Albrecht von Graefe (Politiker)
Karl Albrecht von Graefe, unter zeittypischer Hinzufügung des Besitznamens auch von Graefe-Goldebee (* 1. Januar 1868 in Berlin; † 18. April 1933 in Goldebee), war ein völkisch-antisemitischer Politiker und Großgrundbesitzer[1]. Von 1912 bis 1928 war er Abgeordneter im Reichstag für verschiedene Parteien (DKP, DNVP, DVFP, NSFP). Er war zwischenzeitlich ein Verbündeter Hitlers und Ludendorffs. Die Partei DVFP, deren Führer er war, gilt unter Historikern als antirepublikanische Partei, die in Putschversuche und Fememorde verstrickt war und teils als Ersatzorganisation für die zwischenzeitlich verbotene NSDAP in Norddeutschland fungierte. Graefe nahm am Hitler-Ludendorff-Putsch teil und marschierte hier in erster Reihe mit.
Politischer Aufstieg, Bündnis mit der NSDAP und Niedergang
Kaiserzeit: Jugend, Militär und erste politische Erfahrungen
Albrecht von Graefe wurde als Sohn des gleichnamigen Augenarztes Albrecht von Graefe und dessen Frau Anna von Graefe, geb. von Knuth, geboren. Seine Eltern starben beide in seinen ersten Lebensjahren. Seine Tante Ottilie übernahm anschließend die Erziehung Albrechts und seiner Geschwister. 1887 legte er am Joachimsthaler Gymnasium das Abitur ab, studierte anschließend zwei Semester Rechtswissenschaften in Berlin und schloss sich dann im September 1887 einem Husaren-Regiment in Kassel an. Bis zu einer Diphtherie-Erkrankung verbrachte er einige Jahre beim Militär in Potsdam, Kassel und Wilhelmshöhe, um anschließend um Jahresurlaub zu ersuchen. Diesen verbrachte er auf einer Weltreise, die ihn in verschiedene Länder Europas, nach Indien, Java, China, Japan, Korea und Nordamerika führte. Nach seiner Rückkehr trat er dem Leibgarde-Husaren-Regiment in Potsdam bei, dem er auch nach der Dienstquittierung von 1900 bis 1912 als Reservist angehörte. 1894 übernahm er für zwei Jahre das Kommando der Reitschule zu Hannover.[2]
1896 wurde er als Diplomat nach Istanbul beordert. Hier lernte er auch seine spätere Frau Sophie von Blomberg kennen. Nachdem das Paar 1897 in Berlin geheiratet hatte, zog es nach Potsdam. 1899 quittierte Graefe den Militärdienst, nahm sein Jurastudium wieder auf, kaufte das Gut Goldebee in Mecklenburg und ließ sich dort nieder.[2] Als Rittergutsbesitzer war er von nun an bis 1918 Mitglied des Ständetags von Mecklenburg-Schwerin.
Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs trat Graefe wieder in das Leibgarde-Husaren-Regiment ein, mit dem er am Krieg teilnahm.[2] Hier bekleidete er zuletzt als Bataillonschef des Kaiser Alexander Garde-Grenadier-Regiment Nr. 1 und des Jäger-Regiments Nr. 9 den Rang eines Majors. Während des Weltkrieges trat Graefe dem Alldeutschen Verband bei, wo er den Vorsitzenden Heinrich Claß mit seinen rednerischen und politischen Fertigkeiten beeindruckte[3] und zu dessen führenden Mitgliedern er bald gehörte.[4]
Kaiserzeit: Abgeordneter der Deutschkonservative Partei
Neben seiner Tätigkeit im Ständetag Mecklenburg-Schwerins engagierte sich Graefe in der Deutschkonservativen Partei, für die er von 1912 bis 1918 Abgeordneter des Reichstagswahlkreis Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin 6 Güstrow-Ribnitz im Reichstag war.[5] In der Presse erhielt er den Spitznamen „Talmijunker“, da er sich verhielt, als würde seine Familie zu den etablierten Junkern gehören, obwohl sie erst eine Generation zuvor in den Erbadel eingetreten war. Als Abgeordneter der DKP gehörte er zum Alldeutschen Flügel und kritisierte die Schwäche der DKP-Fraktion im Reichstag.[6] Er machte sich außerdem in der Julikrise für eine schnelle Mobilmachung und damit Deutschlands Eintritt in den Ersten Weltkrieg stark. Daneben war er Mitarbeiter der Zeitung Mecklenburger Warte in Wismar. Hier publizierte er verschiedene Artikel, auch um politische Gegner zu diskreditieren.[7]
