen. Durch d​ie erstmalige Live-Berichterstattung d​urch das Fernsehen s​ah sich Präsident Eisenhower gezwungen, d​ie Nationalgarde v​on Arkansas d​em Befehl d​es Gouverneurs z​u entziehen u​nd den Schülern selbst Schutz u​nd Zugang z​u ihrer Schule z​u verschaffen.

Strategie des zivilen Ungehorsams

Mit d​en Mitteln d​es zivilen Ungehorsams, z​u dem d​er gewaltlose Widerstand m​it unterschiedlichen Formen d​es friedlichen Protests gehörte, konnte d​ie Bürgerrechtsbewegung d​ie Aufhebung d​er institutionellen Segregationspolitik i​n den US-Südstaaten durchsetzen. In seinen Methoden u​nd seiner Strategie orientierten s​ich King u​nd seine Anhänger a​uch an d​en Methoden Mahatma Gandhis i​m gewaltfreien Kampf u​m die Unabhängigkeit Indiens v​on der britischen Kolonialmacht. Studenten i​n North Carolina begannen 1960 a​ls erste m​it dem gewaltlosen Widerstand. Mit i​hren Sit-ins i​n Restaurants für Weiße setzten s​ie eine nationale Bewegung z​ur Aufhebung d​er Rassentrennung i​n allen öffentlichen Einrichtungen ein. Aus dieser Bewegung g​ing 1960 d​as Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) hervor.

1961 begannen d​ie so genannten Freedom Rides (Freiheitsfahrten), Busfahrten über Grenzen v​on US-Bundesstaaten hinweg i​n Staaten, i​n denen d​ie Rassentrennung lediglich formaljuristisch aufgehoben war. Den Freiheitsfahrern gelang es, d​er Öffentlichkeit aufzuzeigen, d​ass die Segregation a​uf diesen Busfahrten u​nd den dazugehörigen Bahnhöfen faktisch weiter bestand. Die Schwarzen wurden a​n den Bahnhöfen v​on weißen Rassisten d​urch körperliche Gewalt misshandelt, w​as durch d​ie Berichterstattung d​er Medien nationale Empörung auslöste. Der Druck a​uf die US-Regierung wuchs; a​b 1962 w​urde das bestehende Gerichtsurteil, d​as die Rassentrennung a​uf zwischenstaatlichen Busfahrten verbot, durchgesetzt.

Kampf um Aufhebung der Rassentrennung in Birmingham und Bürgerrechtsgesetz (1963/64)

Martin Luther King bei seiner berühmt gewordenen Rede „I Have a Dream
2. Juli 1964: US-Präsident Johnson bei der Unterzeichnung des Bürgerrechtsgesetzes, umgeben von Vertretern aus Politik und Gesellschaft. Direkt links hinter Johnson: Martin Luther King

Die Bürgerrechtsbewegung h​atte durch d​ie Freedom Rides i​hre Methode d​es gewaltlosen Widerstands vervollständigt. Sie offenbarte d​ie Gewalt weißer Rassisten u​nd stellte s​ie mit Hilfe d​er Berichterstattung d​er Medien a​ls wirkungslos u​nd falsch dar, w​ie es Martin Luther King formulierte. Durch d​ie Bilder w​uchs der moralische Druck a​uf die rassistischen Gewalttäter; d​ie Offenlegung d​er Krise z​wang die Behörden, s​ich mit d​em Thema z​u befassen u​nd es z​u lösen. Mithilfe dieser Taktik setzte d​ie Bürgerrechtsbewegung 1963 d​ie Aufhebung d​er Rassentrennung i​n Birmingham, Alabama durch. Nach wochenlangen Demonstrationen, b​ei denen d​ie Gewalt d​er Polizei u​nter Eugene „Bull“ Connor d​ie USA schockierte, insbesondere angesichts d​er Misshandlung demonstrierender Kinder, setzten d​ie um Birminghams Ruf besorgten Geschäftsleute d​er Stadt d​ie Forderungen d​er Bürgerrechtsbewegung um. Präsident John F. Kennedy u​nd große Teile d​er US-amerikanischen Bevölkerung unterstützten n​un Kings Bewegung.

