Dawes-Plan
Der Dawes-Plan vom 16. August 1924 regelte die Reparationszahlungen Deutschlands an die Siegermächte des Ersten Weltkrieges. Diese sollten sich an der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Weimarer Republik orientieren. Zugleich wurde eine internationale Anleihe aufgelegt, auf deren Basisdeckung Kredite an die deutsche Wirtschaft vergeben werden konnten.
Entstehung
Die Reparationskommission beschloss am 30. November 1923 die Einberufung eines Sachverständigenausschusses unter Vorsitz des amerikanischen Finanzexperten Charles Gates Dawes. Die Ausarbeitung des Vertrags begann am 14. Januar und wurde am 9. April vorgelegt. Der Vertrag wurde am 16. August 1924 in London unterschrieben (Londoner Konferenz) und trat am 1. September 1924 in Kraft. Er wurde möglich nach der Beendigung der deutschen Inflation und ermöglichte durch Anpassung der jährlichen Reparationszahlungen an die Wirtschaftskraft die Stabilisierung der Weimarer Republik.
Der Dawes-Plan wurde vor allem durch Druck aus Amerika und die Politik von Gustav Stresemann möglich und erlaubte es der deutschen Wirtschaft, sich zu erholen. Damit war Deutschland bis auf weiteres in der Lage, die Reparationen zu zahlen; die Siegermächte wiederum konnten ihre Kriegskredite an die USA zurückzahlen. Der Dawes-Plan war einer der ersten außenpolitischen Erfolge Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg und bedeutete die außenpolitische Rückkehr der USA nach Europa.
Inhalt
Der Dawes-Bericht enthält in der Einleitung folgende Worte: „Wir sind an unsere Aufgabe als Geschäftsleute herangegangen, in dem eifrigen Bestreben, positive Ergebnisse zu erzielen … Die von uns vorgeschlagenen Bürgschaften sind wirtschaftlicher und nicht politischer Art.“ Der Dawesplan versucht also, aus einem politischen Problem ein wirtschaftliches zu machen.[1]
Der Dawes-Plan sah vor, dass Deutschland 1924 eine Rate in Höhe von einer Milliarde Goldmark bezahlte. Bis 1928 sollten die Zahlungen auf 2,5 Milliarden Mark steigen und dabei bleiben. Dank eines Transferschutzes[2] ging das Risiko bei Problemen mit der Devisenbeschaffung auf die Empfänger über. Um das Risiko der Währungsabwertung gegenüber den Gläubigerwährungen zu minimieren, war ein neues Reichsbankgesetz im Vertragswerk des Dawes-Plans enthalten.[3] Wesentliche Punkte des nun gültigen Reichsbankgesetzes (RbG 1924)[4] waren:
- RbG § 1: Von der Reichsregierung unabhängige Reichsbank (Unabhängigkeit von der Reichsregierung gab es in gewissem Umfang bereits zuvor, ab Autonomiegesetz vom 26. Mai 1922 gegeben)[5][6]
- RbG § 14: Bildung eines 14-köpfigen Generalrates (1 Brite, 1 Franzose, 1 Italiener, 1 Belgier, 1 Amerikaner, 1 Holländer, 1 Schweizer und sieben Deutsche)
- RbG § 25: Limitierung von Notenbankkredit an den Reichshaushalt („Betriebskredite“)[7]
- RbG § 27: Überwachung der Golddeckung durch einen ausländischen Kommissar
- RbG § 28: 40 % Golddeckung (max. 10 % in goldkonvertiblen Devisen)
- RBG § 29, Abs. 3: Untergrenze des Mindestdiskontsatzes von 5 % (Refinanzierungssatz bzw. „Leitzins“)[8] im Fall der Unterdeckung (unter 40 %) der deutschen Reichsmark[9]
55 % der Reparationen sollten in Geld, der Rest in Sachleistungen erbracht werden. Mit der Organisation der Zahlungen, Devisenankauf, -interventionen, Transfer wurde der Generalagent für Reparationszahlungen Parker Gilbert betraut.[10]
Eine internationale Anleihe von 800 Millionen Reichsmark sollte der Reichsbank als Grunddeckung dienen (zusätzlich 200 Millionen waren selbst aufzubringen). Weiterhin flossen bis 1929 rund 21 Milliarden Mark Kredite ausländischer Banken und Exportfirmen, vor allem aus den USA, nach Deutschland. Außerdem sollte es die Politik der Sicherung von „produktiven Pfändern“ für Reparationszahlungen nicht mehr geben, die Ruhrbesetzung sollte also beendet werden.