Erste Republikjahre: Engagement für die DNVP, Abgeordneter in der Nationalversammlung und im Reichstag
Die Tage um die Ausrufung der Republik verbrachte Graefe mit Kuno von Westarp, dem Fraktionsvorsitzenden der Deutschkonservativen Partei und seinem politischen Alliierten, auf seinem Sitz in Goldebee. Zwei Wochen später beteiligten sich beide an der Gründung der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Graefe wurde, zusammen mit Reinhold Wulle und Wilhelm Henning, einer der führenden Persönlichkeiten des völkischen Flügels der Partei. Er richtete sich parteiintern gegen den konservativen Flügel und dessen Bestrebungen, die DNVP im Rahmen des neuen republikanischen Systems staatstragend zu etablieren. Er agitierte gegen Matthias Erzberger, gegen die Forderung der Triple Entente, Kriegsverbrecher auszuliefern und für die Wiederherstellung der Monarchie. Obwohl Graefe also zum rechten Flügel der DNVP gehörte, verband ihn eine politische Freundschaft und Kooperation mit dem gemäßigteren Westarp, der immer wieder zwischen Graefe und den konservativen Stimmen in der Partei zu vermitteln suchte.[6] 1919 zog er für die DNVP in die Weimarer Nationalversammlung, wo er sich entsprechend der Dolchstoßlegende äußerte.[8] Ab 1920 saß er im Reichstag. Während der zweiten Legislaturperiode des Reichstags der Weimarer Republik war er Abgeordneter der Nationalsozialistischen Freiheitspartei und nach dem Zerfall der Verbindung von Völkischen und Nationalsozialisten bis 1928 wieder Reichstagsabgeordneter für die DVFP.
Zentrales Thema von Graefes politischem Engagement war der Antisemitismus. Bereits auf dem ersten Parteitag der DNVP am 6. Juli 1919 versuchte er die neue Partei auf einen antisemitischen Kurs festzulegen, wobei er von vielen Seiten Unterstützung erfuhr, Widerstand kam allerdings von den Spitzengremien der Partei.[9] Im Sommer 1919 wurde der 40-köpfige Vorstand der Partei gewählt, dem nur zwei Vertreter des völkischen Flügels angehörten. Damit wurden Graefes politische Ansichten in der Parteileitung kaum repräsentiert, auch wenn die konservativen Nationalisten selbst sich zunehmend dem Antisemitismus annäherten.[10] Im Oktober erreichten die Völkischen innerhalb der Partei, dass der Hauptvorstand einen Beschluss fasste, der besagte, dass die Partei sich besonders „gegen die Vorherrschaft des Judentums, die […] immer verhängnisvoller hervortritt“ wenden würde. Dieser ging fast wörtlich in das Parteiprogramm von 1920 über.[9]
Konflikt des Alldeutschen Verbandes mit Wulle und Graefes Beitrag
1920 beteiligte sich Graefe lautstark an einem Konflikt zwischen Wulle und Heinrich Claß, dem Leiter des Alldeutschen Verbands, der Grundlage für Spaltungserscheinungen innerhalb der völkischen Bewegung werden sollte. Dabei warf Graefe Claß und seinen Mitstreitern vor, sie seien Mitglieder einer Freimaurerloge, und meinte, dass der antisemitische Alldeutsche Verband unter „zionistische“ Kontrolle geraten sei. Diese Vorwürfe gaben dem Konflikt zwischen Wulle und Claß eine neue Dimension und führten dazu, dass Graefe nahezu die gesamte Mitgliedschaft des Alldeutschen Verbandes in Mecklenburg bis 1922 hinter sich versammeln konnte. Diese galt es nun zu organisieren.