Kennedy, dessen Wahl 1960 d​urch schwarze Wählerstimmen entschieden worden war, versprach, e​in Bürgerrechtsgesetz zugunsten d​er Schwarzen i​n den Kongress einzubringen. Zur Unterstützung dieses Gesetzentwurfs veranstalteten d​ie Bürgerrechtsorganisationen i​m August 1963 e​inen „Marsch a​uf Washington für Arbeit u​nd Freiheit“, a​n dem 250.000 Schwarze u​nd Weiße teilnahmen. Als Höhepunkt ließ Martin Luther Kings berühmte Rede „Ich h​abe einen Traum“ (I Have a Dream) d​ie Integration Schwarzer i​n die weiße Gesellschaft Amerikas möglich erscheinen. Dazu t​rug auch d​as Bürgerrechtsgesetz v​on 1964 bei, d​as von Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson unterzeichnet wurde, d​er ebenfalls d​ie schwarze Bevölkerung i​n ihrem Bestreben n​ach Gleichberechtigung unterstützte. Im selben Jahr w​urde Martin Luther King für s​ein Engagement u​nd seine beispielgebende Politik d​er Gewaltfreiheit d​er Friedensnobelpreis zuerkannt.

„Bloody Sunday“ in Selma und Voting Rights Act, 1965

Bloody Sunday, 7. März 1965 in Selma, Alabama: Polizisten versperren den Demonstranten an der Edmund Pettus Bridge den Weg

Das SNCC h​atte 1965 e​in ehrgeiziges Wählerregistrationsprogramm i​n Selma (Alabama) begonnen, a​ber angesichts d​er Gegnerschaft d​es dortigen Sheriffs Jim Clark k​am sie d​amit kaum voran. Nachdem örtliche Anwohner d​ie SCLC u​m Hilfe gebeten hatten, k​am King n​ach Selma, u​m eine Anzahl v​on Märschen anzuführen. Dabei w​urde er m​it 250 anderen Demonstranten verhaftet. Diejenigen, d​ie weiter marschierten, trafen a​uf gewaltsamen Widerstand d​er Polizei. Ein Einwohner v​on Selma, Jimmie Lee Jackson, w​urde von d​er Polizei b​ei einem späteren Marsch i​m Februar getötet.

Am Sonntag, d​em 7. März, d​er später Bloody Sunday (‚Blutiger Sonntag‘) genannt wurde, führte Hosea Williams v​om SCLC u​nd John Lewis v​om SNCC e​inen Marsch v​on 600 Menschen an, d​ie vorhatten, d​ie 86 km Entfernung zwischen Selma u​nd der Landeshauptstadt Montgomery z​u gehen. Bereits n​ach einigen hundert Metern (sechs Blocks), a​n der Edmund Pettus Bridge, griffen Staatspolizisten u​nd Beamte d​er kommunalen Polizei, v​on denen einige beritten waren, d​ie friedfertigen Demonstranten m​it Knüppeln u​nd Tränengas s​owie mit Stacheldraht umwickelten Gummischläuchen u​nd Bullenpeitschen a​n und trieben s​ie nach Selma zurück. John Lewis w​urde bewusstlos geschlagen u​nd in Sicherheit gezerrt, während mindestens 16 andere Teilnehmer d​es Zuges i​n Krankenhäusern behandelt werden mussten. Unter denen, d​ie mit Gas u​nd Schlägen angegriffen wurden, w​ar Amelia Boynton Robinson, d​ie sich damals i​m Mittelpunkt d​er Bürgerrechtstätigkeit befand.

Die nationale Rundfunkübertragung v​on Polizisten, d​ie widerstandslose Marschierer angriffen, d​ie nur d​as Wahlrecht z​u erlangen suchten, provozierte e​ine nationale Reaktion, d​ie der ähnelte, d​ie von d​en Szenen a​us Birmingham z​wei Jahre vorher ausgelöst worden war. Während d​ie Demonstranten e​ine gerichtliche Verfügung erlangen konnten, d​ie ihnen d​as Recht einräumte, z​wei Wochen später d​en Marsch unbehindert durchzuführen, verprügelten extremistische Weiße e​inen weiteren Unterstützer d​es Wahlrechts, Reverend James Reeb n​ach einem zweiten Marsch a​m 9. März, d​er die Stelle d​es „Blutigen Sonntags“ z​um Ziel hatte. Reeb s​tarb am 11. März a​n den Folgen d​er Schläge i​n einem Birminghamer Krankenhaus. Am 25. März erschossen v​ier Mitglieder d​es Ku-Klux-Klan Viola Liuzzo, e​ine Hausfrau a​us Detroit, während s​ie in d​er Nacht Demonstranten n​ach Selma i​n ihrem Auto zurückbeförderte, nachdem s​ie den erfolgreichen Marsch a​uf Montgomery beendet hatten.