Die Quellen für die Reparationen waren Zölle und Steuern, die direkt abgeführt werden mussten, und Zinsen und Tilgung für Schuldverschreibungen in Höhe von 16 Milliarden Goldmark, mit denen die Industrie belastet wurde. Um die Zahlungen zu sichern, wurden Reichsbank und Deutsche Reichsbahn in Aktiengesellschaften umgewandelt und unter internationale Kontrolle gestellt.
Die Gesamthöhe der Reparationszahlungen, die am 5. Mai 1921 auf der Londoner Konferenz auf 132 Mrd. Goldmark, zahlbar in 57 Jahren, festgesetzt worden war, wurde nicht verringert, da diese Zahl vor allem für Frankreich auch eine symbolische Bedeutung hatte. Da sich Frankreich jedoch Anfang 1924 in einer Finanzkrise befand und durch einen Kredit von J. P. Morgan gestützt werden musste, war man in den anderen Punkten weitgehend kompromissbereit. Ein Generalbevollmächtigter für Reparationszahlungen wurde ernannt; dieser sollte sicherstellen, dass die Zahlungen die Stabilität der neuen deutschen Währung nicht gefährdeten.[11]
Probleme
Es waren aber bereits Probleme abzusehen:
- Es wurde kein Ende der Reparationszahlungen festgesetzt.
- Die Reichsbank und die Deutsche Reichsbahn wurden unter internationale Kontrolle gestellt. Die politische Rechte kritisierte den Plan auf Grund dieser Souveränitätsbeschränkungen.
- Es war bereits absehbar, dass Deutschland nicht in der Lage sein würde, die 2,5 Milliarden Reichsmark pro Jahr zu zahlen.
- Die Kredite brachten Deutschland zwar einen wirtschaftlichen Aufschwung, führten aber zu einer starken Abhängigkeit von den temporär zu Verfügung gestellten Devisen der US-amerikanischen Gläubiger, deren drohende Abzüge sich in der Weltwirtschaftskrise 1929 verwirklichten und letztlich die Deutsche Bankenkrise mitverursachten.
- Weiterhin hohe Arbeitslosigkeit.
Auf Druck der Industrie und der Agrarbetriebe und wegen der Beendigung der Ruhrbesetzung stimmten am 29. August bei der Abstimmung im Reichstag auch Abgeordnete der rechtskonservativ-monarchistischen DNVP für den Dawes-Plan, so dass die nötige Zweidrittelmehrheit erreicht wurde.
Dawes-Anleihe
Die Deutsche Äußere Anleihe 1924 (Dawes-Anleihe) diente nach der Währungsreform als Erstausstattung der Reichsbank und hatte ein Volumen von 800 Millionen Reichsmark, aufgeteilt in verschiedene Währungstranchen. Der Kupon betrug sieben Prozent und die ursprüngliche Laufzeit war 25 Jahre bis 1949. Nach der Machtübernahme Hitlers wurde die Zinszahlung eingestellt. Durch das Londoner Schuldenabkommen von 1953 musste die Anleihe mit neuen Bedingungen wieder bedient werden. Die noch ausstehende Restlaufzeit ging entsprechend der nicht mehr bedienten Jahre 1933 bis 1949 weitere 16 Jahre von 1953 bis 1969, der Kupon wurde allerdings gekürzt. Die rückständigen Zinsen der Jahre 1933 bis 1944 wurden in eine sog. Fundierungsschuldverschreibung umgewandelt und bis 1972 abbezahlt. Die Zinsen von 1945 bis 1952 waren aufgrund des Verhandlungsgeschicks von Hermann Josef Abs erst mit einer Wiedervereinigung Deutschlands nachzuzahlen, verbrieft durch Bezugsscheine. Diese Bezugsscheine wurden zeitweise wie historische Wertpapiere (obwohl weiterhin gültig) zu Niedrigstpreisen verscherbelt, da eine Wiedervereinigung unwahrscheinlich schien. Sie lebten aber am 3. Oktober 1990 auf, so dass Deutschland erneut eine Fundierungsschuldverschreibung (WPKN 117010) mit einem Drei-Prozent-Kupon, einem Volumen von 200 Millionen DM und einer Laufzeit von 20 Jahren ausgab, in die die Bezugsscheine umgewandelt werden konnten. Im Oktober 2010 wurden vom Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen die letzten Zahlungen getätigt.[12] Die wenigen Anleihen, bei denen die damaligen Inhaber das Tauschangebot von 1953 nicht annahmen, unterliegen noch der ursprünglichen Gold-Klausel, die eine Rückzahlung in Gold ermöglichte. Vereinzelt werden deshalb Prozesse gegen die Bundesrepublik in den USA geführt. Das Schicksal der Dawes-Anleihe wird von dem der Young-Anleihe geteilt.