Als Graefe, Wulle und Erich Ludendorff 1922 nach einem Konflikt mit der DNVP-Parteileitung (s. u.) die Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP) gründeten, kritisierte die Deutsche Zeitung, das Organ des Alldeutschen Verbandes, diesen Schritt, als eine Spaltung der nationalistischen Abgeordneten. Ludendorff versuchte in dieser Zeit mehrmals zwischen Claß, von Graefe und Wulle zu vermitteln, scheiterte aber an Graefes kompromisslosem, von einem paranoid-verschwörungsideologischen Weltbild geprägten Standpunkt. Der Alldeutsche Verband und die Deutsche Zeitung machten daraufhin die DVFP als Spalterin der völkischen Bewegung aus und kritisierten sie von nun an kontinuierlich.[6]
Spaltung der DNVP: Der Fall Henning und die Völkische Arbeitsgemeinschaft
Parallel zum Konflikt mit dem Alldeutschen Verband verschärfen sich 1922 die Gegensätze zwischen dem konservativen und dem völkischen Flügel der DNVP zusehends. Diese Entwicklungen führen schließlich zu Graefes Austritt aus der DNVP und zur Gründung der rechts von ihr stehenden DVFP.
Auslöser für diese Entwicklungen war ein antisemitisch-hetzerischer Artikel des DNVP-Abgeordneten Wilhelm Henning gegen Reichsaußenminister Walther Rathenau. Henning hatte ihn auf antisemitische Weise angegriffen und gemeint, dass dieser „vom deutschen Volk zu Rechenschaft gezogen“ werde. Bald darauf wurde Rathenau von Mitgliedern der rechtsradikalen Terrorgruppe Organisation Consul ermordet. Dies veranlasste die Parteiführung der DNVP dazu, Henning aus Partei und Fraktion ausschließen zu wollen. Graefe sah dies als Angriff auf den völkischen Flügel der Partei insgesamt und verließ zusammen mit Wulle und Henning die DNVP-Fraktion, allerdings ohne auch der Partei den Rücken zuzukehren.
Gleichzeitig gründeten Graefe, Henning und Wulle die Völkische Arbeitsgemeinschaft, eine Organisation innerhalb der Partei, die als Sammelbecken für Menschen, Organisationen und Gelder für die völkische Bewegung gedacht war. Die Parteileitung stufte diese Organisation als unvereinbar mit der DNVP ein, woraufhin Graefe vorschlug die Arbeitsgemeinschaft als eine außerhalb der Partei bestehende Organisation zu führen. Mit diesem Angebot legte er den Grundstein für die Trennung der Völkischen von den Strukturen der DNVP und zur Spaltung der Partei.
Die Parteileitung wiederum forderte Graefe auf, die Arbeitsgemeinschaft einzustellen, worauf Graefe in dieser Aufforderung die Macht des „Alljudas“ zu erkennen meinte, der „den Spaltbazillus, unerkannt von denjenigen, die von ihm infiziert worden sind, in diese große zukunftsstarke nationale Entwicklung“ hineintragen würden.[9]
Kuno von Westarp sollte nun zwischen dem völkisch-antisemitischen Flügel und der Parteileitung zu vermitteln. Als Graefes Freund und ehemaliger Parteivorsitzender gut mit der Parteileitung verbunden, sah die Parteileitung ihn als für die Vermittlung geeignet an. Sie scheiterte jedoch, und beim im Oktober 1922 in Görlitz abgehaltenen Parteitag wurden Graefe, Wulle und Henning aus der Partei ausgeschlossen. Damit war die Spaltung der Völkischen in Deutschland besiegelt.[6]
Gründung der DVFP: Graefe wird Führer einer rechtsextremen und militanten Partei
Die drei aus der DNVP ausgeschlossenen Abgeordneten gründen am 16. Dezember 1922 die Deutschvölkische Freiheitspartei (DVFP). Graefe wurde zum Führer dieser Partei gewählt und blieb es bis 1928, als Wulle ihn ablöste.[11]
Im Gegensatz zur DNVP hatte die DVFP auch einen sogenannten „Arierparagrafen“, außerdem arbeitete die Partei auf einen inneren und äußeren Umsturz hin, der Reichstag sollte durch ein ständisches Berufsparlament ersetzt werden, die Exekutive einem „völkischen Diktator“ überlassen werden. Die Emanzipation der Juden sollte rückgängig gemacht werden. Mittelständische Unternehmen sollte gegenüber Konzernen bevorzugt werden, spekulatives Kapital durch eine neue Börsengesetzgebung reguliert werden. Mit diesem Programm stellte sich die Partei in die Tradition der Antisemitenparteien der Kaiserzeit.[10] Gleichzeitig sollten Juden enteignet werden, Ausnahmegerichte sozialistische Versuche unterbinden, das Volk einen und der Versailler Vertrag annulliert werden.