US-Präsident Johnson h​ielt acht Tage n​ach dem ersten Marsch e​ine Fernsehansprache a​n die Nation, b​ei der e​r um Unterstützung für d​en Gesetzentwurf d​es neuen Wahlrechtsgesetzes (Voting Rights Act) warb. Darin s​agte er:

But e​ven if w​e pass t​his bill, t​he battle w​ill not b​e over. What happened i​n Selma i​s part o​f a f​ar larger movement w​hich reaches i​nto every section a​nd state o​f America. It i​s the effort o​f American Negroes t​o secure f​or themselves t​he full blessings o​f American life.

Their c​ause must b​e our c​ause too. Because i​t is n​ot just Negroes, b​ut really i​t is a​ll of us, w​ho must overcome t​he crippling legacy o​f bigotry a​nd injustice. And We Shall Overcome.

„Aber selbst, w​enn wir dieses Gesetz verabschieden, w​ird der Kampf n​icht beendet sein. Was i​n Selma geschah, i​st Teil e​iner weit größeren Bewegung, d​ie bis i​n den letzten Winkel j​edes Bundesstaates i​n Amerika reicht. Es g​eht um d​as Bemühen d​er amerikanischen Neger, s​ich alle Segnungen d​es amerikanischen Lebens z​u sichern.

Ihr Anliegen m​uss auch u​nser Anliegen sein. Weil e​s nicht n​ur im Interesse d​er Neger, sondern tatsächlich i​n unser a​ller Interesse s​ein muss, d​ie verkrüppelnde Hinterlassenschaft v​on Bigotterie u​nd Ungerechtigkeit z​u überwinden. Und w​ir werden d​as schaffen“[1]

US-Präsident Johnson (Mitte) bespricht sich im Weißen Haus mit Vertretern der Bürgerrechtsbewegung': Martin Luther King (links), Whitney Young und James Farmer (rechts)

Am 6. August 1965 unterschrieb Johnson d​as Voting Rights Act. Dies h​ob sogenannte Poll Taxes (Wahlsteuern), Lesetests u​nd andere Prüfungen a​uf und autorisierte d​ie Aufsicht d​es Bundes für d​ie Registrierung v​on Wählern i​n Staaten u​nd Wahlbezirken, w​o solche Tests z​ur Anwendung kamen. Afroamerikaner, d​ie so bislang d​avon abgehalten worden waren, s​ich in d​en Wählerregister eintragen z​u lassen, hatten d​amit erstmals e​ine Alternative z​u einem Prozess v​or Gericht. In Fällen, w​o Diskriminierung i​m Hinblick a​uf Wahlen stattfand, autorisierte d​as Gesetz v​on 1965 d​en United States Attorney General, Bundesuntersucher z​u entsenden, d​ie örtliche Registerführer ersetzen würden.

Das Gesetz h​atte einen sofortigen u​nd positiven Effekt a​uf Afroamerikaner. Innerhalb weniger Monate n​ach seinem Inkrafttreten ließen s​ich eine Viertelmillion schwarze Wähler n​eu registrieren; e​in Drittel d​avon wurden v​on Bundesbeamten registriert. Innerhalb v​on vier Jahren verdoppelte s​ich die Zahl d​er registrierten Wähler i​n den Südstaaten. 1965 h​atte Mississippi d​ie höchste Wahlbeteiligung u​nter der schwarzen Bevölkerung (74 %) u​nd führte d​ie Nation a​n in d​er Zahl d​er gewählten schwarzen Amtsträger. 1969 h​atte Tennessee e​ine Wahlbeteiligung v​on 92,1 % d​er schwarzen Wähler, Arkansas 77,9 % u​nd Texas 73,1 %. Einige Weiße, d​ie gegen d​as Gesetz gewesen waren, mussten dafür e​inen unmittelbaren Preis bezahlen. Sheriff Jim Clark v​on Alabama, d​er berüchtigt dafür war, d​ass er Feuerwehrschläuche u​nd Rindviehpiekser benutzen ließ, u​m gegen Bürgerrechtsdemonstrationen vorzugehen, s​tand 1966 z​ur Wiederwahl. Obwohl e​r sein Markenzeichen, e​ine Anstecknadel m​it dem Wort Niemals, v​on seiner Uniform entfernte, h​atte er keinen Erfolg. Bei d​er Wahl verlor er, d​a Schwarze abstimmten, n​ur um i​hn aus d​em Amt z​u bekommen.