Siehe auch
- Ein weiterer Schritt zur Verbesserung der deutschen Lage war 1925 der Vertrag von Locarno.
- 1930 wurde der Dawes-Plan vom Young-Plan abgelöst.
Literatur
- Die Sachverständigen-Gutachten – Der Dawes- und Mc.Kenna-Bericht. Nach dem Originaltext redigierter Wortlaut. Frankfurt a. M. 1924.
- Helmuth K. G. Rönnefarth, Heinrich Euler: Konferenzen und Verträge. Vertrags-Ploetz. Handbuch der geschichtlich bedeutsamen Zusammenkünfte und Vereinbarungen. Teil II. 4. Band: Neueste Zeit, 1914–1959. 2. erweiterte und veränderte Auflage. Ploetz Verlag, Würzburg 1959, S. 80–82.
- Albrecht Ritschl: Deutschlands Krise und Konjunktur 1924–1934. Binnenkonjunktur, Auslandsverschuldung und Reparationsproblem zwischen Dawes-Plan und Transfersperre (zugleich: München, Univ., Habil.-Schr., 1998). In: Jahrbuch für Wirtschaftsgeschichte. Beiheft 2, Akademie Verlag, Berlin 2002, ISBN 3-05-003650-8.
Weblinks
- Arnulf Scriba: Dawes-Plan auf LeMO
Einzelnachweise
- Aachener Kongress - Hussar Fall von Schlochauer, Hans J. / Krüger, Herbert / Mosler, Hermann / Scheuner, Ulrich, Aachener Kongress - Hussar Fall
- Bundeszentrale für politische Bildung: Deutsche Geschichten. Dawes-Plan: „Bei der Umwandlung der Jahresraten in die Währungen der Empfängerstaaten konnten die tatsächlichen Zahlungen niedriger ausfallen, wenn Deutschland infolge einer negativen Handelsbilanz über zu wenig Devisen verfügte ("Transferschutz").“
- Helmut Coing: Dawes-Plan. In: Wörterbuch des Völkerrechts. Aachener Kongress bis Hussar-Fall. Band 1. (Hrsg. Hans-Jürgen Schlochauer) Berlin 1960. S. 316. (online)
- Vgl. Reichsgesetzblatt (30. August 1924), Teil II, S. 235 ff (siehe auch Online-Archiv Oesterreichische Nationalbibliothek).
- Rudolf P. Geisler: Notenbankverfassung und Notenbankentwicklung in USA und Westdeutschland. Berlin 1953. S. 80. (online)
- Gerhard Schulz: Deutschland am Vorabend der grossen Krise. Berlin 1987. S. 99. (online)
- Karl-Heinrich Hansmeyer: Von der fiskalischen zur staatswirtschaftlichen Komponente. In: Wandlungen des geldpolitischen Instrumentariums der Deutschen Bundesbank (Hrsg. Werner Ehrlicher, Diethard B. Simmert), Berlin 1988, (online auf Google.Books) S. 147 f.
- Bundesarchiv, Akten der Reichskanzlei: Das Kabinett von Papen – Ministerbesprechung vom 19. August 1932 – Außerhalb der Tagesordnung: Diskontsenkung der Reichsbank
- Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), 8. Mai 1933: 3. Jahresbericht (PDF; 2,7 MB), S. 29.
- Hans Gestrich: Der Youngplan. Leipzig 1930. S. 122:
„Sehr wichtig ist folgende Bestimmung: Wenn das Komitee der Meinung ist, daß der Diskontsatz der Bank nicht im Verhältnis zu der Notwendigkeit steht, bedeutende Übertragungen vorzunehmen, soll es den Präsidenten der Reichsbank davon unterrichten. Das Transferkomitee konnte also sogar äußerstenfalls eine preisniveaudrückende und handelsbilanzaktivierende Diskontpolitik der Reichsbank verlangen. In Wirklichkeit hätte es das aber wohl kaum jemals nötig gehabt. Es genügte, daß der Agent rücksichtslos Devisen kaufte, um die Reichsbank zur Intervention auf dem Devisenmarkt unter Heranziehung ihrer Gold- und Devisenbestände zu zwingen. Dadurch allein wäre die Reichsbank zu scharfen Diskontheraufsetzungen und Kreditrestriktionen gezwungen gewesen.“ - Liaquat Ahamed: Die Herren des Geldes. München 2010, S. 228 ff.
- Fokus online, 1. Oktober 2010: Deutschland begleicht letzte Kriegsschulden