Die DVFP war als Sammelorganisation rechtsradikaler, teils militanter Organisationen angelegt, die neben individuellen Mitgliedern auch ganze Verbände aufnehmen sollte, um eine möglichst breite Zusammenfassung aller völkischen Gruppen zu erreichen. Damit war sie in ihrer Grundanlage der Völkischen Arbeitsgemeinschaft verwandt, war im Gegensatz zu dieser aber als Partei angelegt. Nachdem die Großdeutsche Arbeiterpartei, eine norddeutsche Ersatzorganisation der NSDAP, verboten worden war, trat diese unter Führung des einflussreichen Freikorpsführers Gerhard Roßbach geschlossen der DVFP bei. Zu den Freikorps-Truppen, die Roßbach einbrachte, kamen weitere Beitritte verschiedener paramilitärischer Organisationen, sodass die DVFP sich zu einer Dachorganisation für antirepublikanische, militante Kräfte entwickelte.[11] Ihr unterstanden dabei so viele Truppen, dass Generaloberst von Seeckt, der damalige Chef der Heeresleitung der Reichswehr, im Februar 1923 in einem Brief erwähnte, er habe für den Fall eines bewaffneten Konflikts um die französische Ruhrbesetzung mit Graefe, Adolf Hitler und Ludendorff Gespräche geführt, um zu klären, ob ihre jeweiligen Truppen sich im Ernstfall der Heeresleitung unterordnen würden.[12]
Die DVFP war nun zu einer Mischung aus eigenständiger rechtsextremer Partei, NSDAP-Tarnorganisation und Dachorganisation für verschiedene militante und völkische Gruppierungen geworden und war als solche – und mit ihr Graefe und Wulle – in Putschversuche und Fememorde verstrickt.[11]
Verbot der DVFP und Putschversuche mit Graefes Beteiligung
Im Frühjahr 1923 wurde die DVFP wegen des Verdachts auf die Vorbereitung eines gewaltsamen Putsches verboten. Auch der Reichskommissar für die Überwachung der öffentlichen Ordnung kam zu dem Ergebnis, dass innerhalb der DVFP Gruppen bestanden, die nach dem Vorbild der italienischen Faschisten eine Soldatenpartei bilden wollten.
Am 1. Oktober 1923 wurde in der Garnisonsstadt Küstrin nahe Berlin geputscht, nachdem eine dortige Freikorps-Einheit vor der Auflösung stand. Der Küstriner Putsch wurde niedergeschlagen, im anschließenden Prozess sollte unter anderem geklärt werden, ob Graefe mit Major Bruno Ernst Buchrucker, dem Anführer des Putsches, nach München gereist war, um dort die Putschpläne mit Hitler und Ludendorff abzustimmen. Graefe erschien jedoch nicht zum Prozess.[13] Nach Aussage eines Zeugen vor dem Femeausschuss des preußischen Landtags soll Graefe aber mit Buchrucker verabredet haben, dass die DVFP sich am Putsch beteilige, anschließend Hitler informiert haben, wodurch die geheime Information so weite Kreise zog, dass der Putsch von Buchrucker um einige Wochen verschoben wurde. Buchrucker habe zuvor probiert von Graefe nicht einzubeziehen, da er dessen „Schwatzhaftigkeit“ gefürchtet habe.[14]
Nur einen Monat später beteiligte sich Graefe mit anderen Führungsfiguren der DVFP am Hitler-Ludendorff-Putsch in München, bei dem er in der ersten Reihe marschierte.[15] Laut einem Freikorps-Mitglied gab es in der DVFP die Putschparole „Für Graefe-Hitler-Ludendorff“, was unterstreicht, dass die DVFP unter Graefe an gewaltsamen Umsturzplänen beteiligt war und Graefe zu dieser Zeit eine herausragende Rolle für die Rechtsradikalen in Deutschland spielte.[14]
Kurzer Höhepunkt der Macht: Bündnis mit NSDAP, Fraktionsführerschaft im Reichstag, Bruch mit NSDAP
Nachdem die Partei seit Februar 1924 in Preußen wieder zugelassen worden war, nahm sie an mehreren Landtagswahlen in einem Bündnis mit Teilen der NSDAP um Alfred Rosenberg und Gregor Straßer teil und trat mit den Nationalsozialisten als Völkisch-sozialer Block oder Völkischer Block an. Nachdem Ludendorff, der sich als Führer der völkischen Bewegung verstand, Graefe zu seinem Repräsentanten in Norddeutschland ernannt und dieser wohl einige Male im Namen Hitlers gesprochen hatte, erklärte Hitler, dass niemand sich mehr auf ihn berufen könne. Hiermit wollte er verhindern, Teil eines völkisch-nationalsozialistischen Triumvirats, mit Graefe und Ludendorff an der Spitze (und Hitler in Haft), zu werden.[16]
Dieses Bündnis bekam bei den Wahlen, auch wegen der Unpopularität des kürzlich verabschiedeten Dawes-Plans, viele Stimmen. So erreichte es in Mecklenburg-Schwerin 19,3 Prozent, in Bayern zog es mit der SPD gleich (17,1 Prozent). Bei der Reichstagswahl Mai 1924 erreichte es 6,5 Prozent und damit 32 Mandate.