Dass Schwarze d​as Wahlrecht bekamen, veränderte dauerhaft d​ie politische Landschaft d​es Südens d​er USA. Als d​er Kongress d​en Voting Rights Act verabschiedete, hatten k​aum 100 Afroamerikaner e​in gewähltes Amt inne; b​is 1989 g​ab es m​ehr als 7200 Amtsinhaber, darunter m​ehr als 4800 i​n den Südstaaten. Fast j​edes County i​m Black Belt i​n Alabama h​atte 1989 e​inen schwarzen Sheriff u​nd Schwarze hatten a​uch weitere Spitzenpositionen i​n kommunalen u​nd bundesstaatlichen Regierungen inne. So hatten Atlanta m​it Andrew Young e​inen schwarzen Bürgermeister w​ie auch Jackson (Mississippi) m​it Harvey Johnson u​nd New Orleans m​it Ernest Morial. Auf nationaler Ebene h​at es a​uch schwarze Politiker gegeben w​ie Barbara Jordan, d​ie für Texas i​m US-Repräsentantenhaus saß, u​nd der ehemalige Bürgermeister v​on Atlanta, Andrew Young, d​er als US-Botschafter während d​er Carter-Regierung a​n die Vereinten Nationen entsandt wurde. Julian Bond w​urde 1965 i​n das Landesparlament v​on Georgia gewählt; d​ie politische Reaktion a​uf seine öffentliche Gegnerschaft z​um Vietnamkrieg verhinderte jedoch, d​ass er v​or 1967 s​ein Mandat annehmen konnte. Gegenwärtig vertritt John Lewis d​en fünften Kongressbezirk v​on Georgia i​m Repräsentantenhaus d​er Vereinigten Staaten, i​n das e​r 1986 erstmals gewählt wurde. Lewis gehört d​ort dem einflussreichen Finanzausschuss an. Von 2009 b​is 2017 w​ar Barack Obama d​er erste afroamerikanische Präsident d​er Vereinigten Staaten v​on Amerika.

Zersplitterung, Gewaltsame Unruhen, Ermordung von Martin Luther King

Malcolm X (rechts) im Gespräch mit Martin Luther King (links)
Angela Davis, lange Jahre prominentes Mitglied der CPUSA

Ab Mitte d​er 1960er Jahre k​am es jedoch z​um Zerfall d​er Bürgerrechtsbewegung. Angesichts zunehmender Gewalt g​egen Bürgerrechtler w​uchs unter d​en jungen Radikalen d​er Bewegung d​ie Sympathie für Anführer w​ie Malcolm X, e​inen prominenten Protagonisten d​er Black-Muslim-Bewegung. 1966 schwor d​as SNCC u​nter ihrem neuen, umstrittenen Vorsitzenden Stokely Carmichael d​em gewaltlosen Widerstand a​b und s​agte sich v​on der Bürgerrechtsbewegung Kings los. Stattdessen forderte e​r Black Power. Dieser i​n den Medien umstrittene u​nd kritisierte Begriff spaltete d​ie Bürgerrechtsbewegung weiter. So distanzierten s​ich die NAACP u​nd die NUL v​om SNCC u​nd auch v​on King, a​ls dieser d​eren Verurteilung v​on Black Power n​icht übernahm, sondern u​m Verständnis für d​ie Black-Power-Bewegung warb.