Die gemeinsame Fraktion nannte sich auf Vorschlag Ludendorffs Nationalsozialistische Freiheitspartei (NSFP), ein Zugeständnis an die Nationalsozialisten, obwohl diese nur zehn von den 32 Abgeordneten stellten. Er ernannte Graefe „als seinen Vertrauensmann“ zum Fraktionsführer.
Aus verschiedenen Briefen, die innerhalb von Führungspersonen der NSDAP verschickt wurden, geht dabei hervor, dass Graefe vielfach versucht hatte, die NSDAP bei der Aufteilung der Wahlkreise systematisch zu benachteiligen.[7] Ferner hätte er irreführend behauptet, dass NSDAP-Verbände sich der DVFP anschließen sollten und die NSDAP-Mitglieder sich auf Befehl Ludendorffs ihm zu unterstellen hätten. Der von Ludendorff noch im Mai 1924 verkündete Zusammenschluss beider Parteien misslang jedoch. Hitler schrieb in einem Brief vom Juni 1924, dass er mit Graefe in Verhandlungen über die Verschmelzung der DVFP und der NSDAP gestanden habe, die aber bisher zu keinem positiven Ergebnis gekommen seien.[7] In kurzer Zeit verließen immer mehr Nationalsozialisten die NSFP. Rosenberg warf der DVFP vor, nur eine kleine Oberschicht zu repräsentieren. In den darauffolgenden Wahlen verlor die DVFP immer mehr Stimmen, sodass im Februar 1925 die „Reichsführerschaft“ – und mit ihr Graefe – zurücktrat.[11]
DVFB: Sammelbecken ohne Erfolge, Konflikt mit Nationalsozialisten und Niedergang
Nur zwei Tage später unterzeichnete eben diese ehemalige „Reichsführerschaft“ einen Aufruf zur Gründung der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung. Diese konstituierte sich am 25. Februar 1925 in Berlin und gab sich eine Reichsleitung in der, neben anderen völkischen Reichstagsabgeordneten wie Wulle, Henning und Reventlow auch wieder Graefe saß. Bis Ende 1925 traten dieser neuen DVFB nach und nach alle größeren völkischen Verbände mit Ausnahme der NSDAP bei, sodass die DVFB Ende 1925 mit 27.500 Mitgliedern wieder fast bei der Stärke der DVFP 1922 lag.
Am 11. März 1926 veröffentlichte Graefe einen offenen Brief an Hitler, in dem er diesen wegen der Spaltung der Völkischen Bewegung kritisierte. Anlass war ein Angriff der NSDAP auf Graefe im Hofbräuhaus am 24. Februar und die am selben Tag im Völkischen Beobachter erklärte Feindschaft Hitlers. Graefe machte in dem Brief deutlich, dass er in diesen Vorgängen nur Verirrungen Hitlers erkenne und weiterhin auf ein zukünftiges gemeinsame politisches Vorgehen hoffe.[17]
Die große Mitgliederschaft der DVFB wurde unterdessen an den Urnen nicht in Stimmen übersetzt: Nachdem die neue DVFB bei den Wahlen Ende 1926 bis Anfang 1927 kein einziges Mandat erreicht hatte, kritisierte Ernst Graf zu Reventlow, dass die Arbeiterschaft im bisherigen Wahlkampf zu wenig Beachtung bekommen habe. Graefe gab ihm zwar vordergründig Recht, meinte aber, dass die Partei nicht um die Arbeiter direkt, sondern über die anderen Stände und Berufe werben solle. Nach dieser Absage an Reventlow wechselte dieser zur NSDAP, da sein „sozialrevolutionäres Bestreben innerhalb der DVFP ohne jede Aussicht auf Erfolg“ sei, da dort der alte Standesdünkel vorherrsche. Der DVFP warf er weiter vor, eine „konservative großgrundbesitzerliche“ Richtung zu vertreten. Kurz darauf publizierte Graefe einen Artikel, in dem er die völkische Bewegung als Mittel zur Wiederherstellung der Monarchie betrachtete. Als weiteres Ziel nannte er die Schaffung einer berufsständischen Ordnung. Kurz darauf nannte er die NSDAP eine „nationalbolschewistische Strömung, deren Hauptexponenten Goebbels, Strasser und Reventlow“ seien. Damit brach Graefe endgültig mit den vorher noch eng verbündeten Nationalsozialisten. Nach Reventlow traten auch Stöhr und Fritsch aus, Wilhelm Kube wurde ausgeschlossen, die Reichstagsfraktion zerbrach. Insgesamt traten fast die Hälfte der Mitglieder aus der DVFP aus, ganze Landesverbände wechselten geschlossen zur NSDAP. Die DVFB wurde unter Wulle und Graefe anschließend noch zur „Volksbewegung der romfreien Deutschen“ umdefiniert, womit versucht wurde, aus dem protestantischen Norddeutschland einen antikatholischen und antiultramontanistischen Wahlkampf zu führen.[11]
Trotz der zuletzt feindlichen Äußerungen Graefes gegenüber der NSDAP stellte er noch 1927 einen Antrag im Reichstag, das Redeverbot, mit dem Hitler belegt worden war, aufzuheben. Der Antrag wurde in einem Ausschuss umformuliert und am 27. März 1927 vom Reichstag angenommen. Die bayrische Regierung reagierte darauf, indem sie Hitler unter einigen Auflagen, wie zum Beispiel dem Versprechen, keine illegalen Ziele zu verfolgen, wieder die volle Redefreiheit gewährte. Graefes Initiative führte also dazu, dass Hitler wieder vollumfänglich politische Agitation betreiben konnte.[18]
Im Mai 1928 gewann der DVFB mit dieser Strategie als Völkisch-nationaler Block jedoch erneut kein einziges Mandat, während die 1924 noch unterlegene NSDAP immerhin zwölf Sitze erreichte.[11] Wulle übernahm von Graefe die Führung der DVFB und Graefe versank in der Bedeutungslosigkeit. In der Folge zog er sich auf sein Rittergut in Goldebee zurück. Dort starb er am 17. April 1933, wenige Monate nach der Machtübergabe Hindenburgs an Hitler.
Familie
Er heiratete im August 1897 Sophie, geb. Freiin von Blomberg (* 6. Oktober 1874, Detmold; † 11. Januar 1938) in Berlin. Das Paar hatte mehrere Kinder, darunter:
Publikationen
- Die Anklage gegen die Revolutions-Regierung. Rede des Abgeordneten Albrecht von Graefe in der Nationalversammlung am 25. Juli 1919. In: „Tägliche Rundschau“, Juli 1919
- Die Abrechnung mit Erzberger. Reden des deutschnationalen Abgeordneten Albrecht von Graefe in der Nationalversammlung in Weimar am 25. Juli 1919 und des deutschnationalen Abgeordneten Georg Schultz in der Nationalversammlung in Weimar am 28. Juli. Deutschnationale Schriftenvertriebsstelle, Berlin 1919
- Die Totengräber des deutschen Reichsheeres. Deutschnationale Schriftenvertriebsstelle, Berlin 1919
- Die Revision von Versailles. Deutschnationale Schriftenvertriebsstelle, Berlin 1920
- Damals in Weimar 1919. Ein Blick hinter die Kulissen. Der Verrat am deutschen Volk. Erinnerungen aus der Nationalversammlung – ein Appell an alle Deutsche. Deutsche Buchdruck- u. Verlags-A.G., Berlin 1929
- In Harmonie von deutschem Stolz und Demut vor Gott. Erwiderung eines deutschen Christen auf Frau Mathilde Ludendorff’s „Erlösung von Jesu Christo“. Rethra-Verlag, Rostock 1931
Literatur
- Wilhelm Katner: Graefe, Albrecht von. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 6, Duncker & Humblot, Berlin 1964, ISBN 3-428-00187-7, S. 710 (Digitalisat). (Nebeneintrag im Artikel über seinen Vater)
- Stefanie Schrader: Graefe, Albrecht von, in: Handbuch des Antisemitismus, Band 2/1, 2009, S. 304–306
Weblinks
- Literatur von und über Albrecht von Graefe im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
- Literatur über Albrecht von Graefe in der Landesbibliographie MV
- Albrecht von Graefe in der Datenbank der Reichstagsabgeordneten
- Biografie von Albrecht von Graefe. In: Heinrich Best: Datenbank der Abgeordneten der Reichstage des Kaiserreichs 1867/71 bis 1918 (Biorab – Kaiserreich)
- Albrecht von Graefe in der Online-Version der Edition Akten der Reichskanzlei. Weimarer Republik
- J.Herde, Albrecht von Graefe und seine Nachfahren,
Einzelnachweise
- Joachim Bohlmann: Die Deutschkonservative Partei am Ende des Kaiserreichs:Stillstand und Wandel einer untergehenden Organisation. Greifswald 2011, S. 125 (d-nb.info).