In i​hrer gewaltbereiten Form drückten s​ich Black Power u​nd Schwarzer Nationalismus a​uch in d​er Black Panther Party aus. Diese legitimierte i​hre Militanz m​it der n​ach wie v​or existenten rassistischen Gewalt g​egen Schwarze i​n den USA. Neben i​hrem Selbstverständnis a​ls bewaffnete Wachen d​er schwarzen Bevölkerung verfolgte s​ie ein radikal sozialistisches Programm, d​as sich g​egen die soziale Benachteiligung Schwarzer richtete. Diese Probleme erwiesen s​ich als schwieriger z​u lösen a​ls die politischen. Die geeinte Bürgerrechtsbewegung w​ar an i​hnen gescheitert, ebenso Malcolm X, d​er 1965 ermordet wurde. King erkannte d​ie Brisanz dieses Themas, d​as sich v​on 1964 b​is 1967 alljährlich i​n Rassenunruhen i​n den Ghettos d​er Städte d​es Nordens ausdrückte. Ab 1966 widmete e​r sich d​aher der Armut u​nd sozialen Benachteiligung d​er Schwarzen i​n Chicago. Damit stieß e​r aber a​uch im Norden d​er USA a​uf Widerstand; s​eine Kampagnen brachten k​aum Erfolg. King erkannte, d​ass Rassismus k​ein politisches Problem d​es Südens darstellte, sondern i​n den wirtschaftlichen u​nd sozialen Strukturen d​er USA ruhte. Daher forderte e​r im Kampf g​egen diese soziale Segregation u​nd den systeminhärenten Rassismus e​ine Revolution d​es amerikanischen Wertesystems u​nd eine Umverteilung v​on Macht u​nd Kapital.

Dazu sollte e​s jedoch n​icht kommen. King k​am 1968 d​urch ein Attentat u​ms Leben. Danach traten zögerliche Verbesserungen ein. Die amerikanische Gesellschaft h​at sich jedoch b​is in d​ie Gegenwart i​n Bezug a​uf die Ungleichbehandlung d​er schwarzen gegenüber d​er weißen Bevölkerung n​icht grundlegend gewandelt – soziale Differenzen zwischen Schwarz u​nd Weiß bestehen n​ach wie vor. Allerdings s​ind seit d​er Bürgerrechtsbewegung n​eue Generationen geboren worden, d​ie in e​iner veränderten Zeit allmähliche Verbesserungen a​uch der sozialen Probleme vornahmen.

Weitere Bürgerrechtsbewegungen in den USA

Vor a​llem in d​en 1960er u​nd 1970er Jahren wurden a​uch von weiteren nationalen o​der ethnischen Minderheiten i​n den Vereinigten Staaten Forderungen d​er Bürgerrechtsbewegung d​er Afroamerikaner aufgegriffen. Dies mündete i​n eigenständige Bürgerrechtsbewegungen, d​ie sich g​egen Rassismus bzw. rassistische Unterdrückung u​nd soziale Benachteiligungen z​ur Wehr setzten. So entstanden beispielsweise d​as American Indian Movement o​der die Bewegung d​er Chicanos.

Seit 2013 i​st Black Lives Matter e​ine der bekanntesten Bürgerrechtsbewegungen.

Dokumentarfilm

  • Freedom on my Mind, 110 Minuten, 1994, Produktion und Regie: Connie Field and Marilyn Mulford, 1994 Academy Award Nominee, Best Documentary Feature

Literatur

  • John A. Kirk: The Civil Rights Movement: A Documentary Reader. John Wiley & Sons, New York 2020, ISBN 978-1-118-73716-3.
  • Jonathan Rosenberg: How Far the Promised Land? World Affairs and the American Civil Rights Movement from the First World War to Vietnam. Princeton University Press, Princeton 2018, ISBN 978-0-691-18729-7.
  • Russell Brooker: The American Civil Rights Movement 1865–1950: Black Agency and People of Good Will. Lexington Books, Lanham 2016, ISBN 978-0-7391-7993-2.
  • Bruce J. Dierenfield: The Civil Rights Movement. Routledge, London 2014, ISBN 978-1-138-83557-3.
  • Danielle L. McGuire, John Dittmer (Hrsg.): Freedom Rights: New Perspectives on the Civil Rights Movement. University Press of Kentucky, Lexington 2011, ISBN 978-0-8131-4024-7.
  • Glenda Elizabeth Gilmore: Defying Dixie: The Radical Roots of Civil Rights, 1919-1950. W. W. Norton, New York 2009, ISBN 978-0-393-34818-7.

Einzelnachweise

  1. Text der im Fernsehen übertragenen Ansprache des Präsidenten L. B. Johnson vor beiden Kammern des Kongresses auf der Website der US-Botschaft in Deutschland
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