- Jutta Herde: Die Nachfahren der von Graefe- und Graefe-Familien. In: Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (Hrsg.): Visus und Vision 150 Jahre DOG. Biermann Verlag, München 2007, S. 327–330 (dog.org [PDF]).
- Barry Jackisch: The Pan-German League and Radical Nationalist Politics in Interwar Germany, 1918–39. Ashgate Publishing Ltd, Farnham 2012, ISBN 978-1-4094-2762-9, S. 94.
- Tim B. Müller: Völkisches und antidemokratisches Denken vor 1933. (PDF) Abgerufen am 14. August 2020.
- Kaiserliches Statistisches Amt (Hrsg.): Die Reichstagswahlen von 1912. Heft 2. Verlag von Puttkammer & Mühlbrecht, Berlin 1913, S. 101 (Statistik des Deutschen Reichs, Bd. 250).
- Daniela Gasteiger: From Friends to Foes – Count Kuno von Westap and the Transformation of the German Right. In: Barry Jackisch (Hrsg.): The Pan-German League and Radical Nationalist Politics in Interwar Germany, 1918–39. Ashgate Publishing Ltd, Farnham 2012, ISBN 978-1-4094-2762-9, S. 56–59.
- Werner Jochmann: Nationalsozialismus und Revolution: Ursprung und Geschichte der NSDAP in Hamburg 1922–1933. Dokumente (= Veröffentlichungen der Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus in Hamburg). Europäische Verlagsanstalt.
- Anneliese Thimme: Flucht in den Mythos. Die Deutschnationale Volkspartei und die Niederlage von 1918. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1969, S. 76.
- Werner Liebe: Die Deutschnationale Volkspartei 1918–1924. Hrsg.: Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien in Bonn. Band 8. Droste Verlag, Düsseldorf 1956, S. 62–71.
- Stefan Breuer: Die radikale Rechte in Deutschland 1871–1945: Eine politische Ideengeschichte. Philipp Reclam, Ditzingen 2010, ISBN 3-15-018776-1, S. 248–256.
- Stefan Breuer: Die Völkischen in Deutschland: Kaiserreich und Weimarer Republik. Wiss. Buchges., Darmstadt 2008, ISBN 978-3-534-21354-2, S. 185–206.
- Irmela Nagel: Fememorde und Fememordprozesse in der Weimarer Republik. Böhlau Verlag, Köln 1991, ISBN 3-412-06290-1, S. 45.
- Emil Julius Gumbel: Verschwörer: zur Geschichte und Soziologie der deutschen nationalistischen Geheimbünde 1918–1924. 2. Auflage. Verlag Das Wunderhorn, Heidelberg 1979, ISBN 3-88423-003-4, S. 110.
- Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde: eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik. Metropol, Berlin 2004, ISBN 3-936411-06-9, S. 309–310, 332.
- Bernhard Sauer: Die Deutschvölkische Freiheitspartei (DvFP) und der Fall Grütte. (PDF) Abgerufen am 14. August 2020.
- Ernst Piper: Geschichte des Nationalsozialismus: Von den Anfängen bis heute. bpb, Bonn 24. Juli 2018, S. 64–65.
- Albrecht von Graefe: Offener Brief an Adolf Hitler. Nr. 68. München-Augsburger Abendzeitung, München 12. März 1926, S. 1–2.
- Harold J. Gordon: Hitlerputsch 1923: Machtkampf in Bayern 1923–1924. Bernard und Graefe, Frankfurt (am Main) 1971, ISBN 3-7637-5108-4, S. 517.